Читать книгу Wer liebt hat alles - Gerd Bodhi Ziegler - Страница 19

Die Innenwelt

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Schon einige Jahre vor meiner Pubertät, etwa im Alter von sechs oder sieben Jahren, begann ich mich zu verlieben. Ich war entzückt von einigen Mädchen in meiner dörflichen Umgebung und schwärmte von ihnen. In meiner Vorstellung verwandelten sie sich in Prinzessinnen, mit denen ich zärtlich umschlungen durch sonnendurchflutete Landschaften schwebte.

Keine dieser frühen Angebeteten erfuhr jemals etwas von meiner Verehrung. Sie wurden zu Bildern meiner inneren Geliebten. Erst später begann ich zu verstehen, dass tatsächlich alles, was im Außen eine so magische Anziehungskraft ausübt, nichts anderes ist als die Spiegelung der eigenen Seele, die nach Entfaltung drängt. Die Schönheit und die Qualitäten, die ich auf andere Menschen projizierte, waren in mir selbst angelegt. Sie warteten darauf, bewusst erkannt und als Aspekte meines eigenen Seins integriert zu werden.

Beides blieb für mich auch im späteren Leben als Zugang zum Raum meines Seins bedeutsam: die Verbundenheit mit der geliebten Natur und die Begegnungen mit Frauen, die mir einen fremden und zugleich tief vertrauten Aspekt meiner selbst zu spiegeln vermochten. Ihre Nähe schenkte mir Erdung und eine erweiterte Präsenz. Sie wurden für mich zu Quellen von Inspiration, Transformation und Heilung.

Beides lehrte mich Hingabe und Ekstase: die Natur durch ihre stille und ruhige Schönheit, der Eros durch die Intensität der Anziehung und das Feuer der Sinnlichkeit. Hier machte ich Erfahrungen, die mir einen Geschmack von Einheit und Grenzenlosigkeit gaben. Sie schenkten mir hin und wieder den Zutritt zu Räumen erweiterter Wahrnehmung, zu einem umfassenden Gefühl ozeanischen Eins-Seins. Doch ebenso habe ich den Gegenpol kennengelernt: Zurückweisung, Verlassenheit, Einsamkeit, Sinnlosigkeit und Enttäuschung.

Erst viel später lernte ich noch eine dritte Art von Glück kennen, für die kein bestimmter äußerer Stimulus nötig ist. Ich lernte, meine Aufmerksamkeit nach innen zu lenken. Auf diese Weise mobilisierte ich mein volles Interesse, meine ganze Liebe und Gefühlstiefe für mich selbst und verschmolz mit dem unbekannten und doch so vertrauten Wesen, das in mir wohnt, oder besser – das ich bin.

Anfangs war die bewusste Wahrnehmung meiner Innenwelt nicht immer nur angenehm. Immer dann, wenn mir meine unterdrückten Bedürfnisse und nicht gelebten Sehnsüchte als Schatten und Dämonen gegenübertraten, brauchte es oft erhebliche Überwindung, um nicht gleich vor mir selbst davonzulaufen und mich zu verschließen. Ich erinnere mich deutlich an Zeiten, in denen ich mich am Rande von Resignation und Verzweiflung befand. Doch wann immer es mir gelang, bedingungslos allem, was auftauchte, Raum zu geben, es willkommen zu heißen und zu umarmen, erlebte ich tiefe Heilung und Befreiung. Ich kam mir so selbst endlich wieder näher, wurde Liebender und Geliebter. Je weiter ich in diese Räume der Verbundenheit und Einheit vorstieß, desto größer wurde meine Hingabe und Verehrung gegenüber dem Göttlichen in mir.

Am eigenen Leibe habe ich erfahren, wie schwer, ja manchmal geradezu unmöglich es sein kann, der inneren Schattenwelt mit all ihren vernichtenden Urteilen, bedrohlichen Ängsten, brutalen Selbstanklagen und schmerzhaften Schuldgefühlen zu begegnen. Auf der Suche nach den inneren Räumen von Licht und Liebe begegnete ich – wie auch die meisten Menschen, die ich begleite – erst einmal dem, was in mir unerlöst auf Heilung und Befreiung wartete.

Es brauchte Kraft und Entschlossenheit, durch die zähen Schichten von Schuld, Angst und Selbstverneinung zu jenen Ebenen von Transparenz, Offenheit und Durchlichtung durchzudringen, nach denen ich mich so intensiv sehnte. Doch manchmal, gerade dann, wenn ich es am wenigsten erwartete, öffneten sich überraschend innere Räume von Glückseligkeit und Weite, die mit Worten schwer zu beschreiben sind.

In all jenen Momenten, in denen ich mein innerstes Sein berührte, wusste ich zutiefst: Dorthin sehnt sich und strebt mein ganzes Wesen. Dies motivierte mich, auch in den dunkelsten Zeiten, in denen das Licht am Ende des Tunnels unerreichbar erschien, offen zu bleiben. Das Sehnen nach dem Licht, das in meinem Inneren immer beglückend strahlt, begleitete mich seither auch unterschwellig in allen meinen Liebesbegegnungen.

Wer liebt hat alles

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