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Crowleys Einstellung zu übersinnlichen Phänomenen und zum Spiritualismus

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Wenn okkulte Praktiken von Okkultisten neu interpretiert wurden, ging es meist darum, diese Praktiken einem modernen Publikum verständlicher und zugänglicher zu machen.6 Der Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft wurde in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts als für die menschliche Kultur schicksalsentscheidend aufgefasst. Für diejenigen, die den aus der Aufklärung herrührenden Idealen des Positivismus und des wissenschaftlichen Naturalismus anhingen, rührte der Einfluss, den eine dogmatische Religion auf die Gesellschaft hatte, von einer Verquickung aus Aberglauben und Missverständnissen her, die durch den wissenschaftlichen Fortschritt zerstreut werden sollten. Dies setzte eine Ideologie der Emanzipation von der Naivität der Vergangenheit voraus, die Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche, kulturelle und sogar politische Ebenen hatte (beispielsweise auf den Kolonialismus in Europa, der zur selben Zeit seinen Höhepunkt erreichte). Den Okkultisten war der Einfluss dieser alles durchdringenden Ideologien natürlich nicht unbekannt, und es überrascht nicht, dass letztere besonders von Personen aufgenommen und zum Ausdruck gebracht werden, die auf die eine oder andere Weise Angehörige des Establishments waren, das diese Ideologien produziert hat. Das trifft auch auf Aleister Crowley zu, der in seinen Entwicklungsjahren die Bildung der Universität von Cambridge genossen hatte, die ihn entscheidend prägte.7 Die Richtung, die Crowley und andere Okkultisten einschlugen, um den Sinn ihrer okkulten Unternehmungen zu verstehen, lag vorhersehbarerweise auf einer Linie mit den Entwicklungen in der Wissenschaft des späten neunzehnten Jahrhunderts, soweit es die Interpretationen religiöser und paranormaler Phänomene betrifft. In der Tat kann man beobachten, dass Okkultisten – wie Crowley – Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von den neuen Diskursen, die auf dem Gebiet der Psychologie, vor allem im Zusammenhang mit der parapsychologischen Forschung und der Psychoanalyse aufkamen, beeinflusst wurden oder sie gar vorausgeahnt haben.

In Crowleys Fall war dieses Interesse an neuen psychologischen Theorien sicherlich auch mit seinem starken Gebrauch psychoaktiver Substanzen verbunden, die er zeitlebens in oft rituellem, magischem Zusammenhang konsumierte.8 Auf diesem Feld war er recht experimentierfreudig, und man kann sagen, dass einige seiner Experimente von gewissem historischem Wert sind. Beispielsweise war er einer der ersten Europäer, der im Rahmen spiritueller Praktiken systematisch mit Peyote (das damals als Anhalonium lewinii bekannt war) experimentierte.9 Es gibt auch Gründe anzunehmen, dass er es war, der Aldous Huxley in Berlin Anfang der 1930er Jahre in den Gebrauch von Meskalin eingeführt hat.10 Dieser Vorfall erklärt – wie auch Crowleys Annäherung an den Drogengebrauch im Allgemeinen – zum Teil, warum er in der psychedelischen Ära der 1960er zu einer Art Ikone der Gegenkultur geworden ist, wichtige Figuren wie Timothy Leary beeinflusst hat, und wie sein Gesicht (in Gesellschaft von Aldous Huxley höchstselbst) auf den Umschlag des Beatles-Albums Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band geraten konnte.

Es ist bekannt, dass Crowley diese Substanzen regelmäßig mit dem Ziel anwendete, sein Bewusstsein zu verändern, und dass er diese Veränderung an bedeutsamen spirituellen Schauungen bemerkte. Der Zusammenhang zwischen dieser Art der Veränderung und jener, die durch gewisse „okkulte“ Praktiken zustande kam, war ihm besonders wichtig und war das Ergebnis nahezu lebenslangen persönlichen Reflektierens und Experimentierens.11 Natürlich benötigte Crowley mancherlei passende Theorien über den menschlichen Geist und das menschliche Gehirn, um all diese Formen der Bewusstseinsveränderung miteinander zu verknüpfen und ihnen eine spirituelle/​magische Bedeutung beizumessen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden wir uns diese Theorien genauer ansehen.

Wie Wouter Hanegraaff angemerkt hat, beginnt die Psychologisierung der Esoterik mit F. A. Mesmers Entdeckung des animalischen Magnetismus und zieht sich dann durch das gesamte neunzehnte Jahrhundert.12 Auf der anderen Seite hat Ann Taves gezeigt, wie zur selben Zeit diejenigen, die „naturalistische oder säkularisierte Erklärungen“ für religiöse Erfahrungen geboten haben, nicht zwangsläufig auch „Kritiker“ oder Abtrünnige der Religion gewesen sein müssen.13 In einigen Fällen, wie etwa im Spiritualismus, wurde die „vorherrschende Tendenz, religiöse Erfahrung von naturalistischer Erklärung zu trennen“, wirklich herausgefordert.14 Darum wurden naturalistische Erklärungen für religiöse Erfahrungen nicht notwendigerweise als einander widersprechend angesehen. Die okkulte Bewegung des späten neunzehnten Jahrhunderts hatte eine ähnliche Herangehensweise. In diesem Fall, wie auch im Spiritualismus, war die zugrunde liegende Erkenntnis die Notwendigkeit einer Aussöhnung zwischen Wissenschaft und Religion. Der Versuch einer Versöhnung zwischen diesen beiden Gebieten, die immer weiter auseinander zu driften schienen, wenn nicht sogar sich diametral gegenüber standen, wurde in der Tat schon als eines der Grundmerkmale des Okkultismus bezeichnet.15 Doch es war noch mehr und Spezielleres, an dem, was Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts passierte, als neue psychologische Theorien entstanden und sich verbreiteten. Das Interessante bei Crowleys Annäherung liegt darin, dass er, der mit diesen Entwicklungen vertraut war, versuchte, diese auf sein eigenes Verständnis magischer und spiritueller Praktiken zu übertragen. Mit ihm schlug die Psychologisierung der Esoterik, und ganz besonders der Magie und anderer verwandter Praktiken, neue Richtungen ein.16

Ein interessanter Aspekt von Crowleys psychologischen Interpretationen ist der mutmaßliche Einfluss von William James’ erstmals 1902 erschienenem Klassiker The Varieties of Religious Experience [Die Vielfalt religiöser Erfahrung]. Dieses Buch scheint eine entscheidende Rolle bei der Ausprägung von Crowleys Wahrnehmung magischer Erlebnisse gespielt zu haben. In einigen seiner Werke bezieht Crowley sich auf James’ Buch.17 Besonders interessiert scheint er dabei an der Unterscheidung gewesen zu sein, die James zwischen „einmal geborenen“ und „zweimal geborenen“ Religionen machte.18 Doch ebenso interessierte ihn, was James über Yoga einerseits und über die Erlebnisse religiöser „Genien“ – damit sind die Religionsstifter gemeint – andererseits zu sagen hatte. Auf dieses Thema werde ich noch zurückkommen.

Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass Crowley mit den Aktivitäten der Society for Psychical Research (SPR) und einigen ihrer Mitglieder wohlvertraut war. In Anbetracht dessen sollte ein interessantes Detail in Crowleys Biographie berücksichtigt werden: 1895 wurde er als Student am Trinity College in Cambridge aufgenommen, wo er die nächsten drei Jahre verbringen sollte. Auch, wenn er das Studium nicht abschloss, war die Zeit, die er in Cambridge verbrachte, extrem wichtig für ihn und hat, wie ich schon an anderer Stelle ausführte, seine intellektuelle Entwicklung unauslöschlich geprägt.19 Das Trinity College war nicht nur eine der ältesten und angesehensten Hochschulen der Universität von Cambridge; es war auch der Ort, an dem sich 1882 die Society for Psychical Research formierte. Drei seiner bedeutendsten Gründer – Henry Sidgwick, Frederic Myers und Edmund Gurney – waren tatsächlich Mitglieder dieses Kollegs.20 Sidgwick und Myers starben kurz hintereinander 1900 bzw. 1901 (Gurney war bereits 1888 verstorben), und wir wissen nicht, ob Crowley ihnen jemals persönlich begegnet ist. Zumindest war er jedoch mit anderen, jüngeren Mitgliedern der SPR bekannt, wie beispielsweise mit Everard Feilding (1867 - 1936), welcher von 1903 bis 1920 als Sekretär der Gesellschaft fungierte, und mit Hereward Carrington (1880 - 1958), der ein populäres Buch über die Projektion des Astralkörpers geschrieben hatte.21 Laut Crowleys Biograph Richard Kaczynski stand Feilding Crowley so nahe, dass er sogar den Eid als Probekandidat zu dessen okkultem Orden, dem A ∴ A ∴, unterzeichnet hatte.22 Darüber hinaus stellte Crowley Feilding mit dem Pseudonym Lord Anthony Bowling in seinem Roman Moonchild dar.

1908 waren Feilding und Carrington im Auftrag der SPR unterwegs, um die Fähigkeiten des berühmten italienischen Mediums Eusapia Palladino (1854 - 1918) zu untersuchen. Der Bericht ihrer Untersuchung wurde ein Jahr später veröffentlicht und fiel positiv zugunsten des Mediums aus.23 In seiner Autobiographie erzählt Crowley, wie er das Buch sorgfältig studierte und die erste Gelegenheit während eines Italienaufenthaltes 1911/​1912 nutzte, Palladino aufzusuchen und sie während einer Séance auf die Probe zu stellen.24 Interessant ist die Feststellung, dass Crowley den Phänomenen, die Palladino evozierte, anscheinend weit skeptischer gegenüber stand, als die beiden professionellen Parapsychologieforscher. Am Ende kommt er zu dem Schluss, dass alle außergewöhnlichen Phänomene, deren Zeuge er während der Séance geworden war, sehr wahrscheinlich das Ergebnis von Taschenspielertricks und Zauberei gewesen seien. Auf denselben Seiten beschreibt Crowley auch ein paar Erlebnisse, die er mit anderen Medien hatte, und stellt Betrachtungen über die parapsychologische Forschung an.25 Seine Haltung dazu ist auf der ganzen Linie negativ. Nicht nur, dass ihn weder Berichte, die er gelesen hatte, noch Séancen, deren Zeuge er war, von der Authentizität mutmaßlicher paranormaler Phänomene überzeugen konnten; er arbeitete auch eine Theorie aus, die erklären sollte, warum so viele Männer der Wissenschaft, die nicht selten als Skeptiker angesehen waren, an irgendeinem Punkt in ihrem Leben zum Glauben an spiritistische Phänomene „konvertierten.“ Nach Crowley ist ein Muster in dem Umstand zu erkennen, dass diese Konversion oft in einem bestimmten Alter stattfindet, „wenn die sexuellen Kräfte nachzulassen beginnen.“26 Mit anderen Worten: Parapsychologieforscher seien anfällig für Leichtgläubigkeit, weil ihre schwindenden Lebensenergien ihre Urteilskraft beeinträchtigen.

Es ist erwiesen, dass Crowleys Skepsis gegenüber den paranormalen Phänomenen, die von der SPR erforscht wurden, irgendwie mit der Polemik zu tun hatte, die Okkultisten und Spiritisten spaltete, seitdem diese beiden Bewegungen ihren Anfang genommen hatten.27 Die Okkultisten argumentierten gewöhnlich dahingehend, dass sie die Interpretation spiritistischer Phänomene in Frage stellten – besonders, was die Identität der Wesenheiten betraf, die mutmaßlich in die Séancen involviert waren –, aber nicht ihre Übernatürlichkeit an sich. Crowley jedoch ging einen Schritt weiter und nahm eine noch radikalere Haltung ein, indem er die Authentizität der Phänomene selbst bestritt.

Aleister Crowley & die westliche Esoterik

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