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Im Freundschaftstempel Gleim in Halberstadt

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Als Goethe zwei Jahre nach dem Tod von Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803) dessen Haus in Halberstadt besuchte, beeindruckte ihn besonders der »Freundschaftstempel, eine Sammlung von Bildnissen älterer und neuerer Angehörigen«. Diese Porträtgalerie, so notiert er in den Tag- und Jahresheften, »gab ein schönes Zeugniß wie er [Gleim] die Mitlebenden geschätzt, und uns eine angenehme Recapitulation so vieler ausgezeichneter Gestalten, eine Erinnerung an die bedeutenden einwohnenden Geister, an die Bezüge dieser Personen unter einander, und zu dem werthen Manne, der sie meistens eine Zeitlang um sich versammelte, und die Scheidenden, die Abwesenden wenigstens im Bilde festzuhalten Sorge trug.«[8] Noch heute setzt diese Sammlung von über hundert Gemälden, die nahezu alle bedeutenden Schriftsteller, Gelehrten und Künstler des 18. Jahrhunderts in Porträts zeigt, den Betrachter in Erstaunen.

Gleim, viel gelesener Verfasser von anakreontischen (Versuch in Scherzhaften Liedern, 1744/45) und patriotischen Gedichten (Preußische Kriegslieder von einem Grenadier, 1757/58), war im Herbst 1747 nach Halberstadt gekommen, um hier das Amt des Domsekretärs zu übernehmen. Bis 1797 verwaltete Gleim die Finanzen und Ländereien des Domstiftes. Diese berufliche Tätigkeit verschaffte ihm die Unabhängigkeit, seine literarischen Interessen verfolgen zu können, ohne sich um den Lebensunterhalt sorgen zu müssen. Gleim bezog ein um 1600 erbautes Fachwerkhaus am Domplatz, das gegenüber dem Ostchor des hochgotischen Domes St. Stephanus liegt, als Amtssitz. In diesem Haus lebte er über fünfzig Jahre bis zu seinem Tod. Hier trug er eine enorme Sammlung von Bildern, Büchern, Manuskripten und Briefen zusammen, initiierte und unterhielt ein weitverzweigtes Netzwerk mit den wichtigsten Intellektuellen der Aufklärungsepoche und engagierte sich als Mäzen für junge Autorinnen und Autoren. Gleims Haus war bald eine bekannte Adresse sowohl in der ›Gelehrtenrepublik‹ als auch im Literatur- und Kulturbetrieb.

Wenige Wochen nach seiner Ankunft in Halberstadt schreibt Gleim am 24. November 1747 dem Freund Hans Caspar Hirzel: »Es ist schon ein Zimmer bereit, welches ich mit den Bildern meiner Freunde um und um hängen will«.[9] Freundschaft war für Gleim die Basis für eine neue Geselligkeitskultur, mit der das Bürgertum ein Gegenkonzept zu den formell-steifen Umgangsformen des Adels schuf. Freundschaft wurde sogar bald zum Inbegriff einer völlig neuen Lebensauffassung. Im unmittelbaren und stets toleranten Miteinander sollte das Individuum seine Persönlichkeit entdecken. Gesellige Treffen, gemeinschaftliche Lektüre, das Schreiben von Briefen und der Austausch von Porträts waren nicht nur sichtbarer Ausdruck dieses Lebenskonzepts, sondern ebenso Ausweis von Bildung und sozialer Kompetenz. Obwohl Gleim in seinem Halberstädter Haus regelmäßig Freunde und Gleichgesinnte um sich versammelte, wollte er sich auch nach deren Abreise ihrer Freundschaft bewusst bleiben, nachdem alle Versuche Gleims, in Halberstadt einen festen Dichterkreis zu etablieren, gescheitert waren. So entstand die Idee, Porträts der Freunde malen zu lassen und im Haus aufzuhängen. Zunächst gab Gleim nur Bilder der engeren Freunde in Auftrag, doch im Laufe der Zeit ließ er auch Persönlichkeiten malen, deren Werke er besonders schätzte. Die Bilder – so betont Gleim – sollen ihn an die Tugenden der Porträtierten erinnern und dadurch seine »Lehrerin« sein.[10] Eines der ersten Porträts, das im Haus aufgehängt wurde, war das Bild Ewald Christian von Kleists, einem populären Dichter und preußischen Offizier, der 1759 in der Schlacht bei Kunersdorf gefallen war. Alle Bilder in Gleims Sammlung haben ähnliche Maße (40 × 50 cm) und sind mit schmalen Leisten gerahmt, um jede Ablenkung von der Betrachtung des Gesichts durch irgendeine Form von Dekoration zu vermeiden. Anders als bei vielen stilisierten Adelsporträts zeigen die Bilder aus Gleims Sammlung – sämtlich Brustbilder in natürlicher Größe – den Porträtierten mit großer Schlichtheit als individuelle Persönlichkeit. Bald war ein »Tempel der Freundschaft und der Musen«[11] entstanden, dekoriert mit Bildern, die von bedeutenden Malern wie Adam Friedrich Oeser, Anton Graff, Gottfried Hempel, Johann Caspar Füßli, Christian Bernhard Rode oder Mitgliedern der Malerfamilie Tischbein geschaffen wurden. Diese Gemäldegalerie zeigt das ›Antlitz‹ der geistigen Elite des 18. Jahrhunderts. Über der Eingangstür zum »Freundschaftstempel« ließ Gleim eine Inschrift anbringen, die den Eintretenden entsprechend vorbereitet: »Ein armer Grenadier hat diesen kleinen Tempel, | Ihr Musen, Euch geweiht! | O keinen Tritt hinein, ihr, die ihr nicht Exempel | Zu euren Lehren seyd, | Und brächet ihr ein Werk, gestempelt mit dem Stempel | Der Ewigkeit!«[12]


In einem eigens konstruierten Schreibstuhl korrespondierte Gleim im Angesicht der Porträts seiner Freunde

Zur Kultur der Freundschaft gehörte wesentlich auch das Schreiben von Briefen. Der Brief wurde als Kommunikationsmittel regelrecht wiederentdeckt, denn er machte das Gespräch mit einem abwesenden Partner möglich, wobei es keine Rolle spielte, ob man sich über Alltagsangelegenheiten, Lektüre oder philosophische Themen austauschte. Die Briefschreiber pflegten eine neue – natürliche – Sprache und einen persönlichen, nicht mehr – wie bisher üblich – formellen Stil. Man las sich sogar gegenseitig oder in größerem Kreis Briefe vor und begann Briefe zu veröffentlichen. Gleim selbst gab mehrfach Briefwechsel mit Freunden heraus (allerdings auch gegen deren Willen!). Dem langjährigen Freund Johann Peter Uz erläutert er am 2. Juni 1783: »Briefe sind Spiegel der Seele. Man sieht darinn Abdrücke des Geistes und des Herzens so völlig wie das leibliche Gesicht eines Menschen im Spiegel von Glaß«.[13] Gleim gilt heute als einer der passioniertesten und emsigsten Briefschreiber der Epoche. Manchmal setzte er sich in einen eigens konstruierten Schreibstuhl in den »Freundschaftstempel«, um quasi von Angesicht zu Angesicht einem der Porträtierten zu schreiben. Gleim unterhielt zu mehr als 500 Briefpartnern Kontakt. Daneben bemühte er sich bei vielen Autoren um Handschriften ihrer Texte (meistens Gedichte), um wiederum authentische Zeugnisse ihres dichterischen Schaffens studieren zu können, wann immer er wollte; diese Sammlung nannte er das »Musenarchiv«.


Gleims Wohnhaus hinter dem Halber städter Dom war auch sein Amtssitz als Domsekretär


Die Galerie mit Porträts von befreundeten Schriftstellern, Gelehrten und Künstlern in Gleims Wohnhaus

Im Laufe von Gleims Leben ist eine kulturhistorisch wertvolle Sammlung aus Bild, Buch und Brief entstanden. Die Bibliothek, eine der umfangreichsten erhaltenen Privatbibliotheken eines Bürgers des 18. Jahrhunderts, zählte bei Gleims Tod 15.000 Bände. Sie enthält dem enzyklopädischen Denken der Aufklärung entsprechend nicht nur die schöne Literatur, sondern auch Lexika, Atlanten, Kochbücher, Herbarien und Bände aus der Frühdruckzeit. Gleim selbst verstand die Sammlungen als eine »Schule der Humanität«[14] und stellte gegen Ende seines Lebens Überlegungen an, wie er sie als Bildungsmaterial an nachfolgende Generationen weitergeben könne. In seinem Testament wünschte er eine öffentliche Nutzung und Gleims Nachfahren bemühten sich nach Kräften, diesem Wunsch gerecht zu werden. 1862 kauften sie das Haus am Domplatz und richteten es mitsamt den Sammlungen als Museum ein. 1898 erwarb es die Stadt Halberstadt. Das Gleimhaus war nicht nur ein Literaturmuseum, sondern auch eine Stätte zur Erforschung der Kultur und Literatur des 18. Jahrhunderts geworden. Es erinnert an die Idee eines Menschenfreundes mit Bürgersinn, von dem Goethe sagte: »ein leidenschaftliches Wohlwollen lag seinem Charakter zu Grunde, das er durch Wort und That wirksam zu machen suchte.«[15]

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