Читать книгу Die Stadt - Elisabeth Lichtenberger - Страница 28

Bauordnungen und Flächenwidmungspläne

Оглавление

Die physische Struktur von Städten als dreidimensionales Gebilde von Freiflächen und verbauten Räumen wird entscheidend durch die Möglichkeiten der Einflußnahme von Stadtbehörden in Form von Bauvorschriften und Bauordnungen bestimmt. Die vertikale Struktur des Baukörpers hängt nicht nur von der Bautechnologie ab. So gab es z.B. die technische Möglichkeit des Hochhausbaus bereits im mittelalterlichen Italien. Die Wohntürme von San Gimignano beweisen es. Die Regierungen der Stadtstaaten zwangen jedoch die Adelsfamilien, ihre Turmbauten abzubrechen. Die Periode eines mittelalterlichen Hochhausbaus in Europa war damit zu Ende.

Die Begrenzung des Baukörpers der Städte in der Vertikalen wurde auch im Absolutismus beibehalten. Aufgrund der Technik der Ziegelbauweise mit dem Leiterngerüst entstand die einheitliche, ruhige Trauflinie einer maximalen Bauhöhe von 26 Metern, welche, erstmals in Paris 1795 in Bauordnungen verankert, über Europa hinweg als „Traufhöhenprinzip“ Nachahmung fand und den europäischen Städtebau bis zum Ersten Weltkrieg bestimmte.

Nordamerika hat Beschränkungen des Bauens in der Vertikalen nie gekannt. Die Fortschritte der Bautechnologie können am Höherziehen der „skyscraper“ abgelesen werden. Traditionelle städtebauliche Vorstellungen, genormte bautechnische Regulierungen und eingespielte verwaltungstechnische Durchführungsbestimmungen verzögerten den Hochhausbau in Europa fast um ein Jahrhundert. Die zentral-periphere Abstufung der Bauhöhe in Form eines Bauklassenprinzips behielt bis in die 50er Jahre des 20. Jh.s ihre Gültigkeit und wurde erst durch die Einführung der Geschoßflächenzahl und damit durch eine in der Vertikalen elastische Bauweise abgelöst. Damit ist auch in Europa der Hochhausbau auf die Bühne getreten (Abb. 2.1).

Allerdings unterscheidet sich seine Verortung im europäischen Stadtraum grundsätzlich von der in Nordamerika. Die neuen Landmarken der City – Banken, Versicherungen, Bürobauten von Großkonzernen und Hotels – halten einen Respektabstand zu den historischen Landmarken der Kirchen, Rathäuser und Schlösser. Es sind – und dies mag den Stadthistoriker interessieren – die historisch-topographischen Grenzen, die Narbenzonen der Städte, in denen man die technische Infrastruktur einbringen kann, die notwendig ist, damit Hochhäuser errichtet werden können. Hochhäuser entstehen ferner dort, wo traditionelle Bauklassen aneinanderstoßen, und markieren damit den Eingang zu älteren Vorstädten und Vororten. Hochhäuser sind überdies ein Instrument der Slumsanierung, ebenso werden sie aber auch bei Wohnsatelliten am Rande der Agglomeration verwendet. Sie markieren die Wachstumsfront des zentralen Geschäftsbezirks und bilden Cityauslieger, wie die UNO-City in Wien und La Défense in Paris (Abb. 2.2).

Ein neues architektonisches Element bilden die Bahnhofsüberbauungen, wie Montparnasse in Paris und der Franz-Josefs-Bahnhof in Wien.

Verkehrsknoten des Massenverkehrs werden in den Millionenstädten dadurch markiert. Hinsichtlich des anzustrebenden Musters von Hochhausbauten im Stadtgebiet bestehen jedoch nirgends städtebauliche Leitbilder.

Vergleichen wir mit Nordamerika. Hier nahmen die städtischen Behörden vor dem Ersten Weltkrieg im wesentlichen in zwei Richtungen Einfluß auf die physischen Erscheinungen von Städten: Erstens in Form von Brandschutzordnungen, zu deren wohl wichtigsten Bestimmungen die Anlage von Außenstiegen zählte, die man daher an allen Gebäuden bis zur Mitte der 50er Jahre des 20. Jh.s findet. Erst der technische Fortschritt durch die Anlage absolut feuerfester Stiegenschächte im Innern ließ sie überflüssig werden.

Zweitens bewahrten sich – noch auf die Landnahmezeit zurückgehend – amerikanische Stadtbehörden eine gewichtige Position in der Festlegung des „open space“, des Freiraums der Städte, und damit in der Straßenplanung. Von der rechtlichen Seite aus ist es damit den US-Stadtbehörden sehr viel leichter möglich, neue Autobahntrassen zu realisieren (Abb. 2.3). Unter dem Druck der großen Automobilkonzerne, denen überdies seit 1962 die Bundesregierung durch ein Autobahnsubventionsgesetz entgegengekommen ist, werden 90 % der Kosten von städtischen Interstate-Highways vom Staat übernommen, sobald ein gesamtstädtischer Verkehrsplan vorliegt. Aufgrund dieses Bedingungsrahmens des Zusammentreffens von Rechtslage, von Interessen der Großindustrie und staatlichen Subventionen ist ein gigantischer innerstädtischer Autobahnbau schon in den 1960er Jahren angelaufen, der den Niedergang der Downtowns auf der einen Seite und die Suburbanisierung der Bevölkerung auf der anderen wie die Auseinanderlegung von Flächennutzungen und die weitere Segregierung der Bevölkerung mitbedingt hat. Los Angeles sei als Beispiel angeführt, wo der 1971 vorliegende Stadtentwicklungsplan ein Gitternetz mit einer Maschenweite von 5 km für den Autobahnbau vorsah.


Abb. 2.2: Paris, La Défense von Westen


Abb. 2.3: Atlanta um 1970

Erst sehr viel später als in Europa, nämlich in der Zwischenkriegszeit, entstanden in den USA Bauordnungen und Flächenwidmungspläne. New York machte 1916 den Anfang. 1926 wurde von der Bundesregierung der „Standard State Zoning Enabling Act“ erlassen, der Kontrollbestimmungen für die Landnutzung, die Höhe der Gebäude usw. umfaßte, jedoch noch immer nicht von allen Staaten angenommen worden ist.

Grundsätzlich weisen US-amerikanische Flächenwidmungspläne eine große Ähnlichkeit mit ihren europäischen Gegenstücken auf, da sie ebenfalls in der Charta von Athen des Städtebaus verankert sind. Sie kamen aber zu spät, um die vorhandene, ausgeprägte physische und sozialökologische Gliederung der Städte zu verändern: die Hochhaussilhouette der Downtown, die Industriezone im Anschluß an den Central Business District (CBD) und die Position der Bahnhöfe, Müllablagerungsflächen u. dgl.

Änderungen dieser Strukturen erwiesen sich als unmöglich, nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Bereitschaft der großen Hypothekenbanken, teure Objekte in billigen Nachbarschaften zu finanzieren. Trotz aller Zoning-Vorschriften war es nicht möglich, den Umbau in neue Bahnen zu lenken und Stadterneuerung in großem Umfang durchzuführen, so wie dies notwendig gewesen wäre.

Die Flächenwidmungspläne wurden jedoch wichtig für die Suburbs. Hier erhielten sie freilich eine ganz andere Funktion als in Europa. Suburbs der Oberschicht begannen seit den zwanziger Jahren sich gegen die aus der Stadt flüchtende Mittelklassebevölkerung durch Vorschriften über die Größe der Grundstücke und die Höhe der Hauswerte zu verbarrikadieren. Die Vororte der Mittelschicht schlossen sich diesem Vorbild an. Wohl waren ihnen campusartig aussehende Industriebetriebe als Steuerträger durchaus willkommen, ihre Restriktionen richteten sich aber gegen das Eindringen von Niedrigeinkommensbeziehern und insbesondere afroamerikanischer Bevölkerung.

Eine Art Schachspiel zwischen verschiedenen Suburbs begann, um unerwünschte Bewerber (welcher Art auch immer) abzuweisen. Flächenwidmungspläne wurden von den Suburbs zu einem Instrument der Segregation hochstilisiert und sind es überall dort geblieben, wo eine größere Differenzierung der Nachfrage nach Grund und Boden besteht.

Ein weiterer Unterschied kommt hinzu. Aufgrund der enormen Bautätigkeit war es nicht möglich, die auf die Einzelparzelle bezogenen Vorschriften, welche in den europäischen Rechtsnormen der Verbauung verankert sind, für Baupläne aufrechtzuerhalten. Es entstand das System der „Subdivision-Control”: Eine Aufschließung wurde überhaupt nur bei Verbauung eines größeren Terrains gestattet, und dann musste für das betreffende Landstück eine private Firma Aufschließungspläne vorlegen und die Durchführung der Aufschließung übernehmen. Diese Prinzipien förderten private Großbaugesellschaften und Großbauprojekte und übertrugen der Privatwirtschaft eine Aufgabe, die in Europa den städtischen Behörden zukommt, nämlich die Anlage von Straßen, Kanälen, Lichtleitungen usw.

In den 1960er Jahren vollzog sich der Schritt zum „Planned Unit Development“, dem gebündelten Paket des Angebotes von Schulen, Freizeiteinrichtungen, Geschäftszentren, Einfamilienhäusern und Arbeitsstätten, darunter neuen Leichtindustrien. Damit emanzipierten sich die Suburbs endgültig von der Kernstadt.


Abb. 2.4: Toronto, Luftbild, 1954


Abb. 2.5: Toronto, Luftbild, 1968

Ebenso wie im europäischen Mittelalter nicht alle Stadtgründungen reüssiert haben, war auch die Anlage derartiger integrierter „Neuer Städte“ in den USA nicht immer und überall erfolgreich.

Eine Vorstellung vom Tempo der Bautätigkeit vermitteln Luftbilder von Toronto aus den Jahren 1954 und 1968, denen die planmäßige Strukturierung des mosaikförmigen Aufschließungssystems der Suburbs im oben angesprochenen Sinne zu entnehmen ist (Abb. 2.4 und 2.5).

Grundsätzlich beruht das Konzept dieser „integrierten Suburbs“ auf dem der Neuen Stadt, wie sie von E. Howard in Großbritannien als Reaktion auf die Mißstände des industriellen Städtewesens erdacht worden war. Zu den Grundvoraussetzungen von Howards Modellen zählte die Kommunalisierung von Grund und Boden, weil nach seiner Auffassung nur dadurch die Bodenspekulation und alle daraus resultierenden Auswüchse beseitigt werden könnten.

Die Bodenfrage zählt seit Howard zur zentralen Thematik der städtischen Gesellschaftspolitik und Stadtplanung. Im Zusammenhang mit ihrer Ideologisierung brechen auch in der Forschung Gräben auf, z.T. zu Unrecht. Die nordamerikanische Entwicklung beweist nämlich, daß sich auch in einem marktwirtschaftlichen System aufgrund der Ideologie der bestmöglichen Vermarktung des Gesamtproduktes Planungskonzepte, wie das der „Neuen Stadt“, verwirklichen lassen. Die Realisierung ist sogar sehr viel leichter und in einer quantitativen Breite möglich, die den aufmerksam durch Nordamerika reisenden Europäer immer wieder in Erstaunen versetzt (Abb. 2.6). Freilich muß eine Einschränkung angebracht werden: Für marginale Bevölkerungsschichten ist in derartigen neuen Suburbs kein Platz.

Der angesprochene Suburbanisierungsvorgang hat in Europa andere Rahmenbedingungen als in Nordamerika. Hierzu zählen:

▪ Die historischen Siedlungsstrukturen eines Netzes von Kleinstädten und Dörfern und damit das daraus entstandene kleinzügige Mosaik der Gemeinden rings um die großen Städte, in denen die Bürgermeister die oberste Bauaufsicht innehaben und gemeinsam mit den lokalen Eliten die Flächennutzung bestimmen. Parzellenweiser Grundstücksverkauf und individuelle Verbauung erfolgen daher vielfach ohne übergeordnete Aufschließungs- und Planungsprinzipien.

▪ Mit Recht wurde für Frankreich das Wort von der „anarchischen Urbanisation“ geprägt, das nun für weite Teile Europas Gültigkeit besitzt (Abb. 2.7). Aus Gründen, die hier nicht näher ausgeführt werden können, okkupieren seit der Zwischenkriegszeit, teils im Anschluß an Dörfer und Kleinstädte, teils unabhängig davon, Einfamilienhausgebiete in allen Größen, Qualitäten und Arten von Bau- und Rechtsformen, von genossenschaftlichen Reihenhaussiedlungen bis zu Übergangsnutzungen mit Brachparzellen als Kapitalanlage und Zweitwohnungen, weite Flächen des Stadtumlandes.

▪ Der aktuelle Suburbanisierungsprozeß wird ganz wesentlich durch den Ausbau der Massenverkehrsmittel und durch den Verkehrsverbund von Kleinstädten im Rahmen der Stadtregion mit der Kernstadt getragen.

Die Stadt

Подняться наверх