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Kapitel 3

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Schnell, mit großen Schritten, war ich nach draußen gestürmt. In der frischen Luft merkte ich erst, wie betrunken ich war. Es gab da einen Himmel über mir. Trotz des klaren, frischen Sommerabends vermisste ich die Sterne. Ich glaubte, mich dort auszukennen, aber plötzlich kam mir das alles sehr unbekannt vor und ich schlug einfach eine Richtung ein, irgendwo würde ich schon rauskommen. Ich wusste ja noch nicht einmal, wo ich hinwollte.

Erst kam da ein versteckter Winkel zwischen zwei Häuserfronten, als aber einige betrunkene Männer die Straße entlang kamen, entschloss ich mich, doch nicht dort zu pinkeln, sondern noch ein Stück weiter zu gehen. Ich merkte, dass ich leicht torkelte. Endlich fand ich eine Bar ohne Türsteher davor. Drinnen herrschte so eine plüschige Atmosphäre und die üblichen Figuren saßen an der Theke. Ich wollte nichts trinken, suchte nur das Klo. Ich ging in den Vorraum, von dort führte ein schmaler Gang zu einer Treppe, die runter zu den Toiletten führte. Auf dem Weg dorthin begegneten mir zwei Personen, die sich lebhaft unterhielten. Um die Treppen herunter zu kommen, brauchte ich das Geländer. Die meisten Türen von den Toilettenkabinen ließen sich nicht abschließen, und so versuchte ich, mit der Hand die Tür zuzuhalten, als ich in der Hocke über dem Klo pinkelte. Auf solche Klos setzte ich mich nie, wer weiß, wer da vorher drauf gesessen hatte. Draußen hörte ich Schritte, zielsichere Schritte.

Mit voller Wucht stießen zwei Männer die Tür meiner Kabine auf. Einer der beiden fasste mich mit einem schmerzhaften Griff, der so fest war, dass mir sofort klar wurde, wie ernst es war, ins Genick und presste meinen Kopf nach unten, gegen die Kabinenwand. Der andere zerrte meinen Rock hoch und zerriss die Unterhose. Er griff in meine Lenden und schob sein Glied in meine Scheide. Es wurde immer heftiger. Der Andere machte die Bewegung mit, mein Kopf schlug, genauso rhythmisch wie schmerzhaft, gegen die Wand. Es kam mir sinnlos vor, zu schreien. Ein Überfall! Ich hatte schon mal eine ähnliche Situation überlebt, weil ich nicht geschrien hatte.

Vernünftig sein, dachte ich, keinen Fehler machen. Sie werden gehen, wenn es vorbei ist.

Er war brutal mit seinen Händen und es hörte erst auf, als er, qualvoll für mich, in die hintere Öffnung meines schmalen Körpers eingedrungen war.

Hoffentlich gehen sie einfach so.

Ich hielt meinen Kopf extra nach unten, um zu demonstrieren, dass ich die Personen nicht gesehen hatte. Kühl bleiben. Nichts Hysterisches. Zumindest den Einen hatte ich genau gesehen, aber das brauchten sie nicht zu wissen.

Sie zerrten mich an den Haaren hoch. Mit einem Ruck wurde der Poncho nach unten gezogen, er saß jetzt wie ein zweiter Rock auf meinen Hüften. Ich zitterte, aber nicht, weil mir kalt war. Sie rissen die Kabinentür auf und führten mich, von beiden Seiten untergehakt, die Treppe hoch. Ein Mann kam die Treppe runter und guckte uninteressiert.

Nicht schreien! Ist es hier normal, was gerade passiert?

Sicher war ich das Opfer einer Verwechslung geworden. Schwarze Hose, schwarze Schuhe, rechts von mir der Mann. Groß, stabil. Lederjacke. Normal aussehend. Ein ehemaliger Nachbar von uns fiel mir ein, der hatte Ähnlichkeit mit ihm.

Wo wollten sie mit mir hin? Bekam ich überhaupt noch mal die Möglichkeit, das jemandem zu erzählen, oder wollten sie mich töten? Quatsch, das sind Scheißwichser, die Vergewaltigung spielen, beruhigte ich mich. Ich musste meine Rolle weiterspielen, welche Wahl blieb mir sonst noch?

Die Tür, die Straße, Autos, Menschen. Niemand schien sich zu wundern. Für einen Augenblick glaubte ich, Robert zwischen den Menschen erkannt zu haben.

»Hau bloß ab hier!«, rief ich ihm in Gedanken zu. Ein Wunsch, das alles. Der Wunsch, Robert zu sehen. Ich bekam Angst um ihn. Er durfte sich nicht einmischen. Hoffnung war jetzt das Zauberwort.

Sie zerrten mich zu einem Auto. Ein Reflex, ich wollte nicht einsteigen. Wie eine Reisetasche schob man mich auf die Rückbank. Eine Hand in meinen Locken drückte meinen Kopf an die Lehne des Vordersitzes. Turnschuhe und Jeans. Die schwarze Hose und die schwarzen Schuhe fuhren. Ich saß mit meinem Vergewaltiger auf der Rücksitzbank des Autos. Was hatten sie mit mir vor? Warum war´s das noch nicht gewesen? Ich musste ruhig bleiben. Niclas brauchte mich, ich musste ihn wieder sehen. Was mit mir passierte, war egal, Hauptsache, ich kam wieder nach Hause.

Welche Sprache sprachen diese Männer? Wer waren sie?

Am besten, ich würde es nie erfahren und sie würden mich einfach gehen lassen. Es gab ja Menschen, die mich gesehen hatten, also würden sie mich nicht einfach umbringen.

Ruhe bewahren, das Spiel mitspielen.

Das Auto hielt. Jetzt spürte ich den Zangengriff an meinem Arm. Raus aus dem Auto. Einen kurzen Schlag aufs Dach. Das Auto war schwarz, wie die Hose und die Schuhe, und fuhr weiter. Ich vermied, den Mann direkt anzusehen, aber er sah aus wie ein Durchschnittssportler. Vielleicht konnte er aggressiv aussehen, wenn er ein Spiel verlor. Aber nicht so, nicht im wirklichen Leben.

Er schloss das Tor eines eingezäunten Grundstücks auf, ich stand frei neben ihm. Für einen kurzen Augenblick dachte ich an Weglaufen.

Der Griff am Oberarm. Das Tor wurde von innen verschlossen. Von einer kräftigen Hand, ein Silberring am Mittelfinger. Wieder eine Tür und ein Schlüssel. Ich wurde jetzt nur noch geführt, nicht gezerrt. Wie ein willenloses Lamm, dachte ich.

Von drinnen sah das Haus aus wie eine Schule. Ein langer Flur mit Türen. Der Sportler öffnete eine Tür. Es gab hier offensichtlich noch andere Menschen, was mich etwas beruhigte. In Etagenbetten schliefen junge Männer. Einer war wach, machte sich hoch und gab dem Sportler einen Schlüssel.

»Verschwinde rechtzeitig mit ihr von hier«, flüsterte er, »du bist ja völlig wahnsinnig.«

Der Sportler schloss eine der Türen auf, ging mit mir in den Raum und knipste eine Stehlampe an. Die Wände des Zimmers waren weiß, ein Bett vor der Wand, ein Tischchen mit einem Sessel davor. Das Bett war mit einer Überdecke abgedeckt, blau mit groß gemusterten Mohnblumen, currygelbe Vorhänge vor den Fenstern.

Es war nur ein Knopf an dem Hemdchen, der in meinem schmerzenden Genick zu öffnen war. Er sprach meine Sprache. Keine unsympathische Stimme sagte zu mir auf Hochdeutsch: »Zieh den Rock und die Stiefel aus!«

Was sollte ich machen? Ich benahm mich weiterhin wie ein Lämmchen.

Er hatte eine extrem sportliche Figur und ein unauffälliges, etwas kantiges Gesicht. Die Adern an seinen Armen waren deutlich auf seinen Muskeln zu sehen. Eine silberne Uhr am Handgelenk, mit silbernem Armband. Er sah nicht aggressiv aus, wie nach einem verlorenen Spiel, aber sein Gesicht zeigte auch nicht, dass ihm das Spiel besonders viel Spaß machte. Ich empfand keine Scham, keine Wut und auch sonst nichts. War nur erschrocken über meine Gefühllosigkeit und meine Kälte. Ab und zu rammte er mir mit voller Wucht das Knie in den Schambereich. Dann sah er aus, als hätte er das Spiel verloren. Er zog mich heftig an den Haaren, ich versuchte in Panik, das Kopfkissen von meinem Gesicht fernzuhalten, damit er meinen Kopf nicht dort hineindrücken konnte.

Ich musste hier dringend wieder wegkommen. Alles andere war egal. Hauptsache, ich kam hier weg.

Ich legte mich zum letzten Mal auf den Bauch und er rammte sein Knie zwischen mein Gesäß, bevor er in mich eindrang. Ich hielt wieder verzweifelt das Kissen von meinem Gesicht fern, während er in meine Locken griff. Dann lagen wir nebeneinander in dem schmalen Bett.

»Warum machst du das?«, fragte ich.

»Weil ich Frauen suche, die für mich arbeiten.«

Er klang so normal, wie er aussah.

»Als Nutte?«, fragte ich.

Damit kannte ich mich absolut nicht aus, hatte aber nichts gegen Prostituierte. Aber wie kam er da drauf?

»Als was sonst?« Er grinste belustigt. »Das hier ist so ‘ne Art Sportschule. So was will ich mal selber haben. Und zwar bald. Dafür brauche ich Geld.«

»Ich habe ein sehr kleines Kind und arbeite als Krankenschwester«, sagte ich. »Was ich verdiene, genügt mir. Wirst du mich hier wieder rauslassen?«

»Was glaubst du denn, ich werde dich zu nichts zwingen. Du solltest aber besser nicht um diese Zeit im Dunkeln auf der Straße rumlaufen.«

Er stand auf, zog sich an und verließ das Zimmer. Ich wurde eingeschlossen. Schnell zog ich meine Sachen über und ging zum Vorhang. Nach draußen führte eine Terrassentür. Sie war verschlossen. Auch jetzt vermisste ich die Sterne am Himmel, die mich wenigstens etwas hätten trösten können.

Ich legte mich zurück aufs Bett. Es konnte alles nicht wahr sein. Was für ein kaltes Monster musste ich sein, dass ich das alles so einfach über mich ergehen ließ?

War ich die geborene Prostituierte? Gewisse Männer animierte ich wahrscheinlich mit meinem weichen, leidensfähigen Gesicht. Es wirkte wie ein Signal. Dabei war ich doch eine starke Person. Oder?

Ich lag wach, bis es draußen dämmerte. Hoffentlich entließ mich dieser Mann bald. Ich saß im Bett, als er die Tür aufschloss.

»Los, komm her!«, sagte er, als wäre ich seine Komplizin.

Er ließ mich auf das einzige normale Klo in einem Raum voller Pissoirs, weil ich nötig musste. Es brannte beim Pinkeln.

»Sei leise!«, befahl er mir, als wir den Flur mit den vielen Türen entlanggingen. Er schloss die große Tür auf und schob mich raus.

»Alles Gute für dich und dein Kind«, sagte er.

»Danke«, antwortete ich.

Vorne stand ein großes Tor auf. Ich ging schnell. Möglichst unauffällig sah ich auf die Hausnummer. Nirgends war ein Schild, auf dem Sportschule oder so stand, zu sehen. Sogar der gehäkelte Beutel mit meinem Geld hing noch an dem Gürtel meines Rockes. Zur Not befand sich auch noch etwas Geld in dem kaputten Futter meiner Stiefel. Hatte ich das wirklich erlebt? Mein Kopf schmerzte vom Alkohol und den Schlägen gegen die Kabinenwand. Ich hatte nichts weiter in mir als den Wunsch, nach Hause und zu Niclas zu kommen. Ich ging auf den nächsten Taxistand zu. Die Stadt war inzwischen wach.

Der Schuh

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