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4. Szene: Die zärtlichen Hände des Henkers

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Man muss wissen: Die Exekution ist längst ihrer grausamen Vergangenheit entwachsen. EMANZIPIERT. Man begnügt sich nicht mehr mit Fallbeil, Tod und weg. Man sieht das jetzt ganzheitlicher. Mit individueller Betreuung, die sich an psychologischen Erkenntnissen orientiert. Sodass der Delinquent teilhat an dem Prozess - aktiv, er ist ja der Mittelpunkt, der, um den es geht. Auch das ganze Drumherum, die Vorbereitung, die Wahl der persönlichen Hinrichtungsmethode, das wird vorher kommuniziert. Du bist von Anfang an dabei, das ist der eigentlich wesentliche Teil des Vollzugs. Und dazu gehören auch regelmäßige Treffen mit dem Henker. Mit dem persönlichen Henker. Eben mit dem, der ...

Mein Henker: Dünne Stelzen tragen einen tonnenförmigen Rumpf, und obenauf klebt ein Gesicht, so falsch, als wäre der Kopf versehentlich unter das eigene Fallbeil geraten und hastig wieder angeklebt worden. Aus der Nahtstelle zum Brustkorb quillt eine Speckwulst wie Silikon heraus. Dieses Gesicht ist immer nach oben gerichtet und kaum fähig, einem Delinquenten in die Augen zu schauen. Wenn er es versucht, dann muss er sich vorbeugen, einen steifen Diener machen, um so von unten herauf den Blickkontakt herzustellen. Man sieht dann eine teigige Fläche mit wenigen, unscheinbaren Pickeln zwischen den winzigen Knopfaugen und dem hochgedrückten Nasenstummel. Ein Kinn gibt es nicht, nur eine Linie von links nach rechts als Begrenzung des Unterkiefers, und parallel darüber ein dünner, blutleerer Strich, der sich ständig zu einem Schnörkel zusammenzieht und dabei unentwegt seufzt.

So stand er vor mir und beugte sich über den Tisch, wollte diesen aber offensichtlich nicht berühren. Stattdessen hingen die strickdünnen Ärmchen an den Seiten herunter und schienen von den Gewichten zweier tellergroßer Pranken noch in die Länge gezogen zu werden.Sie schlugen mit jedem Seufzer vor das Möbel, prallten davon ab, tatschten aneinander und baumelten wie seine Delinquenten am Strang. Um nicht vornüber zu fallen, hatte er sein rechtes Bein angehoben, das Knie drückte von unten in den Bauch und der Fuß stützte sich stramm auf dem linken Oberschenkel ab, sodass die ganze Konstruktion nur von seinem zitternden linken Standbein gehalten wurde.

Nachdem wir - ganz geschäftsmäßig - die organisatorischen Fragen meines Vollzugs geklärt hatten, blieb er stehen, mit unbeteiligtem Gesicht, nur der Schnörkelmund seufzte still vor sich hin. Ich bot ihm meinen Stuhl an, stand dafür auf und ließ ihn hineinplumpsen, wobei er die Spannung wie ein geschwächtes Pferd aus seinen Beinen ließ.

Auch sitzend konnte oder wollte er mich nicht ansehen, denn er nahm sein Gesicht wie ein rohes Schnitzel zwischen die Würste, die seine Finger waren, sodass es zerknautschte und die kleinen Augen verschwanden. Doch nach einer Weile stummen Seufzens begann er zu sprechen, wobei die Hände selbst durch Öffnen und Schließen des Mundlochs die Worte zu formen schienen:

»Jeden Tag begleite ich einen Lebenden in den Tod. Das ist gerecht und von Gesetz wegen gewollt. Der Lehrer lehrt, der Bäcker bäckt und der Henker henkt. Ein jeder tue sein Ding nach bestem Wissen und Gewissen. Doch mir ist jede Hinrichtung wie ein Stein, der sich auf dieses meine Gewissen legt. Täglich ein Stein auf dem anderen, und mein Gewissen ist bereits so schwer, dass es mit mir im Boden versinken könnte.«

Er erzählte mir von seiner Arbeit.

Ich hockte mich zu ihm auf einen umgedrehten, von der Putzfrau vergessenen Eimer. Zur Erlösung seines gequälten Gesichts hatte ich ihm meine Hände gereicht, die er nun dankbar mit seinen knetete.

Diese Hände! Immer schienen sie im Weg zu sein, zu groß, zu ungeschickt, zu tollpatschig. Dabei waren diese unförmigen Pfoten überraschend weich und umschlossen meine Finger so zärtlich wie die Liebe einer Frau. Es war ja nicht die Bedienung der tödlichen Maschinen, die seinen Händen diese Größe aufgezwungen hatte. Sie waren ja nur darum so grob geworden, weil sie so selten ein dankbares Opfer fanden. Meist musste der Henker die Delinquenten holen, sie von den Gittern reißen, sie zerren, tragen und auf dem Bock befestigen - gegen ihr Strampeln, Schreien und Winden. Nicht selten geschah es dann, dass diese Hände den Kandidaten versehentlich zu Tode drückten, bevor die eigentliche Prozedur begann. Solche tragischen Unfälle verdoppelten dann seine ohnehin schwere Last. Erst gestern hatten diese Hände vergessen, die Lederriemen um Arme und Beine des Kandidaten zu schließen (er sprach von Chruszchow aus der Nachbarzelle, ich kannte ihn gut), sodass der, nachdem man seinen Kopf abgetrennt hatte und aus dem Loch zwischen den Schultern rote Tränen flossen, aufstand und zurück auf die Straße gelaufen ist. Tak-tak-tak-tak-tak ...

Und mein Henker ist hinter ihm her und hat ihn gehalten; hat dieses Weinen ertragen, das ohne Zwischenstück direkt von Herzen kam.

Wie nur kann einer, der selbst nie jemandem etwas getan hat, die Last aller fremden Taten auf sich nehmen? Springt nicht mit jedem Stein, der sein Gewissen beschwert, die Tat des Delinquenten selbst auf ihn über? Trägt dieser armen Mann nicht alle unsere Taten wie der Heiland sein Kreuz?

Ich stand auf, ging um den Tisch herum und nahm ihn in den Arm; versuchte ihn zu trösten für sein unermessliches Opfer. Ich versprach, wenn ich an der Reihe bin, mich ganz seinen fürsorglichen Händen hinzugeben und in ihnen einzuschlafen wie ein Kind.

>>> Kommentar der Putzfrau: »Was grinst der heute so blöde? Der soll die Finger von mir lassen und den Eimer zurückgeben. Kerl!«

Geschichten aus der Todeszelle

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