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1.4. Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

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Der Erste Weltkrieg war die Lunte für den Zweiten, der mit der Judenvernichtung – neben den Massenmorden Stalins – die größte Monstrosität der neueren Geschichte mit sich brachte. Nicht nur die schwärende Kränkung durch die Niederlage, auch die Tatsache, dass die sozialdemokratische Regierung in Deutschland nach der Ausrufung der Republik 1918 die Feinde der Demokratie, unter ihnen die Armee, nicht auf die Republik einschwören konnte, bereitete einen Boden für die Fortsetzung jener in 1.2. berichteten nationalistischen und antidemokratischen Phantastereien. In seinem 1923 erschienenen Buch Das dritte Reich entwarf der Kulturtheoretiker Arthur Moeller van den Bruck die Vision eines Sozialismus und Nationalismus vereinigenden Reichs, das dem Heiligen Römischen Reich und dem Deutschen Kaiserreich nachfolgen sollte. Er grub dazu in den Schriften Joachim von Fiores und Tommaso Campanellas, paraphrasierte Hegel und phantasierte auf den Spuren des russischen Symbolisten Dmitri Sergejewitsch Mereschkowski von der Verschmelzung der Kultur des Westens mit der Spiritualität des Ostens, die Moeller mehr schätzte als den Liberalismus des Westens, gar jenen Amerikas. Aus solchen Wurzelgründen braute der Nationalsozialismus ein Gemisch aus Nationalismus, technologischem Fortschritt, sozialem Ausgleich, ein Gebräu, das als ästhetischer Kult mit dem Anspruch auf Heilung aller Probleme geschickt vermarktet wurde. Verstärkung erfuhr die Botschaft aus einem Sündenbockmechanismus gegen vermeintliche Feinde des Volkes, kurzum eine, wie Ian Kershaw das nennt, »Erlösungspolitik«. Heilung und Erlösung hatte die Zeit anscheinend bitter nötig.

Goldene Zwanziger

Die Zeit war ein seltsames Gemisch aus einem Anfang der Zwanzigerjahre, nach entbehrungsreichen Hungerjahren unmittelbar nach dem Krieg, einsetzenden Aufschwung in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, wofür man den Ausdruck Goldene Zwanzigerjahre prägte, auf der einen Seite und dem Absturz durch Weltwirtschaftskrise und Börsenkrach in Amerika 1929. In kaum einer Stadt lässt sich diese widersprüchliche Dynamik besser nachvollziehen, als in Berlin. Die Theater- und Filmbühnen boomten, die Expressionisten sorgten für Aufruhr, neue Tänze wie der Charleston kamen auf, Jazz wurde gespielt. Die Modernisierung in Kleidung und Lebensart stärkte auch die Rolle der Frau. Doch es gelang nicht, die hohe Arbeitslosigkeit zu senken und das verbreitete Elend in den Griff zu bekommen, was sich durch die Wirtschaftskrise weiter verstärkte.

Adolf Hitler

Die diese historische Konstellation bündelnde und sie in ihrer ganzen Dramatik politisch erfolgreich umsetzende Kraft war der 1889 im österreichischen Braunau geborene Adolf Hitler. Für den Versuch, diese Figur und ihren Aufstieg zu verstehen, haben etliche Historiker große Teile ihres wissenschaftlichen Lebens aufgewandt. Ohne darauf an dieser Stelle eingehen zu können, scheint zumindest eine Motivation das traumatische Erlebnis der Niederlage im Ersten Weltkrieg gewesen zu sein, zu dem sich Hitler nach zwei gescheiterten Versuchen, an der Kunstakademie in Wien Aufnahme zu finden, 1914 als Freiwilliger gemeldet hatte. Er schien aus einer tiefen Demütigungserfahrung Ressentiment und Rachegefühle generiert zu haben. 1919 trat er der kleinen Deutschen Arbeiterpartei bei, deren Vorsitzender er 1921 wurde und sie in Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannte. Ein Staatsstreich ging schief, Hitler wurde knapp zwei Jahre in Landsberg inhaftiert. In dieser Zeit schrieb er sein krauses Werk Mein Kampf mit rassenideologischen und antisemitischen Wahnvorstellungen und Polemiken.

Schließlich gelang angesichts der prekären Verhältnisse und angestrengter Verschwörungstheorien eine demokratisch legitimierte Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, die dann nicht zögerten, die rechtsstaatlichen Institutionen auszuschalten und mit Hilfe einer omnipräsenten Kaderpartei und einer paramilitärischen Repressionseinheit (SS) ein Terrorregime zu errichten, das schließlich unter anderem einen Genozid an Juden, Sinti und Roma durchführte. Der Völkermord mit mehr als sechs Millionen Ermordeten wurde mit maschinenhafter Präzision umgesetzt.

Goebbels, zit. nach Bocola 1994, 391

zit. nach Ebd., 392f

Nicht anders als im stalinistischen Russland wurde im nationalsozialistischen Deutschland die gesamte Kultur der Ideologie der Partei untergeordnet – mit geradewegs zynisch klingender Begründung: »Die deutschen Künstler sollen sich unter seinem Patronat [des Staates; BB] geborgen fühlen und das beglückende Gefühl zurückgewinnen, daß sie im Staate ebenso unentbehrlich sind wie die, die die Werte seines materiellen Daseins schaffen. Öffentliche Bücherverbrennungen, Listen verbotener Literatur, Zensur und Reglementierung von Musik, Film, Säuberungen von Galerien und Bibliotheken, Schließungen von Kultureinrichtungen (darunter 1933 des Bauhauses), Ausstellungen »entarteter« Kunst, ein Bildersturm gegen vermeintlich jüdische und bolschewistische Kunst zeigen, wie dieses »beglückende Gefühl« der deutschen Künstler gemeint war. Erlaubt war eine »nordische« und »heldische« Kunst, »bäuerliche Gesichter und Gestalten, die Männer der naturnahen Urberufe« mit der Grundlage in »Blut und Rasse«, beim »heimischen Boden«. Wie beim Sozialistischen Realismus war die Kunst allegorisch und symbolisch überhöht.

1.2.

Zwaap 2014

2.2.8.

Während im Ersten Weltkrieg das Kriegsereignis selbst im Mittelpunkt utopisch-visionärer Phantasien von Neugeburt und Katharsis stand, trat vor dem Zweiten Weltkrieg das Regime und dessen verquere Ideologie in den Vordergrund. Es gab diesmal keine verbreitete Begeisterung für einen neuen Krieg, allerdings waren entgegen ihrer Zurückhaltung beim Ersten Weltkrieg viele Architekten in den Nationalsozialismus verstrickt. Das Gründungsmitglied der de Stijl-Bewegung, Pieter Oud, verweigerte befreundeten Juden (Hans Polak) mit Hinweis auf seine guten Beziehungen zu Parteigängern der Nazis die Hilfe. Oud brach in den Vierzigerjahren mit dem Funktionalismus und entwarf monströse faschistische Bauten. Am Bauhaus gab es Leute, die Lagerpläne für KZ-Anlagen zeichneten.

2.3.5.

Es hat lange gedauert, bis die Nähe des 1965 in einem Staatsbegräbnis mit allen Ehren verabschiedeten Le Corbusier zum Faschismus ans Tageslicht kam. Er zog gegen Juden und Freimaurer zu Felde und bot sowohl Mussolini als auch dem Vichy-Regime unter Henri Philippe Pétain zwischen 1940 und 1944 seine Dienste an. Um die Beantwortung der Frage, ob dies »bloß« Opportunismus war oder doch ideologische Überzeugung, wird lebhaft diskutiert. Selbst in den USA gab es solche Verstrickungen. Philip Johnson beispielsweise gründete dort die faschistische Bewegung Grey Shirts. Die Frage nach der Anfälligkeit für totalitäres Gedankengut von Avantgarde und Moderne wird uns im Kapitel 2.1.3. noch einmal eigens beschäftigen.

Hitler stürzte die Welt mit einem Überfall am 1. September 1939 auf Polen in einen zweiten globalen Krieg, an dem über sechzig Staaten und 110 Millionen Soldaten und Soldatinnen beteiligt waren. Der Krieg mit Flächenbombardements und dem Einsatz von zwei Atombomben durch die US-Streitkräfte auf das mit Deutschland verbündete Japan (Hiroshima und Nagasaki) kostete das Leben von rund 65 Millionen Menschen, weit mehr Zivilisten als Soldaten. Die Wende im völlig irrealen Phantasieren von einem neuen Lebensraum für ein germanisches Großreich brachten im Osten die Schlacht um Stalingrad 1942/43, im Süden die Landung der Alliierten in Sizilien 1943 und im Westen die Landung in der Normandie 1944. Der Krieg endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 (nachdem Hitler am 30. April Selbstmord begangen hatte) und mit der Kapitulation Japans am 2. September.

Der Zweite Weltkrieg hinterließ drei Großmächte: die weitgehend zerstörte Sowjetunion, das ausgelaugte Großbritannien und die kraftstrotzenden USA. Von dort kamen die nachhaltigsten Impulse für eine neue Weltordnung. Eine der Früchte davon war die Gründung der Vereinten Nationen 1945.

5.0.

Für das gesamte kulturelle Leben war der Krieg die zweite Katastrophe in diesem Jahrhundert. Er beendete die lebendigen Strömungen der Avantgarde, unzählige Künstler emigrierten nach Übersee. Der Aufstieg der USA zum Taktgeber der Kunst und Architektur in der zweiten Jahrhunderthälfte war wesentlich durch die schrecklichen Ereignisse in Europa mitbefördert. Wie tiefgreifend dieser Einfluss war, zeigen die Gruppenaufnahmen der Ausstellung 1942 Artists in Exile in der im New Yorker Fuller Building (heute Flatiron Building) angesiedelten Galerie des Kunsthändlers Pierre Matisse, Sohn von Henri Matisse, wo sich das Who is Who der europäischen Kunstszene versammelte.

Greenberg 1948, 148

Amerikanische Th eoretiker und Künstler kommentierten den Niedergang der europäischen Avantgarde letztlich auch mit abschätzigem Urteil über die geringe Widerstandskraft der europäischen künstlerischen und humanistischen Tradition gegen die Barbarei. Respekt wurde noch am ehesten dem Kubismus gezollt. Man titulierte alle Künstler, die man schätzte, auch Kandinsky und Klee, als Kubisten und Clement Greenberg erwartete, dass »die kubistische Tradition in diesem Land zu einer neuen Blüte finden wird.«


591 Ägyptischer Würfel hocker; KHM


592 Aristide Maillol, Die Trauer (1921); GVS


593 Auguste Rodin, Der Kuss, eine von vielen Repliken, Jardin des Tuileries; Paris

Kunstphilosophie und Ästhetik

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