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Die Geburt

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Die Anfänge meines Lebens kann ich euch nur vom Hörensagen wiedergeben.

Ich war selbstredend dabei, jedoch habe ich keine konkreten Erinnerungen an meine ersten drei Lebensjahre hier auf Erden.7

Meine Mutter hieß Mirjam8 und mein Vater Jehosaf.

Meine Eltern waren frisch verheiratet und – ich habe es später einmal nachgerechnet – meine Eltern waren wohl schon intim miteinander gewesen bevor sie geheiratet hatten.

So war ich letztlich ein Grund warum die beiden so jung geheiratet haben.

Mirjam war 13 Jahre, Jehosaf 17 Jahre alt, als sie sich gemeinsam auf den Weg von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem in Judäa machten, dem Geburtsort meines Vaters, um an der von Rom angeordneten Volkszählung teilzunehmen.

Ich sollte ihr erstgeborener Sohn werden, den Mirjam – bereits hoch schwanger – in einer Grotte nahe Bethlehem zur Welt brachte.

Mein Name sollte Jeschua Ben Jehosaf9 sein. Ich wurde jedoch Jeschua, oder wie ihr heute sagt „Jesus“ gerufen.

Natürlich waren damals viele Menschen auf dem Weg zur Volkszählung, doch es war wohl der Mangel an Geld, der meine jungen Eltern dazu zwang in einer Grotte zu übernachten.

Meine Mutter erzählte mir später in Ägypten oft von dieser Nacht, in der ich geboren wurde.

Es war eine sternklare Nacht. Der Mond schien hell durch die Bretter, die die Grotte nach außen abgrenzten.

Im Laufe des Abends waren die Hirten mit ihren Tieren (Kühe und Schafe) zur Grotte gekommen, um dort Schutz vor der empfindlichen Kälte und den Gefahren der Nacht zu finden.

So drängten sich die Tiere und Menschen in der Grotte dicht aneinander und verbreiteten eine wohlige Wärme.

Meine Mutter spürte schon früh am Abend dass es so weit war und meine Geburt kurz bevorstand. Jehosaf war zu jung und unbeholfen um ihr bei der Geburt beizustehen. Deshalb war Mirjam froh dass die Hirten anwesend waren. Sie hatten schon so viele Lämmer entbinden geholfen, dass sich die unerfahrene junge Frau vertrauensvoll in ihre Hände begab.

Jehosaf stand hilflos dabei, besann sich dann jedoch seiner Fähigkeiten als Tékton und fertigte aus der Futterkrippe im Handumdrehen eine gemütliche Wiege für mich.

Um die vierte Stunde des neuen Tages erblickte ich dann das Licht der Welt.

Ich war laut Aussage meiner Mutter eine unkomplizierte Geburt und soll nach meinem ersten Ringen nach Luft bereits selig gelächelt haben.

Die Hirten, so sagte Mirjam es mir, waren fasziniert von meinem Strahlen. Ein richtiger „Sonnenschein“ an dem alles in Harmonie zu sein schien.

Es war eine besondere Nacht, denn im Laufe dieser Nacht war ein junger Hirte, den man hinausgeschickt hatte als meine Geburt begann, aufgeregt in die Grotte gelaufen gekommen und hatte von einem hellen Leuchten am Himmel berichtet.

Einige der älteren Hirten waren daraufhin gemeinsam mit meinem Vater aus der Grotte hinaus in die Nacht getreten. Und tatsächlich, ein besonders heller Stern wanderte durch das Firmament.

Die Männer hatten so etwas noch nie gesehen und blickten deshalb ehrfurchtsvoll diesem hellen Stern hinterher.

Sollte dies etwa ein „Zeichen“ sein?

Und wenn ja, was hatte es wohl zu bedeuten?

Sprachen nicht die alten Schriften von einem „neuen Stern“ aus dem Hause Juda?

Sollte es endlich eine Befreiung aus der Unterjochung durch die Herodianer und die Römer geben?

Ja sollte es wirklich einen neuen David geben, der den Goliath aus dem heiligen Land der Väter vertreiben würde?

Wie hatte es doch gleich bei Jesaja geheißen?

All diese Fragen schwirrten in den Köpfen der Hirten und auch in dem meines Vaters, doch der Schrei meiner Mutter, ausgestoßen aufgrund der Wehenschmerzen, riss die Männer jäh aus ihren Gedanken heraus.

Sie standen hier und hier gebar eine junge Frau in diesem Augenblick ihr erstes Kind.

Das Mysterium des neuen Sternes konnte warten.

Im hier und jetzt war ihre Hilfe und Tatkraft gefragt.

Sie wandten sich ab und betraten wieder die Grotte um meiner Mutter beizustehen.

Dann war ich endlich da! Ein gesunder Junge, der schon bei seiner Geburt einen üppigen Haarschopf auf dem Kopf trug und mit seinem strahlenden Lächeln im Fluge die Herzen der Anwesenden eroberte.

Meine Eltern hatten sich entschlossen einige Tage die Gastfreundschaft der Hirten in Anspruch zu nehmen und so verliefen meine ersten Lebenstage sehr ruhig und bestanden für mich ausschließlich aus Schlafen im wohlig warmen Stroh der Krippe, und aus Trinken und der Geborgenheit an der Brust meiner Mutter.

*

In diesen Tagen kursierten die verschiedensten Gerüchte im Land.

Herodes der Große sah angeblich seine Macht gefährdet da ihm Sterndeuter mitgeteilt hatten, dass ein neuer König geboren sei. Deshalb, so befürchteten viele, könne er in seinem Regierungsbereich den Befehl erteilen alle Neugeborenen und kleinen Kinder töten zu lassen, denn er war bekannt für seine Rohheit und seine Neigung zu skrupelloser Gewalt, selbst wenn sie sich gegen Familienmitglieder richtete. Aber dies sei hier angemerkt: Diesen Befehl zur Kindsermordung hat Herodes niemals erteilt. Es war nur ein Gerücht, welches sich durch die Angst der Menschen vor diesem bösen Despoten nährte und weit in alle Teile des Landes verbreitete. Er war viel zu nüchtern und sich seiner Macht sehr wohl bewusst um den Orakeln von Sterndeutern solches Gewicht beizumessen und natürlich wäre es zu einer gewaltigen Aufruhr in der Bevölkerung gekommen, der ihm dann möglicherweise tatsächlich seine Macht gekostet hätte.

Mein Vater Jehosaf war ein kritischer Mann, der sich seine eigenen Gedanken zu den Geschehnissen der Zeit und ihren Gerüchten machte.

Auch wenn er noch jung war, so besaß er doch Stolz! Stolz auf seinen Beruf, Stolz auf seine junge Frau und Stolz auf mich, seinen Erstgeborenen.

Er hatte sich seine eigene Meinung zu den Gerüchten gebildet, mit den Hirten darüber diskutiert und meinte schließlich, Herodes wolle den Römern nur beweisen, wie groß seine Macht innerhalb seines Herrschaftsbereiches immer noch sei. Noch immer war Herodes Herr über Leben und Tod. Hier in Israel hob oder senkte er den Daumen und es bereitete ihm höchsten Genuss seine Macht auszukosten.

Was auch immer der Grund für die Gerüchte war, sie beunruhigten Mirjam und Jehosaf dennoch zunehmend. Und da Jehosaf ohnehin geplant hatte in den nächsten Jahren in der jüdischen Gemeinde in Alexandria zu arbeiten, entschieden sie sich dazu umgehend nach Alexandria zu gehen.

Vorher jedoch wollten Mirjam und Jehosaf sich noch nach Jerusalem begeben10 um, der Tradition gemäß ihrem Gott zu danken.

Eine Woche nach meiner Geburt wanderten Mirjam und Jehosaf also weiter nach Jerusalem und begaben sich dort in den Tempel um Gott zu danken und mich gemäß den Vorschriften beschneiden zu lassen.

Um diesen Besuch rankt sich eine eigentümliche Legende.

Damals soll ein entfernter Verwandter meiner Mutter ihr für mich eine große Zukunft vorausgesagt haben.

Ich glaube da lieber den Erinnerungen meiner Mutter die mir erzählte, dass ihr alter, fast blinder Großonkel Simeon, ein Diener im Tempel, sie freudig begrüßt hatte, nachdem sie und Jehosaf ihn um ein Nachtlager für eine Nacht gebeten hatten. Selbstverständlich konnten sie bei ihm bleiben. Simeon soll sich trotz seines hohen Alters ein sehr kindliches Gemüt bewahrt haben und bei meinem Anblick geriet er ins Schwärmen. Ich weiß noch aus den Erzählungen meiner Mutter, dass er die ganze Nacht mit mir gespielt haben soll, soweit man mit mir, einem sieben Tage alten Baby schon spielen konnte. Mirjam sagte später einmal teils amüsiert, teils ärgerlich „nicht einmal zum Trinken an meiner Brust wollte er dich hergeben, so vernarrt war er in dich“.

Am nächsten Morgen begaben sich meine Eltern mit mir in die Synagoge, wo ich unserer religiösen Tradition entsprechend an meinem achten Lebenstag, meine Brit Mila11 erlebte. Simeon war sehr stolz, das Jehosaf und Mirjam ihn gebeten hatten mein Sandak12 zu sein. Das Ritual wurde von einem Mohel13, vorgenommen und selbstverständlich war mein Vater ebenfalls anwesend. Meine Mutter allerdings durfte der Tradition der Väter entsprechend daran nicht teilnehmen.

Wie es der Brauch vorschrieb, stand während dieser Zeremonie ein besonders schöner und bequemer Stuhl im Raum, der leer blieb und für den Propheten Elija reserviert war, der den Messias ankündigt und den Bund mit Gott vertritt.

Der Mohel sprach während dieser Zeremonie folgenden Text aus der Genesis:

Und das ist mein Bund, den ihr wahren sollt, zwischen mir und euch und deinem Samen nach dir: Beschneiden lasse sich euch alles Männliche. Und ihr sollt euch beschneiden lassen am Fleisch eurer Vorhaut, und dies sei das Zeichen des Bundes zwischen mir und euch“.

Vater gestand mir später dass ihm ein wenig mulmig gewesen sei, als er gesehen habe, wie der Mohel das Messer schwang und mit gekonntem Handgriff die Beschneidung vornahm. Er war so stolz auf mich, dass er wie ein kleiner Junge weinte und sich dieser Tränen auch nicht schämte.

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