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Kapitel 10

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„Und?” Karla schaute in ihre Unterlagen. „Gefällt es Ihnen in ihrer Pension?”, fragte sie, ohne ihn dabei anzusehen.

Zacharias Weinfeld nickte: „Ja, es ist ganz nett. Ich hab sogar ein eigenes Bad!” Jetzt starrte sie ihn mit blitzenden Augen an: „Was glauben Sie? Das wir hier auf dem Lande noch Hotelzimmer haben, wo die Toilette auf dem Gang ist?” Sie wirkte gereizt.

„Entschuldigung!”, sagte er schnell.

„Schon gut!” Karla atmete tief durch. „Nein, wissen Sie, es regte mich ganz einfach wahnsinnig auf, welches Bild Städter so vom Landleben haben. Wahrscheinlich liegt das an diesen bekloppten Krimiserien im Fernsehen, in denen die Landbevölkerung immer als ein Haufen griesgrämig reinblickender, Gummistiefeln tragender Vollidioten dargestellt wird, die sich jeden Abend in einer heruntergekommenen Gaststätte treffen, in der noch das Mobiliar aus den Sechzigern steht, und die wahlweise Dorfkrug oder Zum Hirschen heißen.“ Sie raufte sich die Haare und atmete erneut hörbar tief ein und aus.

Zacharias lächelte.

Er konnte ihren Ärger und ihre Anspannung gut verstehen.

Kein Wunder, dachte er, es kommt ja hier nicht alle Tage vor, dass man gleich zwei ungeklärte Mordfälle auf dem Tisch hat. Von seinem Platz aus versuchte er, sie unauffällig zu beobachten. Er hatte gehört, dass sie zehn Jahre älter ist als er, also 42!

Sie war nicht unattraktiv, das musste er zugeben. Vielleicht nicht sein Typ, aber er konnte sich durchaus vorstellen, dass sie bei einigen Männern gut ankam. Sie war groß, üppig und hatte, auch das war ihm aufgefallen, wunderschöne Augen, die jetzt aufgeregt funkelten.

Er versuchte sich wieder auf die Akten zu konzentrieren. Gleich würden sie den Neffen der ermordeten Carola Schmidt bringen. Ein 25-jähriges Bürschchen, der schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Ein paar Einbrüche, Drogendelikte, das Übliche halt, und chronische Geldnot. Nachbarn von Frau Schmidt haben ihn in letzter Zeit immer öfter bei ihr gesehen. Oft war er nur kurz da gewesen, schwatzte seiner alten Tante Geld ab und suchte dann schnell das Weite. Manchmal hatte die Tante auch nicht die Tür geöffnet, glaubte wahrscheinlich, ihr Neffe würde dann mit einem Schulterzucken wieder gehen. Aber das funktionierte meistens nicht, wie verschiedene Nachbarn berichteten. Ihr Neffe Tobias pflegte in diesem Fall gegen die Wohnungstür zu trommeln, wohl wissend, dass die Tante ihm lieber Geld gab, als Aufsehen bei den Nachbarn zu erregen.

Karla sah in bereits. Zwei uniformierte Beamte hatten ihn im Schlepptau. Er war sehr groß, mindestens ein Meter neunzig, von dürrer Gestalt, schlaksig und hatte schwarz gefärbte Haare, die sich sicher über etwas Wasser und Shampoo gefreut hätten. Zacharias Weinfeld wies ihn beim Hereinkommen an, sich auf den für ihn bereitgestellten Stuhl zu setzten, was Tobias Schmidt widerwillig und Kaugummi kauend befolgte.

„Er ist doch auf Drogen überprüft worden?” Zacharias wandte sich an die beiden Uniformierten. „ Nicht, dass wir seine Aussage hier wiederholen müssen!” Die beiden Beamten nickten: „Ja, da ist alles in Ordnung. Er scheint heute mal nicht zu gedröhnt zu sein! Aber wir bleiben zur Sicherheit vor der Tür. Man weiß ja nie!” Zacharias Weinfeld schloss die Tür und sofort stieg ihm der abgestandene Geruch in die Nase, der von Tobias Schmidt ausging, und der sich in dem kleinen Raum bei geschlossener Tür ziemlich schnell auszubreiten schien. Ein Geruch, der sich zwischen ungewaschener Kleidung, Tabak und Körperausdünstungen bewegte. Er nahm neben Karla Albrecht Platz, direkt gegenüber von Tobias, so dass beide ihn gut im Blick hatten. Zacharias hatte schon öfter mit diesem Klientel zu tun gehabt und so legte er sich meistens vorher in Gedanken eine Strategie zurecht, welche Fragen er wie stellen wollte.

„Ihr Scheißbullen, was wollt ihr jetzt schon wieder von mir. Was soll das? Ich hab nichts mit dem Tot der Alten zu tun. Lasst mich hier raus, ich hab noch was vor!”, schrie Tobias aus Leibeskräften und machte so alle Befragungspläne von Zacharias zunichte. Er sprang mit einem Satz von seinem Stuhl und griff mit seinen langen, dürren Händen über den Tisch. Die beiden Polizeibeamten, die vor der Tür standen, stürmten herein, packten ihn an der Schulter und drückten ihn mit Gewalt wieder in seinen Stuhl zurück. „Jetzt geben Sie erst einmal Ruhe!” Zacharias schäumte vor Wut. „Sie bleiben exakt auf diesem Stuhl sitzen und werden uns ausführlich, hören Sie, ausführlich, unsere Fragen beantworten. Eher kommen Sie hier nicht raus. Verstanden? Und nehmen Sie ihr Kaugummi aus dem Mund!” Er gab Tobias ein Stück Papier, in das er sein Kaugummi reinspuckte, wobei er Karla und Zacharias provozierend anstarrte.

„Wann waren Sie das letzte Mal bei Ihrer Tante? Genaue Angaben bitte!” „Mann, das weiß ich doch jetzt nicht mehr. Irgendwann letzte Woche. Da war sie aber nicht da. Jedenfalls hat keiner aufgemacht. Jetzt weiß ich warum!” Tobias kratzte sich am Kopf: „Ihr könnt doch nicht wirklich denken, ich hätte meine Tante kaltgemacht. Wie blöd seid ihr eigentlich? Sie hat mir oft Geld gegeben, Mann. So eine bring ich doch nicht um!”

Zacharias wurde so langsam immer ungehaltener. „Passen Sie bloß auf, was Sie sagen!” Er war aufgesprungen und hatte sich drohend vor dem jungen Mann aufgebaut.

Karla machte eine beschwichtigende Handbewegung in seine Richtung. Bisher hatte sie noch kein Wort gesagt.

„Was haben Sie denn noch vor?”, fragte sie Tobias freundlich und ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. Ihre Stimme war leise, so dass er sich, ohne es anscheinend zu bemerken, in ihre Richtung beugte.

„Wie?” Tobias Schmidt reagierte verwirrt. „Habt ihr jetzt eure Methode geändert? Ist jetzt der nette Bulle dran? Wie, was hab ich noch vor? Was soll das?”

„Na, ja, Sie sagten doch eben, dass Sie heute noch etwas vorhaben. Um was handelt es sich dabei?” Karlas Augen fixierten ihn sekundenlang und nahmen eine undefinierbare Farbe an. „Ich meine, Sie müssen uns doch sagen können, was!”

Tobias sah verdutzt zu ihr herüber: „Ein paar Kumpels treffen, ein paar Geschäfte, alles klar?” Er klang jetzt etwas kleinlauter.

„Was für Geschäfte?”

„Kann ich eine rauchen?” Tobias fingerte nervös an seiner schmierigen Jeans herum und er zog eine zerknitterte Zigarettenschachtel heraus.

„Nein!” Karla hatte noch immer ihren Blick starr auf ihn gerichtet. In ihrem Gesicht war nicht die geringste Regung abzulesen. Zacharias war beeindruckt. Was hatte sie vor?

„Leute, ihr wisst doch, dass ich ab und zu etwas verkaufe, ein bisschen Gras, mehr nicht!”

Karla Albrecht hatte die Fotos seiner Tante so blitzartig vor ihn auf den Tisch geknallt, dass er von dem Anblick der Leiche regelrecht wie erschlagen war. Die Tatortbilder waren von den Scheinwerfern und grellen Lichtern in der Wohnung so ausgeleuchtet worden, dass man jedes Detail des Verwesungsprozesses genau erkennen konnte.

Tobias schnappte hörbar nach Luft.

In seinem Kopf hämmerte es wie wild. Und so langsam spürte er auch die Entzugserscheinungen. Sein Puls raste. Scheiße, er brauchte dringend etwas.

Nein, dachte er, nein. Das kann sie gar nicht sein. Die wollen mich hier fertigmachen! So hab ich meine Tante nicht in Erinnerung. Das ist sie gar nicht. Das konnte sie nicht sein. Seine Tante, die immer so Wert gelegt hatte auf ordentliche Kleidung, auf Etikette.

Lag dort heruntergerutscht auf ihrem Fernsehsessel. Der grüne Fernsehsessel, auf dem sie immer saß, den er so gehasst hatte. Weil er für ihn der Inbegriff ihrer Spießigkeit war. Und was war mit den Augenhöhlen. Sahen so Augen aus, wenn sie begannen zu verwesen?

Er merkte, dass seine Stirn schweißnass war. Sein ganzer Körper schien im Schweiß zu baden. Er hatte fürchterliche Angst. Diese Kommissarin, die merkt das, schoss ihm durch den Kopf. Die weiß es ganz genau. Er hatte den Eindruck, dass ihre durchdringenden Augen in ihn hinein sahen, bis zum Kern.

„Ich brauche was.”, stieß er hervor: „ Irgendwas, eine Tablette, irgendwas. Lasst mich wenigstens rauchen!”

Zacharias Weinfeld schob Tobias die zerknitterte Zigarettenschachtel rüber. Mit zittrigen Fingern zündete er sich eine Zigarette an und zog gierig den Rauch ein.

Sie ließen ihm Zeit. Er schien sich zu beruhigen.

Nach einigen Minuten der Stille begann er zu erzählen: „Sie war die Schwester von meinem Vater! Im Grunde genommen war sie die einzige, die ich noch hatte.“ Seine Stimme klang jetzt weinerlich. „Meine Mutter ist tot, Krebs. Und mein Alter, also ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Er hat immer so viel gesoffen, ich weiß noch nicht mal, wo er jetzt wohnt. Meine Tante wollte mich wohl wieder auf den rechten Weg bringen. Sie glaubte, das wäre ihre Aufgabe. Ständig hat sie gequengelt, ich solle bei ihr vorbeikommen. Na ja, ich hab ihr manchmal den Gefallen getan. Es gab hinterher meistens ein bisschen Geld. Sie hatte ja genug davon. Schließlich war sie früher Lehrerin. Da hat man doch eine gute Beamtenpension. Aber geizig war die, das kann ich ihnen sagen. Wenn ich Geld haben wollte, musste ich etwas dafür tun. Ich bin immer mit halbwegs heiler Kleidung bei ihr aufgetaucht, frisch gekämmt natürlich. Das musste sein! Und dann hab ich mich hinsetzten müssen, natürlich durfte ich nicht in ihren Fernsehsessel, da saß sie immer.” Er schluckte schwer und schaute auf die Bilder. „Dann begann sie endlos lange Geschichten zu erzählen, von früher und so, verstehen Sie? Mich hat das nicht ein Funken interessiert. Aber sie hatte ja sonst niemanden, außer vielleicht ihren Kaffeeklatschclub. Und ich hab die ganze Zeit da gesessen, hab nur gedacht, wann ist sie endlich fertig. Später hat sie mich dann immer betteln lassen, ich glaube, sie hat das regelrecht genossen, mich betteln zu sehen wegen dem scheiß Geld, was ich von ihr wollte. Und dann ich sie meist aufgestanden, mit diesem wie-kann-man-nur-so-tief-sinken-Blick und ist zu einem ihrer vielen Geldverstecke gegangen, die in der ganzen Wohnung verteilt waren. Sie war ja immer so misstrauisch. Wahrscheinlich dachte sie, bei dem Neffen, man kann ja nie wissen!”, schloss Tobias und er war so erschöpft, dass er nicht merkte, dass die Asche von seiner Zigarette auf den Tisch fiel.

„Ja, wir wissen davon!”, sagte Karla. „Wir haben an mehreren Orten in der Wohnung Geldbeträge gefunden. Wie es aussieht, fehlt nichts.”

Sie erinnerte sich daran, wie sie bei der Durchsuchung der Wohnung in mindestens zehn Verstecken teilweise hohe Geldbeträge gefunden hatten und wie verblüffte sie alle waren. Niemand hatte bei dieser Wohnungseinrichtung vermutet, dass die alte Dame über ein ganz beträchtliches Barvermögen verfügen konnte.

Carola Schmidt war, was die Art der Verstecke anbetrifft, sogar sehr erfinderisch gewesen. Und sie hatte bei jeder Summe einen Zettel dazu gelegt, auf welchem vermerkt war, wie viel Geld der jeweilige Stapel enthielt. Karla würde nie begreifen, was einen Menschen dazu trieb, so geizig zu sein.

Sie schaute rüber zu Zacharias Weinfeld. Dieser nickte ihr zu.

„O.k.” Karla zeigte mit einer flüchtigen Handbewegung in Richtung Tobias. „Sie können gehen!”

Tobias zuckte zusammen und schaute die beiden Kommissare entgeistert an, dann fing er sich aber recht schnell wieder. Erleichtert, dass er so schnell davongekommen war, beeilte er sich aufzustehen. Beim Herausgehen warf er noch einmal einen Blick auf die Bilder vom Tatort.

Jetzt sah er es und seine Augen weiteten sich vor Entsetzten.

„Oh Scheiße, mein Schal!”, schrie er. „Mein Schal. Das ist mein Schal, den sie um den Hals hat. Oh Gott, den hab ich mal bei ihr vergessen. Ist sie mit diesem Schal ermordet worden? Oh bitte nicht, nicht mit meinem Schal. Ich war das nicht! Bitte glaubt mir!”

Er brach fast zusammen und die beiden uniformierten Beamten, die die ganze Zeit regungslos an der Wand gestanden hatten, griffen ihm unter die Arme und führten ihn heraus. Tobias Schmidt wirkte wie ein Häufchen Elend, wie ein Schatten seiner selbst, wie ein Mensch, der einen anderen Menschen verloren hatte, ohne ihm je gesagt zu haben, wie viel ihm dieser Mensch vielleicht doch bedeutet hatte.

„Er war es nicht!” Karla schaute zu Zacharias und der nickte nur.

Mörderliebe

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