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Abschließende Bemerkungen

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Zeit seines Lebens griff Crowley die gewaltsamen Passagen von The Book of the Law immer wieder neu auf, und zunehmend betrachtete er sie als Prophezeiungen der Weltgeschehnisse, die sich um ihn herum offenbarten. Dies wurde gegen Ende seines Lebens mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges besonders deutlich, der, wie Crowley behauptete, eine direkte Folge der Veröffentlichung von The Book of the Law im Jahre 1937 war. Also revidierte er 1945, nach Entfesselung der Atombombe, seine Meinung über die „Kriegsmaschine“ in The Book of the Law und änderte den „Panzer“ zur „Atombombe“ um.38 Nach Crowleys Tod 1947 interpretierten Thelemiten wie Karl J. Germer (1885 - 1962) und Marcelo R. Motta (1931 - 1987) bestimmte apokalyptische Passagen von The Book of the Law im Angesicht des Kalten Krieges neu und erwarteten einen drohenden Dritten Weltkrieg, in dem ein großer Teil der Menschheit von Nuklearwaffen vernichtet werden würde.39 In den 1950er Jahren arbeitete Germer, der nach Crowley den Ordo Templi Orientis (O.T.O.) übernommen hatte, mit dem ehemaligen Crowley-Schüler Gerald Yorke zusammen, der alle Werke Crowleys gesammelt hatte, um maschinenschriftliche Kopien sämtlicher erhaltenen Briefe, Tagebücher und Manuskripte anzufertigen. Ein Satz von Kopien sollte in London aufbewahrt werden, einer in den Vereinigten Staaten und ein weiterer in Australien, mit dem Ziel, dass im Falle globaler Kriege oder Katastrophen mindestens eine relativ vollständig erhaltene Sammlung der Schriften des Tieres überlebt.40

Kenneth Grant (1924 - 2011), der für eine kurze Zeit gegen Ende von Crowleys Leben dessen Privatsekretär gewesen war, hatte in den späten 1940ern und Anfang der 1950er Jahre teil an diesem Projekt, indem er Material für Yorke und Germer abschrieb. Ende der 1960er begann Grant, in Zusammenarbeit mit Crowleys Nachlaßverwalter John Symonds, eine Anzahl signifikanter Werke des Tieres zu veröffentlichen. Es sollte danach nicht lange dauern, bis Grant seine eigene Version des O.T.O. gründete (der später als Typhonischer O.T.O. bezeichnet wurde und heute Typhonischer Orden heißt) und die ersten Bände seiner einflussreichen „Typhonischen Trilogien“ veröffentlichte. Grants Werke sind fest in der thelemischen Tradition verwurzelt, auch wenn Traditionalisten innerhalb der Bewegung sie als unorthodox und eigensinnig empfinden. Grant erörtert The Book of the Law in verschiedenen seiner Werke ausführlich, und es ist offensichtlich, dass er Crowleys Glauben, dass der Übergang von Alten zum Neuen Äon von gewaltsamen Umbrüchen markiert sei, teilte. Seine Perspektive war möglicherweise stärker apokalyptisch als Crowleys, denn er sagte eine bevorstehende globale Katastrophe voraus. In seinem Buch Outside the Circles of Time (1980) behauptet Grant:

Die Bedeutung von Crowleys Werk … tritt nun erst in Erscheinung, da die Werte der alten Welt, des alten Äons, wegbrechen oder einem radikalen Wandel unterzogen werden. Des Weiteren ist die ganze Masse der Menschheit – nicht nur eine Handvoll Nationen, seien sie auch groß und machtvoll – jetzt von Zerstörung bedroht, wie einst zuvor in den Tagen von Atlantis, als sie fast völlig vernichtet wurde. Da sind jene, die glauben, dass es bereits zu spät ist, eine Wiederholung dieser Katastrophe abzuwenden, obwohl erwogen wird, dass es bestimmten Mitgliedern des Menschengeschlechts möglich sei, das Inferno und seine Auswirkungen zu überleben.41

Auch Grants Auffassung von den Mechanismen der Zeit unterschied sich von der Crowleys, denn wo Crowley die Geschichte relativ linear in Zeitalter unterteilt sah, nahm Grant ein zyklisches Konzept an, das er möglicherweise dem Hinduismus entlehnt hat.42 Indem er die geschichtlichen Ereignisse aus dieser Perspektive betrachtete, ging Grant davon aus, dass die Menschheit den Endphasen des Kali Yuga oder Schwarzen Zeitalters entgegensehe und dass die Gewalt um uns und die drohende Katastrophe die Geburtswehen des Neuen Äons seien, das auch Satya oder Goldenes Zeitalter genannt wird. In einem kurzen Text mit dem Titel „Looking Forward“ [Vorausschau], den er 2004 zum einhundertsten Jubiläum der Rezeption von The Book of the Law verfasste, scheint Grant die zeitgenössischen apokalyptischen Spekulationen über den Maya-Kalender und das „Ende der Zeit“ aufgegriffen zu haben, nach welchen die Zerstörung der Welt gegen Ende 2012 erfolgen sollte.43

Kenneth Grants Schriften sind ein gutes Beispiel dafür, wie die millenaristischen und dispensationalistischen Themen von The Book of the Law von einigen Thelemiten nach Crowley neu interpretiert wurden. Eine schnelle Suche im Internet belegt eine Vielzahl anderer gegenwärtiger Interpretationen, angefangen von rein symbolischen bis hin zu wörtlichen und historischen Deutungen.

Zusammenfassend kann man Crowleys Verständnis der Geschichte als Abfolge von Äonen oder Dispensationen als eine Widerspiegelung der Lehren John Nelson Darbys und der Plymouth Brethren betrachten, denen Crowley in seiner Kindheit begegnete. Darbys Beschreibung der in chronologisch aufeinander folgenden Dispensationen unterteilten Menschheitsgeschichte zieht eine Parallele zu Crowleys Folge von Äonen. Die christliche Endzeittheologie des Prämillenarismus mit ihrem Glauben an die Trübsal, die dem Millennium vorausgeht, wird bei Crowley als Geburtswehen des neuen Äons des Horus neu interpretiert. Nach der prämillenaristischen Theologie werden die gläubigen Christen durch Entrückung vor der Trübsal gerettet. Während es dazu wohl kein direktes thelemisches Gegenstück gibt, scheinen gewisse Passagen im ersten Kapitel von The Book of the Law – zum Beispiel Vers 58: „Unvorstellbare Freuden gebe ich auf Erden: Gewissheit, nicht Glauben während des Lebens; im Tod: unaussprechlichen Frieden, Ruhe, Ekstase“ – den wahren Gläubigen, die das Gesetz von Thelema annehmen, eine große Belohnung anzubieten. Schließlich, gerade wie Christus in der millenaristischen und apokalyptischen christlichen Tradition eine zentrale Rolle in der Schlacht gegen Satan und die Mächte des Bösen zukommt, sieht sich Crowley – als das Tier 666 – als Befehlshaber der Mächte, die die „Sklavengötter“ des Alten Äons stürzen werden. Diese (teilweise) umgekehrte Form des christlichen Prämillenarismus kann so als interessantes Beispiel dafür betrachtet werden, in welcher Weise christliche Lehren bewusst oder unbewusst von zeitgenössischen neureligiösen esoterischen Bewegungen umgedeutet und übernommen werden, und wie wichtig es darum für die Erforschung westlicher Esoterik ist, christliche Praktiken und Glaubensvorstellungen mit einzubeziehen.

Aleister Crowley & die westliche Esoterik

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