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2.1.2. Die Wege in die ungegenständliche Kunst und ihre Motive

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Adorno 1970, 412

Die Beschreibungen der Wege in die Gegenstandslosigkeit sind in der einschlägigen Literatur uferlos. Nun geht es in diesem Werk nicht um Kunstgeschichte. Insofern kann die getroffene Auswahl anderen als kunstgeschichtlichen Kriterien folgen und sie darf auf jeden Anspruch verzichten, diese Wege vollständig abzubilden. Der für den uns interessierenden Zusammenhang wichtige Punkt ist, dass diese Wege der Künstler zu einem großen Teil von ihnen selbst mit philosophischen Motiven begleitet wurden. Dabei scheint es um die Kommentierung einer geradezu zwangsläufigen Entwicklung gegangen zu sein, für die bestimmte Sinnfiguren gesucht wurden. Die Zwangsläufigkeit des Geschehens wurde von Theodor Adorno als Gestus der Moderne identifiziert: »Kunstwerke sind Dinge, welche tendenziell die eigene Dinghaftigkeit abstreifen. […] Den Kunstwerken ist wesentlich, daß ihr dinghaftes Gefüge vermöge seiner Beschaffenheit zu einem nicht Dinghaften sie macht; ihre Dinglichkeit ist das Medium ihrer eigenen Aufhebung.«

Krieger 1998, 14

Zwangsläufig war der Weg in die Ungegenständlichkeit schon deshalb, weil die In-Frage-Stellung jeder Illusion und der dafür nötigen künstlerischen Instrumente früher oder später auch vor der gegenständlichen Form selbst nicht Halt machen konnte. Die kommentierenden kulturellen Erzählungen stammten indes aus ganz anderen als nur künstlerischen Kontexten, namentlich religiösen, naturwissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen. Das ist letztlich der Grund für das prekäre Verhältnis der Moderne zwischen Rationalität und Aufklärung auf der einen und Mythos und Esoterik auf der anderen Seite. Bei der Genese der Gegenstandslosigkeit spielte »ein irrationales Moment […] eine zentrale Rolle.« Dieser Aspekt der Genese ungegenständlicher Kunst soll bei diesem zusammenfassenden Überblick zur Strukturierung des Themas im Vordergrund stehen. Es geht nicht um Teilnahme am Wettbewerb um die Deutungsmuster von abstrakten Kunstwerken, sei es, dass man gestaltpsychologische, ikonographische, psychoanalytische oder andere Zugänge bevorzugt. Die meisten hier erwähnten Positionen werden in Spezialkapiteln nochmals detaillierter besprochen.

Alfred H. Barr, erster Direktor des Museum of Modern Art (MOMA) in New York, unterschied in seinem wegweisenden Werk Cubisme and Abstract Art (1936) zwei Wege in die abstrakte Kunst, die beide im Impressionismus gründen: (1) Einmal über Cézanne und Seurat zum Kubismus und von dort zu konstruktivistischen und geometrischen Richtungen. (2) Zum anderen über Gauguin und den Fauvismus zum abstrakten Expressionismus und Kandinsky. War dieser Weg eher intellektuell und rational (im Sinn des alten disegno), war jener intuitiv, emotional und organisch (im Sinn des alten colorire). Die gezeichneten Wege sind zwar nachvollziehbar, was Barr aber nicht sah oder besser: nicht sehen wollte, waren die Reflexionen der Künstlerinnen selbst und ihre Quellen in philosophischen, religiösen und mystischen Erzählungen.

Keisch 1993, 24

In der Kunstgeschichtsschreibung wird verbreitet das Dreigestirn Kandinsky, Mondrian, Malewitsch genannt. Ich nehme diesen Ansatz auf, füge dem aber noch – wenngleich ein oder zwei Generationen später – die Vertreter des Abstrakten Expressionismus hinzu, die durch ihr ausdrückliches Anknüpfen an die spirituelle Dimension der mittelalterlichen Ikonen- und Mosaikkunst philosophisch und kulturgeschichtlich besonders interessant sind und von da her noch in diesen frühen Kontexten verortet werden können. Die Abstraktion in der Kunst begann letztlich mit dem Anheben der Moderne Mitte des 19. Jh.s und der Auflösung des alt-ehrwürdigen Tafelbildes sowie dessen illusionistischer Instrumente. Das zeigte sich im Ausstieg aus der Perspektive, in der pointilistischen Auflösung des Bildes und in der Auflösung der Formen in ausdrucksstarken Farben des Expressionismus. Stellvertretend dazu steht der Weg Claude Monets bei seinen Seerosen-Serien, zu denen sein Teich in Giverny die natürliche Vorlage abgab. »Von hier aus konnte Monets Farbschrift für den Abstrakten Expressionismus nach 1945 Bedeutung erlangen: […].«

Für die ausdrückliche Entwicklung des Formenrepertoires war die bloße Auflösung des alten Illusionismus freilich zu wenig. Die abstrakten Künstler suchten nach Inspirationen, wofür sich zwei Reservoirs ausfindig machen lassen: einmal die Formen aus älteren und außereuropäischen Kulturen, einschließlich der sogenannten primitiven Kunst, die augenscheinlich nicht an den illusionistischen Formfindungen hingen, wie sie in der europäischen Kunsttradition kanonisch geworden waren, und zum anderen diverse philosophische, esoterische und mystische Traditionen.

Rubin 1984

Hohl Reinhold in SK IV, 115

Bereits Ende des 19. Jh.s sammelten die Museen Kunst aus den überseeischen Kolonien und ab dem Beginn des 20. Jh.s ist von den großen Künstlernamen die Aufmerksamkeit gegenüber diesen Sammlungen dokumentiert. Von da an finden sich die Niederschläge in Malerei und Bildhauerei. Man entdeckte den japanischen Holzschnitt (Bonnard), die afrikanische Skulptur (Picasso, Braque, Modigliani, Giacometti, Kirchner, Schmidt-Rottluff), Eingeborenenkunst aus der Südsee (Gauguin, der bei einem mehrjährigen Aufenthalt in Peru auch präkolumbianische Keramik kennen lernte), polynesische Objekte (Surrealisten, Max Ernst), die russische Ikonentradition (russische Avantgarde, Kandinsky) oder rumänische Volkskunst (Brancusi). Diese fremde Tradition wurde nicht mehr in erster Linie als primitiv wahrgenommen, sondern als jeweils anderes Konzept der Auffassung der Figur im Raum. Der deutsche Kunsthistoriker Carl Einstein exerzierte dies in seinem berühmten, 1915 erschienenen Buch Negerplastik, indem er sich als einer der ersten nicht nur mit Kubismus, Konstruktivismus und Surrealismus, sondern auch mit der Kunst Afrikas (er schrieb auch ein Buch über den japanischen Holzschnitt) auseinandersetzte und dabei auf die ästhetischen Parallelen zu den avantgardistischen Kunstströmungen aufmerksam machte.

2.2.7.

Krieger 1998, 29

Rodtschenko, zit. nach Krieger 1998, 219

Ein großer Teil der russischen Avantgarde wiederum kam über die mittelalterliche Ikonenmalerei zur Ungegenständlichkeit. Verena Krieger sieht in den »ikonenhaften Strukturen« den wesentlichen Unterschied zwischen der russischen und der westlichen Avantgarde wie Kubismus und Futurismus. Die in der Ikonenkunst vorherrschende »umgekehrte Perspektive« führte schließlich zur Trennung von Form und Farbe, sodass Alexander Rodtschenko sein Triptychon mit den Farbfeldern von Rot, Gelb und Blau (Triptychon Reine Farben: Rot, Gelb, Blau; 1921) als logisches Ende der Malerei bezeichnen konnte: »Alles ist zu Ende. Es sind die Grundfarben. Jede Fläche ist eine Fläche, und es soll keine Darstellungen mehr geben.«

Der Hinweis auf die Herkunft des Formenrepertoires beantwortet freilich nicht die Frage, ob die Gegenstandslosigkeit eine Folge der Entdeckung anderer Formentraditionen als der europäischen war oder ob umgekehrt erst die Abstraktionsambition das Interesse an diesen Formen geweckt hat. Man mag in der Kunstgeschichte Hinweise auf beide Fälle finden, aber es scheint plausibel zu sein, grundsätzlich den Weg in die Abstraktion im oben gezeichneten Sinn innerhalb der europäischen Tradition zu verorten, denn man kann davon ausgehen, dass es den Künstlern dabei nicht primär um das Dekorative der Formen ging, sondern um die Faszination vor der magischen Kraft.

Die Wege in die Abstraktion sollen nun in geraffter Form an den vier Beispielen (1) Mondrian, (2) Kandinsky, (3) Malewitsch und (4) an Vertretern des abstrakten Expressionismus dargestellt werden – gleichsam stellvertretend für andere wichtige Beiträge dazu, die in weiterer Folge eine detaillierte Besprechung erfahren.

Piet Mondrian

3.1.

Bocola 1994, 205

(ad 1) Der 1872 in den Niederlanden in eine calvinistische Familie hineingeborene Piet Mondrian erhielt eine Ausbildung zum Kunsterzieher und besuchte in Amsterdam eine Kunstakademie. Seine frühen Werke sind künstlerisch wenig interessant. Erst um 1910 lernte er Impressionismus, Fauvismus, Kubismus und Expressionismus näher kennen und begann, mit der Abstraktion zu experimentieren. Zu den künstlerischen Positionen kamen die Schriften der Helena Blavatsky und jene Rudolf Steiners. Mondrian war ab 1909 Mitglied in der Theosophischen Gesellschaft und bekannte sich ausdrücklich zu einer »theosophischen Kunst«. In seinen Arbeiten »finden holländischer Calvinismus und theosophische Überzeugungen eine ichgerechte, rational faßbare, ungegenständliche und entmystifizierte Gestalt.« Allerdings verarbeitete er diese Anregungen eigenständig: »Anders als Kandinsky entlieh sich Mondrian keine visuellen Bildkonzepte, etwa Aura-Projektionen, aus theosophischen Texten, sondern erfand eine abstrakte Bildsprache, um diese Konzepte darzustellen.«

Tuchman Maurice in Tuchman/Freeman 1988, 37

Rosenblum 1975, 197

2.2.9.

Sein Vorgehen war das einer klaren Abstraktion und einer Geometrisierung von Formen und Farben – unter dem Einfluss des Kubismus, aber eben auch spiritualistischer Strömungen, denn es ging ihm um eine Aufhebung in das Geistige. »Mondrians Sicht der empirischen Welt war von geistigem und symbolischem Erleben so durchdrungen, daß er auch weltliche Bauten in religiös anmutende Embleme zu verwandeln vermochte.« Schließlich verschwand jede Erinnerung an real-gegenständliche Natur zugunsten von Linienmustern und Farbrechtecken. 1921 reduziert er das Bild auf wenige Linien und Felder mit den Grundfarben Rot, Gelb, Blau und Schwarz (Tableau I). Die Kompositionsgesetze gab er nicht völlig auf, es waren gleichsam asymmetrische Kompositionen. Diese irgendwie verstreuten Ordnungen greifen über den Rand der Bilder hinaus und machen sie zu Raumgebilden, was sie in die Nähe der Architektur brachte. Das war sein Beitrag zu De Stijl. Dazu kam in seinem späten Werk ein gesellschaftsverändernder Impuls.

Newman 1990, 114

Rothko, zit. nach Chave 1989, 25

Anfang der Vierzigerjahre wurde Mondrian (ebenso wie Kandinsky) in den USA durch mehrere Ausstellungen bekannt. Das forderte Stellungnahmen der amerikanischen Künstler zur europäischen Abstraktion heraus. Barnett Newman reagierte in einer kleinen Schrift (The Plasmic Image) stellvertretend für viele Künstler seiner Zeit eher ungehalten und warf Mondrian »schlechte[r] Philosophie und fehlerhafte[r] Logik« vor. Dabei unterstellte Newman, dass Mondrian jeden Inhalt aus der Kunst eliminieren wolle: »Das hartnäckige Insistieren abstrakter Künstler, Inhalte seien zu eliminieren und die Kunst müsse gereinigt werden, hat zu einem ähnlichen Resultat geführt wie in der mohammedanischen Kunst, die alle anthropomorphen Formen um jeden Preis ausschalten wollte. Beides sind fanatische Entwicklungen, die eine abstrakte Reinheit anstreben und die Kunst zu einer blossen Arabeske verkommen lassen.«


595 Piet Mondrian, Broadway Boogie Woogie (1942); MoMA

Newman 1990, 115/138

In ähnlicher Weise war Mark Rothko darauf bedacht, sich von jeder Anmutung einer bloß ornamentalen Malerei frei zu halten. »I never had an interest in Mondrian. […] Abstract art never interested me; I always painted realistically.« Das heißt im Umkehrschluss, dass sich Newmans und Rothkos Abstraktionen ausdrücklich auf Inhalte beziehen wollten und dass ihr in ihrer bewusst gewählten expressiven Seite sogar eine emotional-empirische Funktion zukomme: »Auf diese Weise kann abstrakte Kunst persönlich werden, voller Emotion, und ist imstande, den tiefsten menschlichen Erkenntnissen Form zu verleihen, anstatt plastische Gegenstände zu schaffen, gegenständliche Formen, die nur als solche betrachtet werden können, weil sie ihr Dasein zwischen den kümmerlichen Grenzen ihrer Ausdehnung fristen. […] Der neue Maler ist dem abstrakten Maler zu Dank verpflichtet, weil dieser ihm seine Sprache gegeben hat, […].« Das war es, was er in der sogenannten primitiven Kunst der amerikanischen Ureinwohner fand: Inhalt in abstrakter Form: »Die abstrakte Kunst der Indianer an der Nordwestküste, die Kunst der alten Griechen und ebenso das archaische Epos haben allesamt einen Gegenstand. Dass sie die Erscheinungsform zu überwinden vermochten und mit dem Absoluten Kontakt aufnehmen konnten, gründet auf der besonderen Art ihres Gegenstands und nicht auf seiner bedingungslosen Ausrottung.«

Wassily Kandinsky

(ad 2) Der 1866 in Moskau geborene Wassily Kandinsky gab 1896 seine sich abzeichnende akademische Laufbahn als Jurist auf und ging nach München, wo er unter anderem beim Hildebrand-Schüler Franz von Stuck studierte. Ein Impuls dazu waren wohl Forschungen, die er 1889 im Ural an Ritualen des Komi-Volkes durchführte. Deren schamanistische Symbolik faszinierte ihn so sehr, dass er beschloss, sich nur mehr der Malerei zu widmen. Er fand in diesen, an abstrakte Totems erinnernden Motiven Anregungen für seine eigene künstlerische Formensprache. Nach ausgedehnten Reisen durch Europa und Nordafrika ließ er sich zusammen mit Gabriele Münter 1909 in Murnau nieder. Dort sprachen ihn die weicheren Linien der Alpen an, während bei einem vorhergehenden Aufenthalt in Südtirol nach eigenem Bekunden die schroffe Bergwelt jede Inspiration verhinderte. Die gelegentliche Föhnstimmung im Murnauer Moos und am Staffelsee riefen Erinnerungen an die Farbsymphonien des Fauvismus hervor, den er in Paris kennen gelernt hatte.

Kandinsky, zit. nach Bill Max in Kandinsky 1912, 9

Kandinsky, zit. nach

Krieger 1998, 111

Es war ein längerer Weg mit mehreren Seh-Erlebnissen, der Kandinsky zur Abstraktion führte. Anders als bei den übrigen russischen Avantgardisten war sein Schlüsselerlebnis (das ihn »bis in den Grund erschütterte[n]«) eingebettet in die westliche Malerei. In einer Impressionisten-Ausstellung in Moskau betrachtete er ein Bild aus der Serie »Heuschober bei Giverny« (1890/91) von Monet. Monet löste den Gegenstand abstrahierend in Form und Farbe auf. Nach seiner eigenen Beschreibung lehrte Kandinsky dieser Blick auf Monet, auch die Ikone mit anderen Augen zu sehen, »das heißt, ich ›bekam Augen‹ für das Abstrakte in der Malerei.« 1910 gab es eine dem Heuschober-Erlebnis ähnliche Situation mit seinem eigenen Bild Murnau mit Kirche I (1910). Er stellte fest, dass jede Gegenständlichkeit seinen Bildern schade, sodass er schließlich 1913 sein Erstes abstraktes Aquarell malte.

Bocola 1994, 222ff

Ebd., 225

Ringbom 1993, 27

Brucher 1999, 183

Oberhuber Konrad in Tuchman/Freeman 1988, 14

Ob Kandinsky den Weg zur Abstraktion wegen seiner Sympathie zu theosophischen Positionen einschlug (v.a. Ringbom, vorsichtig auch Krieger) oder umgekehrt aus einer Emanzipation von dieser Weltsicht, wird unterschiedlich bewertet. Allerdings räumt auch Sandro Bocola ein, dass die mystischen Tendenzen seines Werkes es Kandinsky verunmöglichen, »seine eigene künstlerische Erfahrung unvoreingenommen zu analysieren und ihre Struktur und Dynamik rational zu erfassen.« Übereinstimmend wird jedenfalls berichtet, dass Kandinsky sich für religiöse und mystische Konzepte interessierte. »Wie ausgeprägt Kandinskys Interesse an esoterischen Phänomenen war, zeigt ein Blick in seine Bibliothek, die eine beeindruckende Anzahl von Schriften über Okkultes, Spiritismus, Medien, Seelenforschung und dergleichen enthielt.« Zentral dabei waren Werke zur Theosophie von Blavatsky und Steiner. Kandinsky selbst wollte sich allerdings nicht als Theosoph bezeichnen lassen und lehnte es stets ab, der Gesellschaft beizutreten.

1901 übernahm Kandinsky den Vorsitz der neu gegründeten Künstlergruppe Phalanx (bis 1904), die sich gegen die konservative Tradition zusammenschloss, und unterrichtete an deren privater Kunstschule unter anderem die Berlinerin Gabriele Münter. 1909 kam es zur Gründung der Neuen Künstlervereinigung München (NKVM) durch Marianne von Werefkin, Kandinsky, Münter, Kubin und andere. Diese Jahre waren äußerst anregend für die Vision einer künstlerischen Suche nach dem Wesen der Dinge. »Wenn man Kandinskys Werk von 1908 an Jahr für Jahr verfolgt, kann man sehen, wie er langsam die Formen der sichtbaren Welt aufgibt und die Farben so darstellt, als wären sie von den Objekten losgelöst, wie Steiner es in seinen Vorträgen als typisch für die Erlebnisse in der Imagination, der ersten Stufe höheren Schauens, beschrieben hat.«


596 Wassily Kandinsky, Murnau mit Kirche I (1910); GL

3.1.

Ringbom 1993, 39f Kandinsky, zit. nach Brucher 1999, 18

Kandinsky 1912, 93–101

Ebd., 68

Kandinsky 1926, 76

Franz Marc und August Macke fanden um 1911 in München Kontakt zu Kandinsky. Marc und Macke, die ebenfalls einen Schwenk zur Abstraktion machten, hatten sich schon länger über Farbentheorie ausgetauscht. Dieses Thema wurde im Salon der Marianne von Werefkin diskutiert. Die meist unterschätzte Künstlerin war eine zentrale Ideengeberin für Kandinsky und die sich bildende Gruppe um ihn. Kandinsky ging es bei der Wahl seiner Farben primär um Spirituelles und dafür konnte er die Farbdeutungen der Theosophie nützen. Dazu kam seine ausgeprägte Fähigkeit, bei Klängen Farbassoziationen zu entwickeln. Nach einer Aufführung von Wagners Lohengrin 1889 in Moskau notierte er: Hier »sah ich alle meine Farben im Geiste.« 1912, dem Erscheinungsjahr von Über das Geistige in der Kunst (es folgten noch im gleichen Jahr zwei weitere Auflagen), publizierte er Gedichte unter dem Titel Klänge: Er war in den einschlägigen Kreisen auch als Dichter durchaus angesehen und mit Unsinn-Poesie sogar ein Vorläufer von Surrealismus und Dada. In der Malerei wirken die Farben je nach ihrem »Klang« verschieden auf die Betrachterin und lösen sinnliche Erfahrungen auf der Ebene aller Sinne einschließlich Raumerfahrungen aus. Er schrieb Klangfarben einzelnen Instrumenten zu: Grün den mittleren Tönen der Geige, helles Blau der Flöte, dunkles Blau dem Cello, gelb der Trompete, Zinnoberrot der Tuba. Dies lässt sich wiederum in geometrische Formen umsetzen: »Ein Dreieck mit Gelb ausgefüllt, ein Kreis mit Blau, ein Quadrat mit Grün, wieder ein Dreieck mit Grün, ein Kreis mit Gelb, ein Quadrat mit Blau usw. Dies sind alle ganz verschiedene und ganz verschieden wirkende Wesen.« Für Kandinsky ist der sinnliche Wohlklang der Farben uninteressant, ihn interessiert der dissonante, Reibung verursachende Farbenklang. Wenn sich die geometrischen Formen auf sich selbst bezogen, schrieb Kandinsky ihnen Charaktereigenschaften zu, Winkel können aggressiv, stechend, aber auch warm sein.

Düchting Hajo in Kohle 2008, 541

Smolik 1992, 73–80

Kandinsky 1912, 73

Das alte colorire kam hier nicht in der Funktion des Emotionalen ins Spiel, sondern, befreit vom Zwang der Gegenständlichkeit, in einer »›Spiritualisierung‹ der Mittel, die sich gerade in ihrer stärksten ›Konkretisierung‹ zeigt.« Daher hatte die Abkehr von jeder naturalistisch-mimetischen Anwendung der Farbe eine Nähe zur Farbgebung bei der Ikone zur Folge. Farben traten unmittelbar mit der Abstraktion in den Vordergrund, »je mehr die organische Form zurückgetrieben wird, desto mehr dieses Abstrakte von selbst in den Vordergrund tritt und an Klang gewinnt.«

Der Paradigmenwechsel in die Abstraktion war freilich nicht nur dem inspirierenden Klima des bayrischen Seenlandes geschuldet und auch nicht nur der Lektüre spiritueller und okkulter Schriften. Er wurde vielmehr vertieft durch Unstimmigkeiten, zu denen es 1911 in der Neuen Künstlervereinigung München kam. Wegen der traditionalistischen Beharrungskräfte trat Kandinsky vom Vorstandsposten zurück. Daraufhin gab er – wie als Protest – jede Zurückhaltung in der Formgestaltung auf. Als sein Werk Komposition V einige Monate später bei der 3. Ausstellung der NKVM von der Jury abgelehnt wurde, traten er, Münter und Marc aus der Vereinigung aus.

Kandinsky, zit. nach Hüneke 2011, 47

VIII.7.4.3.

Nach diesen Vorkommnissen war es an der Zeit, eine neue Gruppe zu bilden, die 1911 in der Gartenlaube des Hauses von Marc in Sindelsdorf in unmittelbarer Nähe von Murnau den Namen Der Blaue Reiter erhielt. »Nun! Ich habe einen neuen Plan«, schrieb er am 19.6.1911 an Marc. Es war – nach all den bisherigen Erfahrungen – keine Künstlergruppe in einer institutionalisierten Form. Streng genommen bezeichnete der Name zwei Ausstellungen und einen Almanach, er wurde dann aber auch für jene Künstlerinnen gebraucht, die sich zu diesen Anlässen versammelten. Der zur ersten Ausstellung im Piper-Verlag erschienene Katalog trug das Signet des Blauen Reiters von Kandinsky. Das Reitermotiv symbolisierte eine Aufstiegsdynamik. Für eine zweite Ausstellung 1912 wurde von Kandinsky, Marc und dem neu zur Gruppe gestoßenen August Macke ein Almanach erstellt. Anfangs als Jahrbuch angedacht, blieb er ein Unikat und gilt als Gründungsschrift der Moderne. Sie steht gleichsam am Ende des langen 19. Jh.s. Die Gruppe mit Wassily Kandinsky, August Macke, Gabriele Münter, Franz Marc, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin, Heinrich Campendonk und – in einiger Distanz – Paul Klee wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendet.

Brucher 1999, 397

Die Abstraktion ging Hand in Hand mit Kandinskys Hinwendung zum Religiösen. »Mit neu aufkommendem Interesse an religiösen Themen und einer eingehenden Beschäftigung mit Heiligenviten vollzieht sich in Kandinsky eine geistige Wendung. Endzeitvorstellungen und Sehnsüchte nach einer ›Epoche des großen Geistigen‹ halten sich die Waage.«

Ebd., 589

Die Kunstwelt reagierte verstört auf diese neuen Formen. 1914 veranstaltete die Galerie Thannhauser in München eine Einzelausstellung Kandinskys, die verheerende Pressereaktionen auslöste. Von »grotesker Gegenstandslosigkeit« war die Rede, von ärmlicher und sinnloser Kunst, und der Bayerische Kurier schrieb am 23. Januar 1914, dass es der europäischen Vernunft gelingen möge, »diesen Ansturm der asiatischen Zersetzung« zu parieren. Im gleichen Jahr, mitten in der ergiebigsten Schaffensperiode – die Landschaftsbilder hörten auf, die abstrakten Kompositionen, Improvisationen und Impressionen nahmen weiten Raum ein –, begannen sich sogar Künstlerkollegen von Kandinsky zu distanzieren, August Macke deutlich, Marc und Klee vorsichtig.

Rosenblum 1975, 158

Kandinsky war nicht nur der Erste, der den Schritt in die Abstraktion tat, er war auch der Erste, der diesen Schritt mit seiner Schrift Über das Geistige in der Kunst (1912) theoretisch reflektierte. Zunächst ging es ihm darum, jede Anmutung, es ginge bloß um Ornamentik, zu zerstreuen. Dazu kam eine ausdrückliche Ablehnung des Materialismus und Positivismus. Er konnte sich dabei auf eine Reihe von russischen Dichtern stützen, die dem Geistigen eine eigene Existenzform zubilligten. Das Geistige stand zugleich im Gegensatz zum Expressiven. Die theoretischen Überlegungen wurden neben einigen verstreuten Essays in dem 1926 erschienenen Werk Punkt und Linie zur Fläche, das seinem jahrelangen Wirken am Bauhaus eine theoretische Basis gab, fortgeführt. »Die rigorose Zurückweisung der empirischen Welt bei Kandinsky und Marc vor dem Ersten Weltkrieg war für die Entwicklung der abstrakten Kunst im 20. Jahrhundert so folgenreich, daß man hierüber oft vergißt, wie sehr ihr Werk in der damals schon mehr als hundertjährigen Tradition der Romantik steht, in der der Geist über die Materie triumphiert und die Kunst einen Weg bahnt zu den quasi-religiösen Erfahrungen von kindlicher Unschuld und apokalyptischer Zerstörung, von Entstehung und Untergang des Universums, und zu den Geheimnissen des Übernatürlichen, wie sie sich im Reich der Natur offenbaren.«

Krieger 1998, 119

Dieser Gedanke verweist auf einen hier offenbaren Platonismus: »Kandinskys Konzeption des abstrakten Bildes als Materialisation einer a priori existierenden Idee, die Rede vom ›Geist als Urheber des Werks‹ ist reinster Neoplatonismus. Das heißt, hier kehrt die neoplatonische Bildidee der Ikone in neuer Gestalt wieder. […] Nicht die stilistischen und ikonographischen Analogien in manchen seiner frühen Werke […] machen Kandinsky zum legitimen Erben der altrussischen Bildertradition, sondern die frappierende Nähe seines Selbstverständnisses als Vermittler des ›Großen Geistigen‹ zum neoplatonischen Bildkonzept der Ikone.«

Obwohl Kandinsky eine unübersehbare Sympathie für das bäuerliche Dorf und die Tradition der Ikone hatte, wird er in der Regel nicht zu den russischen Avantgardisten gezählt, weil er das Land bereits früh verlassen hatte und eher westlichen Einflüssen – Aufenthalte in Paris, Kunststudium in München – ausgesetzt war. Dennoch dürfen seine guten Kontakte zu den russischen Kollegen nicht übersehen werden. Er war mit seinen Ansprüchen ein geistiger Vorreiter, aber er war keineswegs allein. Auch für Paul Klee – bei seiner 14tägigen Tunisreise mit August Macke und Louis Moilliet schrieb er 1914 in Kairouan die berühmt gewordenen Worte in sein Tagebuch: Ich und die Farbe sind eins – war ebenso wie für Marc die Abstraktion mehr als eine ästhetische Formel. Es ging um Metaphysik, um Suche nach dem Absoluten! Zum Unterschied von Marc, der vom Okkultismus Blavatskys angetan war, wehrte sich Klee stets dagegen, mit der Theosophie in Verbindung gebracht zu werden. Seine Liebe für das Phantastische war mehr von Worringers Abstraktion und Einfühlung inspiriert gewesen.

Clemenz 2014

die russische Avantgarde

IV.8.2.

(ad 3) Die im 19. Jh. erfolgte Gründungsgeschichte der Moderne, nämlich die Thematisierung der Illusion, galt grosso modo auch für die russische Avantgarde. Deren Geschichte wird unter 2.2.7. gesondert behandelt, an dieser Stelle geht es nur um einige das Thema vervollständigende Angaben. Die Vertreterinnen der russischen Moderne waren am Beginn des Jahrhunderts hervorragend mit dem Westen vernetzt. Die Rückkehr der meisten russischen Künstlerinnen beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte in Moskau und St. Petersburg zu einer regen Dynamik, während die traditionellen Zentren im Westen in den Kriegsgräueln versanken. In Russland fanden die Avantgardisten einen Anschluss, der sowohl künstlerischen als auch nationalen Interessen entgegen kam: die Tradition der Ikone mitsamt ihrer kunstphilosophischen Erzählung.

Newman 1990, 134

Die Ikone galt den russischen Intellektuellen ursprünglich als religiöse Volkskunst und war deshalb wenig attraktiv. Eine große Ausstellung 1913 in Moskau änderte diese Sicht grundlegend. Ikonen waren gründlich restauriert worden und von den Spuren des liturgischen Gebrauchs, Ruß, Abnützung durch Berührungen und von den gerne verwandten Silberabdeckungen (Oklads) befreit worden. Die Faszination der Ikone für die Moderne lag in jenen Zügen, die unter IV.8.4. bereits als abstrakte Charakteristik der Ikone gekennzeichnet wurde: das Fehlen jeder Zentralperspektive, der grundlegende Antinaturalismus, das innere Bildlicht an der Stelle eines äußeren Beleuchtungslichtes. Besonders das Raumkonzept der Ikone hatte eine Analogie in der Abstraktion. Es galt hier das, was Barnett Newman als Vertreter des Abstrakten Expressionismus über den Abschied von der Illusion der Perspektive schrieb. Es ginge nicht mehr darum, »durch das Bild wie durch ein Fenster in eine tiefe Schachtel oder Landschaft zu schauen und am Bildgeschehen zu partizipieren. Der moderne Maler führte dagegen ein neues Raumkonzept in die Malerei ein, bei dem die dritte Dimension zerstört wird und wir nicht mehr in das Bild hineingelangen können; er hält uns lieber draussen und zwingt uns auf diese Weise, die Sprache des Malers zu betrachten und den Sprachgebrauch des Malers zu deuten.«

Wyss 1993a, 10

Neben vordergründig formalen und kunstimmanenten Charakteristiken gab es für die russische Avantgarde noch einen wichtigen inhaltlichen Punkt: der der Ikone immanente Utopie-Charakter. Dabei changierte die Rezeption zwischen einer eher metaphysisch aufgeladenen Fortsetzung mit Malewitsch oder auch Kandinsky – nicht im Sinne einer religiösen Mystik, aber im Sinne einer Geistdimension im weitesten Sinn und einer atheistisch-säkularisierenden Fortsetzung in weiten Teilen des Konstruktivismus. Für die russische Moderne gilt die von Verena Krieger und von Beat Wyss vertretene Meinung, dass der Neuplatonismus ein »zentrales Element« im »Weltbild der Avantgarde« sei, in ausgezeichneter Weise.

1.3.

Der der Ikone immanente Utopismus führte schließlich dazu, dass der Übergang von einer Moderne, die latent gesellschaftspolitische Anliegen verfolgte, zur ausdrücklichen Propagandakunst des Sozialistischen Realismus fließend war. Es gibt strenge Urteile in dieser Frage wie jenes von Boris Groys, der umfangreiche totalitäre Züge bereits in der russischen Avantgarde sieht, während Verena Krieger demgegenüber auf die fehlende Homogenität dieser Avantgarde und auf eine andere künstlerische Form des Sozialistischen Realismus verweist, der kaum an der mittelalterlichen Kunst anschloss, ohne dass sie solche Bezüge ganz in Abrede stellt.

Kasimir Malewitsch

Für das Weiterdenken der Ikone steht an erster Stelle der Name Kasimir Malewitsch. Der 1878 in Kiew geborene Malewitsch wurde zum Begründer des Suprematismus, also der Strömung radikaler Gegenstandslosigkeit, die in keiner Weise auf Gegenständlichkeit Bezug nimmt und in ihrem Arbeiten an der geometrischen Form dem Ideal einer ästhetischen Autonomie wohl am nächsten kam. Die Ikone hatte dabei für ihn mit einer gewissen slawophilen Pointierung durchaus auch den Reiz des reinen Bauerntums, während er die westliche Kunst als Sache der führenden und wohlhabenden Schicht ansah. 1915 inszenierte er sein Schwarzes Quadrat bei einer Ausstellung in St. Petersburg wie eine Ikone. Dieses Werk zog eine Reihe von Spekulationen nach sich, die in 2.2.7. eingehender berichtet werden.

Abstrakter Expressionismus

(ad 4) Ein Beispiel, an dem sich gut demonstrieren lässt, wie aufgeladen der Weg in die Abstraktion mit kulturellen Erzählungen war, ist der Abstrakte Expressionismus. Clement Greenberg war in dieser Sache anderer Meinung. Er feierte den Abstrakten Expressionismus und instrumentalisierte ihn zugleich als Eintritt in die Selbstreferentialität der Kunst als das eigentliche Wesen der Malerei. Hier gehe es um Farbe, Fläche, Gestus, damit um die Selbstreflexion einer autonomen Kunst und dies alles sei nicht mehr von der Figuration verstellt worden. Dass dies unter Umständen eine vorschnelle Qualifizierung ist, wird uns noch beschäftigen. Der Abstrakte Expressionismus fügt sich in die besprochenen Bewegungen, obwohl er in Amerika entstand und deutlich jünger ist. Er wird in dieser Arbeit deshalb in dem Kapitel 5.2.1. als Kunstströmung der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gewürdigt werden.

Er entstand in den späten Vierzigerjahren, in einer Zeit, in der in Europa der Gang der Kunst durch den Nationalsozialismus empfindlich unterbrochen worden war. Viele Vertreter des Abstrakten Expressionismus hatten einen europäischen Hintergrund und sie knüpften an europäische philosophische und künstlerische Konzepte an, von Friedrich Nietzsche über C. G. Jung bis Karl Marx, von Einflüssen des Kubismus über solche des Surrealismus bis zum Anarchismus, für den vor allem Barnett Newman empfänglich war. Aber es war auch die Tradition der europäischen spirituellen Kunst ein wichtiges Erbe: die Ikone und die byzantinische Mosaikkunst.

Polcari 1991, 52

Obwohl viele der Vertreterinnen politisch nach links tendierten, war der Abstrakte Expressionismus keine politische Kunst, eher ein Versuch, nach dem Grauen des Krieges neue Vitalität zu demonstrieren. »Abstract Expressionists sought to symbolize the primordial, essential, universal space-time process of life, for example, the ceaseless flux of the sea, the cosmos, and the human spirit.«

Rushing Jackson W. in Tuchman/Freeman 1988, 273

Newman 1990, 77

Dazu dienten indianische Kunst und die nun schon mehrfach strapazierten esoterischen Quellen der Theosophie und der Rosenkreuzer. »Die erste Tendenz, die das Interesse der Künstler an der indianischen Kunst beflügelte, lag in dem Glauben, daß Vitalität und Spiritualität der indianischen Kultur, wie sie sich in ihrer Kunst ausdrückten, einen Beitrag zur Zukunft Amerikas leisten könnten. Die zweite und […] wichtigere Tendenz war die Überzeugung, in der primitiven Kunst spiegele sich eine allgemeine ursprüngliche Bewußtheit, die im Unbewußten immer noch fortlebe.« Diese Überlegung war der guten Kenntnis der Ideen Carl Gustav Jungs geschuldet. Vor allem Barnett Newman war ein Anhänger dieser Eingeborenenkunst, ebenso wie sein Freund Jackson Pollock. Für Newman war das Buch über primitive Kunst von Robert Goldwater (Primitivism in Modern Art; 1938) in dieser Hinsicht geradezu eine Offenbarung. In einem Katalog für eine Ausstellung Northwest Coast Indian Painting 1946 schrieb Newman: »Diese Werke sollten all denjenigen als Beispiel dienen, die die moderne abstrakte Kunst als esoterische Übung einer snobistischen Elite abtun, denn unter diesen einfachen Völkern war die abstrakte Kunst eine selbstverständliche, wohlverstandene, weitverbreitete Tradition.«

Rushing Jackson W. in Tuchman/Freeman 1988, 283

Ebd., 293

Barnett Newman, Mark Rothko, Ad Reinhardt tasteten sich eher an der Farbfeldmalerei entlang. Künstlerisch ging es um Farben und um Emotion und Spontaneität. Spontaneität und Dynamik zeichneten die sogenannten Drip-Gemälde aus. Gleichsam mühelos entwickelte sich aus indianischen Motiven, die Pollock als rhythmische Reihungen malte, ein ungegenständliches Bild. Die Rhythmisierung wurde schließlich zu Pollocks performativem Verfahren, das viel mit schamanistischen Praktiken gemein hatte. »Pollocks vielfältige Aneignungen und Umformungen indianischer Kunst waren alle von einer schamanistischen Absicht getragen und beseelt.« Er verband mit den Drip-Gemälden aber auch die Idee einer dynamischen Weltsicht und die Verbindung von steuernder Intention und dem Zufall. »Die Verbindung von Gegensätzen ist typisch für die Tropfgemälde: Bild und Malgrund verschmelzen, Gebärde und Bild werden eins, Zeichnung und Schriftarten werden Malerei und das Kunstwerk selbst wird schließlich ritueller Vorgang.«

X.2.5.

Rothko, zit. nach Chave 1989, 37

Gerade an dieser breiten und internationalen Wende in die Gegenstandslosigkeit lässt sich zeigen, dass die Künstler kaum die reine Autonomie der künstlerischen Form im Auge hatten, ihre Absicht war, etwas zu zeigen, zu sagen und zu intendieren. Mark Rothko drückte es so aus: Kunst sei eine Sprache, mit der man »something about the world« kommunizieren könne.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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