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In der Wüste

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Nachdem ich mich an einen einsamen Ort in der Wüste, etwa zwei Tagesmärsche vom Jordan entfernt niedergelassen hatte, begann ich auf mein Leben zurückzublicken.

Ich war 30 Jahre alt, ein kräftiger Mann der sich von allen Bindungen frei gemacht hatte, oder besser gesagt sich hier in der Wüste von allem befreien wollte.

Meine Familie war mir entfremdet, sie konnte ohne mich klar kommen.

Meine Suche nach dem Sinn des Lebens und nach Gott hatte mich nach einigen Irrungen und Wirrungen schließlich zu Johannes geführt.

Er eröffnete mir dass ich Gott in mir selber finden müsse.

Dabei war er nicht der Erste der mir diese simple Weisheit vermittelte.

Auch Sedûn, mein geliebter Lehrer in Alexandria, hatte mir dies zu vermitteln versucht und mir, indem er mich das Meditieren lehrte, ein sehr nützliches Werkzeug an die Hand gegeben um Gott in mir zu suchen.

Jetzt saß ich hier inmitten der Wüste und suchte Gott.

Bedarf es der Einsamkeit und Askese um Gott zu finden?

Am Anfang, zu Beginn meines Fastens, war ich jedenfalls davon überzeugt.

Die Welt ist hektisch und laut. Ständig ist man abgelenkt und verwirrt durch die vielen Sinneseindrücke und die Geschäftigkeit des Alltags.

Anfangs glaubte ich an die erhellende und reinigende Kraft des Fastens. Ich wollte das Fasten ernst nehmen.

Die Pharisäer fasten gerne und oft. Doch für sie ist das Fasten eine Zurschaustellung ihrer Frömmigkeit. Mit bitterer Mine wissen sie immer zu betonen wie sehr sie doch mit ihrem Fasten stellvertretend für die Sünden anderer Menschen Gott um Vergebung bitten würden. Dabei ist ihr Fasten so heuchlerisch, sie sind Hypokritái18 denn ihr Fasten vollzieht sich lediglich in der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Davor und danach ist es ihnen erlaubt, oder besser erlauben sie sich selber soviel wie sie wollen und können, zu essen. Mit vollem Bauch lässt sich ein Tag problemlos überstehen.

So sollte mein Fasten nicht aussehen, ich wollte es Johannes gleich tun, in der Hoffnung, ähnlich intensive Erfahrungen zu sammeln, wie er sie uns von seinem Fasten berichtet hatte.

Ich war guter Dinge und fühlte mich körperlich und seelisch stark genug.

Ich war gewillt durchzuhalten und eigene Grenzerfahrungen zu sammeln.

*

In der Wüste war ich der Natur so nahe wie nie zuvor.

Jedes Geräusch war lauter und intensiver als ich es je vorher wahrgenommen hatte.

Nach längerem Aufenthalt hörte ich sogar die Ameisen, wie sie durch den Sand wanderten und beobachtete, wie sie ihrem Tagwerk nachgingen.

Es war erstaunlich zu erfahren, wie geschärft die Sinne in dieser Ruhe und Einsamkeit auf alle Eindrücke reagierten. Dabei wurden die Sinne umso sensibler, je mehr ich mich gedanklich und gefühlsmäßig von meinen bisherigen Erfahrungen und Eindrücken distanzierte.

Ich atmete die Natur buchstäblich in mich ein. Ich wurde Teil dieser Natur und es war ein unbeschreibliches Erlebnis zu spüren, wie aufgefangen und sicher ich mich hier alleine fühlte. Die Natur wurde mir hier in der Einsamkeit Vater, Mutter, Bruder, Schwester und Freund zugleich.

Nun Begriff ich die Worte des Täufers, der immer wieder zu sagen wusste: „Wer je in der Wüste war, weiß, dass man sich dort von der Wirklichkeit nicht entfernt, sondern ihr eher näher kommt. Dort findet man Kraft und Klarheit.“

Sicher, die Wüste stellt eine Herausforderung an den Körper und an den Geist dar, doch ist sie auch eine Chance für die Suche nach Quellen19, im wörtlichen, wie auch im übertragenen Sinn.

Ich hatte mich von Johannes theoretisch in die Kunst des Überlebens in der Wüste einweisen lassen. Es war nicht schwer Heuschrecken zu fangen, um einwenig Nahrung zu sich zu nehmen. Wasser sammelte ich mir durch den Tau des Morgens, den ich in einem einfachen Tongefäß auffing.

Meine Ernährung und meine Wasserversorgung waren bewusst spärlich. Ich wollte ja die Grenzen meines Körpers und meines Geistes erkunden, in der Hoffnung so ein größeres Verständnis für die Zusammenhänge und einen tieferen Einblick in Gottes weise Pläne zu erlangen.

In den ersten Tagen meditierte ich viel. Ich empfand kaum Hunger und vernachlässigte das Essen.

Die Wechsel zwischen der Hitze des Tages und der Kälte der Nacht setzten mir Anfangs kaum zu. Ich war neugierig, enthusiastisch und außerdem durch meine jahrelangen Meditationsübungen auch recht gut auf Grenzerfahrungen vorbereitet.

Das betrachten der Natur um mich herum erfüllte mich mit Frieden und Glück.

Alles was mich umgab war im Einklang, bildete eine große Symbiose, in der jedes Teil seine ganz spezifische Aufgabe erfüllte.

Gott hat alles so perfekt geregelt. Der einzige Störfaktor ist der Mensch, der in seinem Egoismus alles an sich reißen will und dadurch die Einheit zerstört.

War es die Überwindung des Egoismus, die Überwindung des Neides auf die Anderen, die uns näher zu Gott bringen würde?

Ich staunte an jedem neuen Tag über die Sorgfalt und den Bedacht mit dem Gott seine Schöpfung entworfen und auf der Erde installiert hatte. Jeder noch so kleine Baustein fügte sich perfekt in das Gesamtbild, aus dem nur wir Menschen irgendwie immer wieder heraus fielen.

Waren wir vielleicht nicht Gottes Geschöpfe?

Waren wir vielleicht ein Entwurf des Teufels Gott zu versuchen und seine Schöpfung an uns zu reißen?

Warum hatten wir so viele Gaben und Fähigkeiten, die uns scheinbar über die Pflanzen und die Tiere stellten?

Oder war es gerade dieser größere Überblick der unsere Verantwortung für Gottes Schöpfung ausmachte?

Ja, so musste es sein!

Gott hatte nicht gewollt, dass wir uns die Welt, die Natur, also Pflanzen und Tiere, untertan machten, sondern wir sollten der fürsorgliche Gärtner und Pfleger in seinem Garten sein, darauf bedacht, alles prächtig und schön zu machen, alles zu achten und zu pflegen.

Gott schenkte uns unseren Verstand um das Leben auf dieser Erde zu schützen und zu bewahren, um die Natur zu pflegen und im gegenseitigen Geben und Nehmen Teil der wunderbaren Symbiose des Lebens zu werden.

Das war unser Auftrag! Das war Gottes Weisung an uns!

Und nicht das Anhäufen von Reichtum, das Streben nach Besitz und Macht oder der ständige Kampf nach Mehr.

Im Betrachten der Natur erkannte ich, dass es um das Teilen geht.

Gott hat alles bedacht. Er versorgt seine Schöpfung mit allem Lebensnotwendigen. Was er an Schönheit und Wunder geschaffen hat, wird der Mensch niemals ganz erfassen können.

Demut im Umgang mit allen Lebewesen auf dieser Erde, angefangen bei den Pflanzen, über die Tiere bis zu uns Menschen, ist das Wichtigste was zu erlernen ist. In diesem Punkt ging ich gedanklich über Johannes hinaus, der den Menschen zu sehr in den Mittelpunkt der Schöpfung rückte.

Für Gott, so wurde mir immer deutlicher bewusst, hat jedes seiner Geschöpfe den gleichen Stellenwert und gerade uns Menschen, die wir uns geistig den Gedanken und Absichten Gottes nähern dürfen, obliegt die besondere Aufgabe seine Schöpfung zu schützen und zu bewahren.

Wie schändlich versagen wir in dieser Aufgabe.

Selbst in unserer eigenen Art diskriminieren und unterdrücken wir einander. Der Reiche beutet den Armen aus, der Mann seine Frau und seine Kinder. Unser Leben ist ein Herumhacken auf dem vermeintlich Schwächeren.

Bei meiner Rückkehr sollte diese Erkenntnis die Erste sein, die ich Johannes unterbreiten würde.

Dann würde ich ihn überzeugen gemeinsam mit mir Aufklärung zu betreiben und den Menschen klar zu machen, dass die Liebe Gottes allen seinen Geschöpfen gleich gilt. Gott macht keine Unterschiede und so soll auch der Mensch keine Unterschiede machen. Wir sind nicht die Krone der Schöpfung. Nein, es ist für uns eine große Ehre, von Gott als seine Gärtner, also als Diener auserwählt zu sein.

Das müssen wir den Menschen deutlich machen.

Die Naturfeindlichkeit unserer Religion entspringt den Anstrengungen der Wanderschaft aus Ägypten in das gelobte Land.

Menschen sind schwache Geschöpfe, wehleidig, unbelastbar und viel zu schnell zweifelnd und klagend. Diese unsere Unzulänglichkeiten haben ihren Eingang in die Religion gefunden und sind zu einem bedeutenden Teil unserer religiösen Betrachtungsweise der Welt geworden.

Gottes großartiger Plan ist verraten worden für Bequemlichkeit und Besitz, für die Inbesitznahme und Unterwerfung der Natur, für die rücksichtslose Ausbeutung von Pflanzen und Tieren und auch von Menschen.

Es gilt die Gesetze und Vorschriften zu entrümpeln und unser Leben, unser Zusammenleben endlich wieder auf die Pfeiler der göttlichen Schöpfung zu stellen.

Nicht wir sind das Maß der Dinge, sondern die Natur ist es. Nur in und mit ihr können wir leben. Die Natur ist perfekt und vollkommen! Wir sind es die unvollkommen sind.

Ich war erfreut und erstaunt wie deutlich mir diese Erkenntnisse hier in der Einsamkeit vor Augen traten. Ich war dankbar für diese Erfahrungen und lobte Johannes, der mir diese Erfahrung der Askese und Einsamkeit ans Herz gelegt hatte.

Was würde mir die Zeit hier in der Wüste noch für Erkenntnisse bescheren. Ich war freudig gespannt.

Die Tage vergingen Anfangs wie im Flug.

In allem um mich herum erschloss sich mir Gottes Einmaligkeit und seine Wunder.

Ich genoss die Tage und Nächte.

In meiner Versenkung während der Meditation spürte ich nichts von der Kälte der Nächte. Ich hatte körperlich noch einiges nachzusetzen und so überging ich die ersten Signale meines Körpers, die mir anzeigten, dass die Zeit zur Rückkehr gekommen war.

Aber ich wollte mehr. Ich war wie in einem Rausch.

Das erste Anzeichen meiner körperlichen Schwächung war eine Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Körper ausbreitete wenn ich nachts meditierte und in meiner Höhle saß. Waren meine Lippen trotz der geringen Wassermengen die ich am Tag zu mir nahm bisher immer feucht und gut durchblutet gewesen, rissen sie nun aufgrund der langsamen Austrocknung meines Körpers auf. Meine Muskeln begannen von Tag zu Tag mehr zu schmerzen. Meine Augen wurden trübe und müde, mein Verstand schläfrig.

Aber alles geschah so schleichend, so unbemerkt.

Außerdem war meine Euphorie über die gewonnenen und von mir noch erwarteten Erkenntnisse so groß, dass ich meinen Körperreaktionen – sofern sie mir keine Schmerzen bereiteten – auch jetzt noch keine große Beachtung schenkte.

Diese Missachtung meines Körpers wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden.

Tag für Tag und Nacht für Nacht saß ich da, betrachtete die mich umgebende Natur, staunte über die Wunder des Lebens, versenkte mich in Meditation und horchte auf Gottes Stimme.

Ja, es stimmte, Gott war mir hier in der Einsamkeit der Wüste so nahe gekommen wie nie vorher.

Die Klarheit mit der er mir seine großartige und wunderbare Schöpfung offen legte war ein kostbares Geschenk.

Jeden Abend dankte ich Gott für die Erkenntnisse über die Zusammenhänge des Lebens in die er mir, hier in der Wüste, Einblicke ermöglichte. Er zeigte mir den ewigen Rhythmus von Geburt und Vergänglichkeit, lehrte mich Rücksichtnahme und das Teilen. Er zeigte mir dass die Natur jedem Geschöpf auf dieser Erde gerade soviel gibt, wie es braucht.

Alles ist im Einklang, solange niemand versucht mehr zu wollen und mehr zu besitzen als er zum Leben benötigt. Die Blume schenkt ihren Nektar der Biene und erhält als Gegenleistung die Befruchtung und damit die ewige Teilnahme am Kreislauf der Wiedergeburt, am Rhythmus des Lebens. Jede Knospe im Winter ist das Vertrauen auf die Rückkehr des Frühlings. Alles ist wohl geregelt im Kreislauf des Lebens, den Gott in Gang gesetzt hat und den er uns Menschen zu begreifen erlaubt, wenn wir denn sehen wollen.

Doch unsere menschliche Existenz hat sich des Geschenks der Freiheit des Erkennens als nicht würdig gezeigt. Neid, Hass und Gier haben den Menschen so in den Bann geschlagen, dass er blind geworden ist für die wunderbare Schöpfung Gottes.

Der Mittelpunktswahnsinn des Menschen führt zu den Katastrophen des Lebens, führt zu Krieg, Ausbeutung und zu dem verachtenden Verhalten gegenüber der Natur, ja selbst zur Menschenverachtung.

Ich glaube wir sind die einzige Spezies auf dieser Erde, die in der Lage ist, sich selbst und sein Gegenüber zu hassen und aus diesem Hass heraus den Wunsch zu verspüren den Anderen in seinem Leben zu beschneiden oder gar zu töten.

Es gibt so wenige Gerechte in dieser Welt und so viele Blinde die sehend gemacht werden müssen.

Das war meine Aufgabe.

Ich erkannte sie klar.

Gemeinsam mit Johannes dem Täufer würde ich die „Blinden“ dieser Erde sehend machen und ihnen die Einmaligkeit und das Wunder der Schöpfung Gottes klar vor Augen führen.

Ich betete und meditierte. Ich war im Rausch.

Meine Körperkräfte schwanden, mein Verhalten wurde immer unvernünftiger. Ich war wie von Sinnen, in einer Ekstase der Erkenntnis und Bewusstseinserweiterung, und in dieser Phase kam es zu einem Riss.

Der Vorhang zerriss.

Plötzlich verdunkelte sich mein Geist.

Halluzinationen ergriffen mich und trieben mich beinahe in den Wahnsinn.

Ich war zu weit gegangen. Nun versuchte mich das Böse.

Mein Körper rächte sich grausam für die Vernachlässigung und die Auszehrung die ich ihm zugemutet hatte. Ich verlor immer häufiger die Besinnung. Ich war nicht mehr in der Lage mir Nahrung zu suchen und es gelang mir nicht mehr selbst das wenige Wasser welches ich täglich zu mir nahm zu sammeln. Ich phantasierte.

Plötzlich fühlte ich mich vom Teufel versucht.

War er es, der uns Menschen so scheinbar unfähig sein ließ mitmenschlich zu sein, und uns unachtsam mit Gottes Schöpfung umgehen ließ? Waren wir seine Geschöpfe? Ein Gegenentwurf des Lieblingsengels Gottes, als Rache für seine Verbannung aus der Nähe Gottes? War er etwa der große Verführer der Menschen?

Die Geschichte Ijjobs20 kam mir in den Sinn.

Ijjob lebte gottgefällig mit seiner Familie in guten Verhältnissen. Er achtete die Gesetze und Vorschriften Mosches, die dieser am Sinai von Gott selbst erhalten hatte, auch wenn diese Gesetze bereits die naturfeindlichen Aspekte aus den Erfahrungen der Wanderschaft durch die Wüste enthielten. Nun versuchte der Teufel Gott und hielt ihm vor, dass Ijjob ihn nur loben und preisen würde, weil es ihm gut ging. Gott bezweifelte diese Aussage, bekam aber doch Zweifel an der Rechtschaffenheit Ijjobs. Diese Schwäche nutzte der Teufel und verlangte von Gott den Beweis für Ijjobs Gottesliebe – denn, wem es gut geht, dem fällt es nicht schwer Gott zu achten, doch der, den das Elend zu verschlingen droht, wird mit Gott hadern.

Also versuchte Gott Ijjob und nahm ihm immer mehr.

Ijjob jedoch blieb standhaft und hielt unbeirrt an seinem Glauben an die Güte Gottes fest.

Gott selber war beschämt durch diese Treue, ließ sich vom Teufel jedoch immer wieder zu Zweifeln verführen und ging in seiner Erniedrigung und Demütigung Ijjobs so weit, dass er Ijjob beinahe sterben ließ. Erst kurz vor dem Ableben Ijjobs erkannte Gott das diabolische Spiel das der Teufel mit ihm gespielt hatte und er zürnte dem Teufel und verbannte ihn auf ewig von seiner Seite. So wurde aus Luzifer, dem Lieblingsengel Gottes, sein größter Widersacher.

Aus Scham über sein Verhalten dem treuen Ijjob gegenüber überschüttete Gott ihn als Entschädigung nun mit der doppelten und dreifachen Menge an Kindern, Besitz, Gütern und so weiter. Und Ijjob nahm alles an, dankte seinem Gott und versorgte es gut.

War Ijjob einer der wenigen Gerechten und Gottgefälligen, die der Versuchung widerstanden?

Gott verfluchte Luzifer für die Versuchungen. Er war in seinem Verhalten Ijjob gegenüber genauso unmenschlich gewesen, wie die schwachen Menschen auf Erden. War er vielleicht deshalb heute so nachsichtig mit uns? Aus Scham für seine eigene Verführbarkeit und Verfehlung?

Ein wahrhaft menschlicher Gott, der uns in dieser Geschichte entgegentritt.

Doch darf diese Geschichte keine Entschuldigung für unser Verhalten unseren Mitgeschöpfen gegenüber sein. Sie bietet keine Rechtfertigung für die tägliche Ausbeutung und Unterdrückung der Natur.

Aber die Geschichte zeigt uns deutlich die Macht und den Einfluss Luzifers auf unser Verhalten.

Wenn er selbst Gott blenden und in Versuchung führen konnte, dann ist es ihm sicher ein Leichtes auch uns schwache Menschen zu verführen.

Und genauso empfand ich nun meine Halluzinationen nach den Wochen der Auszehrung und Entbehrungen.

Eine wichtige Erkenntnis habe ich aus diesen letzten Tagen meines Aufenthaltes in der Wüste für den Rest meines Lebens gewonnen: Man darf dem Teufel nicht in die Hand arbeiten, in dem man sich willkürlich selber schwächt, wie auch immer diese Schwächung aussehen mag. Dann nämlich schlägt er erbarmungslos zu und wird von einem Besitz ergreifen.

Und noch etwas ist mir in diesen letzten Tagen klar geworden, der Teufel steckt in uns selbst. Er lebt in jedem von uns und wartet auf seine Gelegenheit.

Ich weiß dass sich all meine Eindrücke und Halluzinationen ausschließlich in meinem Kopf abspielten, und doch waren die Versuchungen so real.

Wäre ich nicht durch die Ankunft zweier Jünger des Johannes, die mich über Johannes Verhaftung unterrichten wollten, gerettet worden, so wäre ich wohl dort in der Wüste gestorben und damit der Versuchung durch den Teufel erlegen.

Ja, er hatte Macht über mich ergriffen. Er hielt mich in seiner Hand und er war es, der mich vernichten wollte.

All das Blendwerk das er mir bot.

In meiner Verwirrung glaubte ich die neben mir liegenden Steine seien Brot und voller Gier bis ich hinein. Laut dröhnte sein höhnisches Lachen in mir als meine Zähne auf die Steine schlugen.

Ich war wie betäubt und konnte mich nicht mehr gegen seine Versuchungen wehren.

Ich sah mich an einem Abgrund stehen und meine Sehnsucht war die der Erlösung durch Auslöschung.

All das Wunderbare der Schöpfung, das ich zu Beginn meines Fastens erlebt und empfunden hatte war wie ausgelöscht.

Ich wollte nur noch sterben und selber Hand an mich legen.

Der Teufel lachte und lachte und mir war, als zerspringe mein Schädel ob dieses Gelächters.

Und plötzlich schwebte ich über mir selbst. Ich sah mich unten liegen und ein helles Licht zog mich in seinen Bann. Ich war hier und dort, alles in einem Moment.

Ich sah den Tempel in Jerusalem und die Stätten meiner Kindheit in Alexandria.

Ich sah Sedûn meinen lieben Lehrer und ich sah meine Mutter und meine Geschwister.

Doch das Schönste was ich sah war Jehosaf, meinen Vater.

Er stand mit ausgebreiteten Armen im Glanz des Lichtes und ich wollte zu ihm. Ich rief nach ihm „Vater, Vater, Vaaater“.

Aber er entschwand meinem Blick, und ich wurde jäh in das Jetzt der Zeit zurückgeholt.

Zwei Jünger Johannes standen über mir und hatten mich ins Leben zurückgeholt.

Sie kümmerten sich rührend um mich und versorgten mich mit dem Notwendigsten.

Ich lebte!

Gott hatte mir Rettung geschickt in Gestalt dieser beiden Jünger.

Also sollte der Teufel mich noch nicht holen.

Also hatte Gott noch einen Plan, eine Aufgabe für mich.

Langsam genas ich unter der liebevollen Pflege Schimons und Judas.

Ich erzählte ihnen von meinen Erfahrungen, vom Genuss des Erlebnisses der vielen wunderbaren Tage in der Wüste und ich erzählte ihnen von den grausamen Versuchungen gegen Ende meines Fastens, erzählte, wie die Macht Luzifers mich ergriff.

Ich erzählte ihnen von der grausamen Verwirrung meines Geistes hervorgerufen durch die zu lange Enthaltsamkeit die Nahrungsaufnahme betreffend.

Ich erkannte, dass Fasten zwar zu einem rituellen Erweckungserlebnis führen kann, welches aber auch – besonders für schwache Menschen – sehr große Gefahren in sich birgt.

Ich hatte mich anfangs stark gefühlt, war in den Techniken der Meditation und Versenkung bewandert und, wie ich glaubte, auch in den Überlebenskünsten und wäre dennoch beinahe gescheitert. Nur durch großes Glück überlebte ich die Askese.

Wenn ich ausziehen würde den Menschen Gottes Reich nahe zu bringen, würde das Fasten sicher nicht zu den Aufforderungen gehören, die ich meinen Anhängern und Zuhörern abverlangen würde.

Johannes hatte nur bedingt recht, wenn er das Fasten für so wichtig erachtete.

Gott möchte, dass wir das Leben genießen.

Die Geschichte Ijjobs zeigt unter anderem auch dies:

Das Gott nichts gegen ein sinnenfrohes Leben hat, denn sonst hätte er Ijjob nicht so reichlich für seine Treue belohnt, auch wenn ich in dieser Entschädigung durchaus das schlechte Gewissen des Vaters erkenne.

Nach einigen Tagen guter Pflege erholte ich mich doch relativ rasch.

Meine Gesundheit hatte keinen Schaden genommen und die Berichte Schimons und Judas´ über des Täufers Festnahme beunruhigten mich sehr.

Ich wollte so schnell wie möglich mit meinen Lebensrettern zurück und zu Johannes ins Gefängnis. Aber noch war ich zu schwach.

Nach drei Tagen der fürsorglichen Pflege war ich erholt genug um, gestützt auf meine Retter, den Rückweg ins Leben anzutreten.

Wir wanderten zum Jordan und dort erzählte man uns was seit der Zeit, die seit Johannes Verhaftung vergangen war, vorgefallen war. Ich wollte alles wissen.

Johannes war während meiner Abwesenheit zu weit gegangen. Was ich schon lange befürchtet hatte war nun eingetreten.

Seine Kritik an der Herrschaft und an der Lebensführung des Herodes Antipas war Johannes zum Verhängnis geworden.

Was ich hörte erschreckte mich zutiefst. Es schien als habe Johannes es geradezu provoziert von Antipas verhaftet zu werden.

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