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1 Bis zur Erschöpfung – Zur Geschichte der Ausbeutung natürlicher Ressourcen

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Luitgard Marschall, Simon Meißner, Claudia Schmidt

IM JAHR 2012 FIEL der sogenannte „Welterschöpfungstag“ (Earth Overshoot Day) auf den 22. August. Dieser Stichtag markiert jenen Tag im Jahr, an dem wir Menschen alle Ressourcen aufgebraucht haben, die uns die Erde für ein ganzes Jahr bereitstellen kann. In den restlichen Wochen und Monaten des Jahres leben wir über unsere Verhältnisse – wir zehren sozusagen von der Substanz. In die ökologische Verschuldung geriet die Menschheit erstmalig in den 1980er Jahren (s. Abb. 1.1). Damals wurden zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die Fähigkeiten der Natur überstrapaziert, Ressourcen zu erneuern und Giftstoffe in Luft, Wasser und Boden zu neutralisieren. Seither übersteigt der ökologische Fußabdruck der Menschheit immer mehr die Biokapazität des Planeten. Die Ressourcen sind also jedes Jahr etwas früher erschöpft und das Datum der jährlichen Grenzüberschreitung rutscht jedes Jahr um ein paar Tage weiter nach vorn im Kalender. 1999 übertraf der Bedarf der Menschheit das Angebot der Natur schon um etwa 20 % (WACKERNAGEL ET AL. 2002: 9266ff.). Gegenwärtig überfordern wir die Tragfähigkeit der Erde um 50 %. Und wenn wir den Kurs nicht bald ändern, reichen ab dem Jahr 2030 voraussichtlich auch zwei Planeten nicht mehr aus, um den zunehmenden Rohstoffhunger zu stillen und die anfallenden Abfälle und Schadstoffe zu neutralisieren (WWF 2012: 6).


Abb. 1.1: Ökologischer Fußabdruck der Menschheit (MEADOWS ET AL. 2009: XVII).

Schnelles Handeln scheint dringend geboten. Doch um neue zukunftsfähige Entwicklungspfade beschreiten zu können, die auf Nachhaltigkeit zielen und die Belastungsgrenzen der Umwelt nicht länger ignorieren, ist ein genaues Verständnis der gegenwärtigen Fehlentwicklung nötig. Was sind die tieferen Ursachen der heutigen Umwelt- und Ressourcenproblematik? Welche Triebkräfte haben innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit zum globalen Ausmaß der Krise geführt? Wann sind die entscheidenden Weichenstellungen erfolgt und wo liegen richtungsweisende Wendepunkte? Antworten auf derlei Fragen liefert die Umweltgeschichte (vgl. WINIWARTER & KNOLL 2007). Das Hauptinteresse dieser historischen Disziplin gilt den vielfältigen Aspekten der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umwelt. Darüber hinaus tragen auch die Technik- und die Konsumgeschichte dazu bei, den gegenwärtigen Zustand der ökologischen Grenzüberschreitung von seinen Entstehungsbedingungen her zu analysieren.

Der Blick auf die Vergangenheit verhilft nicht nur dazu, die Herausbildung komplexer Zusammenhänge und Sachzwänge Stück für Stück nachvollziehen und mögliche Verlaufsformen der Zukunft klarer abschätzen zu können. Die historische Perspektive vermag auch ein stärkeres Epochenbewusstsein für die Mensch-Umwelt-Problematik zu wecken (PFISTER 1994: 72) und jene Zeitenschwelle auszumachen, die unsere heutige material- und energieintensive Epoche von ihrer vorangehenden, weniger verschwenderischen und umweltzerstörerischen Entwicklungsperiode trennt.

Fraglos greift der Mensch, seit es ihn gibt, in seine natürliche Umwelt ein. Bereits Jäger- und Sammlergesellschaften haben ihre Umgebung signifikant geprägt, indem sie Tiere erlegten oder kontrolliert mit Feuer umgingen. Dass Rohstoffe aus der Erde gescharrt, in andere Regionen transportiert, zu technischem Gerät und Gebrauchsobjekten verarbeitet werden, ist ebenfalls kein neues Phänomen. Deshalb fällt es auch so leicht, historische Parallelen zu fast allen Umwelthemen zu finden, die heute Schlagzeilen machen: „Verschmutzung durch fossile Brennstoffe? Schon das mittelalterliche London atmete schwer, wenn sich die Abgase der Kohle mit dem feuchtkalten Wetter zum berüchtigten ‚Smog‘ vermengten“ (UEKÖTTER 2009: 14).

Trotzdem sehen Umwelthistoriker in dem derzeitigen Mensch-Umwelt-Verhältnis ein neues Phänomen. In seiner Untersuchung Blue Planet – Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert arbeitet etwa John McNeill anhand einer beeindruckenden Beispielfülle heraus, wie sehr sich das 20. Jahrhundert in seinen Auswirkungen auf die natürliche Umwelt von früheren Epochen unterscheidet (MCNEILL 2003). Im Zeitraum von nur 100 Jahren haben sich etwa die Bevölkerungszahl vervierfacht, die Wirtschaft um das 14fache und der Energieverbrauch um das 16fache zugenommen, während die industrielle Produktion sogar um den Faktor 40 gewachsen ist. Zugleich wurden aber auch am Ende des Jahrhunderts 13mal mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre ausgestoßen und neunmal mehr Wasser verbraucht als zu seinem Beginn (ebd.: 9). Die Intensität, das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der Menschen in diesem „verschwenderischen Jahrhundert“ Ökosysteme verändert hätten, seien in der Geschichte beispiellos – so das Fazit des Historikers.

Betrachten wir zusätzliche Umwelt- und Wohlstandsindikatoren aus den westlichen Industrienationen wie Flächenversiegelung, Abfallaufkommen oder Anzahl der Kraftfahrzeuge, so fällt auf, dass sich ihr Wachstum um 1950 geradezu sprunghaft beschleunigt. Der Umwelthistoriker Christian Pfister zieht daraus den Schluss, dass die besorgniserregende gegenwärtige Umweltsituation in erster Linie die Folge solcher um die Jahrhundertmitte einsetzender exponentieller Wachstumsschübe sei. Pfister spricht in diesem Zusammenhang von dem „1950er Syndrom“. Gemessen am heutigen Zustand habe sich Europa noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts auf einem „umweltverträglichen, quasistationären Entwicklungspfad“ bewegt (PFISTER 1994: 74ff.).

Richtungsweisender Wendepunkt für die Mensch-Umwelt-Problematik sind also die 1950er Jahre, die in Westeuropa den Übergang zu jenem üppigen Lebensstil markieren, der sich für die Umwelt spätestens gegen Ende des 20. Jahrhunderts als ruinös erweisen sollte. Bezeichnenderweise vollzog sich in diesem Jahrzehnt auch der Wandel von der Industriezur Konsumgesellschaft. In der Bundesrepublik Deutschland etwa bildete sich das Phänomen des Massenkonsums in den 1950er und 1960er Jahren aus. Aus vielen ehemaligen Luxusgütern wie Kühlschrank, Waschmaschine oder Auto, die vormals nur einer kleinen privilegierten Bevölkerungsgruppe zugänglich waren, wurden weit verbreitete Gebrauchsgüter. Dem nordamerikanischen Vorbild folgend entwickelte sich der uneingeschränkte Konsum nun auch zum herausragenden Kennzeichen westeuropäischer Nachkriegsgesellschaften. Neue und außerordentlich energie- und materialintensive Lebensstile setzten sich durch und ließen bzw. lassen den Ressourcenhunger der westlichen Moderne nahezu unersättlich scheinen.

Um im Folgenden die Voraussetzungen und Schlüsselfaktoren für das Wachstum aufzuzeigen, das vor etwa 200 Jahren seinen Ausgang nahm und gegen Mitte des 20. Jahrhunderts im Zuge der Herausbildung der Konsumgesellschaft eine zusätzliche Dynamik gewann, richtet sich das Augenmerk auf gravierende Veränderungen in den Bereichen Energie, Entwicklung der Bevölkerung, Wirtschaft und Technik sowie der Globalisierung von Stoffströmen. In ihrer Summe ebneten sie den Weg in die heutige Überflussgesellschaft – und damit auch in die ökologische Verschuldung. Allerdings wäre der Eintritt ins „konsumistische Schlaraffenland“ nicht ohne den grundlegenden Wandel von Wertvorstellungen und Mentalitäten möglich gewesen (vgl. ANDERSEN 1997: 6f. u. 32), die ebenfalls beleuchtet werden.

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