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2.7 Industrielles Bauen – eine Utopie oder eine Chance für den Holzbau?

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Echtes industrielles Bauen kann man – auch wenn die Vergleiche immer hinken – zum Beispiel aus der Automobilindustrie ableiten: Produktion einer hohen Anzahl gleicher Elemente auf der Basis einer vollständigen Planung, die neben den gestalterischen und funktionalen Aspekten auch alle zur Produktion erforderlichen Daten enthält. In der Automobilindustrie kann man als Beispiele Getriebeeinheiten, Armaturenbretter, Lichtmaschinen oder Fahrwerkselemente nennen, die in vielen zum Teil unterschiedlichen Typen und sogar Marken verwendet werden. Bei der Konfiguration eines spezifischen Automobils können dann in einem festgelegten, nicht veränderbaren Rahmen Individualisierungen vorgenommen werden.

In einigen Bereichen gab oder gibt es das auch im Bauwesen: Industriehallen aus Stahl oder Holz, Containermodule für temporäre Bauten, Viehställe, Hotels oder Fertighäuser. Hier können beispielsweise die hoch standardisierten Fertighäuser der Firma Okal aus den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts genannt werden. Im mehrgeschossigen Wohnungsbau wurden in Ost und West ähnliche Standardisierungen vorgenommen – der Plattenbau. Die weitgehende Standardisierung der Grundrisse und Bauelemente ergab allerdings eine architektonische Monotonie, die heute nicht mehr gewünscht ist und nicht den Prinzipien nachhaltiger Architektur entspricht. Denn zu dieser gehört eine ansprechende Gestaltung, die nicht zu Abrissen von Gebäuden nach 30 Jahren, sondern zu einem langfristigen Erhalt führt.

Eine weitgehende Standardisierung zumindest von Bauelementen ermöglicht aber eine Optimierung der Produktionstechnologie und damit preiswerteres Bauen.

Eine derartige Industrialisierung ist jedoch heute im Bauwesen und im Holzbau in Europa kaum zu finden. Auch die Fertighausindustrie hat sich den individuellen Anforderungen der Kunden an Architektur und Ausstattung weitgehend ergeben und ist sehr nahe am Einzelentwurf (one-design) angekommen. Zudem umfasst sowohl im Ein- und Zweifamilienhausbau wie auch im mehrgeschossigen Holzbau die Vorfertigung meist nur die Herstellung des Rohbaus. Die technische Gebäudeausrüstung, der Trockenbau leichter Trennwände und abgehängter Decken, die Herstellung der Oberflächen usw. erfolgen überwiegend mit entsprechendem Zeitaufwand auf der Baustelle.

Dabei wäre eine echte Industrialisierung dringend erforderlich. Einerseits aus den bereits oben genannten Gründen der vielfältigen Anforderungen, die nicht in jedem Fall zu neuen Lösungen führen sollten. Vor allen Dingen aber, weil weltweit infolge der Migration in die Städte ein enormer Bedarf an bezahlbarem Wohnraum besteht. Die im Jahr 2020 für den Wohnungsbau je Quadratmeter aufzuwendenden Mittel für reine Baukosten (Kostengruppen 300 und 400 nach DIN 276 [2.31]) übersteigen mit ca. 1800−2500 Euro/m2 vermietbarer Fläche inklusive Mehrwertsteuer jedenfalls die durch die Wohnungswirtschaft allein ökonomisch aufbringbaren Kosten. Der (soziale) Wohnungsbau ist daher auf eine intensive staatliche Förderung angewiesen.

Auf der Seite der Baumaterialien, auch im Holzbau, sind selbst unter Berücksichtigung von Mengeneffekten praktisch keine weiteren Einsparungen möglich. Durch den enormen Baubedarf weltweit sind keine fallenden Preise zu erwarten. Auch Arbeit als Produktionsfaktor wird eher teurer. Es besteht ein ausgesprochener Fachkräftemangel auf allen Ebenen, angefangen von Architekten und Ingenieuren bis zu gut ausgebildeten Facharbeitern, welche die zunehmend komplexen Anforderungen umsetzen können. Die einzigen Möglichkeiten, Wohnungsbau erschwinglicher zu gestalten, liegen daher in der Planungs- und Prozessoptimierung und einer industriellen Fertigung.

Der Holzbau ist dabei im Bereich der Vorfertigung zumindest ein wesentlicher Vorreiter und hat eine Reihe von systemimmanenten Vorteilen wie das leichte Gewicht. Und es gibt eine hinreichende Anzahl von Betrieben, die in der weitgehenden Vorfertigung von Wand-, Dach- und Deckenbauteilen große Erfahrung haben.

Abb. 2.40 Typischer Wohnungsbau im Großraum Shanghai, 2018

(Quelle: Stefan Winter).

Die Vorfertigung umfasst in vielen Fällen neben dem Einbau von Dämmung sowie Innen- und Außenbekleidungen auch den Einbau von Fenstern und teilweise die Installation von technischer Gebäudeausrüstung wie Verkabelungen und Bauteilen der Gebäudelüftung. Allerdings ist heute noch die sogenannte Anpassungsplanung ein deutlicher Kostentreiber. Damit sind die erforderlichen Ergänzungen und Änderungen gemeint, um den planerischen Entwurf des Entwurfsteams (Architekten und Ingenieure) an die Produktionseigenheiten des jeweiligen Auftragnehmers anzupassen und z. B. die erforderlichen Produktionsdaten für die Maschinensteuerungen zu erstellen (Abbund, Elementproduktion, Leitungsführung, Ausstattung etc.)

In anderen Ländern, wie z. B. China, finden sich natürlich auch heute Beispiele zumindest seriellen Bauens. 15 oder 20 baulich identische Hochhäuser mit 30 Geschossen oder mehr aus Stahlbeton sind dort keine Seltenheit – mit der bekannten auch bei uns früher vorherrschenden architektonischen Monotonie (Abb. 2.40). Die Arbeiten finden überwiegend auf der Baustelle statt, bei geringen Arbeitskosten ist dies naheliegend.

Die jeweils individuelle Lösung für jedes einzelne Gebäude ist Verschwendung von Zeit, Kapazität und Geld.

In einem Forschungsprojekt der TU München (Bauen mit Weitblick [2.32]) wurden in den Jahren 2016–2018 die Möglichkeiten untersucht, wie mögliche Schritte zu einem echten industrialisierten Wohnungsbau unter Berücksichtigung heutiger Technologien und der oben genannten Anforderungen aussehen könnten. In Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem Beton- und Holzfertigbau und der Wohnungswirtschaft untersuchte ein interdisziplinäres Team aus Architekten, Bauingenieuren, Haustechnik, Bauinformatik und Design, ob eine Weiterentwicklung zu einem echten industriellen Bauen in diesem Fall speziell im sozialen Wohnungsbau möglich ist.

Aus den oben genannten Gründen muss eine Vereinheitlichung der Bauelemente und Details erfolgen, um eine Reduktion der Prozesskosten und der Anpassungsplanung zu erreichen. Letztere erwies sich mit zum Teil über 25 % der Baukosten als wesentlicher Kostentreiber im vorgefertigten Bauen. Die architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten und alle anderen o. a. Vorgaben sowie die Lebenszykluskosten der Gebäude sollten gleichrangig berücksichtigt werden. Hier spielen z. B. die Flexibilität und Erneuerbarkeit der Bäder eine wesentliche Rolle.


Abb. 2.41 3-D-Baugruppen – vollständig geplant einschließlich aller Details an den Übergängen zu anderen Baugruppen an den Schnittstellen [2.32].

Im Vorhaben wurde in Anlehnung an das Vorgehen in anderen Industriezweigen und auf der Grundlage von bewährten Grundrisskonfigurationen eine Systematik für dreidimensionale Baugruppen entwickelt (Abb. 2.41). Diese Baugruppen können aus Raummodulen bestehen, sie können aber auch aus vorgefertigten Tafelelementen für Dach, Wand und Decke oder einer Kombination aus beidem bestehen. Theoretisch könnte auch eine Baustellenfertigung aus vorkonfektionierten Bauteilen auf der Baustelle erfolgen.

Wesentlich ist, dass die jeweiligen Baugruppen vollständig bemessen und konstruiert und in einem 3-D-CAD-System dargestellt sind. Sie sind für fünf- oder achtgeschossige Gebäude bemessen, die hinterlegten Decken- und Trennwandkonstruktionen erfüllen die erforderlichen Brand- und Schallschutzeigenschaften, die wärmetechnischen Eigenschaften sind festgelegt. Damit sind die geometrischen Abmessungen, die Energieverbräuche, vermietbaren Flächen und alle anderen Kennzahlen bekannt ebenso alle erforderlichen Baumaterialien und Produktionsdaten.

Die Baugruppen können wie in Abb. 2.41 dargestellt nur in einer Geschossebene geplant werden, sie können aber auch zwei Geschosse übergreifen, z. B. als Maisonette oder als Gruppe von Wohnungen unterschiedlicher Größe. Wesentlich ist die Definition aller Übergänge zu einer anderen Baugruppe, insbesondere die Kopplung der Schächte. Anbauteile wie Balkone oder Laubengänge mit fest definierten Übergabepunkten können ergänzt werden.

Die Baugruppen werden einschließlich der technischen Gebäudeausrüstung und ihrer Endausstattung in einem geeigneten Planungssystem virtuell abgebildet (Building Information Model – BIM). Für diese Anwendung ist die Verwendung von BIM auch wirklich sinnvoll, da sich in diesem Fall der doch deutlich erhöhte digitale Planungsaufwand lohnt.

Eine besondere Herausforderung stellt die Integration der Haustechnik dar. Sie kann jedoch in vorgefertigte Elemente sehr gut integriert werden, z. B. in „abgehängte“ Decken. Abb. 2.16 zeigt ein vorgefertigtes Deckenelement mit integrierter Lüftung, Elektroinstallation, Heizung und Kühlung bei der Montage im Bürogebäude der Firma Kampa.

Der planende Architekt arbeitet zunächst nur mit einem Konfigurator, der die unterschiedlichen 3-D-Baugruppen mit ihren Abmessungen und den erforderlichen brandschutztechnischen und bauphysikalischen Daten und Geometrieangaben enthält. Die zulässigen Kombinationen werden automatisch während der Konfiguration überprüft. Die tatsächliche Ausführung z. B. einer Wohnungstrennwand oder die zugehörige Anschlussdetaillierung muss nicht bearbeitet werden. Eine Individualisierung des Entwurfs kann durch Anbauteile wie Balkone, die Fassadengestaltung (WDVS oder hinterlüftete Plattenfassade), die Veränderung der Fenstergrößen und Anordnung in definiertem Umfang und natürlich die Innenausstattung mit Belägen etc. erfolgen. Je nach Standort des Gebäudes kann die Art der Energieversorgung angepasst und dadurch das jeweils effizienteste Heiz- und Kühlsystem verwendet werden.

Ergänzend ist auf der Grundlage der Datenübergabe aus den Konfiguratoren die Bemessung der Gründung, eventueller Tiefgaragen oder eines zusätzlichen Erdgeschosses mit Sonderfunktionen aus Stahlbeton vorzunehmen.

Dies ist eine andere Art des Entwurfs, aber sie verkürzt wesentlich die Abstimmungsprozesse und erhält die Möglichkeit architektonischer Gestaltung.

Natürlich gibt es eine Reihe von Widerständen gegen ein solches Vorgehen, aber gerade für den dringend notwendigen Bau von Wohngebäuden bietet es sich an, da durch den Wegfall der Anpassungsplanung bei den ausführenden Betrieben wesentliche Einsparungen möglich sind. Die Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten und damit verbundenen Individualisierungen kann am Beispiel eines SOMA®Würfels gezeigt werden (s. Abb. 2.42).

Bisher liegen nur Konfiguratoren auf der Grundlage firmenspezifischer Angebote vor, was auch eine andere Art der Ausschreibung erfordern würde. Es ist jedoch vorstellbar, dass ein solches Planungssystem auch von einer Gruppe von Architekturund Ingenieurbüros firmenneutral erarbeitet und genutzt wird, was eine größere Marktfreiheit zur Folge hätte, aber damit den Holzbau insgesamt deutlich stützen würde, da praktisch alle Firmen, die hochwertig vorfertigen können, sich dann allein oder bei entsprechendem Volumen gemeinsam an solchen Projekten beteiligen könnten.

Entsprechende firmenneutrale Beschreibungen von Bausystemen bestehen prinzipiell schon. Das Buch „Holzrahmenbau“ [2.33] stellt auch bereits einen Baustandard dar, nur beschränkt auf Bauelemente. Ähnliche „Kataloge“ gibt es z. B. in Finnland für Beton- und Holzfertigbauweisen für den mehrgeschossigen Wohnungsbau (BES [2.34] und PES [2.35]). Die Erweiterung auf Baugruppen und die Implementierung in BIM sind nur der nächste Schritt. Damit würde dann ein echter Industriestandard darstellbar sein, was wiederum den ausführenden Firmen die Möglichkeit gibt, sich auf die Optimierung ihrer Prozesse und ihrer „ökologischen Leistungsfähigkeit“ (z. B. Minimierung von Primärenergieeinsatz, Abfallreduktion) anstatt auf teilweise nicht sinnvolle Diversifizierungen ihrer Konstruktionsaufbauten zu konzentrieren.


Abb. 2.42 SOMA®-Würfel als Beispiel für ein „3-D-Tetris“-System – ermöglicht 240 unterschiedliche Zusammensetzungen des Würfels aus nur sieben unterschiedlichen Teilen

(Quelle: Stefan Winter).


Abb. 2.43 mobi:skul am Standort Weiterstadt, Außenansicht

(Quelle: werk.um-architekten).

Eine realisierte Anwendung des Baugruppensystems stellt das Bausystem mobi:space [2.36] für temporäre Schulersatzbauten dar. Die technisch vollständig geplanten Baugruppen für Klassenräume können mit den Erschließungselementen für den jeweiligen Standort individuell konfiguriert werden. Sie werden aus einem Mix aus Holztafelbau und vorgefertigten Raummodulen hergestellt. Trotz der hohen Vorkonfigurierung weisen sie eine hohe architektonische Qualität auf (siehe Abb. 2.43 und 2.44).

Abb. 2.44 mobi:skul, Innenansicht eines Klassenraums

(Quelle: Thomas Ott).

Holzbau-Taschenbuch

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