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1.4.2 Forschungsfelder

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Beherrschender Gegenstand der Alten Geschichte nach ihrer Lösung aus der PhilologiePhilologie war die politisch-militärische EreignisgeschichteEreignisgeschichte. Zum Teil wurde diese Perspektive durch die antiken Quellen, zumal die historiographischen, vorgegeben. Doch eine Geschichte der Staaten, die sich wiederum primär in ihrem Verhältnis zu anderen Staaten zu artikulieren schien, entsprach ebenso den Erfahrungen und Denkweisen der Gegenwart. Denn auch eine mit philologisch-historischer Kritik ausgerüstete Wissenschaft konnte sich den zeitgenössischen Erlebnissen und Vorstellungen nicht immer entziehen (→ Kap.3.1.4): So wird in Theodor MommsenMommsen, Theodors Mitte des 19. Jahrhunderts abgefasster Geschichte der römischen Republik die kontinuierliche Expansion der Stadt am Tiber als eine äußerst positiv beurteilte nationalstaatliche Einigung – in diesem Fall: Italiens – beschrieben, die durch RomRom vorangetrieben worden sei.

Info: Theodor Mommsen

Theodor MommsenMommsen, Theodor (1817–1903), Forscher, Wissenschaftsorganisator, aktiver liberaler Politiker und Träger des Nobelpreises für Literatur war der überragende Altertumswissenschaftler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Forschungen und die von ihm initiierten Großprojekte prägten die Entwicklung des Fachs während des gesamten 20. Jahrhunderts und wirken bis in unsere Zeit.

In souveräner Weise beherrschte und verband Mommsen die verschiedensten Quellengruppen und Methoden genauso wie die Kunst der Darstellung. Hauptwerke unter seinen mehr als 1500 Veröffentlichungen sind seine „Römische Geschichte“ (Bde. 1–3: 1854–1856; Bd.5: 1885; der vierte Band über die römischen Kaiser ist nie erschienen), die „Geschichte des römischen Münzwesens“ (1860), das „Römische Staatsrecht“ (3 Bde.: 1871–1888) sowie das „Römische Strafrecht“ (1899). Hinzu kommen zahlreiche Editionen in monographischer Form: Bedeutende historische Inschriften wie der Maximaltarif des DiokletianDiokletian (1851) oder die Res Gestae Divi Augusti (1865); Werke spätantiker Autoren wie Cassiodor (1861; 1894), Iordanes (1882) oder Eugipp (1898); Rechtstexte wie die Digesten Iustinians (1868–1870) oder das Corpus Iuris Civilis (1872).

Abb. 2

Theodor Mommsen, Foto um 1890

Unter den von Mommsen angestoßenen Großprojekten dominiert das Corpus Inscriptionum Latinarum, dessen ersten Band mit den Inschriften der Römischen Republik er selbst bearbeitete (1863; 21893). Auf Mommsens Initiative geht die Gründung der „Reichs-Limeskommission“ (1892) zurück, ebenso das Corpus Nummorum, der groß angelegte Versuch einer Erfassung aller griechischen Münzen.

Aufgrund seiner Stellung in der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Fakultät der Berliner Universität sowie in der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Instituts prägte Mommsen den organisatorischen Ausbau der Altertumswissenschaften an den deutschen Universitäten. Zahlreiche Lehrstühle wurden mit seinen Schülern besetzt, die sich vorrangig durch epigraphische Arbeiten ausgezeichnet hatten. Den Nobelpreis für Literatur, als erster Preisträger überhaupt, erhielt Mommsen 1902 für seine in zahlreichen Auflagen verbreitete und äußerst populäre „Römische Geschichte“. Die darstellerische Brillanz und kraftvolle RhetorikRhetorik machen sie noch heute lesenswert.

Besonders eng mit dem Namen Mommsen verbunden ist allerdings ein anderer Forschungsansatz: die Untersuchung von Recht und Verfassung. Höhepunkt unter seinen zahlreichen juristischen Werken ist fraglos sein monumentales „Römisches Staatsrecht“. Auch wenn das Buch aufgrund seiner ordnenden Struktur und des souveränen Quellenbezugs noch immer ein vorzügliches Hilfsmittel ist, so hat Mommsen sich durch seinen völlig einseitigen, der systematischen Rechtsschule entlehnten Ansatz, den Staat ausschließlich als Rechtssystem zu erfassen, doch selbst Grenzen gesetzt. Besonders deutlich werden sie bei der Nachzeichnung des Übergangs von der Republik zur Kaiserzeit, wo gesellschaftliche Bedingungen des neuen politischen Systems nur wenig Berücksichtigung finden. Mommsens Entwurf setzte eine Stabilität der Rechtsnormen und der Begriffe geradezu axiomatisch voraus.

So waren es dann vor allem sozialgeschichtliche Ansätze, später dann die Verknüpfung von Verfassung und Gesellschaft, die einen dynamischeren Erklärungsrahmen boten. Mit Gewinn wurden jetzt auch das Recht und die Verfassung konsequent als sich entwickelnde und Veränderungen unterworfene Gegenstände betrachtet. Ein früher Markstein der soziologischen Perspektive war Matthias GelzerGelzer, Matthiass (1886–1974) „Die Nobilität der römischen Republik“ (1912). Nicht zuletzt durch die im akademischen Unterricht weit verbreiteten Werke von Jochen BleickenBleicken, Jochen (1926–2005) ist die gemeinsame Berücksichtigung von Gesellschaft, Recht und Verfassung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Standard geworden.

Unberührt blieb die Alte Geschichte aber auch nicht von den geschichtsdeutenden Modellen des 19. Jahrhunderts, die in den wirtschaftlichen Verhältnissen die Grundlage jeder politischen und gesellschaftlichen Entwicklung sahen. Im Streit zwischen ,Primitivisten‘, welche der Antike im Rahmen linear-fortschrittlicher Vorstellungen nur einen begrenzten Entwicklungsstand unterstellten, sowie ,Modernisten‘, welche die Vergleichbarkeit zwischen antiken und gegenwärtigen Wirtschaftsformen postulierten und zum gegenseitigen Verständnis nutzbar machten, ging es auch darum, in wie weit die Antike für Gegenwartsfragen relevant sein konnte. Gegen die Positionen von Karl BücherBücher, Karl (1847–1930) setzten insbesondere Eduard MeyerMeyer, Eduard (1855–1930) und Karl Julius BelochBeloch, Karl Julius (1854–1929) ihr modernisierendes Verständnis von der antiken Ökonomie. Unter dem Einfluss kulturanthropologischer Modelle, welche den primitivistischen Positionen näher standen, wurde die bereits als ‚JahrhundertdebatteJahrhundertdebatte‘ historisierte Diskussion in den 1960er und 1970er Jahren mit Vehemenz wieder aufgenommen und noch bis fast ans Ende des ideologisierten 20. Jahrhunderts fortgeführt. In der zugespitzten Diskussion hatten vermittelnde Positionen Schwierigkeiten, Gehör zu finden. Allerdings brachte die Kontroverse auch hervorragende Grundlagenarbeiten zur antiken Wirtschaft – wie die monumentalen Arbeiten von Michael RostovtzeffRostovtzeff, Michael (1870–1952) –, zum Wirtschaftsdenken – wie die „Ancient Economy“ von Moses I.Finley (1912–1986) – oder auch zum antiken Handel hervor. Es scheint, dass eine gewisse Erschöpfung durch diese Debatte Schuld daran trägt, wenn die antike WirtschaftsgeschichteWirtschaftsgeschichte heute längst nicht die Rolle spielt, die man aufgrund des vorherrschenden, alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche durchziehenden wirtschaftlichen Paradigmas in unserer Gegenwart erwarten sollte.

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