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Der Streit

Konflikte

Schlüsselbegriffe

Unstimmigkeit / widersprüchlich / Interessenkonflikt / Argwohn / Konfrontation / Unverständnis / Stress / Querelen / feindselig / Disput / Rivalität / rechthaberisch / um sein Recht kämpfen / innerer Widerstreit / in sich gespalten / unversöhnlich / unnachgiebig / sich für etwas Besseres halten / Zivilprozess / Rechtsstreit / Verleumdung / Nötigung / zurechtweisen / Querulant …

Sobald unsere Überzeugungen und Interessen auf Widerspruch stoßen, gibt es Streit. Solange aber Unfrieden herrscht, sollten wir uns nicht vornehmen, Entscheidungen großer Tragweite zu treffen. Der Moment bietet viel eher Anlass, unsere Absichten und Beweggründe möglichst ehrlich zu überprüfen. Im Hintergrund einer Auseinandersetzung stehen ja oft heimliche Umtriebe: (Selbst-)Betrug, Machtansprüche, Manipulation... Wir müssen diese verborgenen Fangstricke beizeiten ausräumen, damit nicht unlösbare Verstrickungen daraus entstehen. Die Auflösung des Knotens liegt dabei immer auf halbem Weg. Wir kommen ihr näher, wenn wir den Standpunkt eines unbeteiligten Beobachters einnehmen.

Naturbild



Himmel und Wasser gehen einander entgegengesetzt:

Das Bild des Streites.

So überlegt der Edle bei allen Geschäften, die er tut, den Anfang.

In diesem Bild wölbt sich der Himmel unerreichbar hoch über einer Wasserflut, die der Schwerkraft folgend immer nach den Niederungen strebt. Dieser gewaltige, zu allem entschlossene Himmel kennt keinen Zweifel. Das Wasser unter ihm stürzt aber immer wieder in Schluchten und steht damit für Gefahr. Wenn nun eine solche nach außen gekehrte Stärke einen klaffenden Abgrund im Unterbau hat, deutet sich ein heftiger Konflikt an. Zu einem guten Ende findet diese Konstellation nur, wenn die machtvolle Überzeugung des Himmels auch ihre Grenzen einsieht, sonst droht ihr der Absturz…

Wasser verkörpert die Dimension der Gefühle und Bedürfnisse, die aus unserem unbewussten seelischen Urgrund hochkommen und sich nicht um unsere bewussten Zielsetzungen scheren. Ihr Widerstand stellt für den Führungsanspruch des Himmels eine riskante Herausforderung dar, über die er sich am liebsten einfach hinwegsetzen möchte.

Wie Himmel und Wasser stehen auch zwei streitende Parteien auf entgegengesetzten Standpunkten und erheben dabei große Forderungen. Ihr Konflikt kommt daher, dass sie sich innerlich entfremdet und ihre Gemeinsamkeiten aus den Augen verloren haben. Im Streit erhalten sie nun die Gelegenheit, sich einander wieder anzunähern. Gerade wenn es sich um einen inneren Disput handelt, ist eine intensive Auseinandersetzung unvermeidbar, da wir keinen Frieden finden, wenn wir nicht allen beteiligten Anteilen gerecht werden.

Differenzen auf den Grund gehen

Der Streit: du bist wahrhaftig und wirst gehemmt.

Sorgliches Innehalten auf halbem Weg bringt Heil.

Zu Ende führen bringt Unheil.

Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.

Nicht fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.

Zurzeit liegt innere und äußere Disharmonie in der Luft: Wir ecken bei anderen an oder liegen mit uns selbst im Clinch. Auf der Bühne unseres Bewusstseins streiten verschiedene Wesensanteile. Mit manchen davon identifizieren wir uns, während andere in den Schatten oder in die Projektion verbannt sind. Die widersprüchlichen Überzeugungen, die da zutage treten, versetzen uns in Stress und provozieren äußere und innere Konflikte.

Ganz allgemein entsteht Streit, wenn jemand, der überzeugt ist, Recht zu haben, auf Widerstand stößt. Dann kommt es zum Kampf, da das Ego nicht anerkennen will, dass die persönliche Wahrheit des anderen ebensoviel Daseinsberechtigung hat wie seine eigene.

Im Streit ist die Wahrheit also in zwei Lager gespalten. Dieser feindselige Antagonismus kann nur von einer übergeordneten Instanz (dem großen Mann) entgiftet werden. In der Außenwelt kann das ein kompetenter Ratgeber oder gerechter Schiedsrichter sein, bei innerer Uneinigkeit ist unser wahres Selbst gefragt, das sich nicht in die Händel des Ego verstricken lässt. So eine unparteiische Autorität kann uns die versteckten Hintergründe des Streitfalls bewusst machen. Ihre objektive Neutralität wird dafür sorgen, dass sich die Heftigkeit legt, mit der wir auf unser Recht pochen. Denn egal wie sehr uns jemand widerstrebt, wir dürfen uns nie zum Richter über andere aufschwingen. Die Wahrheit braucht niemanden, der für sie streitet - sie überzeugt ganz ohne unsere Schützenhilfe! Deshalb sollten wir freiwillig das Kriegsbeil begraben und unserem Kontrahenten auf halber Strecke entgegenkommen. Wenn wir unsere Sicht­weise schlicht und sachlich zum Ausdruck bringen, finden wir vielleicht Kompromisse, die unseren schwelenden Groll beschwichtigen. Sollte die Klärung der Positionen jedoch zu keinem Ergebnis führen, ist Rückzug die klügste Strategie, damit die Sache nicht eskaliert.

Im Streit wird die Wahrhaftigkeit tief verdunkelt. Zugleich kommen Dinge ans Licht, aus denen wir viel über uns lernen können: Wir treten ja gerade dann hart und massiv nach außen auf, wenn aus unserem Unbewussten etwas aufsteigt, was unser Selbstbild bedroht. Fast automatisch wird alles, was nicht dazu passt, ausgeklammert und in den Schatten gedrängt. Unbewusst versuchen wir, diese abgelehnten Anteile loszuwerden, indem wir sie auf andere projizieren - mit dem Ergebnis, dass wir diese Menschen ablehnen und meinen, uns gegen sie verteidigen zu müssen. So schlittern wir aktiv oder passiv in Machtspiele, die letztlich nur unser eigenes zerstrittenes Innenleben widerspiegeln und daher auch nicht auf der äußeren Ebene gelöst werden können. Wir dürfen uns jetzt also keinesfalls hinreißen lassen, zurückzuschlagen, selbst wenn wir uns ungerecht behandelt und angegriffen fühlen. Wenn wir stattdessen innehalten und unter die Oberfläche schauen, werden wir entdecken, dass so manches, was wir unserem Gegenspieler anlasten, eigentlich auf unser eigenes Konto geht.

Bei unseren inneren Zwistigkeiten sieht das Bild ganz ähnlich aus: Immer wenn wir uns insgeheim unsicher fühlen, versuchen wir unser Gleichgewicht wiederherzustellen, indem wir demonstrative Entschlossenheit hervorkehren. Unser Verstand fürchtet unsere rumorenden irrationalen Bedürfnisse und möchte sie am liebsten rücksichtslos wegfegen. Doch wenn wir unsere wahren Regungen unterdrücken, warten sie nur auf einen unkontrollierten Moment, um sich explosiv zu entladen. Von daher sollten wir dieses innere Minenfeld entschärfen, indem wir uns mit erhöhter Achtsamkeit unserer Widersprüche annehmen und sie erst einmal bewusst wahrnehmen. Die größte Herausforderung ist dabei, die Mitte zu halten – doch liegt hier unsere einzige Sicherheit. Rechthaberei und Schuldzuweisung bringen uns keinen Schritt weiter – im Gegensatz zu ruhiger Gefasstheit und Vermittlungsgeschick. Die Dinge werden sich normalisieren, sobald wir uns klar machen, dass echte Stabilität erst durch Erfahrung und Reife, und nicht durch Überzeugungsarbeit entstehen kann. Die Lösung liegt also nicht auf der Ebene der äußeren Durchsetzung, sondern im Loslassen eingefahrener Denkmuster.

Allgemein gesehen ist dieser Lebensabschnitt denkbar ungünstig, um irgendwelche Risiken einzugehen - die Lage ist viel zu unberechenbar. Wir sollten tunlichst vermeiden, das große Wasser zu durchqueren – also bindende Entscheidungen zu treffen oder wichtige Projekte in Angriff zu nehmen. Damit derlei gelingt, bedarf es unserer vereinigten Kräfte, die wir im Augenblick nicht zur Verfügung haben.

Innere Uneinigkeit

Jeder äußere Streit beruht auf einem inneren Konflikt: Wir sind zerrissen, weil unsere Glaubenssätze und „heiligen“ Überzeugungen nicht mit unserer innersten Wahrheit vereinbar sind. Das streitlustige Ego lenkt uns von dieser essenziellen Tatsache ab und schmeichelt uns stattdessen damit, dass wir im Recht und die anderen im Unrecht seien. Es möchte seinen Willen durchsetzen und sucht einen Sündenbock, dem es die Schuld an seiner Misere geben kann. Wenn unser falsches Selbst so aufdreht, kann die Stimme des Heiligen Geistes nicht mehr zu uns durchdringen. Früher oder später wird unsere eifernde Empörung ausbrennen, sodass wir, oft nach einem schmerzhaften Prozess, zur Demut zurückfinden. Vorerst aber macht uns unsere selbstgerechte Kampfstimmung blind dafür, dass unsere Konflikte auf einen grundlegenden Irrtum über Richtig und Falsch zurückgehen. Wir haben ja alle im Lauf unserer Biographie bestimmte kollektive Regeln und Überzeugungen als absolut gültig übernommen und fordern sie nun auch bei anderen ein. Dabei versagen auch wir selbst angesichts dieser übermenschlichen Ideale und können es uns dann selbst nicht verzeihen. Doch mit Vorwürfen und Selbstvorwürfen sind wir auf dem falschen Weg. In Wirklichkeit machen wir alle ja nur dann einen Fehler, wenn wir gegen die kosmische Ordnung und unsere innerste Wahrheit verstoßen. Dann liegt die Ursache aber nicht in einem so genannten „Bösen“, sondern in unserer von Illusionen verzerrten Sichtweise, die uns Dinge tun lässt, die unserer Natur widersprechen. Zu diesen fatalen Täuschungen gehört vor allem die fixe Idee, die Dinge sollten nach unseren Vorstellungen laufen - obwohl der Kosmos ganz andere und weisere Pläne hat. Hier verrennt sich das Ego nur allzu oft. Eine gute Lösung ist nur mit dem Beistand des Heiligen Geistes zu finden.

Wandellinie 1


Wenn man die Sache nicht verewigt,

so gibt es ein kleines Gerede.

Am Ende kommt Heil.

Schwamm drüber

An dieser Stelle liegt ein erster Anreiz zum Streiten in der Luft. Unser inneres Rumoren stößt uns mit der Nase darauf, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht zweifeln wir ja an unseren eigenen Argumenten und wirken deshalb nicht so glaubwürdig, wie wir möchten. Diese untergründige Unruhe muss bewusst erforscht werden, damit sie nicht zu einem gefährlichen Stolperstein wird. Wir sollten jetzt jeden Streit vermeiden oder ihn möglichst schnell ad acta legen. Wir dürfen uns nicht von kleinlichen Sticheleien aufbringen lassen. Und selbst wenn bereits scharfe Worte gefallen sind, sollten wir die Angelegenheit möglichst rasch bereinigen. Sollten wir uns dagegen auf eine Auseinandersetzung einlassen, würden sich die Dinge destruktiv aufschaukeln - und wir könnten unser Gesicht verlieren.

Hier stehen wir häufig jemandem gegenüber, der sich selbstbewusst aufbläht und damit unsere eigenen Minderwertigkeitsgefühle zum Klingen bringt – das reizt uns kompensatorisch zum Streiten. Allerdings stehen die Chancen schlecht, dass wir uns hier behaupten können. Fakt ist, dass unser Gegner die schärferen Waffen besitzt - wir sollten es also lieber nicht zu einer Eskalation kommen lassen.

Du kannst dieses Konfliktfeld verlassen, wenn du zuerst einmal in dir selbst für Klärung sorgst. Sobald du deinen Selbsttäuschungen auf die Spur kommst, wirst du auch nach außen eine neue Position finden. Überwinde deinen Ärger und deinen (gekränkten) Stolz und öffne dich für Kompromisse. Am besten ziehst du einen Strich unter die Sache.

Tiefendynamik

Überzogene Ansprüche machen uns das Leben schwer. Trotzdem meinen wir zuweilen, alles drehe sich um uns, wir hätten besondere Rechte und an unseren Problemen sei natürlich ein anderer schuld. Dabei sind wir es selbst, die im Kampf mit der Wirklichkeit liegen. Wir glauben, wir wüssten, wie die Dinge sein sollten, und merken gar nicht, wie sehr unsere Arroganz der Harmonie mit dem Tao im Weg steht. Wenn wir den inneren Konflikt beilegen wollen, müssen wir dem Ego deutliche Grenzen setzen, auch wenn es immer weiter diskutieren möchte.

Wandellinie 2


Man kann nicht streiten, kehrt heim und weicht aus.

Die Menschen seiner Stadt, dreihundert Häuser,

bleiben frei von Schuld.

Der Klügere gibt nach

In dieser Situation brauchen wir sowohl Standvermögen wie auch Beweglichkeit, da wir es mit einem stärkeren Gegenspieler zu tun haben. Von einer schmalen Basis von nur dreihundert Häusern aus kämpft hier der Sohn (Wasser) gegen den übermächtigen Vater (Himmel).

Wir hätten zwar gute Lust, uns mit diesem Gegner anzulegen, realisieren allerdings durchaus, dass wir in dem ungleichen Kampf den Kürzeren ziehen würden. Wir sind eindeutig im Nachteil, weil weder unsere Argumente, noch unsere Motive stark genug sind. Ließen wir uns auf einen Streit ein, müssten wir mit üblen Folgen rechnen. In der Auseinandersetzung mit einem überlegenen Widersacher ist es am vernünftigsten, rechtzeitig einen Rückzieher zu machen. Auf diese Weise wird unser Umfeld wenigstens nicht unschuldig in den Konflikt hineingezogen und den Menschen, die zu uns gehören, bleiben peinliche Unannehmlichkeiten erspart.

Hör lieber auf, hier dagegenzuhalten. Du wirst weder durch Argumente noch durch Anschuldigungen oder Drohungen gewinnen. Zieh dich lieber unauffällig zurück und weiche aus auf ein Terrain, das nicht vom Virus des Streits verseucht ist. Da stehen dir die Türen offen.

Tiefendynamik

Wer versucht, seine Anliegen im Streit voranzutreiben, kann keinen Erfolg haben, da er nicht im Einklang mit dem Kosmos ist. Solange wir nach draußen schauen und unseren Willen auf die anderen richten, hat die Wahrheit keine Chance. Bremsen wir uns aber erst einmal und besinnen uns auf innere Harmonie, wird das Problem bald seine Dringlichkeit verlieren.

Wandellinie 3


Von alter Tugend sich nähren, gibt Beharrlichkeit.

Gefahr, am Ende kommt Heil.

Folgst du etwa eines Königs Diensten, so suche nicht Werke.

Selbstwertschätzung

Diese Person ist in einem aufrichtigen Prozess zu wertvollen Erkenntnissen gekommen, die ihr sehr am Herzen liegen, mit denen sie aber ganz unvorhergesehen auf Widerstand stößt. So flammt ein heftiger Disput auf, der sie dermaßen in die Enge treibt, dass sie ihr Gleichgewicht verliert und in einprogrammierte Automatismen verfällt. Eine emotionale Eigendynamik dieser Art lässt immer auf eine alte und früh eingewurzelte Problematik schließen.

Wir stehen hier vor dem schmerzhaften Dilemma, dass wir mit einem Auftrag von höherer Stelle betraut sind (von einem Vorgesetzten, von unserer Seele) und nun damit zurechtkommen müssen, dass wir nicht in der Lage sind, ihn überzeugend weiterzuvermitteln und auszuführen. Ganz offensichtlich finden wir damit in der Außenwelt weder Anklang noch Verständnis. Obwohl wir uns absolut im Recht fühlen, fehlt uns die Kraft, uns durchzusetzen. Deshalb neigen wir dazu, unseren Unmut hinunterzuschlucken und stur auf unserem Standpunkt zu beharren, was aber nicht ungefährlich ist. Statt nach Überlegenheit zu streben, sollten wir die Situation lieber sachlich klären, damit sich unser brütender Groll auflösen kann.

nMomentan ist es klüger, zurückzustecken, statt um Erfolg oder Zustimmung zu ringen. Mach dich von niemandem abhängig! Es lohnt sich nicht, einen stärkeren Gegner herauszufordern. Niemand kann dir deine Einsichten absprechen, doch ob er dir dafür Anerkennung schenkt, ist seine Sache. Letztlich zählt jetzt vor allem, dass du an dich glaubst.

Tiefendynamik

Statt uns selbst treu zu sein, verfallen wir immer wieder in eine falsche Treue zu den Werten der Mehrheit und zum kollektiven Wirklichkeitsmodell. Solche fehlgeleiteten Loyalitäten ziehen zwangsläufig Unheil an. Sie dienen nicht unserem höheren Wohl, sondern machen uns zu Sklaven der öffentlichen Meinung. Wir sollten jetzt ernsthaft überprüfen, wie wichtig es uns ist, was andere über uns denken. Erfolg, Status und Anerkennung verführen uns allzu leicht, unsere Seele zu verkaufen für die falschen Silberlinge eines schmeichelhaften Selbstbildes. Vielleicht identifizieren wir uns ja gerade mit so einem ehrenwerten Image, wie: Ich bin ein anständiger und großherziger Mensch / Ich bin klug und kompetent / Ich besitze spirituelle Reife / ich bin selbstlos und hilfsbereit…

Wandellinie 4


Man kann nicht streiten, kehrt um und fügt sich dem Geschick,

ändert sich und findet Frieden in Beharrlichkeit. Heil!

Der größte Sieg ist der über sich selbst

Wenn wir mit uns selbst im Clinch sind, neigen wir oft dazu, einen Streit anzufangen, damit uns wieder leichter wird. Es reizt uns, Gift zu verspritzen, an anderen herumzunörgeln und sie schlecht zu machen, um uns selbst moralisch aufzurichten oder uns vor anderen ins rechte Licht zu rücken. Da wir gerade in der stärkeren Position sind, könnten wir unseren Gegner tatsächlich problemlos an die Wand drücken. Allerdings verspüren wir Skrupel, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Unser Gewissen erkennt glasklar, dass ein Streit an dieser Stelle nicht fair wäre und dass nichts Gutes dabei herauskäme.

In dieser Situation tritt ein Perspektivenwechsel ein: wir registrieren unsere zementierten Glaubenssätze und Vorurteile und beginnen uns davon zu lösen. Obwohl unsere Einsichten nicht eben angenehm sind, lassen sie uns doch endlich wieder zur Ruhe kommen.

Lass locker, gib deine streitbaren Absichten und dein provozierendes Wesen auf. Statt deinen emotionalen Aufruhr weiter mit schlimmen Geschichten zu füttern, solltest du lieber nach innen schauen. Es ist Zeit, einzulenken und dich mit der Situation auszusöhnen.

Tiefendynamik

Vor allem zwei Gedankenkonstrukte geben wiederholt Anlass zum Streit: das in unserer Kultur verankerte Eigentumskonzept und die Überzeugung, wir besäßen irgendwelche Rechte. Allerdings sieht die universelle Ordnung diesbezüglich ganz anders aus als die der Gesellschaft: Aus kosmischer Sicht ist alles, was zu uns kommt, ein reines Geschenk, das dazu beitragen möchte, dass wir den einzigartigen Zweck unseres Daseins erfüllen. Der Anspruch, diese Gaben verdient zu haben oder nach eigenem Gutdünken darüber verfügen zu können, ist eine Erfindung des Ego, das die Menschen als getrennte Konkurrenten betrachtet.

Da wir hier deutlich spüren, dass unsere Empörung uns selbst nicht gut tut, dass sie uns von der Fülle des Kosmos trennt, lassen wir uns beschwichtigen und schlagen einen versöhnlicheren Ton an.

Wandellinie 5


Streiten vor ihm bringt erhabenes Heil.

Salomonisches Urteil

Diese Linie zeigt den überlegenen Friedensrichter, der die Fähigkeit besitzt, unparteiisch und gerecht zu urteilen, da er nicht nur äußere, sondern auch innere Zusammenhänge berücksichtigt. Weil er selbst nicht in die Sache involviert ist, hat er genug Abstand, um zu sehen, worum es wirklich geht. So verfügt er über die nötige Autorität, um im Namen der höheren Wahrheit Recht zu sprechen und die Lage ruhig und sachlich zu schlichten.

Wenn wir den ehrlichen Wunsch haben, die Dinge in Ordnung zu bringen, ist jetzt der entscheidende Moment, um unser Problem an kompetenter Stelle vorzubringen:

Im Fall äußerer Streitigkeiten können wir einen kundigen Schiedsrichter oder Mediator zurate ziehen, der die strittigen Aspekte objektiv beleuchtet und aus höherer Warte beurteilt. Unter diesen Umständen besteht gute Aussicht, die Meinungsverschiedenheiten so gründlich auszuräumen, dass keine Ressentiments zurückbeiben.

Vielleicht brauchen wir aber auch gar keine Unterstützung von außen, sondern können die Sache mit uns selbst austragen. Seelische Konfliktstoffe gehören in die Obhut unseres inneren Meisters, des großen Mannes. Er wird eine Entscheidung treffen, die unserer Gesamtpersönlichkeit gerecht wird und deshalb auch von allen streitenden Anteilen anerkannt wird.

Du spürst, dass eine ruhige, vertrauenswürdige Stimme in dir zu einem Urteil gekommen ist. So wird eine Einigung möglich, die den Weg für eine Wiederannäherung ebnet.

Tiefendynamik

Manchmal sind wir zwischen zwei Alternativen gefangen, die beide vernünftig scheinen und doch beide in die Irre führen. Wir könnten uns etwa fragen, ob wir besser kämpfen oder klein beigeben sollen. Dabei liegt die Lösung an einer ganz anderen Stelle, die aber nur von höherer Warte erkannt werden kann. Damit ist der Moment gekommen, um unseren Konflikt an den Kosmos zu übergeben und den Blick völlig davon abzuwenden. Solange wir uns noch damit aufhalten, zu argumentieren und zu rechten, können wir nicht verstehen, was das Orakel uns sagen will. Streit macht uns blind für Antworten, die seinen Rahmen überschreiten!

Wandellinie 6


Wenn einem etwa auch ein Ledergürtel verliehen wird,

am Ende eines Morgens wird er ihm dreimal entrissen.

Ewig hadern

Hier könnten wir das Streiten zu weit treiben! Der Linientext entwirft das Bild einer (inneren) Person, die anmaßend ihre Macht demonstriert, während sie sich zugleich gegen neue Erfahrungen sperrt und damit den Kontakt zur Wahrheit verliert. Eigentlich geht es ihr schon lange nicht mehr um die Sache, sondern nur noch darum, Recht zu bekommen. Die Streiterei soll ihrem Status Geltung verschaffen. Im Grunde steht der ganze Aufstand in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Doch da dieser Sturkopf das nicht einsehen will, rückt er keinen Zentimeter von seinem Standpunkt ab. Er zieht den Streit bis zum bitteren Ende durch - und triumphiert auch schließlich über seinen Kontrahenten... Allerdings hinterlässt diese Art von Selbstbehauptung einen üblen Nachgeschmack, weil sie auf hässliche und unfaire Mittel zurückgeht, auf verbales Machtgebaren, Überrumpelung oder emotionale Erpressung. Solche Siege bringen weder Frieden noch Freude, sondern lösen nur eine Kette von weiteren Zwistigkeiten, Racheakten und Ressentiments aus. Selbst die erste Genugtuung währt nur kurz: Was wir durch Gewalt erringen, wird uns durch Gewalt wieder entrissen. Wir werden immer neu herausgefordert, so dass ein aufreibender Streit ohne Ende herauskommt.

Du hast dich in der wesentlichen Frage durchgesetzt – und wirst trotzdem nichts davon haben. Ein Erfolg beweist ja noch lange nicht, dass du auch im Recht bist. Sei ehrlich: Hast du den Konflikt bereinigt oder hast du ihn letztlich verschärft? Spür nach und lass dir von deinen tiefen Gefühlen den Weg weisen. Eigentlich bist du des Kämpfens doch so müde. Was du brauchst, sind Klarheit und Einsicht, um Sieg und Niederlage geht es gar nicht!

Tiefendynamik

Immer wenn wir im Streit bis zum Letzten gehen, wird unser scheinbarer Erfolg dreifach zunichte, weil wir nämlich das Einzige verlieren, was wirklich Wert hat - unsere Würde, unseren inneren Frieden und die Verbindung zum Tao. Stattdessen setzen wir eine Kette von Projektionen in Gang und lösen einen unseligen Krieg auf der inneren oder äußeren Ebene aus. Wir müssen uns ernsthaft fragen lassen, was für uns mehr zählt: Recht zu haben oder glücklich zu sein?

I Ging

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