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Die gescheiterte Verteilung

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Nach der Inventur der beschlagnahmten Kunstgegenstände sollte der Plan Hitlers in seine zweite Phase treten, die der Verteilung.41

Der Chef der Reichskanzlei Lammers regte an, einen von Hitler auszuwählenden und zu beauftragenden Sachverständigen aus Österreich Vorschläge für die Verwendung der eingezogenen Kunstgegenstände ausarbeiten zu lassen. Doch Hitler wählte keinen Österreicher, sondern seine Wahl fiel auf eine Person seines persönlichen Vertrauens, den Berliner Kunsthändler Karl Haberstock, der schon seit der ersten Hälfte der Dreißigerjahre für Hitler Ankäufe getätigt hatte und den er als gut vernetzten Sachverständigen schätzte. Dieser begab sich Anfang Februar 1939 nach Wien, besichtigte das Zentraldepot und erklärte sich schriftlich bereit, den Auftrag ohne besondere Vergütung zu übernehmen. Er legte der Reichskanzlei eine Verfügung über die in der Ostmark beschlagnahmten Kunstwerke vor: „Soweit die Gegenstände künstlerisch wertvoll sind und zur Erziehung des deutschen Volkes geeignet, werden sie an die Museen der Ostmark, wie Linz, Salzburg, Klagenfurt, Innsbruck, Graz, evtl. Reichenberg aufgeteilt.“ Reichenberg/Liberic, das zuvor zur Tschechoslowakei gehört hatte, war mit dem Münchner Abkommen an das Deutsche Reich gefallen und Hauptstadt des neu gegründeten Reichsgaus Sudetenland geworden. Am 30. März 1939 erging der offizielle Auftrag an den Kunsthändler, Hitler bei seiner Entscheidung über die Verwendung der in Österreich eingezogenen Kunstwerke zu beraten. Er solle „die museumsfähigen an die Museen der Ostmark, insbesondere in Linz, Salzburg, Klagenfurt, Innsbruck, Graz, Eisenstadt“ verteilen, „wobei den Wiener Zentralmuseen – dem Wunsch des Führers folgend – nur eine Auswahl englischer und französischer Bilder und kunstgewerblicher Gegenstände des 18. Jahrhunderts unter gewissen Voraussetzungen zugewiesen werden“. Zur Verwendung der nicht museumsfähigen Restbestände solle er Vorschläge unterbreiten. Am 6. April 1939 gingen Haberstock die Unterlagen der Reichskanzlei über die beschlagnahmten Bestände zu.

Zum 1. Mai 1939 trat das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der „Ostmark“ („Ostmarkgesetz“) in Kraft und die österreichische Regierung wurde aufgelöst. Am 28. April 1939, unmittelbar vor Ablauf seiner Funktion als Reichsstatthalter in Österreich, begab sich Seyß-Inquart nach Berlin, um Hitler die Ansprüche der Wiener Staatssammlungen auf die beschlagnahmten Kunstsammlungen noch einmal vorzutragen und ihm eine Denkschrift zu überreichen.42 Um einen „Ausgleich zwischen den Wiener Staatssammlungen und den zum Teil bedürftigen Gaumuseen“ herzustellen, sah die Denkschrift vor, den Provinzmuseen „namhafte Depotbestände als Leihgaben“ zu überweisen, die sich in den Residenzen von Salzburg, in der Hofburg von Innsbruck, im Schloss von Ambras und zahlreichen anderen Schlössern und Museen befanden. Seyß-Inquart drängte Hitler, die Beschlagnahmungen möglichst schnell zu verteilen, da diese Begehrlichkeiten weckten. Hitler gab sich diplomatisch und zeigte ein gewisses Verständnis für eine „umfangreiche Antrags-Stellung durch Wien“, betonte aber wieder seine Absicht, „andere Museen der Ostmark“ an der Verteilung teilhaben zu lassen: Seyß-Inquart gab er eine Stillhalteorder.

Am 1. Mai 1939 reiste Hitlers Kunstagent Karl Haberstock ein zweites Mal nach Wien, jetzt mit dem Auftrag, einen definitiven Verteilungsplan zu erstellen und für die Verwendung der nicht museumsfähigen Restbestände Vorschläge auszuarbeiten.43 Vor Ort traf er jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten, da die Leitung des Kunsthistorischen Museums der Ansicht war, dass die Verfügung über die Kunstwerke ausschließlich Seyß-Inquart obliege. Haberstock schaltete die Reichskanzlei ein, welche die Museumsverwaltung anwies, ihm bei der Durchführung seiner Aufgabe in jeder Weise behilflich zu sein. Der ebenfalls benachrichtigte Seyß-Inquart, inzwischen Reichsminister ohne Geschäftsbereich, machte die Reichskanzlei darauf aufmerksam, dass bereits ein ausführlicher Verteilungsvorschlag seines Ministeriums vorliege. Ausgearbeitet hatte ihn wohl der Beauftragte für das staatliche Kunstwesen im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, SS-Obergruppenführer Staatssekretär Dr. Kajetan Mühlmann. Dieser schaltete sich jedenfalls auch in die Auseinandersetzung ein und drohte der Reichskanzlei gar, er werde mit seinen Mitarbeitern zurücktreten, falls Haberstock bestimmenden Einfluss auf die Sammlungen erhielte. Er erhielt zur Antwort, die Entscheidung Hitlers sei abzuwarten, die dieser demnächst in Wien persönlich treffen würde. Bis dahin möge Mühlmann einen eigenen Aufteilungsvorschlag ausarbeiten.44

Am 6. Juni 1939 sandte Haberstock einen in vielerlei Hinsicht überraschenden Verteilungsvorschlag an die Reichskanzlei, denn er berücksichtigte nicht Hitlers Interessen. Sein Lieblingsprojekt scheint ein Museum des 18. Jahrhunderts gewesen zu sein, das er im Schloss Mirabell in Salzburg einrichten und mit den hochrangigen Beständen an Rokoko-Malerei aus den Rothschild-Beständen bestücken wollte. Für das „Führermuseum“ sah sein Plan die Zuteilung von je einem oder zwei Bildern etwa von Frans Hals, Jacob Izaakszoon van Ruisdael, Rembrandt, Anthonis van Dyck vor. Offenbar war ihm Hitlers ganz persönlicher Anspruch auf die Rothschild-Sammlungen, der ja Geheimnisstatus hatte, nicht bekannt. Man geht wohl nicht zu weit mit der Vermutung, dass Hitler verärgert war, sei es über den merkwürdig eigenständigen Verteilungsplan, sei es über Haberstocks Versagen hinsichtlich der Wiener Kunstadministration. Dem Kunsthändler war es nicht gelungen, die Wiener Blockadepolitik zu überwinden; er hatte es noch nicht einmal geschafft, wie beauftragt Fotomaterial zu beschaffen, um es Hitler vorzulegen. Vermutlich war beiden klar, dass Haberstocks Metier als Kunsthändler der Grund dafür war, weshalb er auf so unüberwindlichen Widerstand gestoßen war. Hitler muss wohl erkannt haben, dass der Zeitpunkt gekommen war, das Projekt an Posse zu übergeben.

Hitler nahm die heikle Angelegenheit nun selbst in die Hand: Am 11. Juni 1939, als er sich anlässlich der Reichstheaterwoche in Wien aufhielt, besichtigte er in Begleitung Kajetan Mühlmanns das Zentraldepot in der Neuen Burg. Dort kam es zur Auseinandersetzung wegen der Rothschild-Sammlungen. Laut einer Nachkriegsaussage Mühlmanns hielt er am Anspruch der Wiener Museen auf die Rothschild-Sammlungen fest. Hitler habe ihn daraufhin erregt zur Rede gestellt und deutlich gemacht, dass der Vorschlag inakzeptabel sei. Der anhaltende Widerstand sollte Folgen für Mühlmann haben: Ende Juni 1939 wurde er auf Weisung Hitlers durch Gauleiter Josef Bürckel aus seinem Amt entlassen.45

Wie Hitler selbst die Widerstände der Wiener Kulturinstitutionen gegen seine Verteilungspläne beurteilte, ist einem Protokoll eines Tischgesprächs im Führerhauptquartier, das drei Jahre später, am Abend des 26. April 1942 stattfand, zu entnehmen:

„Auch bei der Besichtigung der Kunstwerke, die bei der Beschlagnahme jüdischen Vermögens in Wien angefallen seien, habe er ganz stur den Standpunkt vertreten, dass alles, was zur Ergänzung der Wiener Galerien beitragen könne, dort verbleiben solle. Ebenso stur habe er aber entgegen den Wiener Wünschen darauf bestanden, dass die anderen Kunstwerke dorthin verbracht werden, wo sie beim Aufbau neuer Galerien dienlich sein können, zum Beispiel Werke von Franz [sic!] Hals nach Linz für die Galerie moderner Meister, Tiroler Heimatstücke nach Innsbruck und so fort.

Er habe diese Entscheidung, die seinen lieben Wienern durchaus nicht in den Kram gepasst habe, mit um so leichterem Herzen durchführen können, als in Wien aufgrund des halbtausendjährigen Wirkens des Habsburger Kaiserhauses so viele Kunstschätze zusammengetragen seien, dass allein mit den in den Kellern und auf den Böden abgestellten Sachen drei weitere Museen voll ausgefüllt werden könnten. Allein an Gobelins seien etwa 1000 wunderbare Handarbeiten in Wiener Lagerhäusern untergebracht, von denen die Öffentlichkeit nun doch wirklich nichts habe.

Dabei seien seine lieben Wiener, die er ja genau kenne, so krampfig, dass sie ihm bei der Besichtigung einiger beschlagnahmter Rembrandtbilder in ihrer gemütvollen Art klarzumachen versucht hätten, dass alle echten Bilder eigentlich in Wien verbleiben müssten, man diejenigen aber, deren Meister unbekannt sind, gerne Galerien in Linz oder Innsbruck zukommen lassen wolle.

Sie hätten dann große Kulleraugen gemacht, wie er entschieden habe, dass auch die echten Sachen, soweit sie nicht Lücken in geschlossenen Galerien in Wien vervollständigten, den Landesmuseen der übrigen Alpen- und Donaugaue zugeführt würden.“46

Unmittelbar nach der Auseinandersetzung mit Mühlmann im Jahr 1939 schaltete Hitler den Dresdner Museumsdirektor Posse ein.47 Am 19. Juni 1939 reiste Posse über Berlin, wo er sich von Haberstock über den Stand des Verteilungsprojekts unterrichten ließ, nach Berchtesgaden. Am Tag darauf kam er mit Hitler und dessen Architekten Speer, der für die Linzer Planungen zuständig war, im Berghof zusammen. Während ihres Treffens entwickelte Hitler seine Museumspläne für Linz, über die Posse in sein Diensttagebuch Folgendes notierte:

„das Museum seiner Heimatstadt, das er als Gegengewicht zu den großen industriellen Plänen von Linz neben anderen kulturellen Einrichtungen schaffen will. Im Gegensatz zu der Vergangenheit, die Wien egoistisch überfüttert, die Provinzstädte aber hat verkommen lassen. Das Linzer Museum soll nur das Beste enthalten aus allen Zeiten (beschlagnahmter Besitz, alter Bestand, Neuerwerbungen) von der Praehistorie beginnend die alten Kunst, im 2. Geschoss eine Sammlung des 19. Jahrhunderts und der Neuzeit, die auch die Wiener Sammlung übertreffen soll. Nochmals betont: seine Heimatstadt und vor allem die kulturpolitische Bedeutung, die er diesem Plane […] Er freue sich, mich für diese Aufgabe gewonnen zu haben.“

Das Zusammentreffen verlief äußerst positiv: Nach der Beauftragung führte Hitler dem gerade ernannten „Sonderbeauftragten für das Führermuseum Linz“ seine Gemäldesammlung in der Großen Halle vor!

Auf Befehl des Führers

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