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1.3.7 Tendenz zur UniversalgeschichteUniversalgeschichte

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Allein der Kernbereich der Alten Geschichte deckt einen Zeitraum von beinahe anderthalb Jahrtausenden ab. Für ein adäquates Verständnis der Voraussetzungen und die Würdigung antiker Gesellschaften nützlich ist ferner eine gewisse Kenntnis der frühen Hochkulturen. Gleichfalls als Gegenstand der Alten Geschichte hinzu treten die nachfolgenden Traditionslinien, wie etwa die Rezeptionsphasen in RenaissanceRenaissance und KlassizismusKlassizismus. Und schließlich ist jedes wissenschaftliche Arbeiten in der Alten Geschichte durch die notwendige Auseinandersetzung mit den teils über Jahrhunderte reichenden Bemühungen um dieselben Quellen stets ein Stück WissenschaftsgeschichteWissenschaftsgeschichte, die nur vor dem Hintergrund einer breit angelegten historischen Bildung verstanden und für die Interpretation mit Gewinn herangezogen werden kann.

Diese oft hervorgehobene Tendenz zur Erweiterung ihres Gegenstands wird durch die Vielfalt der von der Alten Geschichte behandelten Kulturen noch einmal besonders signifikant: Sowohl die griechische Geschichte mit ihren Kolonisationsbewegungen als auch der HellenismusHellenismus und die Geschichte Roms mit ihren militärischen Unternehmungen sind gekennzeichnet durch raumgreifende Expansionsphasen. Die Griechen und Römer drangen in weit entfernte Gebiete mit unterschiedlichsten naturgeographischen Voraussetzungen und mit nicht weniger divergierenden Lebensweisen und kulturellen Traditionen der Bewohner vor: Kleinasien, das Schwarzmeergebiet und das westliche Mittelmeer; Syrien, Arabien, ÄgyptenÄgypten, das Zweistromland und die Regionen bis zum Hindukusch; Nordafrika, die keltischen und germanischen Gebiete Nordeuropas und die britischen Inseln.

Das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Kulturen, die Wahrnehmung der Fremdheit, Ausgrenzungen oder kulturelle Annäherungen und Vermischungen sind ein elementarer Bestandteil der Geschichte der Antike. Um zwei in der Gegenwart zu Schlagwörtern geronnene Ambivalenzen zu nennen: Die ,Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘ war in den antiken politischen Systemen und Kulturen stets ebenso präsent wie die ,Vielfalt in der Einheit‘. Wenn für dieses Potential in der Forschung der möglicherweise noch größere Räume assoziierende Begriff UNIVERSALGESCHICHTEUniversalgeschichte gewählt wird, so erklärt sich dieses allerdings auch aus einer bewussten Abgrenzung zu den lange vorherrschenden nationalstaatlichen Perspektiven der Geschichtsschreibung. Die gegenwärtig von Teilen der Alten Geschichte feststellbare Annäherung an die EthnologieEthnologie, auf dem Weg zu einer vergleichenden Erfassung der verschiedenen menschlichen Lebensformen, bringt sie in gewisser Weise ebenso wieder einer universalhistorischen Ebene näher (→Kap4.4).

Da die Alte Geschichte sich einer nationalstaatlichen Perspektive weitgehend entzieht, ist sie in jüngerer Zeit – zumal von politischer Seite – vielfach mit der EuropaEuropa-Idee verbunden worden. Die griechisch-römische Zivilisation rückt dabei in eine traditionsbildende, wenn nicht vorbildliche Rolle für ein sich als politische und kulturelle Einheit verstehendes Europa – für dessen Abgrenzung von Asien es ja aus geographischer Perspektive keine Grundlage gibt. Antike Kultur und – kaum präzise gefasste – Vorstellungen einer völkerübergreifenden politischen Integration in der Antike werden zum auch exklusiv gebrauchten Argument im europäischen Einigungsprozess. Von manchen Ländern ist das Aufzeigen dieser Verbindungen zur europäischen Identitätsfindung direkt als Bildungsauftrag formuliert worden.

Unabhängig von der Bewertung der politischen Instrumentalisierung der Vergangenheit ist aus althistorischer Perspektive allerdings anzumerken, dass der Antike ein vergleichbares Europabewusstsein fremd war. Daneben provoziert diese IdentitätsstiftungIdentitätsstiftung auch eine geographische Engführung beim Blick zurück auf die Antike. Viele der politisch und kulturell bedeutendsten Zentren der griechisch-römischen Mittelmeerzivilisation lagen außerhalb der Grenzen dessen, was heute als EuropaEuropa akzeptiert wird, wozu man nur auf die Städte Kleinasiens, des Nahen Ostens, Ägyptens oder Nordafrikas hinzuweisen braucht, die integraler und Impuls gebender Teil dieser Zivilisation waren. Dieses wiederum wird von interessierter Seite zuweilen als Argument für die Zugehörigkeit speziell Kleinasiens zum heutigen Europa formuliert. Doch nicht zuletzt birgt die Berufung auf gemeinsame geistig-kulturelle Wurzeln als Argument in einem positiv beurteilten politischen Prozess die Gefahr, die Antike allzu undifferenziert als vorbildlich erscheinen zu lassen und sie zu idealisieren. Doch die Antike hatte auch viele Schattenseiten wie die Sklaverei, die Rolle des Krieges oder die stete Präsenz physischer Gewalt. Zu Recht ist diesbezüglich schon vor einem ,Dritten HumanismusHumanismus‘ gewarnt worden.

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