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Mit einwenig Geld in der Tasche, alle anderen Besitztümer hatte ich verkauft und den Erlös, sowie fast meine gesamte Barschaft an Mirjam gesandt, machte ich mich auf den Weg.

Sie war über meinen Entschluss mein gutbürgerliches und solides Leben aufzugeben und den Schritt ins Ungewisse zu wagen entsetzt gewesen, aber sie hatte keinen Einfluss mehr auf mein Leben. Ich fühlte mich meiner Familie gegenüber nun in keiner Weise mehr verpflichtet.

Nun war ich ein Wanderer auf den Spuren der Geschichte unseres Volkes.

Ich spürte dass es an der Zeit war.

Schon lange herrschte Unruhe in unserem Land.

Das Volk war auf der Suche.

Es sehnte sich nach dem Messias, der Juda aus der Knechtschaft befreien und Gottes Reich auf Erden verwirklichen würde.

Auch ich spürte diese Sehnsucht nach Befreiung aus Unterdrückung.

Ich war der Enge Nazareths entflohen, hatte in Kapernaum eine neue Heimat gefunden, doch gleichzeitig empfand ich meinen Geist immer noch in Fesseln.

Mein Weg durch das Land der Väter sollte deshalb auch ein Weg meiner geistigen Befreiung werden.

Anfangs wusste ich noch nicht wohin mich mein geistiger Weg führen würde. Zuviel war noch konfus in mir. Das Knäuel meiner vielen gedanklichen Fäden musste noch entwirrt werden.

*

Auf meinem Weg traf ich viele Personen, die mich mehr oder weniger stark beeinflussten.

Da ich körperlich immer gut in Form war, machte ich mir um meine Sicherheit keine Sorgen.

Außerdem besaß ich nichts, was ich nicht mit jedem geteilt hätte.

Meinen Weg sollten viele verschiedene Menschen und Charaktere kreuzen und da ich in Alexandria gelernt hatte allen Menschen offen und vorurteilsfrei zu begegnen machte ich die skurrilsten Bekanntschaften.

Zeloten kreuzten meinen Weg, erkannten meine gute physische Konstitution und umwarben mich an ihrem bewaffneten Kampf gegen die Besatzer, also gegen Rom, teilzunehmen.

Doch ich verabscheue Gewalt. Sie ist kein geeignetes Mittel die eigenen Ziele zu verwirklichen.

Gewalt säht nur neue Gewalt und auf dieser Grundlage kann keine Befreiung entstehen.

Außerdem hatte ich die Bilder der vielen gekreuzigten und oft unschuldigen Männer vor Augen, die der Rache der Römer, aufgrund der Übergriffe der Zeloten, zum Opfer gefallen waren.

Die Zeloten diskutierten mit mir und versuchten mich zu überzeugen.

Vielleicht wäre ich ein guter Kämpfer gewesen, doch nicht zuletzt durch die Lehre und die Erfahrungen mit meinen buddhistischen Freunden war mir Gewalt suspekt.

Deshalb versuchte ich ihnen, den Zeloten, das Prinzip der Nächstenliebe nahe zu bringen.

Doch genauso wenig wie sie mich mit ihren Phantasien einer gewaltvollen Befreiung überzeugen und gewinnen konnten, gelang es mir ihnen meine gewaltfreien Gedanken klar zu machen.

Immer wieder bemühte ich das Beispiel des weichen Wassers welches durch Beharrlichkeit selbst den härtesten Stein aushöhlt.

Das sollte mein Weg werden.

Ich bin kein Lamm, dazu bin ich zu temperamentvoll und aufbrausend. Doch liegt mir die Anwendung von körperlicher Gewalt fern.

Übereinander kopfschüttelnd, voller Unverständnis für unsere unterschiedlichen Wege zum gleichen Ziel, verließen wir einander dennoch in gegenseitigem Respekt und jeder ging seinen, wie ich immer zu sagen pflege, von Gott vorgezeichneten Weg.

*

In Jerusalem, dem Zentrum der jüdischen Religiosität, lebte ich einige Zeit im Dunstkreis progressiver Schriftgelehrter und Priester.

Doch sie, die klugen und Schrift bewanderten Lamentierer klebten zu sehr an ihrer Macht, ihrem Einfluss und ihrem Ansehen, als dass sie mir ein Vorbild hätten werden können.

Sie hätten nie mehr auf den Luxus in ihrem Leben verzichten können und das Schlimme war, ich erkannte, dass sie bereit waren zum Erhalt ihrer Privilegien ihren eigenen Glauben zu verraten.

Wenn es nötig war beugten und dehnten sie die Vorschriften, Gesetze und Worte der Schriften und Propheten so, dass sie letztlich ausschließlich ihren Interessen entgegen kamen.

Das Umfeld des Tempels irritierte mich sehr.

Hatte ich geglaubt, dass es in diesen heiligen Räumen ausschließlich um „J.H.W.H.“ und das Ergründen seines Willens und seiner Pläne ginge, musste ich erkennen, dass der Tempel nicht mehr als ein großer religiöser Basar war.

Zum finanziellen Wohl der Priesterschaft wurden hier für viel Geld Lizenzen an Händler verkauft, die dann wiederum ihre „Opferwaren“ an Gläubige verkauften und damit ebenfalls ein gutes Geschäft machten.

Ich war entsetzt!

Wie dort gefeilscht wurde!

Gerade zum Abend, wenn die letzten Reste der Opfergaben noch nicht verkauft waren wurden sie im „Sonderangebot“ angepriesen: „Zehn Opfertauben zum Preis von fünfen“ schalte es durch die Gänge. Es war entwürdigend was sich da im Haus des Herrn abspielte. Überall wurde Geld hin und her geschoben, der einfache, gläubige Pilger finanziell übertölpelt.

Der Glaube wurde verkauft an raffgierige Priester in ihren teuren Gewändern, Schmuckbehangen mit ihren wichtigen Mienen und ihrer ererbten Macht über das Heiligtum.

Da war nichts von der Demut und religiösen Versenkung, die ich bei meinen buddhistischen Freunden in Alexandria erlebt hatte.

Hier ging es nur um Bereicherung, Macht und Machterhalt. Es war verabscheuungswürdig.

Sicher, es gab exklusive Kreise in denen über die Schriften diskutiert wurde und ich hatte auch die Gelegenheit solchen Diskussionen beizuwohnen. Doch den dort diskutierenden ging es, so habe ich es zumindest empfunden, nicht um Einsichten oder um das Verstehen und Auslegen der Schriften.

Der Sinn ihrer Veranstaltungen bestand ausschließlich im Diskutieren.

Diese „wichtigen“ Männer hörten sich nur gerne selber reden.

Jeder Teilnehmer einer solchen „Schriftauslegung“ präsentierte sich selber wortgewandt und selbstbewusst. Doch es ging ihnen einzig um Selbstdarstellung, nicht um Erkenntnis.

Hatte ich Anfangs gehofft in Jerusalem einen neuen Lehrer zu finden, so musste ich bald feststellen, dass die selbstgefällige Sicherheit in der sich die Bevölkerung Jerusalems und die Mächtigen wähnten abstumpfend wirkte.

Judäa war das Land der Selbstgerechten, der „Bessergläubigen“.

Besonders in Jerusalem schien man davon überzeugt zu sein ein Privileg auf den Glauben zu besitzen. Alles was hier gesagt und getan wurde entsprach, so glaubten sie selber, dem Willen Gottes und war ihm gefällig. Dabei merkten sie gar nicht mehr, wie dekadent ihre Lebensweise inzwischen war. Sie empfanden sich wie die Made im Speck und realisierten nicht, dass der Speck schon lange aufgegessen war und sie nur noch billige Marionetten der Besatzungsmacht waren.

In dieser Atmosphäre „billigen“ Scheins konnte ich die Wut und den gewalttätigen Befreiungswillen der Zeloten nachempfinden.

Es war verrückt.

Jerusalem war und ist das geistliche Zentrum unseres Glaubens. Doch es ist verseucht durch Machtgier, Korruption und Gleichgültigkeit. Für religiöse Menschen stellte Jerusalem einen unfruchtbaren Acker dar.

Es wurde zwar viel geredet und gedeutet, die Worte Mosches z.B. habe ich nie pointierter rezitiert gehört als in Jerusalem. Es gab brillante Analytiker unter den Schriftgelehrten, doch es wurden daraus keine Konsequenzen gezogen. Man gefiel sich im Philosophieren ohne Zweck.

Ich musste aus Jerusalem weg.

*

In Jerusalem hatte ich von einer Sekte der „Reinen“ gehört. Sie nannten sich Essener und lebten einen Tagesmarsch von Jerusalem entfernt in der Nähe des Jordan.

So wie ich gehört hatte befolgten sie die Anweisungen der Schrift und die Gesetze treu und hatten strenge Gemeinderegeln.

Ich war neugierig auf alles mir Fremde und außerdem auf der Suche nach Gott.

Was lag also näher als sich gottesfürchtigen Menschen zuzuwenden, in der Hoffnung neue Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen. Ich wollte meinen geistigen und religiösen Horizont erweitern. Jerusalem war in dieser Hinsicht ein Reinfall gewesen.

So wandte ich mich von Jerusalem ab und wanderte in die Gegend des Jordan.

*

Es war schwierig den Essenern nahe zu kommen. Sie empfanden ihre Gemeinschaft als sehr elitär. Bevor man zu ihnen gehörte musste man mehrere Prüfungen bestehen und eine Anwärterzeit durchlaufen. In dieser Zeit hatte man zu beweisen dass man den Lebensstil und die geistlichen Vorstellungen der Essener verinnerlicht hatte und bereit war sie konsequent zu leben.

Aber ich war ungeduldig! Hatte ich die Zeit, auf das erfolgreiche Ende meines Noviziats zu warten?

Die Essener predigten das kurz bevorstehende Weltende und in diesem Zusammenhang ein Weltgericht, bei dem Gott selbst über alle Menschen und Völker Gericht hält, wobei die gottlosen Sünder zur ewigen Hölle verdammt werden, den wahrhaft Frommen jedoch das Tor zum Paradies weit offen steht.

Es drängte mich meine Fragen beantwortet zu bekommen.

Widersprachen die Essener in ihrer Erwartung des jüngsten Gerichtes nicht den Aussagen der alten Propheten, die die Verheißung des Gottesreiches auf dieser unserer Erde verkündeten?

Die Essener vertrösteten auf den Himmel, also auf das Jenseits, auf ein himmlisches Paradies, in dem die Gerechten dann endlich glücklich und zufrieden leben könnten. Damit aber entbanden sie sich selber der Verpflichtung hier, im Diesseits, im alltäglichen Lebenskampf zu bestehen und die eigenen Überzeugungen auszuleben und sich gegen Andersdenkende durchzusetzen.

Hatte Gott diese Trennung gewollt?

Oder war es der feige Rückzug einer sich elitär gebenden Gruppe von Gläubigen, die sich gegen den Machterhaltungsklüngel der Sadduzäer in Jerusalem wandten und auch gegen den bewaffneten Widerstand der Zeloten, die aber selber auch nicht bereit waren den Römern die Stirn zu bieten und gegen die Fremdbestimmung und Unterjochung durch die Römer aufzubegehren.

Der Glaube an ein himmlisches Paradies für die Rechtgläubigen war verlockend.

Und jedem gläubigen Juden musste es eine Genugtuung bedeuten, die Römer vor einem Strafgericht Gottes stehen zu sehen und wegen ihrer Ungläubigkeit der ewigen Verdammnis der Hölle ausgeliefert zu sein.

Aber waren diese Gedanken und Glaubenssätze richtig und entsprachen sie der Nächstenliebe, die Gott doch in meinen Augen symbolisierte?

Außerdem würde Gott die Frauen verachtende Haltung der Essener gut heißen?

Ich war ungeduldig, mein Geist voller Ideen und Fragen. Ich wollte mich austauschen, meine Erfahrungen und Einsichten mit anderen Teilen, neue Anregungen und Gedanken sammeln, um dann daran zu reifen und zu wachsen.

Leider war das „Querdenken“ bei den Essenern nicht sehr willkommen.

Ihr Glaube war wie ein Tunnel.

Nach ihrer Auffassung gab es nur einen Weg zum Licht, und alle die nicht bereit waren diesen Weg unbeirrt und geradlinig zu befolgen hatten nach ihrer Auffassung in ihrer Gemeinschaft nichts verloren. Es herrschte eine sehr rigide Hierarchie.

Im Gespräch mit anderen Novizen spürte ich, wie mein Geist langsam verkümmerte.

All die geistige Freiheit die mich Sedûn gelehrt hatte mir zu bewahren, wurde hier untergraben und in Abrede gestellt, reglementiert und beschnitten.

Für die Essener gab es nur einen Weg zum Heil und das war der ihre.

Ich fand ja interessant und wichtig was sie lehrten, und ich teilte ihre Verachtung gegenüber der Priesterkaste in Jerusalem, doch konnte ich mich nicht damit abfinden dass nur ihre Sichtweise und ihr Weg derjenige zu Gott sein sollte.

Ihr Gott war mir zu wenig menschlich, zu autoritär und zu lebens- und lustfeindlich.

Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, warum Gott Sinnes- und Gaumenfreuden geschaffen hatte, um hier nur ein Beispiel zu nennen, um sie von seinem Volk verneinen zu lassen. Er ist doch der Schöpfer allen Lebens auf der Erde. Also hat er auch die Lust und Freude am Leben geschaffen.

– Dieser Gedanke der Verneinung der Askese sollte letztlich auch zu meinen vorübergehenden Unstimmigkeiten mit Johannes dem Täufer führen –.

Wenn ich mir die Vögel ansehe, wie sie im Widerschein der aufgehenden Sonne auf einem Zweig sitzen und mit ihrem wunderschönen Gesang freudig den neuen Tag begrüßen, dann geht mir das Herz auf, und der Vogel drückt, nach meiner Auffassung, mit seinem Gesang doch auch seine Freude am Leben und über jeden neuen Tag den Gott macht aus. Warum also die Freude am Leben verneinen?!

Ich konnte mich mit der Weltfremdheit und Weltabgewandtheit der Essener nicht arrangieren.

Sie bezeichneten sich selbst als die Reinen. Aber ihr Lebenswandel hatte in meinen Augen nichts Welt- und Leben bejahendes.

Sie lebten ausschließlich und sehr zielgerichtet auf ein jenseitiges Gottesreich hin, das nach ihrer Auffassung bereits nahe war. Ihr Leben war Vorbereitung auf diesen Tag.

Auch ich glaubte zu spüren das Gottes Reich nahe sei. Doch wollte ich der Welt- und Menschenfeindlichkeit der Essener nicht nacheifern. Für sie spielte der einzelne Mensch keine Rolle.

Nach fünf Monaten stetiger Kontroversen trat ich wieder aus ihrer Gemeinschaft aus, oder genauer gesagt man teilte mir mit, dass ich ein zu großer Unruhestifter in den Reihen der Novizen und Novizinnen sei und deshalb die Gemeinschaft verlassen solle.

Gerne hätte ich mich mit der geistigen Führung der Essener auseinandergesetzt, doch zu ihnen vorzudringen war unmöglich.

Sie pflegten den Nimbus der Unberührbaren.

Um die Gunst einer Audienz musste man sich verdient gemacht haben und zwar im Sinne der Gemeinschaft.

Das konnte man von mir nun nicht gerade behaupten. Zwar teilte ich viele ihrer Vorstellungen und Ansichten, doch war ich nicht bereit mein Querdenken aufzugeben.

„Es kann nicht nur einen Weg zu Gott geben“ war mein Credo.

Das wurde von den Essenern nicht akzeptiert.

Also musste ich gehen.

Sie hatten in ihren weißen Gewändern, die ihre Reinheit nach außen hin Sichtbar machen sollte, einen starken Eindruck auf mich gemacht.

Ähnlich wie im Bezug auf meine Erfahrungen mit der Priesterschaft und den Schriftgelehrten in Jerusalem war ich anfangs sehr beeindruckt von ihrem Lebenswandel und ihrer Befolgung der Schriften. Doch ähnlich wie eine Landschaft, ein Haus oder ein Bild aus der Ferne betrachtet reizvoll, perfekt und wunderschön aussehen kann, doch wenn man sich nähert eben auch die „Schattenseiten“ zum Vorschein kommen, verhielt es sich mit den Personen in Jerusalem und auch mit den Essenern. Von Nahem betrachtet verbarg sich sowohl hinter der schönen Fassade der Jerusalemer Priesterschaft und Schriftgelehrten, als auch hinter der strengen Frömmigkeit und Gesetzestreue der Essener ein Streben nach Macht.

Obwohl ich mehrfach das Gespräch mit den Anführern der Essener suchte und um die Erlaubnis bat mich ihnen zu erklären, wies man mich ab.

Man duldete nicht die Infragestellung ihrer Autorität, wobei dies ja nicht einmal meine Intention war.

Nein sie forderten blinden Gehorsam und die Ein- und Unterordnung in die Gemeinschaft und unter ihre Willkür. Nur der von ihnen vorgezeichnete Weg führte zum Heil und war gottgefällig.

Letztlich war ich nicht unglücklich darüber dass man mich „vor die Tür“ setzte.

Ich kann sehr stur sein, und da ich mich im Recht sah und in meiner Naivität außerdem glaubte die Ideen und Einstellungen der essenischen Gemeinde bereichern zu können, war ich viel zu lange bereit gewesen mich dieser Gemeinschaft anzupassen.

Also machte ich bei den Essenern letztlich dieselbe Erfahrung wie in Nazareth.

In Jerusalem war ich für die Priester und Schriftgelehrten ein Paradiesvogel gewesen. Es war für sie unterhaltsam oder gar belustigend gewesen mir zuzuhören und mich meine Gedankengänge spinnen zu hören. In ihrer Gesellschaft war ich nie ernst genommen worden.

Bei den Essenern oder in Nazareth hingegen empfand man mich wie einen Dorn im Fleisch.

Obwohl ich also ihre Lebens- und Glaubenshaltung im Großen und Ganzen durchaus teilen konnte und sogar wollte, wurde ich dort als Querulant ausgegrenzt und als Gefahr für die Gemeindeordnung betrachtet.

Mein Weg auf der Suche nach Antworten auf die Frage nach Gott und den Geschehnissen des Lebens war also noch nicht zu Ende.

Meinen Lehrer hatte ich noch nicht gefunden.

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