Читать книгу Mörderliebe - Elke Maria Pape - Страница 12

Kapitel 9

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„Gaby! Gaby hörst du nicht?”, ihre Mutter fuchtelte mit der Grießbreipackung vor ihrer Nase herum: „Pia muss jetzt ihren Brei essen. Na gut, dann koch ich ihn eben, wenn du es nicht schaffst. Es ist nicht schlimm, hörst du!”

Gabriele Olischewski schrak zusammen. Meistens saß sie aber nur teilnahmslos am Fenster und starrte hinaus. Jetzt nickte sie. Ihre Mutter hatte zurzeit die Führung des Haushalts übernommen. Resolut wie immer krempelte sie die Ärmel hoch und kümmerte sich um alle anfallenden Dinge. Dabei brachte sie niemand von ihrem Anspruch an sich selber ab, sämtliche Hausarbeiten bis zur völligen Perfektion auszuführen, ja auch in dieser Situation.

Oder vielleicht gerade in dieser Situation. Jemand musste ja einen klaren Kopf behalten. Jetzt konnte sie endlich wieder zeigen, was in ihr steckt. Aber Gabriele war zu apathisch, um sie aufzuhalten. Es wäre sowieso nicht richtig gewesen, wenn sie eingegriffen hätte. „Wenn ich hier schon helfe, dann wird es so gemacht, wie ich es für richtig halte!”, pflegte ihre Mutter in solchen Situationen beleidigt von sich zu geben.

Gabriele schaute zur Seite auf ihren Vater, der in einem der Sessel saß und die Zeitung aufgeschlagen hatte. Er schien nicht wirklich zu lesen. Sie merkte, dass er ab und zu über die Zeitung zu ihr herüber blinzelte um dann schnell wieder seinen Kopf hinter die Zeitung zu senken. Gabriele Olischewski wusste genau, dass er sich große Sorgen um sie machte, doch in seiner langjährigen, jetzt fast vierzigjährigen Ehe hatte er gelernt, besser den Mund zu halten.

Er war ein sehr ruhiger und besonnener Mann und er kam einfach nicht an gegen seine alles wissende, und vor allen Dingen besser wissende Gattin. Ja, er fürchtete geradezu ihren Zorn, ihre schrille Stimme und ihre Wortgewandtheit, wenn es darum ging, ihn anzugreifen.

Er ist das, was ich in meiner Ehe war! Ganz plötzlich erkannte Gabriele das.

Als Kind und später als Jugendliche hatte sie ihren Vater eher als schwächlich angesehen. Mein Gott, warum steht er nicht einmal auf und zeigt Rückgrat, so empfand sie es jahrelang. Warum wehrt er sich nicht, vertritt seine Meinung, im Freundeskreis ihrer Eltern, auf seiner Arbeitsstelle, einfach überall, so dachte sie damals, ist er schwach.

Ein Feigling. Ein Trottel.

Ja, das war es wahrscheinlich, was auch ihre Mutter in ihm sah. Einen Trottel! Sie schämte sich noch heute für ihre damaligen Gedanken. Und wie ihr Vater da so saß, manchmal verstohlen und doch sorgenvoll zu ihr herüber schaute, da empfand sie plötzlich eine noch nie empfundene zärtliche Liebe für ihn.

Vielleicht war es das, grübelte sie, was sie damals letztendlich in die Arme von Fritz getrieben hatte. Er war einige Jahre älter als sie und strahlte gerade die Stärke und Entschlossenheit aus, die sie sich immer bei einem Mann herbeigesehnt hatte. Außerdem war er damals auch noch nicht so fett. Ein stattlicher Mann! Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn auf dem hiesigen Dorffest das erste Mal wahrgenommen hatte. Komisch, dass es in Beziehungen oft so war, das Eigenarten des anderen, die einen zuerst faszinierten, am Schluss genau die Charakterzüge waren, die man am meisten hasste oder fürchtete.

Fritz hatte sie einfach angesprochen, sie trafen sich dann immer öfter, oder besser gesagt, er führte sie aus, nahm sie mit auf Feste, Veranstaltungen oder in Restaurants. Sie hatte sich sicher gefühlt in seiner Nähe und hielt das für Liebe. Er beriet sie in Kleiderfragen, sagte ihr, was ihr seiner Meinung nach stand und bestand darauf, dass sie sich nicht mehr die Nägel lackierte. „Natur pur.”, pflegte er zu sagen. „Ich möchte keine angemalte Frau haben, verstehst du!”

Sie machte es so wie er es wollte. Sie war noch auf der Suche gewesen, hatte kein Gefühl für ihren eigenen Stil gehabt. Geheiratet wurde ziemlich schnell. Gabriele war schwanger und hatte erst große Angst gehabt, dass sie in irgendeiner Art seine Zukunftspläne durchkreuzte. Aber er war wohl stolz, dass er ein Kind gezeugt hatte. Einen Sohn natürlich. Einen Stammhalter. Davon ging er aus. Als Pia geboren wurde, konnte man ihm seine Enttäuschung ansehen. Ein Mädchen, bloß ein Mädchen! Kein wilder Raufbold, mit dem er Fußball spielen konnte, mit dem er vor seinen Stammtischbrüdern prahlen konnte.

Pia war ihr Mädchen. Sie hatte sie für sich alleine, stundenlang konnte sie in ihr niedliches Gesicht schauen, konnte sich nicht satt sehen an den wunderschönen blauen Augen, den kleinen speckigen Ärmchen und dem feinen Haarflaum. Und manchmal, selten, hatte sie sogar Fritz beobachten können, wie er sich zu ihrem Bettchen herunterbeugte und sie streichelte. Etwas, das sie nicht wollte!

Gabriele tat sich schwer damit, war eifersüchtig gewesen. Nur zu gut konnte sie sich an dieses nagende Gefühl erinnern. Jetzt hatte sie Pia wieder für sich allein. Er war weg, weg für immer. Jemand hatte ihn ermordet. Erschossen! Wer hatte das getan? Die letzten Wochen dachte sie permanent darüber nach und kam zu keiner Antwort. Sie wusste nicht, was ihr Mann so alles getrieben hatte, wenn er außer Haus war. Und er war oft abwesend gewesen. Gab es jemanden, der ihn so gehasst hat?

Er besaß ja eine Art, die die Leute vor den Kopf stieß. War er bei jemand zu weit gegangen? Sie wusste es nicht, sie war sich auch nicht sicher, ob sie es wissen wollte. Fritz war tot. Er würde nie wieder ins Haus kommen in seiner lauten, polternden Art, würde nie wieder ihr Aussehen kritisieren, nie wieder den Garten so herrichten, als würde er eine Wasserwaage an die Beete halten und sich nie wieder in die Erziehung von Pia einmischen. „Du bist zu weich mit dem Kind, Gaby, du packst es in Watte, was soll denn mal aus ihr werden?” Worte, die sie nie wieder hören müsste. Aus, vorbei! Endgültig.

Sie hatte sich bemüht, so etwas wie Trauer zu empfinden, aber außer der beunruhigenden Frage, wer ihren Mann erschossen haben könnte, wollte sich einfach kein Bedauern über den Verlust einstellen. Nein, Gabriele Olischewski trauerte nicht um ihren Mann. Jetzt stand sie auf und ging ins Bad. Ihre Eltern schauten fragend hinter ihr her. Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, hatte sie ein kleines Fläschchen in der Hand. Sie setzte sich neben ihren Vater an den Wohnzimmertisch und begann sich ihre Nägel in einer leuchtend roten Farbe zu lackieren.

Mörderliebe

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