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Die Geburt eines neuen Äons

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Auf der Grundlage der Offenbarungen von The Book of the Law sah Crowley die Geschichte der Menschheit in drei Zeitalter oder Äonen unterteilt, von welchen jedes einzelne etwa zweitausend Jahre dauert. Diese Zeitalter markieren evolutionäre Sprünge in der Entwicklung der Menschheit, und in jedem herrschen bestimmte magische Formeln vor.7 Dem neuen Äon des Horus gingen die Äonen von Isis und Osiris voraus, und in der Zukunft wird er vom vierten Äon, dem der Maat (Ma/​Hrumachis) abgelöst werden, der auch der „Äon der Gerechtigkeit“ genannt wird. In dem als „alter Kommentar“ bekannten Text (zu The Book of the Law) erklärt Crowley die vier Äonen so:

Die Hierarchie der Ägypter gibt uns diese Ahnenreihe: Isis, Osiris, Horus. Die „heidnische“ Periode ist die der Isis: ein ländlicher, natürlicher Zeitabschnitt der einfachen Magie. Als nächste kamen Buddha, Christus und andere im Äquinoktium des Osiris; als Kummer und Tod die wesentlichen Dinge in den Gedanken des Menschen waren, und seine magische Formel ist die des Opfers.

Nun kommt, vielleicht mit Mohammed als Wegbereiter, im Äquinoktium des Horus das junge Kind, das (mit seinem Zwilling Harpokrates) stark und alles erobernd aufsteigt, Osiris zu rächen und das Zeitalter der Pracht und Stärke hervorzubringen.

Seine Formel wird noch nicht ganz verstanden.

Nach ihm wird das Äquinoktium der Ma, der Göttin der Gerechtigkeit aufsteigen, vielleicht in hundert oder tausend Jahren ab jetzt; denn die Berechnung der Zeit ist hier nicht wie dort.8

Die Vorstellung, dass Religion sich durch eine Reihe von Stufen oder Evolutionssprünge entwickelt, stimmte mit der wissenschaftlichen Literatur zur Religionsgeschichte überein. Darwins Evolutionstheorie wurde von führenden Gelehrten der aufkommenden Disziplinen der Religionsgeschichte (oder vergleichenden Religion) und der Anthropologie übernommen, und von religiösen Gedanken wurde oft angenommen, dass diese sich vom Matriarchat zum Patriarchat entwickelt haben – was in der Begriffssprache von The Book of the Law den Äonen der Isis und des Osiris entspricht.

Der Schweizer Anthropologe und Antiquar Johann J. Bachofen (1815 - 1887) erörterte darüber hinaus die Theorie von der Ersetzung der „primitiven“ Verehrung weiblicher Fortpflanzungskraft durch ein „rationales“ Wissen um männliche Vaterschaft und die anschließende Verschiebung von der Anbetung von Fruchtbarkeitsgöttinnen (wie sie oft als die Große Göttin vergegenwärtigt werden) hin zur Verehrung männlicher Götter in seinem 1861 erschienenen bedeutenden Werk Das Mutterrecht. Nach Bachofen hat sich die menschliche Kultur in vier Stufen entwickelt. Die erste davon war eine primitive, nomadische, polyamore „tellurische“ Stufe, in welcher eine frühe Ausprägung der Fruchtbarkeitsgöttin Aphrodite die vorherrschende Gottheit ist. Die zweite Stufe war die „mutterrechtliche“, die Bachofen als eine Epoche des Mondes beschreibt, in deren Mittelpunkt Landwirtschaft, Gesetzeswesen und Mysterienkulte standen. Die vorherrschende Gottheit dieser Stufe war die Göttin Demeter, die als Verkörperung von Fruchtbarkeit und Weiblichkeit verehrt wurde. Bachofens Beschreibung der „mutterrechtlichen“ Periode war von prägendem Einfluss auf spätere Konzepte eines mutmaßlichen Matriarchates, von dem angenommen wurde, dass es vor dem Aufkommen patriarchaler Kultur- und Religionssysteme existiert habe.

Laut Bachofen wurde der Wandel vom Matriarchat zum Patriarchat durch eine dritte, dazwischen liegende Stufe markiert, die er als die dionysische bezeichnete. Dionysos war der Hauptgott dieser Phase, die mit einer graduellen Maskulinisierung früherer weiblicher Traditionen einherging. Der Übergangsprozess gipfelte in der vierten, der apollonischen Stufe. Nach Bachofen war das die patriarchale, „solare“ Stufe, in der alle Spuren der matriarchalen und dionysischen Vergangenheit beseitigt wurden und die moderne Zivilisation aufkam.9

Die Theorie, dass einst ein weit verbreitetes kulturelles und religiöses Matriarchat existiert habe, das dann patriarchalischen Religionssystemen wie dem Christentum gewichen sei, war 1904, zur Zeit der Rezeption von The Book of the Law, sehr populär.10 Sie wurde allerdings in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts weitgehend infrage gestellt und gilt heute größtenteils als widerlegt, wobei einige ihrer Versionen in gewissen heidnischen und esoterischen Gedankenschulen noch immer überlebt haben.

Crowleys Verständnis der Geschichte religiöser Evolution war zu einem großen Teil vom Werk des britischen Anthropologen und Religionsgeschichtlers Sir James Frazer beeinflusst (1854 - 1941). Crowley übernahm das zwar unausgesprochene, dennoch aber offensichtliche Postulat aus Frazers The Golden Bough [Der Goldene Zweig] – ein Werk, das Crowley als „für alle Schüler unbezahlbar“ bezeichnete11 –, dass das Christentum tatsächlich auf einer primitiven Gedankenform beruhe, die mit einer modernen, wissenschaftlichen Weltanschauung unvereinbar sei.12 Das Hauptargument in The Golden Bough ist, dass das Thema von gewaltsamem Tod und Auferstehung im Mittelpunkt vieler altertümlicher Mythen und Riten des östlichen Mittelmeerraumes steht, wie z. B. bei Adonis, Attis, Dionysos und Osiris. Nach Frazer waren die sterbenden und wiederauferstehenden Götter die Hauptdarsteller eines wiederkehrenden Vegetationsdramas, das in „primitiven Gesellschaften“ oftmals mit den Priesterkönigen identifiziert wurde, die das Heil der Gemeinschaft personifizierten. In seiner Untersuchung der sterbenden und wiederauferstehenden Götter behauptet Frazer, dass die Mythen und Riten auf der Logik eines „primitiven Verstandes“ beruhen, der weniger weit entwickelt sei als der moderne Verstand. Das offensichtliche Ziel von Frazers Kritik ist jedoch nicht die alte Mythologie, sondern das zeitgenössische Christentum. In den Worten von Frazers Schüler Robert Ackerman:

Frazer war an mehr interessiert, als an einer Epistemologie des Primitiven. Denn obwohl er in seinen Untersuchungen über die sterbenden und wiederauferstehenden Götter des östlichen Mittelmeerraumes niemals den Namen Jesus erwähnt, wird man kaum um den Vergleich zwischen den heidnischen Riten, die aus einem unvollkommenen (weil irrationalen) Verständnis des Universums heraus entstanden sind, und dem gegenwärtigen Christentum umhinkommen. Frazer setzte die „objektive“ wissenschaftliche Vergleichsmethode als Waffe ein, um das Christentum letztlich als abgenutztes Überbleibsel einer Zeit der Fehleinschätzungen, der Leichtgläubigkeit und des Aberglauben abzufertigen.13

Die Vorstellung von einem sterbenden und wiederauferstehenden Gott war laut Crowley ein ignoranter Glaube, der zur fortgeschritteneren Denkweise des neuen Zeitalters in scharfem Kontrast stand. Des Weiteren führte Crowley aus, dass die Magie des alten Zeitalters aus magischer Sicht nicht länger wirksam war, da sie auf irrationalem Denken gründete. Dieses wird in The Book of the Law so ausgedrückt: „Alle Rituale, alle Gottesurteile, alle Worte und Zeichen sind außer Kraft gesetzt“.14 Diese Passage kommentierte Crowley folgendermaßen:

Dieser Vers erklärt, dass die alte Magick-Formel – die Formel des Osiris-Adonis-Jesus-Marsyas-Dionysos-Attis etc., des sterbenden Gottes – nicht länger wirkmächtig ist. Sie beruhte auf dem ignoranten Glauben, dass die Sonne jeden Tag und jedes Jahr sterbe und dass ihre Auferstehung ein Wunder sei.

Die Formel des Neuen Äons erkennt das gekrönte und erobernde Kind Horus als Gott. Wir sind alle Glieder vom Körper Gottes, der Sonne; und um unser System ist der Ozean des Raumes. Diese Formel ist auf diesen Fakten zu begründen. Unser „Böses“, „Irrtum“, „Dunkelheit“, „Illusion“, wie immer wir es auch nennen mögen, ist einfach ein Phänomen zufälliger und vorübergehender Getrenntheit. Wenn du „im Dunklen wandelst“, versuche nicht, durch Selbstopfer die Sonne aufgehen zu lassen, sondern warte vertrauensvoll auf die Dämmerung und genieße derweil die Freuden der Nacht.15

Nach Crowley unterschied sich die Magie oder eher „Magick“ (um die von ihm bevorzugte Schreibweise zu verwenden) des Neuen Äons von früheren „alt-äonischen“ Formen der Magie darin, dass sie auf einem modernen wissenschaftlichen Weltbild gründete, während die Magie des Alten Äons auf primitivem und irrationalem Gedankengut beruhte. Crowley beschrieb sein spirituelles System als „wissenschaftlichen Illuminismus“, mit dem Motto seiner Zeitschrift The Equinox als „die Methode der Wissenschaft, das Ziel der Religion“ gedeutet.16

Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Magie zum Gegenstand seriöser Forschung; die Disziplinen der Sozialanthropologie und vergleichenden Religionswissenschaft entstanden. Crowleys Kritik an den althergebrachten Formen der Magie als etwas Irrationalem stimmte weitgehend mit der akademischen Sichtweise dieser Disziplinen überein. Einer der damals führenden Feldforscher auf diesem Gebiet, Edward Burnett Tylor (1832 - 1917), bezeichnete in seiner einflussreichen Studie Primitive Culture nicht nur den Glauben an Magie als einen „verachtenswerten Aberglauben“, sondern erklärte die Magie zu einer der „schädlichsten Wahnvorstellungen, die je die Menschheit quälten“.17

Auf Tylor und nach ihm Sir James Frazer wird in Untersuchungen zur Magie häufig als Hauptexponenten einer „intellektualistischen Schule“ Bezug genommen – das heißt, sie definieren Magie als eine spezifische Gedankenform, die auf einem irrigen, „pseudowissenschaftlichen“ Glauben an die Wirkmächtigkeit von Ideenassoziationen beruht. Tylor betrachtet Magie lediglich als eine primitive Gedankenform, die auf frühe Stufen der menschlichen Evolution zurückgeht. Moderne Erscheinungsformen magischer Praktiken weist er als übrig gebliebene Relikte dieser archaischen Gedankenform zurück.

In wenigen Worten gesagt, ist deren Platz in der Geschichte genau dieser: Sie gehören im Prinzip zu den niedrigsten bekannten Stufen der Zivilisation, und die niederen Rassen, die größtenteils an keiner Bildung in der Welt teilhatten, erhalten sie noch immer kraftvoll aufrecht. Von dieser Ebene aufwärts können wir verfolgen, dass viel von dieser wilden Kunst in der Substanz unverändert an seinem Platz geblieben ist und im Laufe der Zeit viele neue Praktiken entwickelt wurden, während sowohl die älteren als auch die neueren Entwicklungen in den modernen Kulturnationen mehr oder weniger überdauert haben. Doch in den Zeitaltern, da fortgeschrittene Rassen gelernt haben, ihr Denken an immer genaueren Versuchen zu schulen, ist die okkulte Wissenschaft in jenen Zustand des Überlebens abgesunken, in dem wir sie meistens unter uns vorfinden.18

Die Vorstellung von der Magie als Antithese zur modernen westlichen Kultur basierte zu einem großen Teil auf der Prämisse, dass Magie eine Form „primitiven“ Aberglaubens (oder irrationaler Gedanken) sei.19 Diese abergläubische Denkweise wurde oft als assoziatives Denken beschrieben, in welchem auf Ähnlichkeit gründende Vorstellungen ursächlicher Zusammenhänge den Modus Operandi der magischen Praxis konstituieren. Nach diesem Glaubensmuster wird das vom Magier erstrebte Ziel mittels einer Handlung herbeigeführt, die dieses Ziel nachahmt oder ihm ähnlich ist. Das Konzept der geistigen Verursachung – das ist die Überzeugung, dass der Geist die physische Welt beeinflussen kann – ist mit diesem assoziativen Denken untrennbar verwoben. Um ein stereotypisches Beispiel zu nennen: Eine Nadel in eine Puppe zu stechen, wird allein nicht ausreichen, um einem Feind Schmerzen zuzufügen – die Wirksamkeit magischen Denkens ist, so wird geglaubt, von der Absicht des Magiers abhängig. Auch wenn Tyler als erster die Magie als assoziatives Denken identifizierte, war es Frazers weitere Ausarbeitung, die – mit der bekannten Unterteilung der Magie in zwei Kategorien: die Übertragungs- und homöopathische Magie – die tiefsten Spuren in der magischen Forschung hinterlassen hat. Außerdem behauptete Frazer, dass diese Denkweise eine archaische und primitive Gedankenform repräsentiere, die dem religiösen und dem wissenschaftlichen Denken vorausgegangen sei, womit er die Unvereinbarkeit von Magie mit einer modernen rational-positivistischen Weltanschauung betonte. Obwohl Crowley Frazers Kritik, die (alt-äonische) Magie gründe auf primitiven Gedanken, teilte, hielt er nichtsdestotrotz daran fest, dass die altäonische Magie im Zeitalter des Osiris wirksam gewesen sei. Für uns ist im Rahmen dieser Untersuchung wichtig festzustellen, dass Crowley glaubte, dass sich die Voraussetzungen von Magie und Initiation mit jedem neuen Zeitalter ändern und dass er Frazers Auffassung teilte, dass sich die Kultur durch drei verschiedene Stufen entwickelt habe: Magie, Religion und Wissenschaft nach Frazer und die Äonen der Isis, des Osiris und des Horus nach dem Liber AL.

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