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2.2.3. Dadaismus

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Der Dadaismus wurde als künstlerische und literarische Bewegung 1916 vom Dramatiker, Publizisten, Schauspieler und Dramaturgen Hugo Ball, dem Schriftsteller und Psychoanalytiker Richard Huelsenbeck, dem Bildhauer und Lyriker Hans (Jean) Arp und anderen im damals noch ziemlich provinziellen Zürich gegründet. Es handelte sich teilweise um deutsche Emigranten, vornehmlich Pazifisten, die sich der allgemeinen Kriegsbegeisterung entzogen hatten. Sie kamen unter anderem aus München, wo der aus Hannover stammende Schauspieler und Dramatiker Frank Wedekind in Cabaret-Lokalen respektlose und obszöne Aufführungen inszenierte, bei denen auch Hugo Ball und seine Freundin Emmy Hennings anwesend waren.

Watts Harriett in Tuchman/Freeman 1988, 238–253

Entstanden ist die Bewegung im Cabaret Voltaire, wo nach anfänglich durchaus traditioneller Kulturarbeit Huelsenbeck, der rumänische Dichter Tristan Tzara, Hugo Ball und Emmy Hennings exzentrische Cabaret-Programme aufführten. Motivation war die Ablehnung konventioneller Kunst und bürgerlicher Lebensweise. Gnostisches und mystisches Gedankengut war verbreitet. 1917 wurde im Cabaret Voltaire aus den Schriften Jakob Böhmes gelesen. Namentlich Hans Arp war von Böhme begeistert. Im gleichen Jahr zeigte der Galerist Han Coray zum ersten Mal öffentlich Dada-Kunst in Zürich.

Ruhrberg Karl in Walther 1998, 119

Tzara, zit. HW, 296

Sicherlich gehörte neben der Tragödie des Ersten Weltkrieges die Fortschritts- und Beschleunigungsfigur der Zeit zu den Anstößen für Dada. Das sorgte für eine pessimistische anti-konstruktive Sicht auf den Menschen. »Dada zog das Fazit aus dem Fiasko des Fortschrittswahns und zelebrierte den Triumph des Absurden. Dada war mehr als das Rüpelspiel, als das es gelegentlich inszeniert wurde. Dada war die Revolte des Lebendigen gegen das Erstarrte, der Freiheit gegen die Doktrin, des Irrationalen gegen den ›Verstand‹ der Realpolitiker und Spekulanten, […].« Die eigentliche Motivation ist aufgrund fehlender Beschreibungen der Protagonisten schwer zu rekonstruieren. Jedenfalls umfasste die Ablehnung alter Konventionen die Kritik an »Programmen« und »Weltanschauungen«, also an jeder Form eines »-Ismus«, weshalb man damals statt von Dadaismus meist lieber von Dada sprach. Zwar verfassten die Exponenten Manifeste, Ball eines 1916, in dem er die Bewegung sozusagen gleich widerrief, einen Monat später Tristan Tzara (es wurde erst 1918 veröffentlicht), der festhielt: »[…] grundsätzlich bin ich gegen Manifeste, wie ich auch gegen Grundsätze bin […]. Ich schreibe dieses Manifest, um zu zeigen, daß man einander entgegengesetzte Handlungen zugleich, in einem einzigen kühlen Atemzug tun kann; […].« Spätere Manifeste in verschiedenen Städten folgten.

Ball, zit. HW, 295

Tzara, zit. HW, 300

Ball, zit. HW, 293

Ebd., 294

Über die Herkunft der Bezeichnung, mit der auch eine von Tzara herausgegebene Zeitschrift benannt war, kursieren verschiedene Darstellungen der Beteiligten. Mit Seitenblick auf den Rumänen Tzara wird darauf verwiesen, dass Dada im Rumänischen Ja-Ja bedeutet. Man liegt aber nicht falsch, wenn man den Ausdruck mit Kindlichkeit, Lautmalerei und Unernst verbindet. »Der Dadaismus – ein Maskenspiel, ein Gelächter? Und dahinter eine Synthese der romantischen, dandystischen und – dämonistischen Theorien des 19. Jahrhunderts?«, so eine Tagebucheintragung von Hugo Ball. Die Bewegung verweigerte sich konsequent einer jeden Definition und Klassifikation. Sie verstand sich vielmehr als ständige Ordnungszerstörung, als Anti-Kunst und Parodie auf jede Ordnung und auf jeden Sinn. »DADA – Abschaffung der Logik […] DADA – Abschaffung jeder gesellschaftlichen Rangordnung […] DADA – Abschaffung des Gedächtnisses […] DADA – Abschaffung des Künftigen: […]«, heißt es bei Tzara. Ball notiert am 12. März 1916 in sein Tagebuch: »Die Weltordnungen und Staatsaktionen widerlegen, indem man sie in einen Satzteil oder einen Pinselstrich verwandelt.« Hugo Balls Lautgedichte brechen bewusst mit der Bedeutungsrelation und reduzieren die Sprache auf Klangbilder: »Das Wort und das Bild sind eins. Maler und Dichter gehören zusammen.« Inwieweit man in diesen Konstruktionen auch einen gesellschaftskritischen Gestus, gar politische Ambitionen erkennen soll, wird verschieden beurteilt. Performances mit simultan verlesenen Gedichten – vor allem unter Balls Gründungskollegen und Nachfolger in Zürich, Tristan Tzara – spielten kritisch auf die conditio humana des modernen Menschen an. Es gab Publikumsbeschimpfungen und Provokationen auf der Bühne. »Tristan Tzara jedenfalls verwandelte sich vom Dadaisten zum Surrealisten und Kommunisten. Aber da war Lenin längst in Moskau und ausserdem tot, Tzara indessen zunächst in Paris und dann im Spanischen Bürgerkrieg. Kaum war das Cabaret Voltaire eröffnet, zog Lenin mit seiner Frau schräg gegenüber ein und blieb hier bis April 1917.«

Bucheli 2016

Nerdinger 1990

Zweifellos lebt auch das Antikunstwerk letztlich von einer moralischen Ambition. Allerdings eröffnet sich keine systematische Stimmigkeit in solchen gesellschaftskritischen Ambitionen, was der Idee des Dadaismus ja auch widerspräche. Man propagierte, scheinbar widersprüchlich zur Kritik am Fortschrittswahn, die totale Amerikanisierung, insofern Amerika für Technik, Geschwindigkeit, Materialismus, Modernität und damit für den totalen Gegenentwurf zum behäbigen und in weltanschauliche Systeme zerfallenden Europa stand. »In Montagen und Collagen wie Citroëns Metropolis oder Grosz’ Universal City dient das simultane Bild amerikanischen Lebens als Metapher für die erstrebte Gegenwelt zur europäischen Kultur.«

zit. HW, 303f

Grosz, zit. nach Schneede Uwe M. in Argan 1977, 256

Es waren eher die philosophischen Systeme hinter der Fortschrittsfigur, die Europa liebte und die die Dadaisten ironisierten, indem sie selbst Manifeste verkündeten. Raoul Hausmann, Richard Huelsenbeck und Jefim Golyscheff forderten in einer Proklamation, die der Zeitschrift Dada beigeheftet war, folgendes: »Der Dadaismus fordert 1. die internationale revolutionäre Vereinigung aller schöpferischen und geistigen Menschen der ganzen Welt auf dem Boden des radikalen Kommunismus. 2. die Einführung der progressiven Arbeitslosigkeit durch umfassende Mechanisierung jeder Tätigkeit […]. 3. die sofortige Expropriation des Besitzes (Sozialisierung) und kommunistische Ernährung aller, sowie die Errichtung der Allgemeinheit gehörender Licht- und Gartenstädte, die den Menschen zur Freiheit entwickeln.« Wenn dann auch noch eine »öffentliche tägliche Speisung aller schöpferischen und geistigen Menschen auf dem Potsdamer Platz (Berlin) b) die Verpflichtung der Geistlichen und Lehrer auf die dadaistischen Glaubenssätze«, eine »großdadaistische[n] Propaganda mit 150 Cirkussen zur Aufklärung des Proletariats« oder die »Errichtung einer dadaistischen Geschlechtszentrale« zur Regelung der Sexualbeziehungen gefordert werden, kann dies wohl nur als mehr oder weniger geistreiche Verhöhnung politischer Manifeste aufgefasst werden. Vielleicht war auch die Mitgliedschaft von einigen in der Kommunistischen Partei so, also antipolitisch, gemeint. Allerdings war die politische Enthaltung nicht nach jedermanns Geschmack. Einige Künstler der Dada-Gruppe wie Otto Dix oder George Grosz (der 1919 in die neugegründete KPD eintrat) hielten als Linke die utopischen Gesellschaftsambitionen aufrecht. Sie bezeichneten sich am Beginn der Zwanzigerjahre als Veristen und verstanden sich als eine Bewegung, welche die Zeit schonungslos einer kritischen Analyse unterzieht. Durch die Aggressivität ihres Tuns handelten sich die Künstler manch einen Konflikt mit der Staatsmacht ein. »Der Verist hält seinen Zeitgenossen den Spiegel vor die Fratze. Ich zeichnete und malte aus Widerspruch und versuchte durch meine Arbeiten die Welt davon zu überzeugen, daß sie häßlich, krank und verlogen ist […]«, schrieb Grosz 1925.

Grosz, zit. HW, 491

Gerade Grosz hatte alle Mühe, sich vor der Vereinnahmung durch die kommunistischen Genossen zu schützen, die von ihren linken Gesinnungsfreunden Propagandakunst haben wollten: »Ich aber halte es nicht für nötig, die Forderungen eines ›Hurra-Bolschewismus‹ zu erfüllen, der sich das Proletariat glatt gekämmt und im alten Heldenkostüm vorstellt.«

Ein anderes Sammelbecken politisch engagierter Künstler war die Novembergruppe, 1918 in Deutschland als Reaktion auf die Novemberrevolution gegründet. Ihr gehörten eine Reihe linksstehender Künstler an, unter ihnen Max Pechstein, Heinrich Campendonk, Otto Dix, Raoul Hausmann. Schon bald verlor die Gruppe aber ihren revolutionären und utopischen Elan und wurde von einer internen Opposition heftig dafür kritisiert.

Nach Schließung des Cabarets Voltaire auf Grund von Anrainerprotesten entstand eine Galerie, ebenfalls mit dem Namen Dada. In ihr waren unter anderem Wassily Kandinsky, Paul Klee, Giorgio de Chirico vertreten. Die Dada-Bewegung breitete sich in ganz Europa und in die USA aus. Sie war pazifistisch und basisdemokratisch. Es ging ohne Anspruch auf ein Gesamtkunstwerk romantischer Prägung doch um Verbindung der verschiedenen Kunstformen und um die Verbindung mit der Trivialkunst bzw. mit Alltagsgegenständen. In Berlin hatte Dada neben den absurden Aktionen des in Wien geborenen Raoul Hausmann (der »Dadasoph«) und des »Oberdada« Johannes Baader, mit den satirischen Zeichnungen von Georg Grosz (»Propagandadada«), dem deklarierten Pazifismus von Max Ernst (»Minimax-Dadamax«), nun doch auch eine politische Komponente. Baader, der sich in mehreren Performances als wiedergekommener Christus stilisierte, hing allerdings eher einem religiös-gnostischen Gedankengut an und wollte einen Tempel für einen neuen Bund Gottes mit den Menschen bauen. Die Bewegung erreichte auch New York, konnte dort mit wenigen Ausnahmen (Man Ray, der freilich die meiste Zeit seines Lebens in Paris verbrachte, und Marcel Duchamp, der 1915 nach New York ging, aber von 1919 bis 1942 wieder in Paris war), anders als in Europa, kaum nachhaltige Wirkungen entfalteten.

Ingold 2013

Ingold 2016

In Europa strahlte der Dadaismus, der mit Alphonse Allais, Paul Bilhaud, dem »Erfinder« des monochromen Bildes, und Alfred Jarry einige Vorläufer hatte, auf den Surrealismus aus sowie auf die Aktionen eines Marcel Duchamp oder Francis Picabia, der ebenfalls eine Dadazeitschrift gründete. 1920 fand in Berlin die Erste Internationale Dada-Messe statt. Tzara wollte mithilfe von Künstlern aus knapp einem Dutzend Nationen die Internationalisierung der Bewegung dokumentieren. Das Projekt Dadaglobe wurde aber nicht umgesetzt. Dabei hätte man sogar in der Sowjetunion eine erwähnenswerte Gruppe von Dadaisten (Moskau, Tiflis, Rostow) dokumentieren können, wie unter anderem eine Untersuchung von Felix Ingold für die Avantgarde während der Umbruchszeit in Russland zwischen den Revolutionen 1905 und 1917 eindrucksvoll belegt. Für die russische Tradition war der Dadaismus keine allzu aufregende Neuigkeit, man kannte dort schon vor dem Ersten Weltkrieg – gefördert durch die Aufhebung der Zensur – absurdes Theater, Nonsense-Poesie und Parolen auf das Nichts (die Vertreter nannten sich Nitschewoken/wörtl. Nichtsianer).

Schwitters, zit. HW, 388

Kurt Schwitters wurde zu dieser Messe in Berlin nicht zugelassen und gründete in Hannover sein eigenes Label MERZ, abgeleitet vom Namen der Commerzbank im Sinne einer »Entform(el)ungsoperation«. Er verstand darunter eine Collagetechnik, die zunehmend konstruktive Elemente zeigte. »Das Kinderwagenrad, das Drahtnetz, der Bindfaden und die Watte sind der Farbe gleichberechtigte Faktoren. Der Künstler schafft durch Wahl, Verteilung und Entformung der Materialien.« Schwitters fügte dem ohnehin schon schwierig gewordenen Kunstwerkverständnis eine weitere Facette hinzu. Nicht nur Duchamps Ready-Mades, sondern jedes objet trouvé kann zum Kunstwerk erhoben werden. Das Kriterium des Artefakts, also des Gemachtseins, fiel damit weg. Schwitters arbeitete zwanzig Jahre lang in seinem Haus in Hannover am MERZbau, einer Konstruktion der Erinnerungsarbeit, gab eine Zeitschrift unter dem Namen seines Labels heraus und näherte sich mehr und mehr den Konstruktivisten an. Auch Schwitters arbeitete mit Lautgedichten (Sonate in Urlauten), von denen noch Tonaufzeichnungen erhalten sind.

Partsch 2002, 52

Anfang der Zwanzigerjahre, konkret auf einem Kongress von Paris 1922, zerstritten sich die Exponenten der Bewegung über den einzuschlagenden Weg. Insbesondere André Breton griff Vertreter von Dada nicht nur verbal, sondern sogar handgreiflich an, und wanderte schließlich zum Surrealismus. Der Kongress gilt als das Ende des Dadaismus. Susanna Partsch dürfte richtig liegen, wenn sie den schnellen Erfolg der Bewegung eher auf den Zeitgeist als auf den missionarischen Eifer Einzelner zurückführt. So kurz die Strömung selbst währte, das Vermächtnis des Dadaismus ist eindrucksvoll. Es sind die vielfältigen Tabubrüche, die der Kunst neue Wege öffneten, das Selbstverständnis einer Avantgarde, sowie Anregungen für nachfolgende Strömungen wie Surrealismus, Happening Fluxus, Ready-Made, literarische Lautgedichte, insbesondere mit sogenannten Unsinntexten, aber auch für die Musik, die bis heute reichen.

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