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Außergewöhnlicher Liebesausdruck

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Auch wenn das Leben mich gegenwärtig in eine verbindliche Partnerschaft geführt hat, so gab es doch Zeiten auf meinem Weg, in denen sich der Ausdruck meiner Liebe und Sexualität eher außergewöhnlich entfaltet hat. Die Erfahrungen, die ich dabei machen und die Erkenntnisse, die ich daraus gewinnen konnte, trage ich heute wie einen inneren Schatz in mir. Sie sind außerordentlich wertvoll für meine freie Entscheidung, nun mit meiner Liebes- und Lebenspartnerin in allen Bereichen menschlicher Liebe in die Tiefe zu gehen und bedingungsfrei lieben zu lernen.

Mein Wunsch, eine große Vielfalt zu erleben und die Suche nach neuen, unbekannten Erfahrungen gehört der Vergangenheit an. All das ging auf einmal ganz undramatisch zu Ende. Doch diese Wende ging einher mit einer tiefen Selbstfindung und bald darauf erfolgte eine entsprechende Begegnung mit der Frau, die jetzt meine Partnerin und Lebensgefährtin ist. Es ist, als habe ich in mir etwas vollendet, das in früheren, alten Zeiten nicht eingelöst werden konnte. Auch erscheint es uns beiden so, als seien wir seit langem auf diese Verbindung vorbereitet worden.

Da ich weiß, dass heute viele Menschen durch ähnliche Erfahrungen gehen und sie damit oftmals extrem herausgefordert sind, gebe ich diesem Thema hier einen entsprechenden Raum. Es ist mir ein Anliegen, auch diesen Menschen verständnisvoll zur Seite zu stehen und ihnen Impulse zu geben, die ihnen helfen, ihre eigene, klare Orientierung zu finden auf den oft unergründlichen Wegen der Liebe.

Außerdem sollen in diesem Kapitel meine eigenen Lern- und Entwicklungsschritte gewürdigt werden sowie die all jener bekannten oder unbekannten Frauen und Männer, die den Mut hatten, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, um ihrem Liebesausdruck außergewöhnlich und kreativ Raum zu geben. Geschieht dies mit einer Ausrichtung auf Liebe, Wahrheit und Lebensfreude, so wird das Göttliche in der Liebe gefeiert und der Ausdruck ihrer Vielfalt, Kraft und Schönheit verehrt.

Ein leuchtendes Beispiel für einen gut entwickelten Selbstkontakt, zusammen mit einer intensiven, kompromisslosen Hinwendung zum Göttlichen, war der australische Tantra-Meister Barry Long. Obwohl er generell einen gemeinsamen Weg mit nur einer Partnerin empfahl, berichtet er von Zeiten in seinem Leben, in denen er sich einer ganzen Reihe seiner Schülerinnen für essenzielle körperliche Vereinigungen öffnete. Dadurch schenkte er ihnen einen tiefen Einblick in die sexuelle Liebe auf göttliche Weise, die er in seinem gleichnamigen Buch beschreibt. Dies pflegte er phasenweise mit mehreren Frauen parallel. In Interviews bestätigten die Frauen, welches Privileg und nachhaltiges Geschenk dies für sie bedeutet hat. Natürlich mussten auch sie immer wieder durch die menschlichen Neigungen von Eitelkeit, Eifersucht und Festhalten-Wollen hindurchgehen. Doch sie stellten sich diesen Herausforderungen und wurden dafür belohnt.

Rückblickend berichten sie davon, auf welche Weise ihr Bewusstsein sich dadurch erweitert hat, hin zu einer tiefen Erkenntnis von Liebe als Essenz ihres eigenen göttlichen Wesens. Ihre Wahrnehmung vom Leben wurde sehr viel tiefer und offener. Ein deutliches Empfinden stellte sich ein, als Teil des Ganzen mit dem Leben essenziell verbunden zu sein. Dies konnten sie dann in ihre Partnerschaften und in ihren alltäglichen Liebesausdruck mitnehmen.

Ähnliches wird von Albert Einstein berichtet, seine Studentinnen sollen sich bisweilen „die Klinke seiner Zimmertür“ in die Hand gegeben haben.

Im alten Tibet gab es die Tradition der Heiligen Narren, die, ausgestattet mit großer geistiger und energetischer Kraft, durchs Land zogen. Sie erwählten junge Frauen, mit denen sie sich eine Zeit lang in körperlicher und geistiger Liebe vereinigten. Auf diese Weise wurden diese durch Energieübertragung in die Erfahrung des Göttlichen eingeweiht. Es wird berichtet, dass sie danach in tiefer Meditation verweilten und bald darauf das Eins-Sein mit Allem verwirklichten.

Auch Osho, der mich inspirierte und von dem ich lernen durfte, habe ich über diese alte Tradition sprechen hören. Auch er war umgeben von wundervollen Frauen, die in seiner Gegenwart oftmals ekstatisch tanzten. Einige wählte er als Medien aus, um ihn bei seinen Energieübertragungen zu unterstützen. Es war wunderbar zu sehen, wie diese Frauen zu strahlen begannen und von innen her erblühten.

In einigen zurückliegenden Phasen meines Lebens gab es auch für mich Liebesverbindungen, die sich nicht ausschließlich auf eine einzige Partnerin konzentrierten. Dies waren zunächst Zeiten innerer Befreiung, in denen ich den Duft von Liebe und Lebendigkeit ganz in mich aufnehmen und feiern wollte. Doch durfte ich sehr bald entdecken, dass dies nur dann stimmig war, wenn ich mich ausschließlich und selbstlos aus meiner inneren Fülle heraus schenkte.

Mit Frauen, von denen ich mich angezogen fühlte und von denen ich etwas haben und „beziehen“ wollte, um eigene Unvollständigkeiten auszufüllen, kam es regelmäßig zu Irritationen und schmerzauslösenden Prozessen. Für mich war es äußerst wichtig zu begreifen, dass die Liebe gnadenlos alle meine verdeckten, teilweise mir selbst noch gar nicht bewussten und oft erst im Nachhinein erkannten Motive aufdeckte und ans Licht brachte.

Liebesbegegnungen werden entweiht, wenn wir den Ausgleich unserer Defizite durch andere erwarten. Solange wir versuchen, von ihnen etwas zu bekommen, das wir in uns selbst vermissen, sind Schmerz und Enttäuschung vorprogrammiert. Es braucht immer wieder unsere radikale Ehrlichkeit und kompromisslose Bereitschaft, uns mit den vorhandenen Wünschen und Bedürfnissen zu zeigen und verletzlich zu machen. Erst dadurch kann die bewusste, liebevolle Öffnung für den Ausdruck von Liebe und Anziehung wahrhaft heilend und befreiend sein.

Bei mir brauchte es zahlreiche Erfahrungen, bis ich dies in der Tiefe begriff. Doch dann stellte sich eine Zeit ein, in der ich mit mehreren wundervollen Frauen, die sich selbst in einer intensiven Phase von Neuorientierung in ihrem Leben befanden, in liebevollen, alles einschließenden Verbindungen war. Sie kannten sich gut und tauschten die für sie wichtigen Erfahrungen und Erkenntnisse offen und freudig miteinander aus. Wenn ich mit einer von ihnen Zeit verbrachte, begann das Glück unseres Seins noch heller und lebendiger zu strahlen, als dies im bloßen Alleinsein der Fall gewesen wäre. Essenzielle Tiefe entstand ganz natürlich durch die liebevolle und wertschätzende Präsenz, die beide in diese Begegnung einbrachten.

Ich bezeichne diese Frauen als potenzielle Meisterinnen, weil ich mit ihnen die Qualität einer neuen Zeit berühren und manchmal auch ein Stück Himmel auf Erden erleben durfte. In unseren Liebesverbindungen blieben wir bei allem Tiefgang frei von Anhaftung, Eifersucht und Besitzanspruch. Sie haben für mich das Potenzial von Meisterinnen, weil sie fähig waren, die besonderen Qualitäten und Geschenke unserer Liebeskontakte in ihrer Kostbarkeit zu erkennen und anzunehmen.

Noch heute, zehn bis zwanzig Jahre nach den ersten Begegnungen, sind wir in beglückender, bedingungsfreier Liebe verbunden. Wir lassen, lieben und wertschätzen uns genauso, wie wir sind. Alle unsere Erfahrungen sind gewürdigt als Teil unseres Weges als Liebende. Dankbarkeit erfüllt uns für diesen zu jener Zeit stimmigen Ausdruck unseres Wesens und Seelenauftrags. Auch für sie war unsere körperliche Liebe wie ein „Gottesdienst“. Sie blieben in gutem Kontakt mit sich selbst und trugen diese Liebesenergie in ihre Arbeit, ihren kreativen Ausdruck, in ihre Meditationen und zu den Menschen in ihrem Leben. Sie alle haben mir davon berichtet, wie unsere Begegnungen ihr Leben zum Guten gewandelt oder ihre Entwicklung gefördert haben.

Für mich war die Zeit unserer Liebesverbindungen eine sehr bereichernde Erfahrung, die viele wertvolle Geschenke und Erkenntnisse mit sich brachte. Ja, das „Unmögliche“ konnte tatsächlich auf eine befreite und wohltuende Weise gelebt werden! Unverzichtbare Voraussetzung dafür war jedoch eine innere Klarheit, die sich in der Ausrichtung auf Hingabe an Liebe und Wahrheit ausdrückte. Dies ließ mich demütig werden.

An dieser Stelle ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass ich den polyamoren Liebesausdruck keineswegs als ein Ideal darstellen möchte. Tatsächlich dauerten die oben beschriebenen Zeiten für alle Beteiligten nicht viel länger als zwei bis sieben Jahre. Rückblickend kann ich deutlich sehen, dass es dabei immer noch um eine sehr subtile Suche im Außen ging. Auch diese musste schließlich zurückgelassen und dem Göttlichen übergeben werden. Ebenso war es für mich interessant zu beobachten, dass bei einigen der damals beteiligten Frauen das Thema Eifersucht in einem veränderten Kontext sehr wohl wieder auftauchte. Diese relativ kurze Phase unseres Lebens war wie ein Durchgangsstadium. Sie wurde genährt von dem Wunsch unserer Seelen, Wunden zu heilen und Erfahrungen einzulösen und zu vollenden, die in weit zurückliegenden Zeiten ungeheilt oder unvollendet geblieben waren.

Ich berichte über diese Erfahrungen, weil ich in meiner lebenslangen Arbeit mit Menschen immer wieder die Verwirrung und die daraus resultierenden schmerzhaften Konflikte im Leben vieler Menschen miterlebt habe. Ohne eine tiefe Befreiung von der drückenden Last quälender Schuldgefühle und bedrückender Scham ist eine neue Klarheit und Befreiung unmöglich. Doch ebenso entscheidend wichtig ist das tiefe Verständnis, dass der ersehnte Frieden, die dringlich gesuchte Heilung und Erfüllung nicht dauerhaft im Außen bei anderen Menschen oder in einem „Liebesrausch“ gefunden werden können. Alle schönen oder schmerzhaften Erfahrungen, alle Geschenke, Herausforderungen, Enttäuschungen und Konflikte wollen uns letztlich einer alles umfassenden und durchdringenden Wirklichkeit näherbringen. Diese können wir als das bedingungsfrei liebende Eins-Sein mit uns selbst und der gesamten Existenz bezeichnen.

All mein Lernen, meine oftmals so unbeholfenen Schritte und Stufen in der menschlichen Liebe dienten nur diesem einen, übergeordneten Ziel. Jetzt, da ich dies klar erkennen kann, ergibt alles einen neuen, tieferen Sinn. Es ist mein Herzensanliegen, vielen Menschen, die sich selbst in den von mir beschriebenen Erfahrungen wiederfinden oder die sich nach entsprechenden Bewusstseinsschritten sehnen, die Essenz meines Forschens mitzuteilen. In der wundervollen Zeit, in der wir gegenwärtig leben, können diese Erkenntnisse viel leichter und müheloser als je zuvor nachvollzogen werden. Das erspart vielleicht einigen, ähnliche „Umwege“ beschreiten zu müssen.

Unser Hunger nach Erfahrungen im äußeren Leben kann niemals bleibend dort draußen gestillt werden. Alle Situationen, in die unsere Seele uns führt, wollen uns die wahre Größe und Herrlichkeit unseres essenziellen Seins erschließen. Dies befreit uns mehr und mehr von der vergeblichen und sehr oft auch leidvollen Suche im Außen. Natürlich ist es unmöglich, Erfahrungen zu vermeiden oder zu überspringen, die zu unserem Seelenplan gehören, auch dann nicht, wenn diese schmerzhaft sind. Doch wir können sie aus einer neuen Perspektive betrachten lernen. Dies schenkt uns eine Herzensweisheit, die uns in das Bewusstsein der Einheit und damit in vollkommene Erfüllung führt. Dafür lohnt sich alles!

Wer liebt hat alles

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