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1.4 Veränderungen der Mentalitäten und Lebensstile

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Energieverbrauch, BIP, Flächenverbrauch von Siedlungen, Abfallaufkommen und die Schadstoffbelastung von Wasser, Luft und Boden – alle machten seit den 1950er Jahren einen drastischen Sprung nach oben. Die Gesamtheit der damit einhergehenden tiefgreifenden Veränderungen der Produktions- und Lebensweise wird wie bereits dargelegt als 1950er-Syndrom bezeichnet. Diese Zeit markiert die Schwelle, an der sich die Industriegesellschaft zur Konsumgesellschaft wandelte und damit den Beginn des exponentiellen Anstiegs des Ressourcenverbrauchs.

Die Veränderungen im kapitalistischen Marktsystem durch technisch-organisatorische Innovationen bei der Produktion, die eine Massenfertigung von Konsumgütern mit hoher Qualität ermöglichten (s. „fordistisches“ Produktionsmodell), zusammen mit der Veränderung der Mentalitäten und Lebensstile, die mit steigenden Einkommen in eine Ära der Konsumfreudigkeit mündete, stellen einen Wendepunkt in der Mensch-Umwelt-Beziehung dar. Bis in die 1950er Jahre war die Lebensweise der Menschen in den Industriestaaten vom Paradigma der Sparsamkeit und Recycling-Mentalität geprägt und repräsentierte trotz der Bevölkerungszunahme weitgehend einen umweltverträglichen Entwicklungspfad. Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Fordismus von den USA nach der Alten Welt ausbreitete, brach auch in Europa nach der Zeit der Knappheit die Ära des Überflusses an. Durch die Hervorbringung einer bisher in der Menschheitsgeschichte einzigartigen Fülle von Waren und Gütern dienten die USA international als Vorbild und übernahmen beim Übergang zur Konsumgesellschaft jene Vorreiterrolle, die Großbritannien bei der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert gespielt hatte (PFISTER 1994: 76ff.). Stellvertretend für viele Länder Europas kann dieser gesellschaftliche Transformationsprozess am Beispiel Deutschlands besonders gut verdeutlicht werden, weil er hier mit außerordentlicher Geschwindigkeit vollzogen wurde.

Nachdem die schlimmsten Folgen des Zweiten Weltkriegs überwunden waren, setzte vor allem in Westdeutschland eine bisher beispiellose Aufwärtsentwicklung ein. Das „Wirtschaftswunder“ ließ die Einkommen und Vermögen und in ihrem Gefolge den Lebensstandard steil in die Höhe schnellen. So stieg das Pro-Kopf-Volkseinkommen von 1950 bis 1989 real um mehr als das Vierfache. Es „explodierte“ in diesem Zeitraum von gut 8600 DM auf fast 36.000 DM (GEISSLER 2008: 69). Im Jahr 2011 lag es bei etwa 24.000 Euro (STATISTISCHES BUNDESAMT 2012: 47), was umgerechnet etwa 46.900 DM entspricht. Die „Wohlstandsexplosion“ der Nachkriegszeit und die Entwicklung des Sozialstaats machten es zudem möglich, dass vor allem große Teile der Arbeiterschicht am steigenden Lebensstandard, an der immer besseren Absicherung der sozialen Risiken und an der wachsenden Freizeit teilnahmen. Sie erhielten mehr und mehr Zugang zu Gütern, die „mittelständischen“ Wohlstand und Prestige symbolisierten: Autos und Urlaubsreisen, Fernsehgeräte, Telefone und Fotoapparate breiteten sich in weite Gesellschaftsbereiche hinein aus. Dies betraf ebenso die Ausstattung des Haushaltes mit elektrischen Geräten sowie den Genuss hochwertiger Nahrungsmittel. Neben der Verbreitung von Konsumgütern zeichnete sich das Wohlstandswachstum auch durch den Zugang zu immer größeren und komfortableren Wohnungen und Häusern aus (GEISSLER 2008: 190ff.). Darüber hinaus sanken seit Mitte der 1950er Jahre die Wochenarbeitszeiten von ursprünglichen 49 auf 40 Stunden in den 1980er Jahren. Somit wuchs auch der Anteil der frei gestaltbaren Zeit am Zeitbudget erheblich (ANDERSEN 1997: 209). Die „Entproletarisierung“ der Arbeiterschaft und ihre steigende Kaufkraft ebneten schließlich dem Massenkonsum einer ganzen Gesellschaft den Weg. Diese Entwicklung erfasste weite Teile Westeuropas und formte das Lebensmodel einer ganzen Generation und ihrer Folgegenerationen. Die Menschen hatten die entbehrungsreiche Periode des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsjahre endgültig hinter sich gelassen, ihr Lebensgefühl und damit ihre Mentalität wandelte sich: das Sparsamkeitsparadigma wurde abgelöst von der Freude am Konsum, bedingt durch eine rasante Veränderung der Lebensgewohnheiten entwickelte sich eine Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. Es brach eine „Ära der Vergeudung“ an, in der nicht mehr die Arbeit den zentralen Lebensablauf bestimmt, sondern der Konsum das sinnstiftende Zentrum darstellt (PACKARD 1964: 16, PFISTER 1994: 79).

In Zusammenhang mit der Diskussion um den zunehmenden Wohlstand und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch ist vor allem der Begriff des Lebensstils von Bedeutung. Indem er für Konsum und damit für wirtschaftliches Wachstum sorgt, stellt er je nach Ausprägung einen sehr wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Unter Lebensstil wird ein relativ stabiles, regelmäßig wiederkehrendes Muster der alltäglichen Lebensführung verstanden – ein „Ensemble“ von Wertorientierungen, Einstellungen, Deutungen, Konsum- und Geschmackspräferenzen, Verhaltensweisen, Handlungen und Interaktionen, die aufeinander bezogen sind (GEISSLER 2008: 106f.). Lebensstile sind in der Regel sehr individuell, lassen sich jedoch zu Typen mit gleichen Lebensstilmustern zusammenfassen und weisen viele verschiedene Merkmale auf. Vor allem umfassen sie Lebensbereiche wie Freizeit (Sport, Urlaub, Kultur, Musik und Leseinteressen), Wohnen, Kleidung, Körperinszenierung (Selbstdarstellung, Körperpflege, Fitness, Schlankheit u.a.), Vorlieben von Essen und Trinken sowie ganz allgemein Konsumgewohnheiten. Lebensstile sind somit bereichsübergreifend und besitzen einen deutlichen Schwerpunkt auf Freizeit- und Konsumaktivitäten. Die Soziologie unterscheidet insgesamt sieben Typen von Lebensstilen, die unterschiedliche Konsumpräfenzen aufweisen: von zurückhaltend-passiv bis hin zu hedonistisch-expressiv (GEISSLER 2008: 107f.) oder anders formuliert von suffizienten bis hin zu opulenten Lebensstilen, die keinerlei Rücksicht auf die ökologischen Konsequenzen des Konsums nehmen.

Lebensstile können sich jedoch durch die Weiterentwicklung persönlicher Präferenzen mit der Zeit ändern; sie lassen sich also prinzipiell beeinflussen. In den letzten Jahren haben sich beispielsweise Lebensstile herausgebildet, deren Konsumverhalten eine Produktwahl zur Förderung von Gesundheit und Nachhaltigkeit zum Ziel hat. In diesem Zusammenhang spricht man vom Konsumtrend des Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS), der vor allem in gebildeten und gut verdienenden gesellschaftlichen Schichten zu finden ist. Die Industrie macht sich die Möglichkeit der Beeinflussung gezielt zunutze und spricht durch Werbung und Marketingstrategien speziell solche potentiellen Käufergruppen an, um entsprechende Konsumtrends zu bedienen und die Marke „Nachhaltigkeit“ zu verbreiten (vgl. HARTMANN 2009). Allerdings wird der Beitrag dieses Lebensstils zur nachhaltigen Entwicklung zunehmend angezweifelt (vgl. HÄUSLER & KERNS 2008; GÖSSLING 2009; HARTMANN 2009). LOHAS leben zwar in vielen Alltags- und Konsumbereichen sehr nachhaltig, aber die Bedeutung des Beitrags zur nachhaltigen Entwicklung liegt mehr in den strukturellen Änderungen, die eine derartige Lebensweise induziert, z.B. durch die Schaffung „grüner“ Märkte, als in der Aufgabe von z.B. klimaintensiver Lebensweisen. So tragen LOHAS in Bezug auf Emissionen von Treibhausgasen durch Urlaubsreisen mehr zum anthropogenen Klimawandel bei als der Durchschnittsbürger (GÖSSLING 2009). Zudem zeigen Ergebnisse der Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland 2008“, dass die meisten Deutschen zwar umfassende Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz befürworten, jedoch oftmals nicht bereit sind, ihre eigenen Lebensstile in dieser Hinsicht zu ändern (BMU 2013: 64ff.). Vor diesem Hintergrund müssen zunehmend auch Lebensstile, die von der Wirtschaft als „nachhaltige“ Konsummuster bezeichnet werden, kritisch hinterfragt werden.

Um die Massenproduktion und den Massenkonsum weiterhin aufrechtzuerhalten, werden nicht nur „konsumfördernde“ Maßnahmen auf Nachfrageseite, sondern auch auf Produktionsseite angedacht: Neben der Entwicklung neuer Designs und der Steigerung der Leistungsfähigkeit von Konsumgütern betrifft dies die direkte Einflussnahme auf deren Haltbarkeit, die sogenannte geplante Obsoleszenz (obsolescere: sich abnutzen, alt werden). Darunter versteht man das künstlich beschleunigte Altern eines Produktes bzw. die gezielte Integration von Schwachstellen in ein Produkt, um die Lebens- und Nutzungsdauer zu verkürzen. Dabei handelt es sich um eine Produktstrategie zur Erhöhung des (betriebs-)wirtschaftlichen Umsatzes, in dem die Kunden gezwungen werden, neue Produkte zu kaufen, da eine Reparatur der alten Geräte meist kostspieliger als der Neuerwerb ist.

Der Begriff der geplanten Obsoleszenz geht zurück auf Bernard London, der in seiner Veröffentlichung „Ending the Depression Through Planned Obsolescence“ aus dem Jahre 1932 vorschlug, den Konsum in den USA durch eine gesetzlich angeordnete Obsoleszenz gezielt anzustoßen und so die Rezension in den 1930er Jahren zu überwinden (SLADE 2006: 72f.). Diese Vorgehensweise wurde zwar politisch nicht umgesetzt, konnte jedoch auf betriebswirtschaftlicher Ebene seitdem schon mehrfach nachgewiesen werden. Als prominentestes Beispiel geplanter Obsoleszenz dient das 1924 gegründete Phoebuskartell, bestehend aus namhaften Herstellern von Beleuchtungssystemen, die sich darauf einigten, die nominale Brenndauer von Glühlampen international von 2500 auf 1000 Stunden zu begrenzen. Weitere Beispiele sind das schnellere Altern von (synthetischen) Textilien durch die Reduktion von UV-Blockern, die Begrenzung der Anzahl an Betriebsstunden und Arbeitsdurchgängen für Elektronikartikel wie Drucker und Kopiergeräte oder der erschwerte Austausch von Ersatzteilen bei Elektrogeräten wie etwa Akkus (vgl. SLADE 2006).

Die zum Teil verschwenderischen Produktions- und Konsumpraktiken sind somit auch für ein weltweit zunehmendes Müllaufkommen verantwortlich. Die Abfallentsorgung ist mittlerweile eine globale Belastung, sowohl in den Industrie- als auch Entwicklungsländern. Dabei handelt es sich um vielfältigste Stofffraktionen aus Siedlungsabfällen, Müll aus Industrie und Gewerbe, Bergbau, Bau und Abbruch sowie unterschiedlichsten Sondermüllfraktionen und Elektroschrott, der aufgrund seiner problematischen Zusammensetzung aus Kunststoffen, Silikonen, Schwermetallen und toxischen Bestandteilen weltweit für gesundheitliche und ökologische Probleme sorgt. Nach Schätzungen des Worldwatch-Institutes beläuft sich das globale Aufkommen von Haushaltsabfällen auf etwa 1,3 Milliarden Tonnen und bis zum Jahr 2025 geht man von einer Verdoppelung auf etwa 2,6 Milliarden Tonnen aus. Allein in der Bundesrepublik Deutschland betrug das jährliche Abfallaufkommen im Jahr 2009 rund 359,4 Millionen Tonnen – davon machen die Haushaltsabfälle mit 43,2 Millionen Tonnen etwa 12 % aus. Trotz dieser gigantischen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass sich die Abfallmenge durch die schrittweise Umsetzung von Kreislaufwirtschaftskonzepten und Maßnahmen zur Vermeidung von Abfällen in den letzten Jahren kontinuierlich reduziert hat (Jahr 2000: 407 Millionen Tonnen) (STATISTISCHES BUNDESAMT 2011 und 2013). Laut wurden im Jahr 2008 sogar rund sieben Millionen Tonnen genehmigungspflichtiger Müll zur Entsorgung oder Weiterverarbeitung aus europäischen Nachbarländern nach Deutschland eingeführt. Im Gegenzug exportierte Deutschland 1,5 Millionen Tonnen Müll in das Ausland (UBA 2009).

Dieser Müllhandel wird jedoch hinsichtlich der Menge an Abfallstoffen von einem Phänomen in den Schatten gestellt, das erst in den letzten Jahren entdeckt wurde. Plastikmüll und anderes Treibgut, das direkt oder über die Flüsse in die Weltmeere gelangt, wird über Meeresströmungen in so genannten Müll-Mahlstrudeln gesammelt und angereichert. So ist beispielsweise infolge besonderer Wind- und Strömungsverhältnisse im Nordpazifik ein Müllteppich von der Größe Zentraleuropas entstanden. Mittlerweile wurden weitere Ansammlungen im Atlantischen und Indischen Ozean entdeckt. Vor diesem Hintergrund ist nicht nur das Wirtschaftswachstum in vielen Ländern historisch einmalig. Auch die ökologischen Spuren, die dieses Wachstum hinterlässt, haben bereits globale Dimensionen angenommen und stellen zukünftige Abfallvermeidungs- und Abfallverwertungsstrategien vor eine gigantische Aufgabe.

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