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2.1.1. Abstraktion, Gegenstandslosigkeit und Selbstreferentialität der Kunst

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2.1.2.

VIII.3.1.2.

Wenn man über ungegenständliche Kunst handelt, darf eine gewichtige Unterscheidung nicht übersehen werden, jene zwischen Abstraktion und Gegenstandslosigkeit. Abstraktion meint die zunehmende Reduktion der Gegenständlichkeit, bis sich die abgebildeten Gegenstände in abstrakten Formen und Farben auflösen. Beispiele dafür sind Monets Bilder seiner Seerosen, die sich in Farb- und Lichtspiegelungen verflüchtigten, oder das Werk Kandinskys, der seine Abstraktionserfahrung bei der Heuschober-Serie Monets erfuhr, was zum ersten abstrakten Bild (Erstes abstraktes Aquarell; 1913) führte. Dass anfangs auch die aufkommende Fotografie mit ihrer perfekten naturalistischen Mimesis ein Impuls zu dieser Alternative der konzentrierten Destillation des Wesentlichen war, ist plausibel.

2.2.7.

Doesburg, zit. nach Partsch 2002, 46f

Gegenstandslosigkeit demgegenüber ist die Herrschaft (Suprematie) des reinen bildnerischen Ausdrucks; von vorneherein frei von jeder Gegenständlichkeit und figuralen Resten. Für ein solches Konzept eigneten sich am besten die reinen geometrischen Formen. Beispiele dafür sind die Arbeiten des russischen Suprematismus, angeführt von Kasimir Malewitsch. Theo van Doesburg prägte 1930 mit der Künstlergruppe Art Concrete dafür den Ausdruck konkrete Kunst. Damit sollte eine Kunst bezeichnet werden, die völlig aus dem Geist und immanent geschaffen wurde und keine aus der Natur oder aus dem Gefühlsreservoir stammenden Einflüsse aufweist: »Konkrete Malerei also, keine abstrakte, weil nichts konkreter, nichts wirklicher ist als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche.«

X.2.3.

Für die Option einer autonom entstehenden, von jedem materiellen Vorbild und von jeder Figuration freien Kunst gab es massive geistige Impulse: neben dem Idealismus den seit dem 19. Jh. traktierten Gedanken von Hygiene und Reinheit, die Idee der Wahrheit – vor allem in der Architektur als Wahrheit von Material und Konstruktion. Es wuchsen die Vorbehalte gegenüber der Praxis, Konstruktion und Material durch eine Fassade zu maskieren.

Kandinsky 1955, 27

Kandinsky, zit. nach Bill Max in Kandinsky 1912, 14

Der Unterschied zwischen Abstraktion und Gegenstandslosigkeit sei ausdrücklich herausgestellt, wobei im Folgenden generalisierend von gegenstandsloser oder (besser!) ungegenständlicher und nicht-figuraler Kunst gesprochen wird. Schon beim Entstehen der abstrakten Kunst wurden als alternative Begriffe für das Gemeinte ungegenständlich, konkret, absolut vorgeschlagen. Kandinsky sprach einmal von reinkünstlerisch. An anderer Stelle bevorzugte er den Ausdruck konkret: »Man wird niemals die Möglichkeit haben, ohne ›die Farbe‹ und ohne ›die Zeichnung‹ ein Bild zu schaffen, aber die Malerei ohne ›Objekte‹ existiert in unserem Jahrhundert seit mehr als 30 Jahren. […] so sehe ich die immense Kraft der als ›abstrakt‹ oder ›ungegenständlich‹ bezeichneten Malerei, die ich vorziehe ›konkret‹ zu nennen. […] Die konkrete Kunst ist in voller Entwicklung, vor allem in den freien Ländern, und die Zahl der jungen Künstler, die an dieser Bewegung teilhaben, steigt in all diesen Ländern. Das ist die Zukunft!«

van Doesburg u.a., zit. HW, 441f

2.2.7.

Van Doesburg sorgte in seiner Pariser Gruppe für den theoretischen Überbau, den er in erster Linie aus der Philosophie Hegels gewann. Er sah in dieser Kunst, die keine Abstraktion einer natürlichen Vorlage war, sondern Darstellung ihrer selbst, einen objektiven und universalen Geist in der Geschichte. In einem 1930 publizierten Manifest dazu heißt es: »Das Kunstwerk muß vor seiner Ausführung vollständig im Geist entworfen und ausgestaltet worden sein. Von der Natur, von Sinnlichkeit oder Gefühl vorgegebene Formen darf es nicht[s] enthalten. […] Das Gemälde muß ausschließlich aus rein bildnerischen Elementen konstruiert werden, d.h. aus Flächen und Farben. Ein Bildelement bedeutet nichts anderes als ›sich selbst‹, folglich bedeutet auch das Gemälde nichts anderes als ›sich selbst‹. […] Konkrete Malerei, nicht abstrakte, weil nichts konkreter, nichts wirklicher ist als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche.« Was hier beschrieben wurde, war das Konzept einer geometrischen Kunst des Konstruktivismus, des Suprematismus und von Kandinskys Improvisationen, aber ebenso die Experimente von Kupka und Delaunay (Orphismus) und die Arbeit von Paul Klee.

zit. HW, 448

Eine andere Gruppe, die weniger streng auftrat, war die 1931 ebenfalls in Paris gegründete Abstraction-Création. Zu ihr zählten unter anderem Hans Arp, Frantisek Kupka, Barbara Hepworth und Albert Gleizes. Die fünf erschienenen Jahrbücher (1932–1936) gehören zu den wichtigsten Zeugnissen ihrer konkreten Kunst. Die Texte sind ein Plädoyer für Freiheit. In ihnen klingt die Erfahrung der Emigranten in der Gruppe durch, die vor der Unterdrückung der abstrakten Kunst durch die Nationalsozialisten geflohen waren: »Jeder Versuch, künstlerische Bestrebungen nach Kriterien der Rasse, der Ideologie oder der Nationalität einzuschränken, ist unerträglich.«

Hepworth, zit. HW, 471

Stöhr 1996, 9

X.2.2.ff.

Dass scheinbar die Sinnlichkeit aus der konkreten Kunst ausgeschlossen wurde, macht diese Kunstrichtung nicht automatisch emotionslos und steril. Barbara Hepworth schrieb dazu in einer Abhandlung (Sculpture), die 1937 im Circle erschien: »Die zeitgenössischen konstruktiven Arbeiten verlieren nicht dadurch, daß sie keine besonderen menschlichen Interessen, Dramen, Sorgen oder religiösen Gefühle ausdrücken. Sie berühren uns tief, weil sie das Ganze der Erfahrung und der visionären Kraft des Künstlers repräsentieren, seine ganze Sensibilität für bleibende Ideen, sein ganzes Streben nach einer Verwirklichung dieser Ideen im Leben […].« Wie Hepworth hier treffend ausführt, ist auch eine gegenstandslose Kunst kein Hindernis für eines der großen Anliegen der Avantgarde: die Verbindung von Kunst und Leben. Damit war nicht eine Ästhetisierung der Lebenswelt gemeint, vielmehr ging es um eine »ästhetisch-moralische[n] Transformation der Gesellschaft.« Man könnte versucht sein, bei der ungegenständlichen Kunst wegen der Befreiung vom Zwang der Mimesis der Expression besonderen Raum zu geben. Doch so einfach ist die Sache nicht. Nicht nur gibt es erhebliche Probleme damit, was mit Mimesis gemeint ist, sondern es bleibt auch anzumerken, dass Kunst immer mit beiden Aspekten ausgestattet war. Es gibt keine rein mimetische Kunst, die nicht auch etwas ausdrücken will. Umgekehrt braucht expressive Kunst zwar keine Repräsentation, aber ein gewisses Maß an Form.

2.1.3.

Im weitesten Sinn ging, wenn schon nicht als nicht-figural, aber als Avantgarde-Kunst durch, was mit der Tradition und Geschichte brach. Selbst immer noch mit dem Figuralen operierende Kunst wie Surrealismus oder Futurismus konnte sich als Avantgarde-Strömung behaupten, weil die Realität so extrem verzerrt wurde, dass keine Gedanken an eine Mimesis aufkommen konnten. Von Dada bis zu Duchamps Ready-Made wurden die alten Grenzen zwischen Kunst und Alltagsgegenstand aufgelöst. Das bedeutete gleichzeitig die Sprengung der Institutionen, welche die Kunst bislang einhegten. Trotzdem stand bei manchen Richtungen das Interesse an philosophischen Entwürfen und gesellschaftspolitischen Utopien im Vordergrund. Die dazugehörigen Manifeste träumten – nicht selten gespeist von zwielichtigen Gedanken aus den Tiefen des Okkultismus – von einer neuen Gesellschaft und einer neuen Welt. Damit wurden diese Kunstströmungen zu Mitspielern in Politik und Gesellschaft, was zu manch einer philosophischen und politischen Verwerfung führte, welche das Projekt der Avantgarde und in weiterer Folge der Moderne generell zu desavouieren drohte.

Morris Robert in Stemmrich 1995, 94

Reinhardt 1962, 31

Die strenge Verfolgung von Autonomie und Gegenstandslosigkeit führte zu einem zwar neuen, aber konsequenten Blick auf die Kunst als selbstreferentielles Unternehmen. Robert Morris sieht in Tatlin den ersten, der »die Skulptur von der Darstellung« befreite und »sie als autonome Form« etablierte, »und zwar sowohl durch die Art von Bildhaftigkeit oder eigentlich Nicht-Bildhaftigkeit, wie er sie einsetzte, wie auch durch seinen direkten Gebrauch des Materials.« Paul Klee, Wassily Kandinsky, René Magritte lösten das Bild aus jeder Referenz und setzen es als autonomes Zeichen in einen abstrakten Raum, wo es mit anderen Bildern in Beziehung tritt. Das ist die Selbstreferentialität, das die Poststrukturalisten als referenzloses Flottieren (miss)verstanden haben. Ad Reinhardt bekannte sich ausdrücklich zur Selbstreferentialität. Die Gegenstandslosigkeit habe zu einer reinen Kunst geführt: »art-as-art and nothing else, […] non-objective, non-representational, non-figurative, non-imagist, non-expressionist, non-subjective. The only and one way to say what abstract art or art-as-art is, is to say what it is not.«

Gehlen 1960, 75

Ebd., 54

Der Gedanke lag nach dem Anbruch der nicht-figurativen bildenden Kunst in der Luft. Bereits Arnold Gehlen sah mit Blick auf den Kubismus und dessen Deutung durch den Galeristen und Kubisten-Förderer Daniel-Henry Kahnweiler eine Selbstreferenz der Malerei anbrechen. Es ginge dabei um eine »Besinnung über die letzten kunsteigenen Ausdrucksmittel, in beiden Beziehungen also um die Begründung einer ›reinen‹, sich selber Gesetze gebenden Kunst in heller Bewußtheit und Gedanklichkeit; […].« Als ein Kollateralereignis steige damit die Kommentarbedürftigkeit der Kunst: »Wenn die Malerei zwar noch am Gegenstand bleibt, aber ein aus ihren eigenen Mitteln konstruiertes Zeichensystem benutzt, dann deformiert sie den Gegenstand, erschwert das Wiedererkennen und erzeugt Perplexion.«

Greenberg 1939, 30

Ebd., 33/35

Einer der engagiertesten Vertreter dieser These war Clement Greenberg, der in klugen Essays die Entwicklung zur ungegenständlichen Kunst schilderte. Er schrieb über den Verlust eines generellen Formenrepertoires in der modernen Gesellschaft, was für Künstler den Verlust der Kommunikationsbasis bedeutet: »Alle Gewißheiten, die sich aus Religion, Autoritäten, Tradition und Stil ergeben, werden in Frage gestellt, und der Schriftsteller oder Künstler ist nicht mehr in der Lage, die Reaktionen des Publikums auf die Symbole und Referenzen, mit denen er arbeitet, vorherzusehen.« Greenberg sinnierte nach dem konstatierten universellen Verlust kultureller Erzählungen samt ihrer kommunikativen Zeichen über die Parallele von Avantgarde-Künstler und Gott. Der Avantgarde-Künstler ahme Gott nach, indem er etwas Absolutes schaffen möchte, das die Bedeutung in sich selbst trägt: »Der Inhalt sollte sich so vollständig in der Form auflösen, daß weder das künstlerische oder literarische Werk als Ganzes noch ein Teil von ihm auf irgend etwas zurückgeführt werden kann, das außerhalb von ihm liegt.« Das Aufregende an der Kunst der Moderne sei ihre Beschäftigung mit dem »Finden und Ordnen von Räumen, Flächen, Formen, Farben etc. […].«

Reißer/Wolf 2003, 61

X.2.5.

Polcari 1991, 351

Hier ist ein zentrales und viel diskutiertes Element moderner Kunst angesprochen, das auf verschiedene Strömungen Anwendung findet: auf die suprematistische Formgestaltung ohnehin, ebenso auf Kandinskys Abstraktionen, aber auch auf den abstrakten Expressionismus: »Auf der ›Suche nach ihrer letzten pikturalen Identität‹ (Thierry de Duve) steht am Endpunkt das matte selbstreferentielle Bild, das letztlich nur mehr philosophisch nobilitiert werden kann als irreduzibler Kern des Mediums der Malerei, als Metaphysik der Fläche, die gleichwohl Tiefe erkennen lässt.« Inwieweit sich indes die bildende Kunst der Moderne – und vor allem die ausführenden Künstlerinnen – auf eine strenge Selbstreferentialität festlegen lassen, wie es dann mit dem Verhältnis von Kunst und Leben aussieht, sind diffizile Fragen, die an anderer Stelle eingehender betrachtet werden sollen. Denn, soviel sei vorweggenommen, Künstlerinnen schätzen im Allgemeinen die Arbeit an Inhalten, wie man nicht nur am Beispiel des Abstrakten Expressionismus anmerken darf: »Abstract Expressionism does not represent the triumph of the individual but the drama of the individual seeking community – historical, psychic, natural, social, temporal, and cosmic.«

Oberhuber Konrad in Tuchman/Freeman 1988, 8

Es scheinen stets beide Sachen zusammen zu gehören: die Formentwicklung der Kunst und die philosophische Erzählung. »Deswegen ist es zunächst wichtig darauf hinzuweisen, daß die spirituellen Quellen noch keineswegs zur Erklärung der künstlerischen Formen ausreichen, weil die Künstler Wesentliches immer auch der malerischen Tradition entnehmen. So wäre z.B. Mondrian auch durch die Theosophie nicht zu seinen spezifischen Abstraktionen gekommen, ohne in Paris dem Kubismus begegnet zu sein, […].«

Krieger 1998

2.2.7.

Wie sehr auch die ungegenständliche Kunst immer noch von kulturellen Erzählungen lebt (die demnach keineswegs abhanden gekommen sind), wird im nächsten Kapitel thematisiert. Selbst beim Suprematismus darf das erhebliche Utopiepotential – auch wenn es nur in geometrischen Formen zum Ausdruck kommt – nicht übersehen werden. Dazu hat nicht zuletzt Verena Krieger eine eindrucksvolle Untersuchung beigesteuert.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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