Читать книгу Das kriege ich auch noch hin - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 15

DER MENSCH KÄMPFT!

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Da der Mensch inzwischen hinreichend beschrieben ist und wir wissen, dass er sich meistens freiwillig keine Hilfe und Unterstützung holt, miese Verhältnisse nicht im Vorfeld, wenn er noch Kraft und Gesundheit und meinetwegen auch noch ein bisschen Geld hat, ändert und selbst immer erst einmal alles versuchen wird, um aus sich heraus allein klar zu kommen - insbesondere auch im seelischen und psychischen Bereich - können wir getrost annehmen, geht jemand pleite oder bricht zusammen, wird er alles versucht haben, was ihm möglich war, um seine Situation zu ändern.

Und dieser Mensch wird festgestellt haben: Er schafft es dann doch nicht allein. Er ist zusammengebrochen. Mit dem Glauben, es allein schaffen zu können, steht der Zusammengebrochene nicht allein da. Millionen Menschen teilen diese Erfahrung. Eine Erschöpfungsdiagnose, ein sogenanntes Burnout, lässt Menschen zusammenbrechen. Das Leben geht danach anders weiter.

Aus luftiger Höhe betrachtet könnte man sagen, der liebe Gott hat ein Einsehen und hat den Menschen so gebaut, dass er den anderen Menschen braucht. Der Mensch kann viel allein - aber nicht alles. Jeder Mensch weiß dies im Prinzip sehr genau und handelt dagegen. Die Quittung habe ich ja gerade beschrieben. Diese Erfahrung ist nebenbei bemerkt bei allen Menschen sozusagen einkommensunabhängig gleich.

Der Mensch verändert sich niemals freiwillig, wie C.G. JUNG einmal bemerkte. Ich empfehle, sich diesen Satz gut zu merken. Möglicherweise hilft er Ihnen, sich vielleicht doch Unterstützung zu besorgen, wenn Sie merken, so geht es auf gar keinen Fall weiter! Ein Bauingenieur, erzählte mir einmal, wie es sich anfühlt, zusammenzubrechen: Er stand morgens auf und alles war ihm zu viel. Dann rief auch noch sein Chef an, er solle sich auf den Weg zu einer Fortbildung machen, die noch heute beginnen würde und die wichtig sei. Sie würde die ganze Woche dauern. Er solle mal sein Köfferchen packen. Damit waren die Pläne des Bauingenieurs für die Woche über den Haufen geworfen. Er konnte innerlich nicht mehr ausgleichen und schrie herum, er würde dies auf gar keinen Fall tun. Er könnte ihn mal! Er ließe sich jetzt krankschreiben. Außerdem müsse er zu seiner Tochter. Er hätte es versprochen. Er konnte die vielen Ansprüche nicht mehr ordnen. Er konnte den Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Er hat nie wieder gearbeitet. Er ließ sich zwei Jahre später berenten. Ein paar Jahre vorher hatte er ein Burnout - war aber nach relativ kurzer Zeit wieder fit. Aber die guten Vorsätze reichten nicht aus, seine Gesundheit wieder so weit aufzubauen, dass er auch jetzt standhaft geblieben wäre.

Von diesen Menschen, die alles versucht haben, um zu leben und zu überleben, indem sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, gibt es inzwischen irrsinnig viele: Viele sind insolvent. Viele haben eine entsprechende Diagnose für die Kostenerstattung der Behandlungskosten von Krankenkassen durch ihre Behandler bekommen. Viele Menschen müssen sich auf Ämtern herumtreiben um finanzielle Unterstützung - meist verschämt - zu beantragen. Die Kriminalität unter Jugendlichen nimmt extrem zu. In Dortmund ist nun extra ein Haus gemietet worden, in dem viele Berufsgruppen im Sinne der auffälligen Jugendlichen zusammenarbeiten wollen, wie Ende Oktober 2015 bekannt wurde.

Halten wir an dieser Stelle fest, dass das Konstrukt WORK-LIFE-BALANCE eine ökonomische Definition von in Verträgen gegossenen Fähigkeiten, die perfekte Produkte einer bestimmten Gattung zeitgebunden durch ARBEIT hervorbringen sollen, indem zum Beispiel bestimmte Materialien bearbeitet werden. Da Arbeit oftmals schwer, anstrengend, nervenaufreibend, spannungsreich, körperlich und seelisch belastend, die Zeitdauer, um ein Produkt oder Arbeit zu erledigen, zu lang ist, gab es schon immer Verbesserungsvorschläge, wie sie einfacher zu gestalten und weniger belastend durchgeführt werden könnte. Dabei gab es je nach dem, welche Arbeiten es waren, sehr unterschiedliche Merkmale, die Menschen belasteten. Der Frühkapitalismus hatte da zum Beispiel Bergwerke, in denen Kohle abgebaut wurde, wie in England. Sozusagen vor der Haustür von Karl MARX, der mit seiner Familie, seiner Frau Jenny und seinen Kindern in London wohnte. Damalig war Kinderarbeit an der Tagesordnung. Das Konstrukt WORK-LIFE-BALANCE gab es da noch nicht. Es interessierte niemanden, ob Kinder und Männer krank wurden nach wenigen Jahren, wenn sie in den Bergwerken viele Stunden am Tag in den voller Kohlenstaub hängenden Gängen und Flözen schufteten. Diese damals entstandenen Formen von Arbeit fanden zig Korrekturen durch Strukturen, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entwickelt wurden. Arbeitszeiten wurden verkürzt, Gewerkschaften gegründet, die die Interessen der Arbeiter vertreten sollten gegenüber den Betrieben. Krankenkassen wurden gegründet und medizinische Untersuchungen gestartet und Ärzte einbestellt, die die Arbeiter untersuchten.

Ich bin in Dortmund aufgewachsen und so gehörten von kleinauf Bergarbeiter in ihren schwarzen Arbeitskleidern, wenn sie erschöpft oder lallend vom Bier danach nach Hause schlurften zum gewohnten Straßenbild. Sie spiegelten das Leben in weiten Teilen dieser Menschen wieder. Mit ihren Russ und Schmutz verschmierten Gesichtern und Grubenlampen und Helmen auf den Köpfen trotteten sie Straßen entlang oder standen an Ecken an Buden, an denen sie sich ein Bierchen gönnten.

Als Leiterin einer Station im Landeskrankenhaus (LKH) Dortmund durfte ich später selbst mit in die Grube eines Bergwerkes einfahren, in der aktiv Kohle abgebaut wurde. Normalerweise durften Frauen nicht einfahren - aber da ich als Ärztin und Akademikerin eingestuft war, galt das dann bei mir nicht. Ich galt nicht als Frau. Trug Männerkleidung, die ich bekommen hatte in der Waschkaue. Ich durfte schwere, schwarze Lederschuhe tragen, mir einen Helm auf den Kopf setzen, unter dem ich meine langen Haare verstaute und mir die Grubenlampe auch noch auf die Stirn setzen. Dann ging es ab in den kleinen Aufzug, der sich schwankend und polternd in die dunkle Tiefe frass.

Damals, also rund 100 Jahre nach den ersten Bergwerken und bereits zig erfolgten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen sind immer noch unzählige Männer an Staublunge erkrankt. In Alkoholismus versenkten sie ihre Ängste, die sie im Stollen entwickelten, wenn schwierige Abbaugebiete zu bearbeiten waren. Tagesbrüche hielten die Männer in Schach. Grubenunglücke hielten Todesangst immer schön auf Sparflamme wach und wenn es dann soweit war, loderte sie hoch. Es gab, möchte ich mutmaßen, fast keinen Bergmann, der kein Bier trank. Wir waren eben in der Kohle- und Bierstadt, die dann auch noch durch Fussball weltberühmt wurde. Kohle um die Existenz zu sichern, Bier um die Nerven zu beruhigen und Fussball um endlich kritiklos Emotionen ausleben zu können.

Wenn man in NEW YORK nicht viel von Dortmund weiß, aber Borussia kennt man auch in NEW YORK. Damals gab es noch kein WORK-LIFE-BALANCE Denken. Dieses Denken kam erst viel später auf, als man schon anfing, die Bergwerke still zu legen. Brauereien zu schließen und zig Arbeitslose an Ecken und Buden standen, sich ihr Bierchen gönnten und rauchten bei einem Austausch über die Arbeitslage. Vermutlich war dies eine der ersten WORK-LIFE-BALANCE Maßnahmen überhaupt. Die Kneipe im Ruhrgebiet bot schon immer den Tresen als Beichtstuhl an.

Damals wussten die arbeitslosen Bergleute und die Brauereileute nicht weiter. Was sollten sie arbeiten? Womit ihr Geld verdienen?

Sie wussten nicht, um welche Arbeit sie sich hätten kümmern können. Es gab seitdem im Ruhrgebiet unzählige Umstellungen und rasante Weiterentwicklungen, die damals in den siebziger Jahren gar nicht absehbar waren. Schaut man heute auf Dortmund, kann man als Dortmunder eigentlich nur stolz sein, was sich alles entwickelt hat hier, bei uns. Unzählige Angebote aus der Kultur, die selbst vor 10 Jahren so noch nicht denkbar waren, sind heute selbstverständlich. Technische Entwicklungen aus der Region, eine Universität und ein Technologiepark und noch ein eigener Flughafen sind inzwischen schon normal. Es hat sich sehr viel getan. 1988, als ich meine Praxis eröffnete, gab es eine Hand voll Dipl.-Psychologen, die ihre eigene Psychotherapie Praxis eröffnet hatten. Man kannte sich. Heute gibt es mit Sicherheit 100 Praxen in Dortmund.

Ähnliche Entwicklungen wie in Dortmund gibt es landesweit in Deutschland. Vielleicht nicht so krass. Dortmund zählt in der Gegenwart zu den ärmsten Städten in Deutschland. In der Stadtmitte und von den Entwicklungen her gesehen, ob wirtschaftlich mit dem Technologiezentrum, oder Initiativen in der Stadtmitte durch Geschäftsleute - Cityring - und kulturell mit dem U-Turm, Museen, Konzerthaus und zahllosen anderen Initiativen und dem Leben rund um den Phönixsee bietet Dortmund im Gegensatz zu früheren Zeit viele Alternativen für die Freizeitbeschäftigung. Aber es gibt auch viele Arme und Arbeitslose. Und diese Gruppen haben nicht viel Geld zur Verfügung. Sie müssen sich sinnvolle Beschäftigungen suchen, die ihnen etwas geben: Sinn, Bestätigung und vielleicht auch Geld. Viele gehen tatsächlich Flaschen im Abfall suchen, um sie später in Containern der Supermärkte einzulösen gegen ein paar Cent.

Dem Mehrwert ist zwar eine unverhohlen primäre und prestigebeladene Alleinstellung in der Spitze gesellschaftlicher Ziele als Ausfluss eines ökonomischen Denkens vorbehalten. Aber er versagt letztlich als Sinn- und Zielgeber des menschlichen Lebens. Er ist nicht so einzulösen, dass Menschen sich mit Geld allein glücklich fühlen. Jeder kennt den Spruch - und so ist es auch: Geld allein macht nicht glücklich. Das als Lohn ausgezahlte Geld ist der Vermittler zwischen Wünschen und ihrer Erfüllung, wenn man genügend davon hat. Erniedrigt man Menschen jedoch immer mehr und zahlt ihnen immer weniger für ihre geleistete Arbeit, zwingt man sie in die Knie. Sie können sich dann nicht viel leisten.

In den letzten Jahrzehnten konnten Menschen sich immer weniger leisten. Der Gipfel ist, dass es andererseits zunehmend Millionäre gibt.

So zu tun, als habe das eine mit dem anderen nichts zu tun, ist so falsch wie unglaubhaft. Menschen denken an nichts anders als Geldbeschaffung, selbst dann, wenn sie es nicht wollen. Man unterwirft sie. Menschen werden entmenschlicht und entfremdet. Sie fangen an, sich selbst zu benutzen. Sie wollen sich gesund halten, weil sie instinktiv spüren, wenn sie krank werden, ist alles gelaufen. Aber letztlich können sie das nicht. Dazu gibt es Untersuchungen. Zum Beispiel: „Arme Kinder – kranke Kinder“ von Prof. Hurrelmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bereits am 20.2.2005 beschrieben und veröffentlicht. Die Schande ist, dass Menschen diese Zusammenhänge ignorieren. Es wird nicht wirklich etwas dagegen getan. Menschen werden zunehmend unter diesen Arbeitsbedingungen psychisch krank. Eher bekommt man den Eindruck: Schön, dass wir die Zusammenhänge wissen und darüber gesprochen haben. Aber ändern tun wir das nicht. Der ökonomische Nutzen, die Dinge so zu belassen, wie sie sind, ist einfach noch zu groß. Warum sollte man so viele gesunde Menschen haben wollen? Wo man doch schon so viele Arbeitslose und arme Menschen hat.

Andererseits waren Krankenkassen die ersten Einrichtungen, die von Unternehmern unterstützt diesen Aspekt der guten medizinischen Versorgung verstanden und gesamtgesellschaftlich in den Anfängen des Frühkapitalismus umsetzten.

Entspannungsgruppen könnten als Produkte erster Wellness Maßnahmen gelten. Der mächtige und primitive Ausfluss einer Ökonomie, Abhängigkeit von Geld zu schaffen, was Menschen andererseits brauchen, um Leben zu können, brachte andererseits vielschichtige positive Veränderungen für Menschen insgesamt. Nicht nur für Arbeiter und Angestellte. Die Schaffung von definierten Tätigkeiten zu festgelegten Bedingungen brachte Klarheit in Fähigkeiten und ein Weiterdenken, was die Produktionsbedingungen anging.

Denn alles ist nach Geld aufgebaut und berechnet. Platzhalter sind die Persönlichkeit, die Kleidung, das Auto, das Haus und die Anzahl von Urlaubsfahrten. Es ist so einfach wie durchschaubar.

Die an letzter Position stehende BALANCE im Trio wird keineswegs als unwichtigster oder geringster Faktor gewertet, sondern als der, der eigentlich zwischen LIFE und WORK real steht, aber nach hinten geschoben wurde, weil es immer Kämpfe gibt: Die unmittelbaren Kontrahenten stehen einander links und rechts positioniert gegenüber. Nebenbei bemerkt klingt es einfach nicht von LIFE-BALANCE-WORK zu sprechen. Denn dies ist der unbenannt wirkende und verborgene Zauber in dem Trio, der in dieser Formel aufgedeckt, eher dümmer als klüger klingt und nicht erkenntnisschaffend ist.

Nun kommen noch Millionen Menschen weltweit hinzu, die heimatlos geworden, Aufnahme und eine Bleibe suchen. Auch bei uns in Deutschland. Sie verlassen aus unterschiedlichen Gründen ihr Land. Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen sind sie auf der Flucht, um nicht unterzugehen.

In Deutschland bebt die Erde unter den unzähligen neuen Füßen, die nun in Deutschland spazieren gehen und Zuflucht suchen.

Heute spürt und erkennt man sofort, wenn man von WORK-LIFE-BALANCE in Deutschland spricht und die Werbung von der Deutschen Bundes Bahn einem durch den Cortex flattert und ins Bewusstsein schwebt: Entspannt im ICE zwischen Berlin und Hamburg pendeln, ein Hörbuch hören und im Speisesaal nett mit gutem Kaffee frühstücken. Sie riechen frisch aufgebrühten Kaffee. Sehen die Landschaft an sich vorbei ziehen. Sich bewusst entspannen, bis die erhöhte Grundspannung sich im Straßenverkehr von Hamburg wieder einstellt, die Bluthochdruck verspricht, wenn man diese Alltagssituationen nicht in den Griff bekommt. Also bitte, den Tonus wieder absenken! Autofahrer spuken bisweilen Gift und Galle, weil die anderen ja Idioten sind und sich völlig unangemessen, ja falsch, im Straßenverkehr verhalten.

Kennt‘ man ja! So, wie diese dämliche Radfahrerin heute, freundlicherweise heraus gewinkt habe aus ihrer Seitenstraße, weil die Straße gerade frei war, obwohl ich es eilig hatte. Sie trat dann zügig in die Pedale auf die Kreuzung zu und fuhr so, als wolle sie GERADEAUS fahren. Aber was macht sie? Sie setzt keinen Blinker (Arm), sondern zieht ohne Hinweis plötzlich nach links herüber und mir in diesem knappen Winkel fast auf die Autohaube, weil ich inzwischen nochmals die Seitenstraße gecheckt hatte und nun langsam anrollte, um weiterzufahren. In der Sekunde zieht die ihren Lenker nach Links! Ich dachte, ich steh‘ im Wald! Ich bremste abrupt und kam scharf zum Stehen, ohne sie samt Fahrrad auf der Haube zu haben. Die grinst mich blöd an. Keine Spur, dass sie die Gefährlichkeit der Situation gerafft hätte! Ihre beiden Arme immer noch auf dem Lenker. Ich schüttle entgeistert den Kopf. Bleibe ernst, angemessen ernst und fahre dann weiter. Wem ist hier eigentlich nicht zu helfen? Wer ist denn da aus der Spur und setzt Balance, ja LIFE, Leben aufs Spiel?

„Ein zweites Mal gibt‘s das bei mir nicht. Da kann der Radfahrer, oder Radfahrerin warten, bis er/sie sein/ihr Rad freiwillig über die Schulter gehängt über die Straße trägt!“, war mein spontaner Kommentar nachdem ich mich über diese blödsinnig gefährliche Situation beruhigt hatte und dann meinte:

„Mein Gott, ist die mutig!“

Die Rangfolge und was Ursache und Wirkung bei LIFE-WORK-BALANCE ist, ist in alle Ewigkeit festgeschrieben. Kategorien von Fähigkeit und Sein sind nicht austauschbar und es ist tragisch, wenn sie verwechselt werden. Diese Verschiebung der Prioritäten in dem Trio LIFE-WORK-BALANCE spiegelt den Zeitgeist überheblich gewordener Identitätsfindung narrativer Ökonomie wieder und bildet sich eben auch in der Reihenfolge eines ökonomisierten Lebens in WORK-LIFE-BALANCE wieder.

Das kriege ich auch noch hin

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