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1.2 Der Gegenstand des Fachs ,Alte Geschichte‘

Gegenstand des Fachs Alte Geschichte, wie es an Universitäten des deutschen Sprachraums in der Regel vermittelt wird, ist die griechisch-römische Zivilisation der Mittelmeerwelt. Erscheint der Inhalt des Fachs somit zeitlich und räumlich klar umrissen, so treten bei einer Betrachtung der Ränder Kontinuitäten und Verbindungslinien hervor: Sie verdeutlichen abermals, dass die Abgrenzung einer Alten Geschichte ein Akt der Konvention ist, der sich wissenschaftsgeschichtlich begründet und heutzutage vorrangig pragmatischen Gesichtspunkten folgt.

1.2.1 ZeitZeit

Die zeitlichen Grenzen werden einerseits gezogen mit dem Beginn der ‚historischen ZeitZeit‘, also dem Einsetzen schriftlicher Quellen, andererseits durch den Übergang zum MittelalterMittelalter. Nach der Adaption des phönikischen Alphabets durch die Griechen im 8.Jahrhundert v. Chr. verbreitete sich die griechische Schrift äußerst schnell. Es war dies die Phase eines allgemeinen Erwachens, mit denen die auf das Ende der Bronzezeit folgenden DUNKLEN JAHRHUNDERTE von ca. 1200–800v. Chr. ihr Ende fanden: Im östlichen Mittelmeerraum entstanden an verschiedenen Orten wieder größere Siedlungen, und es entwickelten sich übergeordnete politische Organisationsformen. Architektur und Kunst, DichtungDichtung und Philosophie oder bald auch die Geschichtsschreibung veränderten Umwelt, Gesellschaft und Lebensweise. Eine besondere Wirksamkeit entfalteten die Innovationen nicht zuletzt dadurch, dass sie im Zuge der Großen Griechischen KolonisationKolonisation auch in den westlichen Mittelmeerraum und bis ins Schwarzmeergebiet verbreitet wurden.

Info: Probleme der PeriodisierungPeriodisierung

Die Beschränkung auf die griechisch-römische Kultur hat wichtige Konsequenzen, sie klammert nämlich die altorientalische und auch die altägyptische Geschichte (ab etwa 3000 v. Chr.) aus. Früher hielt man dies für sachlich gerechtfertigt, da man zwischen der orientalischen Welt und der Wiege abendländischer Kultur fundamentale Unterschiede zu erkennen glaubte. Doch diese für sicher gehaltene Abgrenzung ist im Verlauf intensiver Forschungen mehr und mehr ins Rutschen gekommen: Heute erkennen wir immer deutlicher, wie viel vor allem die frühe griechische Welt ihren ostmediterranen Nachbarn verdankte; dementsprechend ist verschiedentlich gefordert worden, den Alten OrientOrient in die Alte Geschichte mit einzubeziehen.

Die vor den ‚Dunklen Jahrhunderten‘ liegende Minoische und Mykenische KulturMykenische Kultur des 3. bis 1. Jahrtausends v. Chr. – von der Insel Kreta und dem griechischen Festland geprägte Hochkulturen – werden gelegentlich von der Alten Geschichte mitbehandelt. Kontinuitäten im Raum, aber auch die SchriftlichkeitSchriftlichkeit dieser Kulturen und selbst eine sprachliche Verwandtschaft der Textzeugnisse zum späteren Griechischen können dies legitimieren. Doch auf der anderen Seite sind die aus der mykenischen Zeit (ab ca. 1600 v. Chr.) erhaltenen so genannten Linear B-TäfelchenLinear B-Täfelchen in Bezug auf ihren Inhalt nicht mit der späteren griechischen Literatur vergleichbar; die älteren Linear A-TäfelchenLinear A-Täfelchen sind überhaupt noch nicht gelesen: Im Kern handelt es sich bei ihnen um spröde Verwaltungslisten. Entsprechend basiert das Wissen über diese Kulturen zum überwiegenden Teil auf den von den Archäologen gemachten Funden und ihren Deutungen, nicht auf Schriftquellen. An großen Universitäten mit umfassender altertumswissenschaftlicher Ausrichtung ist erkennbar, wie sich die ,Mykenologie‘ oder ,Ägäische Frühzeit‘ als eigenes Fach etabliert.

Für die zeitliche Abgrenzung der Alten Geschichte zum MittelalterMittelalter gibt es mehrere Vorschläge. Auf der Suche nach einem ,epochalen‘ Datum werden etwa das Konzil von NicaeaKonzil von Nicaea 325 n. Chr. genannt, der Sieg der WestgotenWestgoten bei AdrianopelAdrianopel 378 n. Chr., die Absetzung des Romulus Augustulus durch OdoakerOdoaker in Westrom 476 n. Chr. oder die Eroberung Italiens durch die LangobardenLangobarden 568 n. Chr. Doch auch der Einbruch der AraberAraber Mitte des 7. Jahrhunderts n. Chr. oder die Kaiserkrönung Karls des Großen Weihnachten 800 n. Chr. sind im Verlauf der Forschungsgeschichte als Epochengrenzen zum Mittelalter diskutiert worden.

Derartige Periodisierungen werden als Ordnungsvorschläge von außen an ein Geschehen herangetragen, was die Vielfalt der Antworten erklärt. Sie verdichten die Komplexität historischer Veränderungen und stellen einen als besonders relevant angesehenen Aspekt in den Vordergrund. Je nachdem, was man als wesentlich für die Antike ansieht, wird man auch ihr Ende datieren: Die oben genannten Einschnitte orientieren sich etwa am Aufstieg des Christentums, der Völkerwanderung, der DISKONTINUITÄTDiskontinuität der Herrschaftsträger, territorialen Veränderungen oder – mit stärkerem Blick auf die Aufbrechung der Einheit des Mittelmeerraums, die in der griechisch-römischen Antike dominierend war – an der Ausbreitung des IslamIslam bzw. Erneuerung des Kaisertums im kontinentalen Westen. Selbst unter der verengten Perspektive eines bestimmten Ereignisstrangs wird dabei immer nur ein Geschehen punktuell herausgegriffen, das beispielhaft für umfassende Veränderungen in Politik und Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, Religion und Wissenschaften, in Denktraditionen und Ausdrucksformen steht. Es ist evident, dass sich trotz deutlicher qualitativer Unterschiede zwischen einem ,Davor‘ und ,Danach‘ kaum alle Veränderungen in sämtlichen Teilen des Geschehens auf einen Schlag ereignet haben können. Charakteristisch sind vielmehr unterschiedliche Wechselwirkungen und zeitliche Verschiebungen. Hermann AubinAubin, Hermann (1885–1969) sprach deshalb von einem „breiten Streifen allmählicher Veränderungen“. Im Universitätsalltag gibt man sich in Kenntnis dieser Gemengelage zumeist pragmatisch: Im Zweifelsfall zieht das Jahr ,500 n. Chr.‘ die Linie zwischen Alter und Mittelalterlicher Geschichte. Der Bezug auf eine Rundzahl verdeutlicht in sehr anschaulicher Weise, dass es sich bei dieser Fixierung einer Epochengrenze nur um eine Hilfskonstruktion handelt.

1.2.2 Raum

Die zweite Eingrenzung der ,Griechisch-römischen Zivilisation der Mittelmeerwelt‘ betrifft den Raum: Selbst wenn sie chronologisch in dieselben Jahre fallen, bleiben die ,alte‘ Geschichte Japans, Chinas, Amerikas, Afrikas oder Australiens doch ausgeklammert. Auch dies erklärt sich aus der Geschichte des Fachs: Aus der Wiederentdeckung der klassischen Antike vornehmlich in den alten Texten resultierte eine Bindung des Gegenstands an die griechische und lateinische Sprache. Dies hat sich insoweit bewährt, als sie das althistorische Arbeiten in direkte Beziehung zu den Sprachkompetenzen setzt, die für das Verständnis der Quellen erforderlich sind. Die Kulturen des Alten Orients, obwohl in vielen Punkten mit der Geschichte der griechischen Zivilisation verwoben – und von Eduard MeyerMeyer, Eduard (1855–1930) in seiner großen UniversalgeschichteUniversalgeschichte des Altertums souverän mit einbezogen – werden heute von der Alten Geschichte zumeist nicht mehr mitbehandelt. Nur die wenigsten Historiker des griechisch-römischen Altertums verfügen über die Fähigkeit, die entsprechenden Quellen in der Originalsprache zu lesen. Geleitet von der Sprachkompetenz haben sich entsprechend die Altorientalistik, HethitologieHethitologie, AssyriologieAssyriologie, JudaistikJudaistik oder auch Ägyptologie als eigene Disziplinen ausgebildet.

Die Nachbarkulturen der griechisch-römischen Welt geraten im Allgemeinen dann in das Blickfeld der Alten Geschichte, wenn es Berührungen durch politische Ereignisse oder kulturellen Austausch gab, und oft heißt dieses: wenn sie Teil der griechisch-römischen Zivilisation wurden. So werden mit dem Siegeszug Alexanders des Großen nicht nur ein Großteil Asiens, sondern auch das kulturell und sprachlich so eigenständige Ägypten Gegenstand des Fachs. Ähnliches gilt für den Westen Europas, für Spanien und Frankreich, die britischen Inseln, die Alpenländer oder die westlichen und südlichen Gebiete des heutigen Deutschland: Erst mit der Ankunft der römischen Soldaten treten sie ins hellere Licht der Ereignisse, wo sie die einsetzende römische Überlieferung zu einem Bestandteil der Alten Geschichte macht. Die Alte Geschichte beginnt –und endet – in den verschiedenen geographischen Räumen zu höchst unterschiedlichen Zeiten.

Aus der Bindung des Fachs Alte Geschichte an Zeit und Raum resultiert, dass sie ein regional gebundener Epochenbegriff ist, und zwar der okzidentalen Geschichte. ,Alte Geschichte‘ ist kein Strukturbegriff, etwa in Form eines definierten ,alten‘ Entwicklungsabschnitts der Geschichte einer jeden Kultur. Derartige Ansätze ermöglichen zwar anregende Kulturvergleiche, doch werden diese von den Althistorikern im Allgemeinen nicht mehr vorgenommen: Gegenüber den dabei zumindest als Arbeitshypothese mitschwingenden Kulturstufenvorstellungen herrscht derzeit ebenso eine Grundskepsis vor, wie hinsichtlich der Entwicklung umfassender geschichtsphilosophischer Modelle.

Die Alte Geschichte beschäftigt sich also mit einer ganz konkreten Antike. Zwar befasst sie sich dabei – gemessen an dem Umfang der von ihr behandelten Zeit von deutlich über 1000 Jahren und ebenso der Größe des von ihr untersuchten Raumes – mit sehr heterogenen Dingen, doch aus größerer Distanz zeigt die griechisch-römische Zivilisation viele Gemeinsamkeiten. Eine andere Gefahr einer so definierten Alten Geschichte innerhalb des weit verbreiteten Drei-Perioden-Schemas aus Altertum, MittelalterMittelalter und NeuzeitNeuzeit ist eher, dass ihr Einsetzen im 8.Jahrhundert v. Chr. als Nullpunkt einer jetzt kontinuierlich aufstrebenden okzidentalen KulturgeschichteKulturgeschichte wahrgenommen wird, wenn nicht als Anfang der Geschichte überhaupt. Doch auch die abendländische Geschichte begann nicht voraussetzungslos, sondern sie ist durch unzählige Elemente aus den frühen Hochkulturen des Orients geprägt.

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