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Kapitel 12

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Wir heirateten am 10. Oktober 1978, an Niclas viertem Geburtstag. Wir waren uns darüber einig, dass wir gut auf Anzug, langes weißes Kleid und den ganzen anderen Krempel verzichten konnten. Ich war evangelisch-lutherisch getauft und konfirmiert und hatte mir vorher nie Gedanken über die Kirche gemacht. Jetzt war ich, extra Henry zuliebe, ausgetreten. Ich konnte aber nicht anders und hatte mir für den Tag ein schlichtes, weißes Kostüm geleistet. Weiß stand für mich für einen Neuanfang. Henry stellte pragmatisch fest, dass ich wie immer sehr gut aussehen würde. Der Rock des Kostüms spannte schon etwas über meinem Bauch. Ich war im vierten Monat schwanger. Die Frauenärztin hatte uns gesagt, wenn sie sich nicht total täuschen würde, bekämen wir Zwillinge. Besonders Henry war überglücklich, während ich diesmal nicht von Anfang an leuchtete. Ich würde meine Ausbildung kurz vor dem Abschluss unterbrechen müssen. Wieder etwas, was ich vielleicht nie zu Ende bringen würde.

Helga und Bernd waren unsere Trauzeugen. Wir feierten nach der standesamtlichen Trauung am Abend eine Polterhochzeit, die sich in keiner Form von den lockeren Feten unterschied, die wir auch sonst gelegentlich gaben. Meine Eltern waren froh, dass ich nach all dem Hin und Her und »na ja, sprechen wir nicht mehr drüber« nun doch noch so einen netten und liebenswerten Mann abbekommen hatte wie den Henry, von dem sie große Stücke hielten. Sogar Eva kam von ihrer Burg auf die Party. Die frischgebackene Abiturientin durfte jetzt endlich alleine aus dem Haus und sich zwischen das einfache Volk mischen. Eva hatte sich total verändert und sah hinreißend aus, in einem wollweißen Kaschmirpullover und engem, geschlitztem Rock. Der braune Hut harmonierte mit ihren blonden Haaren und gehörte zu den wenigen Sachen, die ihr von ihrer Mutter geblieben waren. Evas Stimme war nicht mehr piepsig, sondern klang selbstbewusster. Sie erzählte von ihrem Vater und seiner Bekannten, die, wie sie erst jetzt erfahren hatte, schon eine uralte Bekanntschaft war. Ihr verstorbener Mann und Onkel Ernst-Walter kannten sich aus Königsberger Zeiten, wo sie schon während des Krieges Kollegen gewesen waren. Eva machte kein Ge-heimnis daraus, dass sie Sybille von Grosche absolut nicht ausstehen konnte, und die Frau ihren Vater gegen sie alle aufbringen würde. Sogar gegen sie, Eva. Franziska nickte. Was könnte sonst noch der Grund dafür sein, dass Ernst-Walter so abrupt den Kontakt zu ihnen abgebrochen hatte? Da musste doch diese Frau von Grosche dahinter stecken.

Es war ein schönes Fest, obwohl einiges schief lief. Henry hatte erst noch Gitarre gespielt, später dann mit Bernd, der seine Querflöte mitgebracht hatte, Stücke von Jethro Tull vorgetragen, bis er, nach dem wievielten Glas auch immer, wild mit Gabi tanzte, während ich, die wegen der Schwangerschaft nüchtern geblieben war, sah, wie alles um mich herum in Feierlaune versank. Ich hatte beinah den ganzen Abend neben Robert gesessen. Er trank so viel wie noch nie und verschwand zwischendurch auch immer noch in dem kleinen Gärtchen hinter dem Haus, wo sich die Kiffer aufhielten. Plötzlich sah ich Robert auf dem Sofa nach hinten umkippen. Paul und Bernd schleppten ihn in unser Bett und Paul holte seine Arzttasche aus dem Bus, um ihn zu untersuchen. Er lehnte es ab, die Verantwortung zu übernehmen, weil er selbst zu viel getrunken hatte, und rief einen Rettungswagen, in dem er Robert ins Krankenhaus an der Weser begleitete. Bernd, der auch Alkohol getrunken hatte, ging die paar hundert Meter zu Fuß hinterher.

Paul und Bernd kamen bald zurück. Nichts Lebensbedrohliches, Robert wäre unter Kontrolle. Ich hatte noch einige ganz nette Gespräche und begab mich nachts irgendwann in unser Schlafzimmer. Das Bett roch noch nach Robert.

Henry kam mit den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages.

»Entschuldige bitte wegen der Hochzeitsnacht, die hast du dir sicher anders vorgestellt.« Er war sturzbesoffen und zog sich noch nicht mal mehr aus.

An diesem Morgen wurden die Kinder nicht ganz so früh wach wie sonst. Eva, Franziska und ich räumten auf. Mutter Franziska mit ihren Töchtern Emilia und Eva, dachte ich. Immer, wenn Evas Eltern Trouble miteinander gehabt hatten, was mehrmals im Jahr vorkam, hatte Eva bei uns gewohnt. Damals lebte unsere Oma noch und wohnte auch mit in dem Reihenhaus in Bad Pyrmont. Eva, Franziska und Dorothea, die ja leider tot war, ähnelten sich auf erstaunliche Art und Weise. Bloß Franziska trug ihre blonden Haare kurz. Alle drei liebten anscheinend elegante Kleidung. Wie man sah, hatte Eva ja inzwischen auch ihren Geschmack geändert.

Gegen Mittag machte ich mich auf den Weg ins Krankenhaus. Robert lag noch auf der Intensivstation. Ich streifte mir den Kittel über, desinfizierte meine Hände. Neben ihm war ein Wandschirm aufgestellt, hinter dem ich das röchelnde Husten eines Mannes hörte. Robert schlief noch, als ich mir einen Stuhl heranzog und mich leise neben sein Bett setzte. Ich genoss es, dazusitzen und die Gesichtszüge eines Schlafenden betrachten zu können. Mit meinen Blicken strich ich über seinen ausgeprägten Mund, die gerade Nase, die, wenn man genau hinsah, eine leichte Krümmung nach rechts besaß. Aber das fiel nur auf, wenn man wirklich sehr genau hinsah. Seine etwas hervorstehenden Wangenknochen in dem schmalen Gesicht. Die Augenbrauen, nicht wulstig, wie gezupft. Seine großen, gepflegten Hände mit den langen, schmalen Fingern, die leicht knochig wirkten. Er öffnete die Augen. Sein Blick war es, der mich faszinierte. Dieser durchdringende, hypnotische Blick aus seinen grauen Augen, die zwar hell waren, aber irgendwie auch dunkel. Er blinzelte verschlafen. Für einen Augenblick schien er vergessen zu haben, wo er war.

»Oh Emi, deine Schönheit tut weh. Ich musste mich gestern schon betäuben, um dich nicht ständig ansehen zu müssen. Bitte geh wieder, sonst werde ich gar nicht mehr gesund. Grüß Henry und sag ihm, er soll immer gut auf dich aufpassen und dich nie aus den Augen verlieren. Ich meine das genau so, wie ich es sage.«

»Du Spinner«, erwiderte ich, »ich hoffe, du wirst uns auch in Zukunft besuchen kommen, auch wenn ich jetzt in einer dir verhassten Institution verschwunden bin.«

»Es ist das Beste so«, sagte Robert.

Der Schuh

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