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Der Künstler

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Kurt Müllermeier war Künstler. Er war Kunstmaler. Machte sogar international Ausstellungen. In Brüssel und in Miami. Da viele seiner Kokserkunden Galeristen oder stinkreiche Kunstsammler und Kunsthändler waren, war es für ihn sehr einfach, seine Werke mit Hilfe dieser Leute zu verkaufen. Die Szene war in sich verflochten. Erfolgreiche Künstler koksten gemeinsam mit Kunsthändlern und Dealern. Oder bekifften sich gegenseitig bis zum Umfallen. Gemeinsamer Drogenkonsum verbindet. Früher wurde gemeinsam gesoffen. Heute wird gemeinsam gesoffen, gekokst und oder gekifft. Kurt Müllermeier interessierte sich aber immer mehr für die Kunst als für die Drogen.

Und so entglitt unser Kurt Müllermeier immer mehr dem Drogenmilieu und war immer seltener in seinem Stammkaffee anzutreffen. Die künstlerischen Erfolge ließen ihm keine Zeit mehr zum Dealen. Das Drogengeschäft brachte ihm auch immer weniger ein als der Verkauf seiner Kunstwerke. Er machte die Menschen nicht mehr von den Drogen abhängig, sondern die ehe-maligen Kunst- und Drogenkäufer wurden nach seinen Bildern süchtig. Gekifft, gekokst, geraucht und gesoffen wurde von den Kunsthändlern weiterhin, aber die Drogen gab es nun woanders zu kaufen. Unser Kurt Müllermeier verkaufte ab nun nur mehr seine selbstgeschaffenen Kunstwerke. Sein Stil wurde von der Kritik als radikal naiv oder Schlampodesign bezeichnet. Er bezeichnete seine malerische Kunstrichtung als konstuktiven Optimismus.

Er selbst wusste gar nicht, worauf sein großer Erfolg zurückzuführen sei. Kurt Müllermeier malte einfach drauf los. Seine Bilder wurden vor allem wegen ihrer Buntheit geliebt. Kurt Müllermeier war ein Freund der Farben, der Buntheit. Er kümmerte sich nicht um die Farbenlehre. Er tauchte den Pinsel einfach ein und probierte so lange auf der Leinwand herum, bis es für ihn passte. Ihm war es auch ziemlich wurscht, was die Leute über seine Kunst redeten. Er hatte sehr viele Fans und er hatte auch sehr viele Neider. Ihm machte es großen Spaß zu malen.

Mit seinem Freund, dem obersten Drogenfahnder der Stadt, traf er sich kaum mehr. Hatten doch beide nun unterschiedliche Interessen. Kurt Müllermeier gehörte nun zur besseren Gesellschaft, zur High Society der Stadt. Er wurde zu Empfängen und Festen eingeladen. Er trank die besten Weine, verkehrte in den nobelsten Lokalen und flog in der Weltgeschichte herum. Alles lief locker, ohne Stress, ohne Aufregung und ohne Angst, von der Polizei verhaftet zu werden.

Hatte er es damals auch geschafft, nie mehr verhaftet zu werden, war das Leben als Drogendealer doch immer stressig,. Mit der Zeit war es ihm als Künstler sogar gelungen, keine illegalen Drogen mehr zu konsumieren. Kurt Müllermeier trank nur mehr, wenn überhaupt, guten Wein. Er wurde, so wie der gute Wein, reifer und älter. Das, was er seinem Körper in der Zeit als Drogenkonsument und -händler angetan hatte, spürte er nachträglich. Also entschloss sich Kurt Müllermeier, monogam zu werden, sich gesund zu ernähren und recht früh schlafen zu gehen.

Es war für Kurt Müllermeier etwas ungewohnt, je-den Tag mit der gleichen Frau aufzuwachen. Aber er stellte fest, dass man sich vertrauter wurde, wenn man jeden Tag mit seiner Lebensgefährtin wach wurde. In früheren Zeiten war er oft so bekokst, dass er versehentlich und des Öfteren in fremden Betten und oft mit mehreren unbekannten Damen oder Herren gemeinsam aufwachte. Ihn wunderten oft der Zorn und auch die Wutausbrüche seiner damaligen Freundin. Da ihm nach seinen Drogenräuschen und Alkoholexzessen jegliche Erinnerung an alles Geschehene fehlte, hatte er auch nie ein schlechtes Gewissen wegen seines Treibens. Für ihn war alles lustig. Kohle hatte er ohne Ende. Er hatte immer die besten Drogen eingesteckt. Wegen seiner künstlerischen Tätigkeit hatte er immer weniger Zeit für die Partys und Drogenhappenings. Hatte er doch einige großformatige Auftragsarbeiten zu bewältigen. Malen ist eine körperlich anstrengende Tätigkeit. Kurt Müllermeier musste termingerecht liefern. War er betrunken, bekifft, oder verkokst, verloren seine Bilder an Schärfe und an Ausdruckskraft. Der klare Gedanke, welcher ihm seinen Pinsel führte, ging verlo-ren. Seine eigenen von ihm geschaffenen Kunstwerke brachten ihm das Glücksempfinden, welches er sich vorher nur mit Saufen und Drogenkonsum verschaffte. Die Kunst, das Schaffen von neuen optischen Perspektiven, hatte den Drogen den Platz genommen. Nach jedem geschaffenen Kunstwerk erlebte Kurt Müllermeier ein Glücksgefühl, wie er es vorher nicht kannte. Er war stolz auf seine Arbeit. Er kämpfte um das Ergebnis auf der Leinwand. Sein Gegner war nicht mehr die Polizei, die Drogenfahndung oder die anderen Dealer. Sein Gegner war das Weiß. Das Weiß war sein Feind. Nein, nicht die weiße Farbe, nicht das Titanweiß. Nein, die unbemalte Leinwand war sein Gegner. Das autistische Weiß, welches die gesamte Leinwand beherrschte und erst durch bewusst aufgetragene Farbe besiegt werden konnte. Dieses Weiß war nun sein Gegner. Ein harter Gegner. Die Leere der Leinwand war ein Gegner, welcher keinen Widerstand leistete, welcher nie widersprach und doch forderte.

Mit der Zeit stellte Kurt Müllermeier fest, dass gar nicht die Leinwand sein Gegner war, sondern dass er selbst in sich seine Grenzen fand, dass er selbst die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit feststellte. Wie viel Fläche der gesamten Leinwand konnte er an einem Tag gestalten, um für sich selbst noch interessant zu bleiben?

Was macht ein gutes Bild aus? Je mehr er arbeitete, umso mehr Fragen stellte er sich. Was macht ein gutes Bild aus? Was? Es gab keine Vorschriften, es gab keine Regeln. Kurt Müllermeier bestimmte die Regeln. Der Künstler bestimmt die Regeln in der Kunst und sonst niemand. Auf den Käufer darf man nicht hören. Entweder er kauft sich ein Stück Kunstgeschichte oder er soll sich zum Teufel scheren. Kurt pfiff den Museumskuratoren den Marsch. Er verachtete die Künstler, welche sich diesen Typen unterordneten.

Alles was getan wurde, war behördlich abgesichert. Jeder Schritt in unbekanntes Terrain bestens behördlich abgesichert. Jeder Skandal wurde vermieden. Wenn schon, dann so gezielt und geplant inszeniert, dass wegen Fadesse nicht einmal die Medienvertreter antanzten. Skandale, über welche sich niemand aufregen konnte, waren das Ergebnis dieser herunterkuratierten Schwachsinnigkeiten. Ein Skandal, von dem niemand etwas erfuhr. Ein Skandal, welcher keinen aufregte.

Sehr wohl wurde ein Ausstellungskatalog angefertigt und der Skandal beschrieben, aber an diesen Unsinn glaubte keiner. Niemand. Zu durchschaubar war die staatlich kuratierte Kunstszene. Mittlerweile wurden die Kuratoren weitaus berühmter als die Künstler. Durch die staatlichen Kuratoren wurden die Künstler und Künstlerinnen zu nützlichen Idioten zu Gunsten der Karrieren dieser Kuratoren und Kuratorinnen. Die Kuratoren waren sozial abgesichert und spielten ihre Spiele mit den Künstlern. Aber außer dem Staat und seinen Institutionen gab es keine Käufer mehr für den langweiligen inhaltlichen Schrott, welcher hier produziert wurde. Kein privater Sammler kaufte Kunst, welche staatlich kuratiert wurde. Man genierte sich dafür, und war eigentlich unter den geldigen Kunstsammlern nicht sehr angesehen, erstand man ein Werk eines Staatskünstlers. Auch auf den Blödsinn, Staatskunst als Wertanlage zu erwerben, fiel kaum jemand mehr herein.

Die meisten privaten Kunstsammler erdreisteten sich, Staatskunstwerke, Bilder und Skulpturen zu erwerben, welche ihnen nicht gefielen. Interessanterweise war es leichter, schöne Bilder weiter zu verkaufen, als den zu Tode kuratierten Staatsschwachsinn.

Kurt war die Staatskunstszene wurscht. „Ich habe beim Schleimer studiert, bei wem haben sie absolviert, mein Herr?“, fragte ihn so ein staatlich kuratierter Künstlerkollege, welcher sich mit dem Beschmieren von Stegplatten mit Bitumen und anderem Zeug beschäftigte. Mittlerweile hatte dieser staatlich kuratierte Kollege eine fixe Anstellung erfolgreich als Bademeister beim Magistrat von Sonnenstadt angenommen. „Ja, ich hab in Käsedorf beim Meister Steinhauer die Malerei gelernt“, entgegnete Kurt Müllermeier damals dem hochnäsigen, hochdekorierten, akademischen Ba-demeisterkünstler. „Ah, sehr interessant. Und welche Techniken hast du da hauptsächlich angewandt?“ „Weißt du, wir waren meist in Klausur. Wir haben vor allem mit Leim- und Dispersionsfarben gearbeitet. Hauptsächlich monochrome Werke, immer mit einer Farbe.“ „Ah so, wie der Ives Klein“ „Ja genau, so wie der. Nur mit mehr Weiß. Blau war fast nie welches dabei.“ „Echt, und das hast du vier Jahre gemacht.“ „Ja, so ungefähr vier Jahre lang hat meine Ausbildung gedauert.“ „Klingt sehr interessant.“ „Hab noch nie von dieser Universität gehört.“ „Ist auch ein Experiment gewesen. Sozusagen eine experimentelle Hochschule.“

Von Kurt Müllermeiers Käufern hat keinen seine Ausbildung interessiert. Den Kunden und Kundinnen haben die Bilder gefallen. Denen war es schnurzegal, was der Kurt Müllermeier für eine Ausbildung gehabt hat. Dass er in der Jugendstrafanstalt zum Maler und Anstreicher ausgebildet wurde, hat bisher außer diesen staatlich kuratierten Künstlerkollegen keinen interessiert. Kurt Müllermeier wurde als Autoditakt gehandelt. Self taught, wie die Engländer sagen. Ja, er hat sich das alles selbst beigebracht, unser Kurt Müllermeier. Angelesen, abgeschaut. In Museen gegangen. Sich inspirieren lassen, und aus Freude nachgemacht. Kurt Müllermeier war ein bunter Lichtblick in dieser faden eintönigen, von den staatlichen Kuratoren zur Bravheit dressierten Künstler- und Künstlerinnenwelt. Der Kunst ihre Freiheit, aber alles nur im gut und wissenschaftlich fundierten, einer eurasischen Norm untergeordneten Rahmen. Wichtig ist der Rahmen. Es war so: Alle geförderte Staatskunst durfte nur in einer kuratierten Eprouvette stattfinden.

Kurt Müllermeier war zu lange eingesperrt gewesen, als dass er als Kunstmaler Lust gehabt hätte, sich von jemandem, den er nicht wertschätzte, in ein kreatives Korsett sperren zu lassen. Kurt beschritt seinen eigenen Weg, und den mit großem Erfolg.

Seine internationalen Erfolge gaben ihm Recht. Was sollte er auf diese erbärmlichen Kunstkuratoren hören. „Ja. Das ist Kunst. Nein. Das ist keine Kunst.“ „Ich bin ein Künstler“, sagte er zu sich, „Und die Leute kaufen meine Kunst. Die können mich doch alle, diese Kunstschnösel und Möchtegernregulatoren. Wissen alles besser, und wollen den Menschen ihren eigenen Ge-schmack nehmen. Zum Glück lassen sich nicht alle Kunstsammler verblöden. Zum Glück haben doch noch genug Menschen den Mut zum eigenen Geschmack. Und dieser Blödsinn mit Staatskunst als Wertanlage, wer glaubt denn das noch? Wie soll etwas einen Wert haben, wenn es niemandem gefällt? Wer kauft Kunstwerke, welche einem nichts bedeuten? Wer kauft sich ein Stück Langeweile und warum?“, fragt sich Kurt. „Wenn es jemandem fad ist, so will er unter-halten werden, vom Künstler und von dessen Kunst.“

Kurt Müllermeier war nun nur mehr Künstler. Mit dem Dealen war es endgültig aus. Er war der international erfolgreiche und wertgeschätzte Künstler Kurt Müllermeier und niemand konnte ihm diese Position streitig machen, niemand. Wohlstand, Vermögen, dicke Autos, eine hübsche Freundin, ein großes mehrstöckiges Haus, ein riesiges Atelier. Die reichsten Menschen dieser Erde gingen bei ihm ein und aus, um seine Bilder zu erwerben; solange sie sich diese noch leisten konnten. Kurt Müllermeier machte ein Vermögen. Ein riesiges Vermögen. Er konnte es kaum fassen, wie einfach auf einmal alles funktionierte. Es ging immer nur aufwärts. Alles war wie ein toller Traum, aber es war die Wirklichkeit. Nie hätte er sich gedacht, dass man mit Gemälden in diesen Zeiten noch reich werden konnte. „Die Zeiten des Malens sind vorbei!“, schrieben die Kritiker in den Kulturzeitschriften. „Die Kunstwelt interessiert sich nicht mehr für das Tafelbild. Es gibt neue Ausdrucksmöglichkeiten“ konnte man lesen. Doch Kurt Müllermeier war das wurscht. Er las auf seinem Bankkonto andere Dinge. Er hörte weiterhin auf sich und nicht auf die Schlaumeier dieser Welt.

GUTEN MORGEN HERR MÜLLERMEIER

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