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Kapitel 4

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Der Bulli stand noch da, wo er am Abend zuvor gestanden hatte. Entschlossen riss ich die Schiebetür auf. Robert hatte wohl nicht geschlafen, er sah völlig übermüdet aus. Er lag mit dem Mädchen aus der Diskothek zugedeckt auf dem Fell des Bettes. Augenblicklich machte er sich hoch und zog sich seine Hose über.

»Wo warst du? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«

Ich umarmte Robert. Der schob mich von sich weg und sah mich genau an.

»Du siehst furchtbar aus, Emi. Was ist mit dir passiert?«

»Ich bin mit so einem Typ mitgefahren und dann in einer Sportschule aufgewacht.«

»Ach ja, das soll ich dir glauben? Bekommt man davon blaue Flecken und ein Hörnchen an der Stirn?«

Ein Blick in den Spiegel. Tatsächlich hatte ich über der rechten Augenbraue einen stark angeschwollenen Bluterguss sitzen. Bauchschmerzen ohne Ende. Ich zog mich um. Robert taxierte meinen Körper.

Ich wusste, dass ich für alle Frauen, die noch nach mir auf diese Männer stoßen würden, zur Polizei gehen musste. Aber lief ich da nicht Gefahr, mein Baby zu verlieren?

»Was ist mit ihr?«, fragte ich, »hast du mit ihr? Geht mich ja eigentlich nichts an.«

Robert schwieg, schob dann einen Ärmel des weißen Rollkragenpullovers hoch, den das Mädchen trug. Ihre Arme waren total zerstochen.

»Wir müssen sie mitnehmen. Ich habe versprochen sie nicht alleine zu lassen«, meinte Robert. Also fuhren wir mit dem Mädchen, das hinten im VW Bus auf dem Bett schlief, zurück.

»Ich will nach Hause, nur noch nach Hause«, sagte ich.

»Hat das Schwein einen Namen? Weißt du, wer er ist?«, fragte Robert. »Ich bringe den auf der Stelle um.«

»Robert, eine Frage«, ich zögerte, »hältst du mich für gefühlskalt? Bin ich eine kalte Person?«

»Du? Du bist die wärmste Person, die ich kenne. Die zärtlichste, mit den schmalsten Schultern, die ich jemals an einer Frau gesehen habe.«

»Ich bin kein Opfer!«, fuhr ich ihn an. Ich hasste es, wenn man mich als zarte, schwache Frau ansah. Ich, das behütete Einzelkind, wollte schon immer verwegener und robuster als die anderen sein. Dafür hatte ich viel im Leben in Kauf genommen und war vor keinem aberwitzigen Abenteuer zurückgeschreckt.

»Du bist zu schade für die Welt und eigentlich viel zu schön, um frei rumzulaufen. Du brauchst wen mit besonders breiten Schultern, der auf dich aufpasst. Aber, wo wir schon mal beim Thema sind: Bitte, lass mich ein Opfer aus dem Schwein machen und erzähle mir endlich, was mit dir passiert ist.«

»Schon gut«, log ich, » lässt mich völlig kalt.«

Wir schwiegen.

»Wenn jemand Niclas was antun würde, den könnte ich töten«, sagte ich nach einer gewissen Zeit, »oder Eva.« Tatsächlich hätte ich jeden umgebracht, der meiner jüngeren Cousine Eva so was angetan hätte. So was, was mir gerade passiert war. Ich liebte Eva. Sie war vier Jahre jünger als ich und ich hatte sie immer als Schwester betrachtet.

»Du könntest niemanden töten. Du laberst doch auch nur rum. Wir wissen beide nicht, wovon wir sprechen«, fauchte ich Robert an. Seine Züge verfinsterten sich.

»Du weißt zum Glück gar nichts von mir. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Glaub mir, ich könnte es, ich könnte töten. Ich habe schon ernsthaft überlegt, ob die RAF für mich Verwendung hat.« Sein Blick wurde arrogant. »Aber du weißt ja noch nicht mal, wer das ist, oder?«

»Natürlich weiß ich das. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«

»Politisch für äußerst blöd.«

Ich hatte keine Lust zu streiten.

»Ich weiß, was Hass ist. Vor Jahren wollte ich mal meinen Vater töten«, sagte Robert.

»Warum?«

Es war das Letzte, was ich nachempfinden konnte.

Roberts Augen funkelten, als er mich ansah.

»Ich empfinde nur Hass für ihn. Er hat dieses sackartige, formlose Etwas aus meiner Mutter gemacht, dabei war sie so eine schöne, lebenslustige Frau. Aber er fühlt sich nur groß, wenn er andere kleinmachen kann. Er lässt auch Größe zu bei anderen, aber nur, wenn er sein Werk darin sieht. Wenn er sie manipulieren kann, verbiegen nach seinen kranken Vorstellungen. Er hat es mit uns allen versucht. Bei meiner Mutter hat er es geschafft. Sie besitzt kein Selbstwertgefühl mehr, geht kaum noch aus dem Haus. Seine Mutter ist die Größte, die wird von ihm vergöttert, und es ist selbstverständlich, dass sie alles benutzt und besitzt, was ihr Leben erleichtert. Sie steht nämlich auf dem Sockel, der auf diesem Fundament steht. Und weißt du, wie dieses Fundament heißt? Hagedorn! Eine große, selbstherrliche Sippe. Sie bestimmen, wer auf diesem Sockel steht, oder wer, wie meine Mutter, davor liegenbleibt. Du bekommst das Kotzen, wenn du dich da reindenkst. Er hält meine Mutter kurz, obwohl er als Bäderarzt und Privatdozent gutes Geld verdient. Arbeiten darf sie auch nicht, Frauen gehören ja ins Haus oder haben einen akademischen Beruf, dann aber bitte keine Kinder. Sie putzt und schrubbt und duckt sich. Äußerlichkeiten sind ja nicht alles, aber sie, sie besitzt seit Jahren nur einen Mantel, den sie im Sommer wie im Winter trägt. Er betrügt und quält sie.«

»Hast du noch Geschwister?«

Ich wunderte mich, dass ich noch nie mit Robert darüber gesprochen hatte.

»Ja, zwei ältere Schwestern. Ich mag sie auch ganz gern. Die sind schon eine Weile von zu Hause weg. Stell dir das vor, selbst während der schweren Krebserkrankung meiner Mutter war er zu geizig, eine Putzfrau einzustellen. Meine Schwestern schickten meiner Mutter dann heimlich das Geld dafür. Und sie tat ihm gegenüber so, als hätte sie sich das Geld von ihrem mickrigen Haushaltsgeld abgespart. Ich sag dir doch, der verdient ein Schweinegeld. Mir bläst er ja auch alles in den Arsch, weil ich ja angeblich inzwischen nach seinen Vorstellungen geraten bin. Wenn der wüsste. Deshalb will ich auch so schnell wie möglich zu Geld kommen, schon um meine Mutter freizukaufen, dann wird sie auch wieder völlig gesund.«

»Es muss doch einen Grund geben, warum sie bei ihm bleibt. Vielleicht ist da ja was zwischen den beiden, wovon du nichts mitbekommst, und sie will gar nicht von ihm weg.«

»Wenn du wüsstest, Emi. Nicht nur, dass er ein sadistisches Schwein ist, das Schlimmste ist sein Gleichmut und seine Gedankenlosigkeit anderen Menschen gegenüber. Wenn einer das Potenzial hat, anderen etwas zu geben, was sie glücklich machen könnte und er sie damit quält, es ihnen nicht zu geben. Ist das was anderes als Sadismus für dich? Ich versuche es erst gar nicht Emi, nachher werde ich noch genauso wie er. Er tötet meine Mutter mit seiner Lieblosigkeit. Das ist ein grässlicher Tod. Meine Schwestern und ich sind ihm entkommen, aber solche wie er verdienen auch nichts anderes als den Tod.«

»Du hast Recht«, sagte ich und überlegte, ob der von letzter Nacht auch den Tod verdiente, aber das war ja ein völlig anderer Fall.

Auf halber Strecke, Raststätte Brunautal, mussten wir anhalten, weil das Mädchen hinten im Bus rumrandalierte und unbedingt aussteigen wollte. Ich gab ihr erst mal zwei Kopfschmerztabletten und nahm selbst eine ein.

»Was machst du sonst so tagsüber?«, fragte Robert.

»Das geht euch einen Scheißdreck an, ihr verlogenen Arschgesichter!«, schrie das Mädchen.

Sie wirkte gar nicht mehr so puppenhaft, obwohl sie einen Kopf kleiner war als ich. Und ich bin schon nicht riesig mit meinen ein Meter siebzig. Die Kleine sah Robert wutentbrannt an.

»Ein toller Fotograf bist du!«

»Hast du das etwa ernst genommen? Bist wohl ein bisschen naiv, oder was?«, fragte Robert.

»Du Sau wolltest mich doch auch nur vögeln!«, brüllte das Mädchen und drosch auf Robert ein, »und dafür wolltest du mir Geld geben!«

Robert hielt ihre Hände fest.

»Ich habe dir fünfzig Mark gegeben, aber bestimmt nicht dafür.«

»Fünfzig Mark, was denkst du, was ich damit anfangen kann?«, schrie sie, kam mit ihrem Gesicht nah an Roberts und versuchte, ihn anzuspucken. Blitzschnell drehte Robert ihr den Arm auf den Rücken.

»Wenn du nicht sofort aufhörst und deine Klappe hältst, schmeiße ich dich hier raus, dann kannst du sehen, wie du zu deinem Zuhälter kommst.«

»Ihr könnt mich mal, ihr Arschfotzen!«, tobte sie.

Robert hatte ihren Arm immer höher gebogen. Er ließ sie los und schubste sie so, dass sie weinend aufs Bett fiel, wo sie unter die Bettdecke kroch.

»Da haben wir uns was eingehandelt«, meinte Robert, als wir vom Rastplatz zurück auf die Autobahn fuhren.

»Du hast dir was eingehandelt«, stellte ich fest.

»Zu Hause werde ich mal zum Arzt gehen«, sagte Robert.

Nach einigen Überlegungen beschlossen wir, das Mädchen bei uns ins Jugendzentrum zu bringen. Dort gab es Psychologen und Sozialarbeiter, kurzum, geschulte Leute, die sich auskannten.

»Ich kenne da einen«, sagte Robert, » der ist zwar nicht der Netteste, aber Hauptsache wir sind sie los.«

»Du bist sie los«, verbesserte ich ihn.

Später erfuhr ich, was der Psychologe Bernd Schuster an dem Tag dachte, als er uns ankommen sah, nämlich: Teufel die Pest! Da kommt ausgerechnet der jüngere Bruder meiner Ex über den Platz. Wie kommt Robert an die kleine, äußerst schmale Fixerin und eine schwarz gelockte Misshandelte, die ihre Wimperntusche noch in Nasenhöhe sitzen hat und eine gewaltige Beule über dem Auge? So was ...! Das hätte ich dem sonst so arroganten Robert, dem dressierten Vorzeigestück seines Vaters, nicht zugetraut.

»Wir haben einen Abstecher auf die Reeperbahn gemacht, und dort haben wir sie aufgegabelt…«, stammelte Robert, knallrot im Gesicht, rum.

»Aufgegabelt? Ihr habt mich weggelockt und mir erzählt, der da wäre ein berühmter Fotograf!« Die Puppe tobte so, dass sie kaum zu beruhigen war. »Das haben sie nur gemacht, damit diese Sau mich vögeln konnte!«

»Stimmt das, Robert?«, fragte Bernd.

»Na ja, ich gebe es zu, aber das mit dem Fotografen haben wir nie so zu ihr gesagt. Das ist ein Missverständnis.«

Sie rannte erneut auf Robert zu und trat mit voller Wucht gegen sein Bein. Bernd hielt sie fest und sprach beschwichtigend auf sie ein.

»Du solltest dich schämen, Robert. So was machst du also, wenn du nicht Papas Vorzeigeobjekt spielen musst. Bravo!«, meinte er dann zu Robert. Dem war die Situation oberpeinlich. Mir war es egal, was sie von mir dachten. Nach Hause, zu Niclas, sonst nichts.

»Mit so einfach abgeben ist das nicht getan. Ich möchte, dass ihr morgen um dieselbe Zeit hier noch mal auflauft. Nichts mit Ex und Hopp. Ich finde es voll Scheiße von euch, was ihr da gemacht habt.« Bernd war wirklich sauer.

Robert ließ mich hinter unserem Haus raus und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Meine Eltern sahen mich total entsetzt an. Schrecklich, wie ihre Tochter aussah. Da stimmte doch was nicht. Ich kuschelte mich mit Niclas ins Bett und schwor mir, nie wieder ohne ihn für so lange Zeit wegzufahren. »Es wird alles gut«, sagte ich ihm. Pan legte seine große Schnauze auf die Kante meines Bettes und Syrinx rannte geschäftig umher.

Auch wenn es sich spießig anhört, dachte ich, Vertrautheit und Geborgenheit sind das Wichtigste im Leben. Und Liebe! Die wirkliche, die ich zu Niclas und meinen Eltern empfand. Und zu Eva. Der arme Robert. Er hatte nie viel davon abbekommen. Vielleicht von seiner Mutter? Plötzlich war ich mir meiner Verantwortung Robert gegenüber bewusst. Keine Spielchen mit einem wie ihm.

Am nächsten Tag holte Robert mich mit meinem Käfer ab und wir fuhren zum Jugendzentrum in der Kaiserstraße. Bernd war allerdings gerade mit einem Sozialarbeiter und einigen Jugendlichen auf dem Fahrzeugplatz. Hier wurden Autos und Motorräder repariert. Der Sozialarbeiter, der Henry hieß, stand Kaugummi kauend neben Bernd. Beide waren von Jugendlichen umringt. Wir holten uns unsere Standpauke ab.

»Wenn das noch einmal vorkommt, Robert, dann wünsche ich dir nur, dass du an den Richtigen gerätst, der dich nicht schont. Dann kannst du nämlich in den Knast wandern wegen Missbrauchs einer Minderjährigen. Schluss mit Jurastudium!«

Bernd hatte ganz schnell die Identität des Mädchens herausbekommen. Sie war erst fünfzehn Jahre alt und von zuhause abgehauen. Ein übler Kerl hatte sie von Rauschgift abhängig gemacht und zur Prostitution gezwungen. Ihre Eltern waren froh, ihre Tochter endlich wieder bei sich zu haben und verzichteten auf eine Anzeige gegen Robert. Wir hatten Glück, dass wir auf Bernd gestoßen waren. Ich verspürte eine Verbundenheit mit dem Mädchen und war froh, dass es auch wieder bei ihrer Familie war.

Der Schuh

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