Читать книгу Der Schuh - Gabriela Bock - Страница 12

Kapitel 7

Оглавление

Am nächsten Tag war es unheimlich heiß, tropische Temperaturen. Niclas planschte mit Franziska im Freibad und ich war gerade beim Wäscheaufhängen, als Robert kam.

»Soll ich mich umziehen?«, fragte ich.

»Nicht für den Zweck!«, sagte Robert.

Wir fuhren durch eine wunderschöne Landschaft, bis nach Holzminden. Vor einer zartrosa gestrichenen Villa hielten wir an. Mir fielen sofort die Löwenköpfe auf, die auf beiden Seiten neben der runden, ausladenden Treppe postiert waren. Sie waren aus rosa Granit und hatten ein hämisches Grinsen im Gesicht.

»Geschmacksache, ich würde mir solche Tiere nicht vor meine Bude stellen«, meinte ich zu Robert. Als ich merkte, dass er mich die Treppen hochführte, ärgerte ich mich über meine schäbige Aufmachung. Ich trug ein schwarzes, kurzes Leinenkleid, dazu ausgeleierte Sandalen.

»Was wird das?«, fragte ich.

»Ich sagte dir doch, eine Demonstration«, sagte er. »Egal, was passiert, nimm es locker.«

Robert klingelte an der Tür und eine ältere, ernst dreinblickende Frau öffnete.

»Guten Tag, Herr Robert, wie schön, dass Sie auch mal wieder den Weg zu ihrer Großmutter finden. Die alte Dame erwartet Sie im Speisezimmer. Weiß sie von der Begleitung, die Sie mitgebracht haben?«

»Ich hatte es ihr am Telefon mitgeteilt.«

Mir war unwohl, als ich den Geruch des Hauses einsog und das Gefühl bekam, mich in einer Kathedrale zu befinden. Die alte Frau saß im Esszimmer, auf einem der zwölf Stühle, die um den runden, aus dunklem, poliertem Holz bestehenden Esstisch herumstanden. Ihre schlohweißen Haare trug sie exakt und kunstvoll hochgesteckt. Sie blickte an mir vorbei und nickte Robert zu, ohne ihre Mimik zu verändern. Sie kann nicht aufstehen, um ihren Enkel zu begrüßen, dachte ich. Die Ärmste kann nicht. Ich bekam Mitleid mit der alten Frau und ging auf sie zu, die Hand ausgestreckt, um sie zu begrüßen. Sie sprach auf Französisch auf mich ein und wies mir mit Handzeichen einen Platz zu, weit von sich entfernt. Dann winkte sie Robert zu sich. Der gab ihr die Hand. Sie sprachen Französisch miteinander. Robert wurde ein Platz in ihrer Nähe zugewiesen. Es gab keinen Begrüßungskuss, keine Umarmung. Auch Robert machte keine Anstalten. Ihre Krähenaugen wirkten dunkel und kalt und ich dachte an Helga und Konstantin. Die waren ein Beispiel dafür, wie warm und herzlich braune Augen sonst dreinblicken konnten.

»Tee?«

Robert goss ihr aus einer schlichten Kanne Tee in die Tasse, die vor ihr auf dem Tisch stand. Er verzichtete darauf, sich selber etwas einzugießen, als er bemerkte, dass keine dritte Tasse auf dem Tisch stand. Robert und diese unsympathische Person sprachen weiterhin Französisch miteinander. Wie unhöflich, dachte ich, die kein Französisch sprach. Ich hatte damals in der siebten Klasse Latein gewählt. Für ein Jahr. Schwamm drüber.

»Wollen Sie sich nicht an unserem Gespräch beteiligen, Fräulein? Ich kenne ja noch nicht mal Ihren Namen.«

»Frau«, verbesserte ich sie, »Frau Emilia Weber. Wenn Sie wollen, können Sie auch Emi zu mir sagen. Leider spreche ich kein Französisch.«

Wieder wurde Französisch gesprochen und diesmal übersetzte Robert.

»Meine Großmutter fragt, ob du keine Schulbildung besitzt und was du so beruflich machst?«

»Sag ihr doch die Wahrheit, dass du mich stockbesoffen in einer Eckkneipe aufgegabelt hast und ich fünf Kinder von fünf verschiedenen Männern habe«, sagte ich auf Englisch zu Robert. Vielleicht hatte ich ja Glück und die Alte sprach kein Englisch. Und wenn doch! Was hatte ich bei der schon zu verlieren?

»So will ich dich hören«, erwiderte Robert auch auf Englisch, »ich wusste, du würdest so reagieren.«

Die alte Frau wirkte irritiert, damit hatte sie nicht gerechnet.

»Emi beginnt demnächst eine Ausbildung zur Krankenschwester, und sie hat einen süßen kleinen Sohn. Unehelich natürlich, wie sich das gehört.« Robert schien amüsiert zu sein.

Wieder wurde Französisch gesprochen. Robert übersetzte.

»Sie fragt, was ich mit so einer dahergelaufenen Zigeunerin will. Ob ich nicht aus den Fehlern meines Vaters schlau geworden bin, der hat auch nur so eine Lazaretthelferin ohne Bildung geheiratet.«

»Was hat deine Großmutter denn für einen Beruf?«, fragte ich provokativ auf Englisch.

Robert übersetzte. Die alte Frau stand auf. Sie wirkte so viel kleiner. Wäre das Ganze nicht so traurig gewesen, hätte ich laut losgelacht, aber so war ich nicht erzogen. Ich hatte Respekt vor dem Alter. Eigentlich.

»Hat Robert Ihnen nicht erzählt, wer ich bin? Ich bin die Witwe von Oberst Hagedorn, falls Ihnen das ein Begriff ist. Ich habe sieben Kinder zu dem gemacht, was sie heute sind: einflussreiche und wertvolle Menschen. Und jetzt gehen Sie bitte, bevor ich Sie aus meinem Haus entfernen lasse.«

»Du hast dich daneben benommen, Großmutter. Ich bin enttäuscht und werde jetzt auch gehen«, stieß Robert triumphierend hervor.

»Bitte, dann geh!«, sagte die alte Frau und machte Anstalten den Raum zu verlassen. Ich war schneller als sie, warf Robert einen wütenden Blick zu und stürmte nach draußen. Die Eingangstür hatte ich mit voller Wucht zugeschlagen.

Im falschen Film! Ich war im falschen Film gelandet. In einem miserablen Streifen mit zum Teil lächerlicher Besetzung! Trotzdem wartete ich auf ihn. Robert wirkte zufrieden, als er die Villa verließ. Ich ging auf ihn zu und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Sollte er meine aufgestaute Wut ruhig ordentlich spüren. Ein kräftiger Schlag! Er sollte merken, dass ich keine zarte, schwächliche Person bin.

»Du wirst mich nicht noch mal vorführen!«, schrie ich ihn an, »eigentlich müsste dir dein Vater leidtun!«

»Tut dir jemand leid, der dieses Spiel mitspielt und nichts daraus gelernt hat, als den Druck weiterzugeben?«

Ich ging schnell die Treppen runter, Robert folgte mir. Unten vor der Treppe angekommen, drehte er sich um und breitete die Arme aus, seine Fäuste zeigten auf die Löwen, die Zeigefinger nach vorn gestreckt und die Daumen nach oben.

»Päpäpäpäpäh, päpäpäpäpäh, päpäpäpäpäh!!!«

Er feuerte mehrere Salven auf die Löwen ab und lachte dabei wie irre.

»Mach so was nie wieder«, sagte ich während der Fahrt.

»Du warst klasse«, schwärmte Robert.

»Wenn sie dich jetzt enterben und dir den Geldhahn zudrehen? Wo würdest du dann das Geld für dein Studium und die teuren Klamotten herbekommen?«, fragte ich.

In gewissen Dingen bin ich nun mal praktisch veranlagt.

»Ich arbeite an meiner Unabhängigkeit. Dafür trainiere ich schon und mache mir meine Gedanken«, meinte Robert und blickte mich mit seinem Brandstifterblick an.

Niclas schlief schon fest in seinem Bettchen, in dem hellblau-weißen Kinderzimmer bei meinen Eltern. Die Hitze stand noch in meiner Wohnung, deshalb ließen wir die Fenster weit geöffnet und die Vorhänge im Wind wehen. Die Nacht hatte eine Abkühlung nötig. Ich brauchte nur zwei Teile ausziehen. Natürlich war das Licht an und dicke Nachtfalter kreisten um die Lampe. Vor ihnen habe ich Angst und verabscheute es, wie sie um meinen Kopf flogen. In dieser Nacht war alles anders als sonst. Wir stürzten uns aufeinander, wie zwei, die lange getrennt waren.

»Wir dürfen nicht mehr miteinander schlafen. Wir verletzen uns zu sehr damit«, sagte Robert, »wir verlieben uns immer mehr und … Emi, du brauchst was anderes. Etwas, was ich dir nicht geben kann. Ich würde dich unglücklich machen.«

Vor Traurigkeit schmerzte mein gesamter Körper.

»Lass uns Freunde bleiben«, sagte ich und drehte den Kopf zur Seite, damit er nicht mitbekam, wie meine Augen feucht wurden.

»Für immer die besten«, sagte Robert.

Ich fand sein Verhalten großartig. Unheimlich fair Niclas und mir gegenüber.

Der Schuh

Подняться наверх