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Christlicher Prämillenarismus und Dispensationalismus

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Mit dem christlichen Prämillenarismus war Crowley durch die religiöse Erziehung seiner Eltern, die zur fundamentalistischen evangelikalen Sekte der Plymouth Brethren gehörten, wohl vertraut.33 Diese Bewegung, die in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts von dem Calvinisten John Nelson Darby (1800 - 1882) gegründet wurde, ist geprägt von einer wörtlichen Auslegung der Bibel und einer konservativen Theologie, in deren Mittelpunkt die dispensationalistischen Lehren Darbys stehen.34

Nach Darbys Theologie kann die Weltgeschichte in eine Reihe von sieben Zeitaltern oder Dispensationen eingeteilt werden. Gott verhält sich in jeder dieser Dispensationen unterschiedlich zur Menschheit, der er verschiedene Lektionen zu lernen aufgibt. Die Dispensationen werden bezeichnet als „Unschuld“ (bis zum Sündenfall), „Gewissen“ (von Adam bis Noah), „Regierung“ (von Noah bis Abraham), „Versprechen“ (von Abraham bis Moses), „Mosaisches Gesetz“ (von Moses bis Christus), „Gnade“ (von Christus bis heute) und das „Tausendjährige Königreich“, das zum Ende der Zeitalter eingeleitet wird. Darby interessierte sich stark für Eschatologie, und seine Theologie betonte die bevorstehende Endzeit. Er vertrat die prämillenaristische Auffassung, dass Christus vor Beginn des Tausendjährigen Königreiches körperlich zur Erde zurückkehre. In diesem Punkt wich er von anderen Formen der christlichen Eschatologie ab, vor allem vom Postmillenarismus, der das Tausendjährige Königreich vor der Zweiten Ankunft Christi sah.

Darby predigte eine prätribulationale Wiederkunft Christi, nach welcher Christus unmittelbar vor der weltweiten Trübsal wiederkehren und die Gläubigen in den Himmel „entrücken“ würde. Der Theologe Jan S. Markham erklärt, dass Darby glaubte, die Bibel habe festgelegt, dass die Zweite Ankunft Christi in zwei unterschiedliche Phasen gegliedert sein wird. Die erste ist die „Entrückung“, wenn die in Christus Wiedergeborenen in den Himmel aufsteigen und ihm dort begegnen, und die zweite ist die „Sichtbare Wiederkunft“, die die Tausendjährige Herrschaft auf Erden einleiten wird. Darby lehrte, dass zwischen diesen beiden Stufen eine siebenjährige Zeit der Trübsal liege, in welcher der Antichrist hervortreten werde.35

Auch wenn Crowley in seinen Jugendjahren gegen die religiösen Ansichten seiner Eltern rebellierte – und diese Revolte Zeit seines Lebens fortsetzte –, fällt es auf, dass sich zwei charakteristische Merkmale der religiösen Weltanschauung der Plymouth Brethren im Glaubenssystem von Thelema widerspiegeln: die Wichtigkeit des Studiums der Heiligen Schrift und der Dispensationalismus. In Crowleys neuer Religion wurde die Heilige Schrift der Bibel durch The Holy Books of Thelema [Die Heiligen Bücher von Thelema] ersetzt, von denen das wichtigste The Book of the Law war. Die neue Dispensation war nicht die bevorstehende Zeit vor der Wiederkunft Christi, sondern eher der Äon des Horus, der formell zur Frühlingstagundnachtgleiche 1904 eingeleitet wurde.

Es scheint wahrscheinlich, dass Crowleys Feindseligkeit gegenüber dem Christentum zum Teil eine Reaktion auf die Traumata seiner Erziehung im kultischen Umfeld des Exklusiven Zweiges der Plymouth Brethren war. Seiner Autobiographie nach war Crowley bis zum Alter von elf Jahren, als sein Vater starb und seine Mutter sich in ihrer Trauer der Religion noch stärker zuwandte, relativ glücklich. Zu diesem Schlüsselmoment in seinem Leben schreibt er:

Ich akzeptierte die Theologie der Plymouth Brethren. In der Tat konnte ich mir kaum vorstellen, dass es Leute gab, die sie bezweifeln könnten. Ich bin einfach zu Satans Seite übergelaufen; und bis zur Stunde kann ich nicht sagen warum.36

Crowleys Einstellung dem Christentum gegenüber ist in Wirklichkeit viel komplexer, als man von jemandem, der sich selbst mit dem Tier der Offenbarung identifiziert, erwarten mag. Wie auch H. P. Blavatsky und andere Okkultisten jener Zeit scheint er einen grundsätzlichen Respekt für Christus als Individuum, das Erleuchtung erreicht hat, bewahrt zu haben, obwohl er der historischen Beschreibung der Person Christus in den Evangelien gegenüber skeptisch blieb. Er verachtete auch das Christentum und seine Morallehren; insbesondere den protestantischen und reformierten Kirchen stand er feindselig gegenüber. Obwohl Crowley bereits in seiner Autobiographie auf seine Kindheitserfahrungen mit den Plymouth Brethren und den verschiedenen Brüderschulen, auf die er geschickt wurde, einging, bewahrte er sich die radikalste, sein Ich schonungslos enthüllende Darstellung dieses schmerzhaften Abschnittes seines Lebens, den er „eine Kindheit in der Hölle“ nannte, für die Einleitung zu seinem epischen Gedicht The World’s Tragedy (1910) auf:

Darum halte ich den legendären Jesus in keiner Weise für verantwortlich für die Schwierigkeiten: sie begannen wohl mit Luther und setzten sich mit Wesley fort; doch ganz gleich! – worauf ich hinaus will, ist die Religion, die England heute zur Hölle für jedermann macht, dem überhaupt an Freiheit gelegen ist. Diese Religion nennen sie Christentum; den Teufel, den sie verehren, nennen sie Gott. Ich akzeptiere diese Definitionen, wie ein Dichter es tun muss, wenn er von seinen Zeitgenossen verstanden werden will, und es ist ihr Gott und ihre Religion, die ich hasse und die ich zerstören werde.37

Aleister Crowley & die westliche Esoterik

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