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Als ich mich endlich durchgerungen hatte, meinem Vater zu sagen, dass ich Tennisspieler werden wollte, sah er mich mit großen Augen an. Ich befürchtete, dass er so reagieren würde wie immer, wenn meine Mutter eine Idee hatte, wie man die Wohnung verschönern könnte. Seine erste Antwort war immer: „Nein!“ Ich bewunderte meine Mutter, denn sie nahm das ganz gelassen hin. Wenige Wochen später kam sie wieder darauf zu sprechen. „Ein neuer Teppichboden wäre doch schön, der alte ist an vielen Stellen schon so abgeschabt.“ „Kommt überhaupt nicht in Frage, das schlag dir aus dem Kopf.“ Meine Mutter gab klein bei – scheinbar – aber in Wirklichkeit schlug sie sich den neuen Teppichboden überhaupt nicht aus dem Kopf. Wieder nach einigen Wochen klopfte sie erneut an: „Der Teppichboden hat an so vielen Stellen Schmutzflecken, die bringe ich auch mit Teppichschaum überhaupt nicht mehr sauber.“ „Ja, wo sollen wir denn das Geld für einen neuen Teppichboden hernehmen?“ Und da merkte ich, dass eine ganz, ganz kleine Bresche in die ablehnende Haltung meines Vaters geschlagen war, die er selber wahrscheinlich überhaupt nicht bemerkte. Als das nächste Mal wieder die Sprache auf den Teppichboden kam, war die Antwort meines Vaters: „Dann muss aber der Herd warten.“ Und damit war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der neue Teppichboden angeschafft war.

Das stand bei meiner Frage im Hintergrund und deshalb war ich ganz verwundert, als er sagte: „Wenn du glaubst, dass das der richtige Weg für dich ist – meine Unterstützung hast du. Aber die Schule darf nicht darunter leiden!“

Andererseits hätte ich es mir denken können, dass mein Vater meinem Wunsch, Tennis zu spielen, durchaus positiv gegenüberstehen würde, denn nahezu immer, wenn wir, meine Schwester und ich, Wünsche hatten, die ihm für unseren Lebensweg sinnvoll erschienen, fand das seine Unterstützung. So sorgte er schon früh dafür, dass wir Musikunterricht erhielten, meine Schwester Geige und ich Akkordeon. Den Lehrer, den er dafür engagierte und der sowohl meine Schwester in Geige als auch mich in Akkordeon unterrichtete, mochten wir beide nicht. Vielleicht war das der Grund, dass wir nicht die rechte Lust und den nötigen Fortschritt entwickelten, als es notwendig gewesen wäre, denn das Geld für den Unterricht mussten sich meine Eltern ziemlich vom Mund absparen. Ich glaube aber, dass auch mein Vater nicht von den Qualitäten des Musiklehrers überzeugt war, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis er ihn abbestellte.

Natürlich würde es gar nicht so wenig Kosten verursachen, wenn man Tennis ernsthaft betreiben wollte, und reich waren meine Eltern wirklich nicht. Sie verzichteten auf vieles, nur um ihren Kinder zu ermöglichen, dass sie es einmal besser haben sollten.

Darum war ich dankbar, dass mein Vater keinen Einwand hatte, und überglücklich konnte ich es gar nicht erwarten, bis ich die erforderliche Ausrüstung hatte und beim Tennisverein angemeldet war.

Aber schon die erste Trainingsstunde dämpfte meine hochgespannten Erwartungen. Ja, was habe ich denn erwartet? Natürlich habe ich gedacht, dass ich den Schläger in die Hand nehmen und gleich die ersten Asse servieren würde, so wie ich es am Fernseher von den großen Stars gesehen habe. Dass eine mühselige Knochenarbeit dahinter steckt, bis man anfängt, überhaupt ein Gespür für Schläger, Ball und Feld zu bekommen, das begriff ich erst allmählich. Der anfänglichen Begeisterung folgte schnell die ernüchternde Einsicht, dass, wenn ich vorwärtskommen wollte, es ohne das oft eintönige Üben und Plagen mehrmals in der Woche nicht gehen würde. Ich stand vor einer Entscheidung: Sollte ich weitermachen, hatte ich das nötige Talent, dass doch ein ansehnlicher Tennisspieler aus mir werden könnte, oder sollte ich meine hochfliegenden Pläne fallen lassen und das Leben eines normalen, aber unbedeutenden Menschen führen? Vor dieser Entscheidung stand ich nicht nur einmal. Immer wieder wurde ich hin- und hergerissen zwischen der Überzeugung, doch etwas ganz Großes werden zu wollen und auch zu können und dem Erleben, wie viel mir misslang, wie ich zeitenweise den Ball überhaupt nicht mehr traf und wie ich mich als völlig danebenstehend sah, ohne die Möglichkeit, eingreifen zu können. Aber wenn ich am deprimiertesten war und alles hinwerfen wollte, kamen immer von irgend einer Seite – sei es vom Trainer oder von meinem Vater oder von Clubkameraden – aufmunternde Worte, die mich weitermachen ließen.

Und immer wieder mischte sich die Frage ein, was ich eigentlich erreichen wollte? Was hätte ich davon, wenn ich berühmt wäre? Ist es wirklich das, was ich suche? Oder geht es mir nicht viel mehr darum, einfach ein Mensch zu sein? Ist vielleicht das Große, das hinter all den Träumen vom Berühmtsein steckt, das ganz Einfache? Ist die schwer zu erreichende Kostbarkeit, von der in allen Religionen die Rede ist, das einfache Leben, das so schwer zu verwirklichen ist, weil wir immer von großen Dingen träumen? Andererseits muss das Leben ja gelebt werden, ich muss ja etwas tun, um mich als Mensch zu verwirklichen, und was liegt da näher, als das zu tun, was einen interessiert. Tennisspielen hat mich schon immer interessiert und wenn es vielleicht auch nicht mehr zu etwas ganz Großem reicht, so bringt es doch viele Vorteile mit sich: Ich betätige mich sportlich, was meiner Gesundheit gut tut, verdiene meinen Lebensunterhalt, komme in der Welt herum, lerne viele Menschen kennen und bin gezwungen, an mir zu arbeiten, da es ja ohne das Auf und Ab von Erfolg und Misserfolg nicht abgehen wird.

Ich bewunderte andere Tennisspieler, die anscheinend sorglos auf den Platz gingen und ihr Spiel machten, offensichtlich ohne groß nachzudenken oder von Selbstzweifeln gequält zu werden. Natürlich hatten auch sie nicht nur gute Tage, aber sie nahmen das viel leichter als ich. Für mich verband sich immer gleich Sein oder Nicht-Sein mit einem Sieg oder einer Niederlage. Gelang mir ein Sieg, dann war ich himmelhochjauchzend, musste ich eine Niederlage einstecken, war ich zu Tode betrübt. Ich sah aber darin auch die Möglichkeit, menschlich zu reifen, mich durch Siege nicht zu sehr in den Himmel heben und durch Niederlagen nicht zu sehr zu Boden drücken zu lassen. Die Mitte zu finden war ein Ziel, das ich schon sehr früh anstrebte. Im Religionsunterricht lasen wir ein kleines Büchlein, das „Verlust der Mitte“ hieß. Ich litt darunter, wenn mich Siege so weit von mir forttrugen, dass ich ganz außerhalb von mir selbst und überhaupt nicht mehr in meiner Mitte war. So sehr ich mich über ein gewonnenes Spiel freute, hatte ich doch das unabweisbare Empfinden, auf dem Teppich und damit in meiner Mitte bleiben zu müssen.

Welch enorme Arbeit für das Streben nach der Mitte und mehr Gelassenheit notwenig werden würde, verstand ich zu der Zeit noch gar nicht so richtig und es war auch besser so, denn sonst hätte mich das vielleicht ganz mutlos gemacht. Wie oft nahm ich mir vor, mich das nächste Mal bei einer Niederlage nicht mehr so zu Boden drücken zu lassen; ich merkte überhaupt keine Fortschritte, es war immer wieder das gleiche Auf und Ab. Aber ich war eine Kämpfernatur. So leicht ließ ich mich nicht entmutigen, und wofür ich mich einmal wirklich entschieden hatte, dazu stand ich dann auch und warf nicht gleich die Flinte ins Korn, wenn es einmal nicht so gut lief.

So vergingen die Jahre, in denen ich mindestens zweimal die Woche zum Training ging und Wettbewerbe in meiner Altersklasse absolvierte. Dabei lief es mal besser, mal schlechter, ein stetiges Besserwerden gab es bei mir nicht. Ich hatte glanzvolle Höhepunkte, musste aber auch bittere Niederlagen hinnehmen, so dass weder ich selbst noch die anderen, insbesondere der Trainer, wussten, wie sie mit mir dran waren, ob ich das Zeug zu einer glanzvollen Tenniskarriere hätte oder nicht. So gelangte ich von der Gruppe der 14-jährigen zu den 16-jährigen und schließlich zur Gruppe der 18-jährigen. Natürlich konnte ich vieles an meinem Spiel verbessern, gerade was den Aufschlag anbelangte, aber ein richtiger Durchbruch zu einem beständigen Leistungsniveau gelang mir nicht.

Hampelmann

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