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Oxohigh

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Meine Damen und Herren, Sie wissen, warum wir uns hier in London im Museum treffen und unsere Versammlung abhalten? Keine Ahnung? Sie sehen hier auf unserer Grafik die Umsätze in den Nationalstaaten der Eurasischen Union. Eine Katastrophe. Seit mehr als fünf Jahren verlieren wir in sämtlichen Staaten der Eurasischen Union jährlich mehr als 5 % des Marktes. Solange wir der einzige Anbieter am Drogenersatzmarkt waren, stiegen unsere Umsätze täglich. Mit unserem Oralpräparat Oxohigh beherrschten wir nicht nur die Nationalstaaten der Eurasischen Union, nein, wir waren weltweit der einzige und beste Anbieter für dieses Programm. Alles, was an illegalen Suchtmitteln an-geboten wurde, wurde dank unseres Präparates Oxohigh verdrängt. Mit Oxohigh waren wir länger als dreißig Jahre lang Weltmarktführer. Doch wie wir am eige-nen Leib erfahren mussten, gibt es nun Konkurrenz. Seit fünf Jahren ist die Konkurrenz mit ihrem synthetisch hergestellten, ebenfalls oral verabreichbaren Produkt Paxodol uns hart auf den Fersen. Alle uns be-kannten und von uns betreuten Drogentherapieärzte des Eurasischen Gebietes arbeiten grundsätzlich für uns. Sie verschreiben grundsätzlich nur unser Produkt.

Wie konnte es also zu dieser anhaltenden Marktverschiebung zu Ungunsten unseres Präparates kommen? Unsere Marketingspezialisten und Pharmavertreter waren und sind einer neuen Situation hilflos ausgeliefert. Der Berichterstattung der Medien. Wir können Verdächtigungen aussprechen, aber keine Beweise liefern. Seit über zehn Jahren wird bei jedem Todesfall in der Ersatzdrogenszene Oxohigh als Todesursache angeführt. Jeder Amtsarzt in der Eurasischen Union gibt, sobald nur eine Spur von Oxohigh im Blut des verstorbenen Patienten gefunden wird, Oxohigh als Todesursache an. Die Patienten sterben nicht an Oxohigh, sondern an der Unmenge an verschiedenen Rauschmitteln, welche sie sich intravenös, oral oder über die Nase verabreichen. Wie gesagt, wenn nur ein hundert-tausendstel Gramm unseres Präparates im Blut eines Verstorbenen gefunden wurde, wurde in den Medien unser Präparat Oxohigh als Todesursache bekannt gegeben. Wie dies gesteuert wurde, und wer wirklich hinter dieser Kampagne steht, ist für uns nicht beweisbar. Um hier einer Klageflut der Konkurrenz gegen uns auszuweichen, erlaube ich mir hier weder Verdächtigungen noch Beschuldigungen gegen irgendjemanden auszusprechen. Ich bitte hier um Ihr Verständnis, obwohl es nur wenige Unternehmen weltweit gibt, welche von dieser Art der Ausstellung der Totenscheine profitieren.

Das Potential an süchtigen Personen einer Population ist kalkulierbar. Wir gehen von fünf Prozent Abhängigen aus. Das heißt für uns, dass von einer Million Menschen 50.000 von irgendeiner Substanz abhängig sind. Uns gelang es nach jahrzehntelanger Forschungstätigkeit endlich, eine Substanz zu entwickeln, welche alle Arten von Sucht bekämpft und das Suchtverhalten beim betroffenen Patienten abstellt. Sogar bei männlichen und weiblichen Stalkern wird unser Präparat erfolgreich eingesetzt. Über dreißig Jahre lang ist es niemandem von der Konkurrenz gelungen, die Formel unseres Präparates zu entschlüsseln oder zu kopieren. Und nun seit fünf Jahren gibt es ein synthetisches Konkurrenzpräparat.

Die Eurasische Union hat zirka 700 Millionen Einwohner. 5% sind unserer Patientengruppe zuzuordnen. Das heißt: Wir bedienten bisher 35 Millionen Suchtpatienten. Wenn wir zweihundert Eurasos an Kosten für unser Präparat pro Patient und Monat rechnen, betrug unser Umsatz für den gesamten eurasischen Raum sieben Milliarden Eurasos. Mit diesem Betrag konnten wir Politik machen. Marktpolitik. Verdrängungspolitik. Kunst- und Kultursponsoring. Aber uns ist der Markt um mehr als die Hälfte eingebrochen. Mehr als die Hälfte, meine Damen und Herren. Wir setzen in der Eurasischen Union nun weniger als drei Milliarden Eurasos um. Diese Verluste hat uns die Ausstellung der Totenscheine und die mediale Verbreitung des Inhaltes dieser Feststellung der Todesursachen eingebracht.

Wer die Amtsärzte wie beeinflusst hat, wissen wir nicht und können wir auch nicht klären. Wir müssen es wieder schaffen unsere Marktanteile zurückzugewinnen. Wir dürfen es uns nicht gefallen lassen, dass man uns die Marktvorherrschaft weggenommen hat. Wir haben das bessere Produkt. Wir sind das bessere Unternehmen. Nochmals zu Ihrer Aufklärung: Die Medien verunsicherten mit ihrer Berichterstattung die Suchtpatienten. Unser Produkt wurde mit dem Böse– Mascherl versehen, und immer mehr Patienten verweigerten die Einnahme unseres Produktes Oxohigh. Sie bestanden darauf und bestehen noch immer darauf, das „gute“ Präparat Paxodol verschrieben zu bekommen.

Auch wenn Paxodol im Blut von verstorbenen Patienten gefunden wurde, wurde es nie als Todesursache an die Medien weitergegeben. War Oxohigh im Blut, dann wurde es immer als Todesursache an die Medien von den Amtsärzten weitergegeben.

Gegen diese Form von Politik sind wir chancenlos. Absolut chancenlos. Wir müssen einen anderen Weg gehen. Einen grundsätzlich anderen, um unsere Marktanteile zurückzugewinnen.

Wir ändern nicht unser Produkt. Wir werden unser Produkt beibehalten und das Produkt der Konkurrenz wirkungslos machen. Wie sollen wir das anstellen, werden Sie sich fragen? Wir verändern den Patienten. Wir sind mit unserem Wissen in der Lage, alle in Europa lebenden Süchtigen zu standardisieren. Wir können alle männlichen und alle weiblichen Suchtabhängigen und Suchtgefährdeten erfassen und zu männlichen und weiblichen Standardpersönlichkeiten um-formen. Unser Forschungsteam hat im Geheimen und ohne Wissen der Behörden Marker in allen Körpern von suchtabhängigen und suchtgefährdeten Eurasiern und Eurasierinnen implantiert. Mit herkömmlichen Mitteln ist es unmöglich, diesen Marker zu erkennen. Er sieht aus wie ein kleines Muttermal und kann sich an jeder Stelle an der Hautoberfläche befinden. Unsere Ärzte haben hier großartige Leistungen vollbracht. Mit dem Erreichen des siebzehnten Lebensjahres beginnt die Verwandlung unserer Patienten. Der von uns installierte Marker steuert die Verwandlung jedes Suchtabhängigen und jedes Suchtgefährdeten in diese stereotype Person. Die Verwandlung der Abhängigen in diese stereotypen, gleich aussehenden Persönlichkeiten ermöglicht uns, die Wirkung von nicht von uns produzierten Präparaten zu verhindern. Unsere stereotypen Persönlichkeiten sprechen nur auf unser Produkt an. Jedes andere eingenommene Medikament ist wirkungslos. Nur unser Neooxohigh kann von den so erfassten Süchtigen und Suchtgefährdeten aufgenommen werden, ihr Suchtverhalten dämpfen und abstellen; ihnen ein „normales“ Leben ermöglichen.

Dank unserer enormen finanziellen Rücklagen und unserem Einfluss auf die Verwaltungsbehörden ist es uns gelungen, allen suchtgefährdeten Persönlichkeiten und allen Süchtigen den gleichen Namen zu verpassen. So ist es jedem unserer Vertragsärzte möglich, sofort am Aussehen und am Namen diese Personen zu erkennen. In weniger als drei Jahren gehört dieser Markt wieder uns. Nur Uns. Meine Damen und Herren.

Wie Sie wissen, unterliegt der Inhalt des Gehörten absoluter Geheimhaltung. Es ist Ihnen nicht gestattet, mit irgendjemandem über das hier Gesehene und Gehörte außerhalb dieser Räumlichkeiten zu sprechen oder auf anderem Wege zu kommunizieren. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut nach Hause. Ihre Flugtickets liegen an den Schaltern der Flughäfen für Sie bereit.“

„Ich halte diesen Schwachsinn von Geheimhaltung und Marktanteilen nicht mehr aus. Klar gehen die vom Pharmakonzern davon aus, dass das, was wir heute im London Museum gehört haben, durchsickern wird, und auf twitter, facebook und allen anderen Plattformen weiterverbreitet werden wird. Morgen schon wirst du im Fernsehen die neuesten Berichte über den Einsatz von Neooxohigh sehen können. Vor allem wegen der strengen Geheimhaltung. Die Strategie unseres Unternehmens ist mir nicht klar. Aber anscheinend wollen sie mit allen Möglichkeiten in den Medien präsent sein. Mir ist dieses Theater wurscht. Die Politik sollte mehr Geld in die Ausbildung unserer Jugend stecken, anstatt der Pharmaindustrie ein Vermögen in den Rachen zu stecken. Seine Probleme mit Medikamenten zu lösen, sollte auf Dauer nicht das große Ziel sein. Ah, da ist ja unser Schalter. Tatsächlich, unsere Flugtickets wurden gewissenhaft für uns hinterlegt. Man kann sich doch auf unser Unternehmen verlassen.“

GUTEN MORGEN HERR MÜLLERMEIER

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