Читать книгу Deutschland – deine Politiker - Friedemann Weckbach-Mara - Страница 15

Vertuschungsversuche und Todeskämpfe der Mächtigen

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Beim späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt21 sollte die erste schwere Erkrankung in seiner Amtszeit ganz geheim bleiben. Es ist der 12. Oktober 1981. Schmidt fliegt im Alter von 62 Jahren mit dem Hubschrauber zu seinem Arzt Dr. Völpel ins Bundeswehrzentralkrankenhaus von Koblenz. Offizielle Erklärung: „Fieberhafter Infekt.“ Diese Beschwichtigung war kein Einzelfall.


Helmut Schmidt beim Interview vor seiner Krankheit

So hatten „Spiegel“, Nachrichtenagenturen und Zeitungen bereits am 27. Januar 1981 gemeldet, Bundeskanzler Schmidt sei herzkrank und habe keine rechte Lust mehr am Regieren. Das Dementi des damaligen Regierungssprechers Kurt Becker: „Der Kanzler ist gesund und in einem erstklassigen Leistungszustand. Da müssen Intriganten am Werk gewesen sein, die ich aber noch nicht ausgemacht habe.“ Am 13. Oktober 1981 meldete Becker harmlos „einen fieberhaften Infekt“. Meine Recherche vor Ort ergab dagegen: Tatsächlich ist Schmidt während einer Voruntersuchung im Bundeswehrzentralkrankenhaus mehrmals bewusstlos geworden.

Statt der angeblichen Grippe beginnt unter Leitung von Professor Satter und Dr. Völpel um 17.00 Uhr der einstündige Eingriff: Unter örtlicher Betäubung erhält Schmidt einen Herzschrittmacher, 40 Gramm schwer, so klein wie eine flache Streichholzschachtel, gibt 70 Stromstöße in der Minute. Danach erstes Telefonat mit seiner Loki, die mir hinterher sagt: „Jetzt bin ich sehr erleichtert, dass er mir sagte, es geht ihm wieder besser.“ Seinem Vertrauten Wischnewski kündigt er an: „Nächste Woche bin ich wieder an Deck.“ Am 17. Oktober lässt Loki Schmidt ein weißes Papierband vor die Tür zum Krankenzimmer ihres Mannes spannen, zerschneidet es am Abend, als Helmut Schmidt die Tür öffnet: „Ein Symbol für den neuen Lebensabschnitt.“ Noch Jahrzehnte später erleben wir, wie er geistig topfit mit über 90 Jahren am Schreibtisch sitzt, Schnupftabak und Zigarette in der Hand Rauchverbote als „Prohibition“ (englisch ausgesprochen) abtut oder in Talkshows hellwach die große Politik erklärt.

Die damalige Geheimniskrämerei um die ersten Tage im Krankenhaus ist auch nicht auf seinem Mist gewachsen, sondern das Werk des glücklosen Regierungssprechers Kurt Becker mit seinen 16 Monaten Amtszeit. Im Umgang mit Krankheiten seines Chefs hatte er sich offenbar an früheren Beispielen orientiert. So erlitt der damalige SPD-Chef Willy Brandt Mitte November 1978 einen Herzinfarkt. Erste vorsichtige Meldungen darüber dementierte die Parteizentrale energisch. Statt eine Lungenentzündung und einen Infarkt der vorderen Herzwand einzugestehen, beschimpften Brandt-Mitarbeiter die Journalisten und verbreiteten: „Der SPD-Vorsitzende hat eine Grippe. kein Anlass zur Sorge!“ Ähnlich ging auch Schmidts Amtsnachfolger Helmut Kohl22 Jahre später vor.

Im November 1995 erklärte das Bonner Bundeskanzleramt immer wieder, Helmut Kohl habe eine schwere Grippe und schone sich für die Asien-Reise. Kohls Helfer schilderten sogar detailliert, wie der Kanzler zu Hause in Oggersheim von Ehefrau Hannelore23 mit frischem Zitronen- und Orangensaft und heißem Tee kuriert werde. Doch das alles war nicht einmal die halbe Wahrheit: Tatsächlich hatte Helmut Kohl so starke Schmerzen, dass er in die Mainzer Universitätsklinik fuhr. Dort gab es statt Zitronensaft eine Operation an der Prostata. Gleichzeitig erfuhren wir, dass Kohl sechs Jahre zuvor schon einmal von Professor Rudolf Hohenfellner operiert wurde und 1992 ein zweites Mal.

Als das Magazin „Focus“ am 4. November um 8.16 Uhr die Nachricht über Kohls Prostata-Operation veröffentlichte, dementierte die Bundesregierung den Krankenhausaufenthalt des Kanzlers zunächst entschieden. Um 10.36 Uhr tickerte Reuter: „Bericht über Kohls Operation dementiert“. Dann, gegen 11.00 Uhr, erklärte ein Regierungssprecher vorsichtig: „Wir suchen jetzt nach einer offiziellen Sprachregelung.“ Um 12.04 Uhr tickerte die Agentur ap: „Kohl war doch an Prostata erkrankt – Neu: Bundespresseamt relativiert frühere Aussagen“. Kohl sei an einem „grippalen Infekt, verbunden mit einer Prostata-Infektion“ erkrankt.

Noch dauerhafter als Schmidt und später Kohl verschwieg Vizekanzler Genscher seine Krankheiten. Über Jahre dementierte er heftig alle Berichte über Herzinfarkte. Davon ist mir der 24. November 1977 in besonderer Erinnerung. Für diesen Donnerstag hatten wir, wie Tage zuvor bereits angekündigt, die Leser aufgerufen, Vizekanzler, Außenminister und FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher bei uns in der Redaktion anzurufen. Zwei Extraleitungen waren für die Telefonaktion geschaltet. Der Ankündigungstext ließ auf einen erfolgreichen Tag hoffen: „Heute, wenige Tage nach der weltbewegenden Reise Sadats nach Israel, können Sie mit Bundesaußenminister Genscher zwischen elf und zwölf Uhr am ‚Bild‘-Telefon über alle wichtigen Fragen sprechen: Wird die FDP 1980 wieder mit der SPD zusammengehen? Was halten Sie von einer Großen Koalition? Wann gibt es eine internationale Konvention gegen Luftpiraten? Wird die Regierung neue Initiativen ergreifen, um die Zahl der Arbeitslosen von fast einer Million spürbar zu senken? Wie bewähren sich die CDU/FDP-Regierungen in Niedersachsen und im Saarland?“


Hannelore Kohl in der Bonner Beethoven-Halle (links meine Frau Ute)


Der junge Hans-Dietrich Genscher im Interview

Kurz nach neun Uhr kam ein Anruf, Genscher habe leider Fieber, deshalb müsse an seiner Stelle FDP-Fraktionschef Wolfgang Mischnick kommen. Spontan rief ich in Genschers Privatwohnung an. Seine Frau, die ich von zahlreichen Auslandsreisen an der Seite ihres Mannes kannte, wirkte bedrückt und meinte, es gebe einen Verdacht auf Herzinfarkt. Doch schon wenige Minuten danach rief Genschers Sprecher bei mir an und erklärte mit aller Bestimmtheit, ich hätte Frau Barbara Genscher falsch verstanden. Von Herzinfarkt könne keine Rede sein. Es gebe den Verdacht auf eine verschleppte Lungenentzündung. Deshalb sei er am späten Mittwochabend begleitet von seiner Frau in das Bonner Malteser-Krankenhaus gebracht worden. Das mussten wir so hinnehmen. Trotzdem habe ich in der Folgezeit mehrmals Genscher direkt darauf angesprochen. Er hat mir stets klipp und klar gesagt, es habe nie einen Herzinfarkt gegeben. Bei dieser glatten Lüge betonte er sogar: „Dass es keinen Herzinfarkt gab, kann man heute bei jedem EKG erkennen.“


Mit Barbara Genscher in Moskau

Erst im November 1981 gestand Genscher beim Redaktionsbesuch: „Ich hatte am 23. November 1977 einen Herzinfarkt. Deshalb musste ich damals sechs Wochen pausieren.“ Der dritte Herzinfarkt holte ihn im Sommer 1989 ein, dazwischen gab es immer wieder verschwiegene Herzrhythmusstörungen. 2005 kam ein lebensgefährlicher Darmverschluss hinzu und am 27. März 2012 musste er, gerade 85 Jahre geworden, an der Herzklappe operiert werden.

Im Gegensatz zu Genscher ging Franz Josef Strauß24 mit seinen Erkrankungen offen um. Als es mit ihm zu Ende ging, wurde die Krankengeschichte traurig kompliziert. Der CSU-Chef und Ministerpräsident von Bayern steuerte noch mit seinen 73 Jahren leidenschaftlich gern das Flugzeug und wie Kenner bestätigten gekonnt. So auch bei seinem letzten Flug. Da gab es plötzlich einen Druckabfall in der Kabine. Begleiter berichteten, dass er „bilderbuchmäßig“ die Maschine im schnellen Sinkflug stabilisierte. Trotzdem bereitete der heftige Druckabfall den Passagieren erhebliche Unannehmlichkeiten. Für den Kreislauf älterer Menschen ein Problem, das oft länger anhält. Offenbar auch bei Strauß. Zurück in München, ging er mit Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU, bekannter Verfassungsrechtler, für ein Jahr bis April 1989 Verteidigungsminister) am 1. Oktober 1988 zum Oktoberfest und gleich anschließend auf die Jagd ins Revier des Fürsten Johannes von Thurn und Taxis.


Franz Josef Strauß, in Bonn auf der Straße zum Interview eingefangen

Um 16.00 Uhr bricht er vor der Jagdhütte zusammen. Herbeigeeilte Notärzte stellen „tiefe Bewusstlosigkeit“ fest und unternehmen die üblichen Wiederbelebungen. Dabei können schon mal Rippen brechen. Beim Luftröhrenschnitt erwischt es auch die Speiseröhre. Ein Rettungshubschrauber fliegt den Patienten ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Regensburg. Zusätzliches Medizingerät wird aus München eingeflogen. Doch Strauß wacht nicht mehr auf. Am 3. Oktober 1988 stirbt er um 11.45 Uhr. Nachfolger im CSU-Vorsitz wird Theo Waigel.

Der große SPD-Politiker Peter Struck25 hatte da zunächst mehr Glück mit seinen Schlaganfällen und Herzinfarkten. Es ist der 24. Juni 2000. Ich fahre nichtsahnend zu dem sympathischen Vollblutpolitiker nach Uelzen. Er sitzt mir vergnügt mit der obligatorischen Pfeife gegenüber, da sehe ich eine frische Narbe am Hals. Freimütig erzählt er: „Ich war zur Routineuntersuchung beim Hausarzt und sagte ihm, dass ich wiederholt sekundenlang Sehstörungen habe. Da hat er mich direkt zum Chef der gefäßchirurgischen Abteilung unseres Krankenhauses hier in Uelzen geschickt. Mit Ultraschall und Computertomographie stellte der Arzt fest, dass meine Halsschlagader zu 95 Prozent verschlossen war. Kurz danach wurde ich operiert.“ Dabei wurden aus der zum Gehirn führenden Halsschlagader die Ablagerungen aus Kalk, Fettrückständen und Blutgerinnsel entfernt: „Wenn ich heute die Narbe im Spiegel sehe, wird mir bewusst: Ich war kurz vor einem Schlaganfall, wäre sicherlich linksseitig gelähmt und möglicherweise als Pflegefall im Rollstuhl gelandet. Ich bin froh, dass ich noch einmal davongekommen bin.“ Struck versprach damals seiner Frau Brigitte weniger Tabak und mehr Bewegung. Für seine Berliner Wohnung kaufte er einen Hometrainer, der aber schnell zum Kleiderständer mutierte. Die Pfeife blieb sein Markenzeichen, auch als im Reichstag ein Rauchverbot verhängt wurde.

Dann der nächste Schlag für ihn Anfang Juni. Spät und sehr müde geht Verteidigungsminister Peter Struck zu Bett. Es ist lange nach Mitternacht, da wacht er auf. Ihm ist übel, er fühlt sich wie gelähmt, versucht mit seinen Personenschützern zu telefonieren, heraus kommt aber nur unklares Gestammel. Die Leibwächter erkennen sofort, dass ein Notarzt kommen muss: „Chef, der Arzt ist schon unterwegs.“ Der Schlaganfall wird in der Charité behandelt. Die Öffentlichkeit erfährt nichts davon. Sein Sprecher und Freund Norbert Bicher erklärt die Abwesenheit des Ministers mit Kreislaufproblemen und einem Schwächeanfall. Zehn Wochen muss Struck um seine Rückkehr ins gesunde Leben kämpfen, seine Sprache wiederfinden. Gerüchte vom möglichen Schlaganfall kursieren in Berlin, aber Bicher schweigt so lange eisern, bis Struck wieder – wenn auch mit etwas Mühe – reden kann. Mitte August erklärt Struck seinen Schlaganfall in der Nacht vom 9. zum 10. Juni und fügt hinzu, dank der Behandlung in der Berliner Charité sei er jetzt wieder fit: „Die gesundheitlichen Probleme sind ausgeräumt – und ich bin wieder hundertprozentig einsatzfähig. Ich habe dem Kanzler gesagt: Du kannst auf mich zählen. Bis 2006 auf jeden Fall – und wenn der Wähler es will, dann auch darüber hinaus.“


Selbst in der „Challenger“ der Luftwaffe griff Peter Struck zur Pfeife

Auch diesmal raten ihm die Ärzte zu mehr Bewegung und das Pfeiferauchen aufzugeben. Wie zur Bestätigung sagt er mir: „Ich weiß, nach dem Schlaganfall ist vor dem Schlaganfall.“ Er nimmt zahlreiche Medikamente und ist froh, noch einmal davongekommen zu sein, denn mit erkennbaren Sprachproblemen wäre seine Politikerlaufbahn jäh zu Ende gegangen.

Stattdessen folgten noch glückliche Jahre, bis ihn der dritte Herzinfarkt kurz vor Weihnachten 2012 einholte. Die Beerdigung am 3. Januar verlief in Uelzen (vom Regenwetter abgesehen) ganz nach seinen Wünschen mit militärischen Ehren und beim Gottesdienst in St. Marien mit Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben …“

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