Читать книгу Das kriege ich auch noch hin - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 8

LIFE-WORK-BALANCE

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Life-Work-Balance erschien mir zu Anfang als Thema eher langweilig und wohl bekannt als graue Maus. Wie viele Magazine und Zeitungen mit Wellness, Urlaubsvorschlägen, Kuren und Ernährungsvorschlägen zum ,gesunden‘ Ausgleich unterwegs sind, ist legendär.

Sie sprudelten mir zunächst durch mein gähnendes Gemüt, weil sie mir sooo wohl bekannt sind.

Ich verließ dieses Terrain und fasste das Thema enger, konkreter um den Menschen herum. Auch hier versprühte LIFE-WORK-BALANCE in mir zunächst wenig Begeisterung, fesselte mich dann doch nach kurzer Zeit recht schnell so stark, dass ich von verschiedenen Seiten her begann, interessiert zu reflektieren, worüber ich mir im Prinzip in den letzten Jahren keine Gedanken mehr gemacht hatte. Und das lohnte sich sehr.

Das Thema Life-Work-Balance war eine Liebe auf den zweiten Blick.

Mit ihm war ich in den Jahren zuvor im Prinzip jeden Tag unter fremder Flagge gesegelt und beschäftigt gewesen. Ich hatte diesen Dauerbrenner nicht Life-Work-Balance genannt, sondern meist oberflächlich Stress und meine persönliche Normalität, die ich jeden Tag auf‘s Neue einzutüten hatte. Sicher erwuchsen aus den zahllosen Verantwortlichkeiten, die sich in meinem Leben auftürmen, Probleme und Konflikte, die ich professionell bemüht war, jeweils zu lösen. Im Großen und Ganzen gelang mir dies auch.

Aber ich stellte nicht die Grundpfeiler in meinem Leben zur Diskussion.

Im Prinzip war ich im Laufe der Jahre zur Dompteuse meines Alltags, in dem sich mein Leben und meine Arbeit schön in Bereichen thematisch gegliedert und zeitlich festgelegt in dichter Aufeinanderfolge munter und zügig bis zügellos ablösten, gereift.

Es war egal, ob ich von Terminkalender oder Alltag sprach, es war im Prinzip das Gleiche. Ich habe es als normal und nicht als Leistung, dies zu können, gesehen, gelebt und erlebt. Ich hatte es mir ja schließlich so ausgesucht und meine Termine, wann ich was tue, festgelegt.

Aber immer öfter hatte ich zwischendurch den Eindruck, dass der Terminkalender festlegte, wie und wann ich was lebte. Egal, ob ich selbst die Termine vereinbarte oder nicht. Selbst Verabredungen mit Freunden und Freundinnen fielen unter Termine. Ab einer bestimmten Stufe fand ich es dann nicht mehr normal, Freunde und Freundinnen unter der Rubrik ,Termin‘ zu verbuchen. Und es sich letztlich wie eine Leistung anfühlte, die ich zu erbringen hatte, wenn ich abends nach einem wie immer langen Arbeitstag mit Familienarbeit auch noch unterwegs war.

Aber ich fühlte mich chancenlos, dies zu ändern.

Freunde und Freundinnen waren Termine, die wahrzunehmen waren. Schließlich waren diese Beziehungen zu pflegen! Wie sieht das denn aus? Sich nicht mehr mit Freunden und Freundinnen zu treffen? Die hätten mich doch gelyncht.

Jetzt kann ich es würdigen, die Bälle in der Luft gehalten zu haben, selbst wenn hin und wieder noch ein oder zwei dazu kamen, oder herunter fielen.

Es ist eine Leistung, all‘ das, was zu meinem, unserem und ganz sicher auch zu Ihrem Leben zählt, irgendwie ausgewogen über die Runden gebracht zu haben.

Mein emotionaler Seismograph zeigte schon immer ,zuviel‘ oder ,zuwenig‘ zuverlässig an. Ob ich dem Zeiger folgte und folge, ist eine andere Sache. Aber dies zu sehen und nicht nur als Gefühl in mir zu tragen, verdanke ich der Beschäftigung mit dem Thema Life-Work-Balance. Ich habe nun mehr Klarheit und Bewusstsein über das Potpourri, wie es sich in meinem Leben abspielt. Auch darüber, wie das Gesamtpaket tagtäglich auch durch Kleinigkeiten beeinflusst wird und alles in neue Positionen und Zeiten schiebt.

Die Stimmung in meinem inneren Leben, womit ich Dinge meine, die allein mich etwas angehen, dann meinem mittleren Leben, wie es durch meine persönlichen Noten von Arbeit und Familie bestimmt ist, und mein äußeres Leben, wie es durch Politik und Ökonomie insgesamt in unserer Stadt und unserem Land beeinflusst wird, traten nicht mehr ausschließlich wie eine Einheit, sondern deutlicher auch in ihren Einzelheiten mit Vor- und Nachteilen hervor. Dies setzte natürlich die Möglichkeit der Veränderbarkeit frei. Die Front der Einheit lockerte sich, wurde sogar bisweilen porös.

In dem Zuge der Reflexion ergaben sich sehr, sehr viele Möglichkeiten, zu Änderungen, die zuvor in dem großen Ganzen letztlich doch untergegangen sind.

Selbst Veränderungen von Kleinigkeiten können sehr viel bewirken.

Nun zähle ich nicht zu den Menschen, die nur selten reflektieren oder Probleme und Konflikte zum Anlass nehmen, Änderungen nicht herbeizuführen. Jedoch habe ich noch einmal mehr analytische Distanz zwischen mich und die Art und Weise, wie ich mein Leben führe, legen können. Verstrebungen der Dinge untereinander hatten nach und nach zu Automatismen aufgrund verselbstverständigter Denkweisen und Handlungen geführt, die in mir zur Überzeugung führten, nichts daran ändern zu können. Aber nun lösten sie sich plötzlich doch. Diese Automatismen hatte ich als zutiefst zugehörig erlebt. Nun erschienen sie ersetzbar und variabel. Heißt, mein Ich bekam allmählich Kontrolle über Gestaltungen meines Lebens, Arbeitens und vor allen Dingen, Terminkalender zurück. Das Ich war nicht mehr abhängig, sondern unabhängig, ja, frei. Verhältnisse wurden umgedreht. Mit diesen gefühlten Einsichten und analytisch erfassten Life-Work-Balance-Feldern lebte es sich ziemlich schnell so, als habe ich viel mehr Kontrolle über das, was sich in meinem Leben abspielt.

Ich bekam etwas zurück, was ich zwischenzeitlich verloren glaubte: Balance.

,Zwischenzeitlich‘, was für ein Wort! Zwischen welchen Stellgrößen passiert eigentlich Leben - mein Leben? Wo passiert es? Ist ein Übergang von einem zum anderen Zustand gemeint? Von A zu B? Zwischen Geburt und Tod? Welche ZEITEN sind gemeint? Und wer bestimmt da, wie ich lebe? Ich wollte nicht irgendwann sagen: Zwischenzeitlich habe ich gelebt. Kontrolle bedeutet auch Balance und Inhalte in meinem Leben beeinflussen zu können.

Dabei bin ich ganz offensichtlich früh angefangen zu üben, Balance zu halten.

Das erste war, nachdem ich mit 8 Monaten ein Füßchen vor das andere setzen konnte, einen kleinen Ball vor mir her in der Nähe des Phönixsee über einen Aschenplatz zu schießen. Es waren die Nachkriegsjahre, die ruhige, kaum befahrene Straßen und leere Plätze im Überfluss zu bieten hatte. Und wenn sich etwas die Straße hinunter bewegte, waren es Pferdefuhrwerke und ganz, ganz wenige Autos. Insofern gab es für mich keine Ablenkungen, auf die Straße zu laufen. Und den scharfen Blicken meiner Mutter konnte ich sowieso nicht entgehen. Aber mit dieser relativen Sicherheit auf der Straße und dem Fehlen einer ständig rufenden Mutter,„Aufpassen! Lauf nicht auf die Straße ...!“, wuchs Sicherheit und Autonomie, die Dinge gut im Griff zu haben automatisch.

Das zweite, was ich lernte war, Roller fahren. Erst war es ein kleiner Holzroller, den ich auf zig geraden Strecken und viele Stunden lang in immer neuen, großen und kleinen Pirouetten, Kreisen und Achten hin und her über die feinen Steinchen jagte.

Ich lernte, Balance zu halten.

Auf dem holprigen Holzroller zu bleiben, nicht mit ihm umzufallen, oder bei schnellen Wendungen das Hinterrad auf den Po zu bekommen - nämlich dann, wenn der Lenker vom Schwung der Fahrt zu sehr nach vorne gedrückt wurde und sich das Hinterteil des Rollers hob - war eines meiner ersten Ziele im Leben.

Das alles machte mir sehr viel Spass.

Ich vergaß, was um mich herum geschah und ließ mich in diesen kleinen Roller und diesen großen, recht dunkel wirkenden Aschenplatz wegen der kleinen glitzernden, schwarzen Steinchen, hineinfallen wie in ein unendliches, buntes Meer von Abendteuern.

Der Platz war mein Freund vom Gefühl her, denn ich kannte das Wort noch nicht.

Er war mein erstes Paradies in dem ich mich so richtig verausgaben konnte. Ich wurde nicht müde, mich immer wieder auf dieses Holz in der Mitte zwischen den Rädern zu stellen und mit einem meiner kleinen Beinchen dem Roller den nötigen Schwung zu geben, damit ich das Gefühl erzeugte, zu fliegen. Ich meine mich zu erinnern, mit ungefähr eineinhalb oder zwei Jahren einen nagelneuen roten Roller mit Schutzblechen und Reifen, die aufgepumpt werden mussten, geschenkt bekommen zu haben. Mit diesem größeren Roller und den neuartigen, weichen Reifen konnte ich auf dem Roller zusätzlich zum schnelleren Fahren herum wippen. Ach, gegen den neuen Roller war der Holzroller eine Null. Er war so steif und die Holzräder hatten oft auf den Steinchen gestoppt. Die Holzräder waren zwar mit einem kleinen schwarzen Gummi zusätzlich bereift. Aber das wirkte sich nur auf glatter Straße oder Bürgersteig als positiv in einem Maße aus, dass es erwähnenswert erscheint. Außerdem hatte der neue Roller mit den roten Schutzblechen eine Bremse, die ich mit der Hacke betätigen konnte. Ich lernte, schnell zu rollern und dann unvermittelt elegant zu bremsen. Zack! Einfach die Hacke auf die Bremse und schon pfiffen die Räder. Ich spürte wie der neue Roller mit dem Hinterrad wegrutschte, aber immer noch von mir kontrolliert werden konnte. Dreck und Staub wirbelten hoch und ich stand wichtig wie ein Schornsteinfeger in einer bräunlich-grauen Staubwolke, die sich prompt auf meinen Kleidern und im Gesicht zeigte.

Eine Bremsaktion, die mit dem Holzroller nicht zu machen war.

Später übertrug ich diese Erfahrung aus der Hacke auf die rechte Hand, mit der ich die Handbremse in meinem damalig schon mittelalterlichen VW Käfer zog! Im Winter besonders bemerkenswert, wenn Schnee auf den Straßen lag, oder sie vereist waren. Der Wagen wedelte mit dem Heck herum. Manchmal gelang es auch, den Wagen vollständig zu drehen. Natürlich nicht auf der Straße. Aber auf einem großen Asphaltplatz zum Üben war dies prima und machte Spass. Es konnte ja nichts passieren. Es war schon wichtig zu wissen, wie so ein Auto im Falle eines Falles reagiert.

Damals, nachdem ich den Roller mit den roten Schutzblechen bekommen hatte, gab ich den Holzroller an meine jüngere Schwester weiter. Da war ich ganz großzügig.

In meiner Kindheit machte es einen Heidenspaß auf diesem neuen Roller immer neue Figuren zu entwickeln. Mal ein Bein in die Höhe strecken, dann das Kinn auf den silbernen Lenker legen und so tun, als sei ich eine Rennfahrerin, die sehr schnell über eine Piste donnert. Mich hinten über dem Hinterrad auf den Gepäckträger zu setzen, funktionierte nicht so gut: Meine Arme waren noch zu kurz. Schließlich war ich erst knapp 2 1/2 Jahren alt, konnte kaum über den Lenker schauen und brachte diesen großen, schweren Roller auf Touren. Aber mich auf den Gepäckträger stellen, das konnte ich. Auch konnte ich trotzdem lenken. Auch hier gelang es mir, ein Bein in die Höhe zu strecken. Eine Ballerina auf dem Roller im Sommer mit rosa Tütü. Im Winter eine Eisprinzessin mit warmer Mütze und Schal um den Hals, der im Wind wehte. Also auf dem Roller wurde bei Wind und Wetter Akrobatik geübt.

Ich hatte aber etwas anderes Wesentliches auch dabei gelernt, was eigentlich Voraussetzung war, mit dem Roller schnell über den Platz und die Bürgersteige zu fahren: Balance. Balance konnte ich gut halten - auch später im Turnunterricht oder auf hohen Mauern oder Holzabgrenzungen, wie es immer noch eine gibt im Romberg Park rund um den See. Das war mein Revier. Ebenso wie Plätze, auf denen stundenlang Rollschuh- oder Schlittschuh gefahren werden konnte und in den Bergen, Ski.

Im Sommer ging ich oft zur Entspannung eine Runde balancieren. Dann war die Welt nach vielem Lernen für das Studium wieder im Lot. Die Augen entspannt. Mein Körper verlor die Anspannung vom Lesen am Schreibtisch oder tippen in die Schreibmaschine. Auf dem Holz entspannte ich mich und balancierte alles fort.

Und ich lernte noch etwas: Zu akzeptieren, dass der Roller müde war abends und schlafen musste, wie meine Oma immer sagte. Natürlich wurde diese Erklärung nicht einfach hingenommen von mir. Sie wurde bequengelt und diskutiert.

Also, es gab auch Grenzen, die beachtet werden mussten, auch wenn es nicht meine waren. Denn ich hätte ja noch ganz lange jeden Tag Roller fahren können!

Insofern, stand ich von kleinauf und schon früh am Tag bereit, etwas zu tun: Rollerfahren. Später war es die Schule. Dann das Studium. Dann die Kliniken. Dann die Praxis. Tätigkeit, die mir Spass macht, war absolut wichtig. Und ist es jetzt noch.

Das ist mein Leben. Und zwar, mit anderen netten Menschen zusammen.

Also, die wichtigsten Dinge für mein Leben habe ich bereits damals, als ich noch klein war, gelernt: Balance halten und mich mit Grenzen anfreunden. Dafür sorgen, dass der Roller morgens wieder fit war, wie Oma mir verstand, klar zu machen.

Denn ich war ja nicht müde ...

Das kriege ich auch noch hin

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