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4. Anschlüsse: Agamben, Esposito

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Indem Leopardi die Poetik des Unbestimmten an dem Punkt ansetzen lässt, wo die Theorie der Lust Aporien aufwirft, zeigt er an, dass es sich dabei um das Produkt einer Praxis handelt, die nicht ursächlich auf Wissen und Technik zurückführbar ist. Der Umschlagpunkt von Nichts in Leben kann nur erzeugt werden, indem er passiert: im doppelten Sinn von ‹geschehen› und ‹vorbeigehen›. Das Leben erscheint dabei als reines Vermögen, das sich nicht politisieren lässt, weil es kein verwertbares Wissen über das Leben hervorbringt.1 Leopardis Lebensbegriff ist auf der Schwelle zwischen Theorie und Praxis angesiedelt. Das macht ihn für heutige Anschlüsse interessant.2

Hier knüpft auch Roberto Esposito an. In Weiterentwicklung des Paradigmas, das von Michel Foucault aufgeworfen und von Giorgio Agamben erweitert wurde,3 hat er mit der ‹affirmativen Biopolitik› eine politische Theorie entworfen, die das Leben nicht in Funktion der Politik denkt, sondern eine Theorie des Lebens ist. In Pensiero vivente liest er Leopardi im Rahmen der paradigmatischen Achsen, um die sich für ihn ein spezifischer pensiero italiano gebildet hat (Politik, Geschichte und Leben).4 Leopardis pensiero verortet er im Paradigma der ‹storicizzazione del non storico›.5

Esposito gruppiert Leopardi in eine Linie mit Vico und De Sanctis, da er in seiner Lektüre bei allen dreien das Problem des Ursprungs attestiert, zu dem es für den Menschen keine Rückkehr gebe. Die natürliche Existenz, die mit dem glücklichen Leben in eins fällt, ist im Menschen unwiederbringlich verloren. Die Versuche Leopardis, das Gift, also die überbordende Vernunft, aus der menschlichen Natur auszuleiten, haben für Esposito immunisierenden Charakter,6 die letztlich zu Aporien führen. Dazu gehört die ständige Ablenkung und Bewegung, für die es Vitalität braucht, die ja im Abnehmen begriffen ist; außerdem die Flucht in eine Vorstellungswelt, die es mit der Wirklichkeit jedoch nicht aufnehmen kann; schließlich die moderne Poesie, in der in bewusster Täuschung eine ‹zweite Natur› fingiert wird. Auch in Espositos Lektüre kommt es an diesem Punkt zur vitalistischen Kehre: Wo sich pensiero und illusione zunächst gegenseitig bekämpfen, lässt sich das Konzept im pensiero poetante positiv umkehren. Die Philosophie, die der Poesie Raum lassen muss, wird zur ‹ultrafilosofia›, in der die Souveränität des Todes Anerkennung findet.7 Die vitale Kraft der Poesie liegt nicht in dem, was sie uns sagt, sondern allein darin, Poesie zu sein. Esposito übersetzt diesen Gedanken in die Formel einer Gemeinschaft, die nichts gemeinsam habe außer dem Nichts (‹niente-in-comune›). Mit seiner Lektüre betont Esposito also die affirmative Seite von Leopardis Lebensbegriff, die sich in seine eigene Konzeption einer affirmativen Biopolitik einfügt, in der die Biomacht eine Macht des Lebens ist.

Zum Schluss möchte ich noch einmal zu L’infinito zurückkehren, denn in seinem Gedicht-Sein führt es uns die Qualität von Leopardis Lebensbegriff am deutlichsten vor Augen. Es gibt darin keinen Endpunkt, weder zwischen den Wogen der sinnlichen Empfindung noch in der Stille, die ihnen nachfolgt. Das dolce des letzten Verses verweist zurück auf das caro im ersten, wo schon das erste Wort sempre die Wiederholung anzeigt, die ewige Kreisbewegung.8 Auf biologisch-poetischer Ebene kann das Gedicht auch wie ein ganzer Atemzug gelesen werden, bis zur vollständigen und tiefen Ausatmung auf mare. Das Leben ist für Leopardi nicht in einer einzigen Bewegung zu fassen, sondern in einer Pulsation, im Hin- und Herschaukeln zwischen zwei Polen: zwischen ‹il Nulla e la Vita›.

Lebenskunst nach Leopardi

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