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Die Begriffe „Original“ und „Fälschung“

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Im Spektrum zwischen Original und Fälschung lassen sich grundsätzlich die folgenden Formen unterscheiden, die sich stufenweise vom Original entfernen:

Die Replik steht dem Original am nächsten, da hier der Künstler ein von ihm selbst geschaffenes Werk eigenhändig wiederholt. Weil in diesem Fall nur eine einzige Person beteiligt ist, kann die Replik schwerlich zur Fälschung werden, denn ein Künstler kann sich nicht selbst fälschen. Zwar hat ein Maler wie der italienische Surrealist Giorgio de Chirico (1888–1978) Kunsthistoriker vor nahezu unlösbare Rätsel gestellt, indem er immer wieder eigene Gemälde zu einem späteren Zeitpunkt seiner Laufbahn wiederholte, sie dann jedoch falsch, nämlich auf einen früheren Zeitpunkt, datierte. Und in ganz ähnlicher Weise hat der deutsche Maler Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) eigene Werke später noch einmal überarbeitet und umdatiert, um auf diese Weise in den Augen der Nachwelt als Vorreiter einzelner künstlerischer Entwicklungen zu erscheinen. Dennoch handelt es sich hierbei streng genommen nicht um Fälschungen im herkömmlichen Sinne, da de Chirico und Kirchner selbst die Urheber der in Rede stehenden Stücke waren.

Anders sieht dies auf der Ebene der Kopie aus, bei der ein Künstler das Werk eines anderen Künstlers wiederholt. Bis zur Erfindung der Farbreproduktion, insbesondere der Fotografie, waren Kopien das einzige Mittel, um das Erscheinungsbild eines Gemäldes oder einer Zeichnung, unabhängig vom Original, selbst zu verbreiten. Dessen Kopie entstand daher nicht nur meistens mit dem Einverständnis von dessen Besitzer, sondern sie wurde sogar zuweilen von diesem selbst in Auftrag gegeben. So fanden Kopien beispielsweise als besonderer Gunstbeweis Freunden gegenüber Verwendung, denen die Kopie geschenkt wurde. Indem die Kopie den Abglanz des Originals in sich trug, verband sie Schenkenden und Beschenkten auf besondere Weise miteinander, da nur sie im Besitz des Originals beziehungsweise der danach entstandenen Kopie waren. Dass es sich beim Kopieren um eine ebenso legale wie legitime Tätigkeit handelt, zeigt sich auch darin, dass diese Praxis ein fester Bestandteil der künstlerischen Ausbildung war und bis heute ist: Über das Studium und das Kopieren großer Werke lernte und lernt der Künstler die notwendigen Techniken und schult zugleich seine Hand.

Allerdings kann eine Kopie auch als Fälschung instrumentalisiert werden, wenn sie für das Original ausgegeben wird. Diese Praxis ist in der Kunstgeschichte durchaus nicht selten, wie das von Giorgio Vasari (1511–1574) überlieferte Beispiel des berühmten Porträts des Medici-Papstes Leo X. (Florenz, Uffizien) zeigt. Die Medici ließen das um 1518/19 von Raffael (1483–1520) gemalte Porträt im Jahr 1523 von dem florentinischen Maler Andrea del Sarto (1486–1530) kopieren, als sie gedrängt wurden, Raffaels Original-Porträt an den Herzog von Mantua abzutreten. Da man sich von dem Original nicht trennen wollte, schickte man dem Herzog die täuschend gut gelungene Kopie (Neapel, Museo di Capodimonte), gab sie für das Original aus und behielt dieses selbst.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Pasticcio, bei dem einzelne Elemente aus den Werken eines Künstlers von einem anderen Künstler zu einer neuen Komposition zusammengestellt werden. Der italienische Begriff – wörtlich übersetzt „Pastete“ – ist der Kochkunst entlehnt; in der Frühen Neuzeit bestanden Pastetenfüllungen aus einem Gemisch verschiedener Zutaten, die erst von dem sie umfangenden Pastetenteig zu einem Ganzen zusammengefügt wurden. Das Pasticcio ist ein in der Kunst durchaus übliches und legitimes Verfahren, das ein Zeichen von Verehrung und Wertschätzung des für das Pasticcio herangezogenen und imitierten Künstlers sein kann. Allerdings kann ein solcher Rückgriff, der die zitierten Motive neu arrangiert, auch zu Täuschungszwecken benutzt werden, denn der mit den zitierten und erkennbaren Motiven gegebene Verweis auf den ursprünglichen Künstler bietet auch zu Missverständnissen Anlass. So können die entlehnten, neu zusammengestellten Elemente vom Betrachter auch dahingehend (miss)verstanden werden, dass der für das Pasticcio herangezogene Künstler selbst den Pinsel geführt habe – und in eben diesem Sinne wurden Pasticcios mitunter auch missbraucht.

Nach demselben Prinzip wie das Pasticcio funktioniert auch die Nachempfindung oder Stilaneignung, die jedoch mit weniger konkreten Verweisen arbeitet. Dabei werden nicht einzelne Motive aus dem Werk eines nachgeahmten Künstlers übernommen, sondern es finden sich vielmehr allgemeine stilistische Anklänge an einen Künstler beziehungsweise an eine Epoche. Ein Beispiel hierfür ist das Selbstbildnis vor römischer Landschaft, das der romantische Maler Johann David Passavant (1787–1861) im Jahr 1818 schuf (Frankfurt am Main, Städel, Abb. 3). Auf den ersten Blick könnte man das Gemälde aufgrund der von Passavant getragenen Tracht, der Bildkomposition und des Landschaftsausblicks für ein zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstandenes Renaissance-Gemälde etwa von Raffael halten (Abb. 4). In der Tat war dies auch die Kunstepoche, in welche sich die Maler der Romantik in ihrer Italien- und Raffael-Verehrung zurücksehnten. Allerdings ging es ihnen nicht darum, den Betrachter zu täuschen, denn bei eingehender Betrachtung des Bildes erweist es sich bezüglich Stil und Technik als modern. Doch diese Praxis kann auch schnell von der „Hommage an“ zu einer „Fälschung von“ umschlagen, wie der Fall eines nachgeahmten pompejanischen Wandbildes zeigt. Der Maler Anton Raphael Mengs (1728–1779) schuf dieses Werk im Jahr 1758 zunächst wohl aus Begeisterung für die Schönheit der ab 1748 entdeckten antiken Wandbilder in Pompeji sowie als Fingerübung. Dann ließ er jedoch sein Gemälde Jupiter küsst Ganymed (Rom, Palazzo Corsini) dem Archäologen und Antiquar Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) als Original unterschieben, der das Werk 1760 als „das schönste Gemälde“ lobte, „was jemals aus dem Alterthume das Licht unserer Zeiten erblicket hat“. Man begegnet hier einem Phänomen, auf das man bei einer Auseinandersetzung mit Fälschungen immer wieder stößt. Nicht selten werden sie als schöner empfunden als die Originale. Mengs hatte das Bild in der antiken Technik hergestellt und, um es alt erscheinen zu lassen, eigens Risse im Gipsgrund angelegt.


Abb. 3: Johann David Passavant, Selbstbildnis vor römischer Landschaft, 1818, Frankfurt am Main, Städel

Sein vermeintlich pompejanisches Bild kann daher auch als Beispiel für das Verfahren der „objektiven Verfälschung“ dienen, bei dem ein neu geschaffenes Objekt etwa durch die Hinzufügung eines auf dessen vermeintliche Echtheit verweisenden Details in die Irre führt. Die objektive Verfälschung kann dabei sowohl auf der Anbringung einer falschen Künstlersignatur wie auch auf einer technischen Manipulation beruhen, im Fall Mengs’ der rissige Gipsgrund. Damit ist man in einer Grauzone angelangt, die einem im weiteren Verlauf des Öfteren begegnen wird, denn immer wieder scheinen Fälscher ihre Werke zunächst ohne jede Täuschungs- oder Schädigungsabsicht hergestellt zu haben und werden dann offenbar von deren Erfolg überrascht und verführt – zumindest behaupten sie das im Nachhinein.


Abb. 4: Raffael, Porträt eines Mannes (Francesco Maria della Rovere?), 1503–04, Florenz, Offizien

Bei einer weiteren Form der „objektiven Verfälschung“ werden die Werke nicht zu Täuschungszwecken nachträglich manipuliert, sondern um sie einem späteren Zeitgeschmack anzupassen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Paumgartner-Altar von Albrecht Dürer (1471–1528) aus dem Jahr 1498/1503 (München, Alte Pinakothek), der 1614, gemäß den inzwischen veränderten ästhetischen Vorstellungen, teilweise übermalt wurde. Dürer hatte die Stifterfiguren der Mitteltafel aufgrund der Bedeutungsperspektive kleiner als das heilige Bildpersonal dargestellt. Das empfand man 1614 als irritierend und ließ die Stifter ganz übermalen. Da zudem Dürers Ritterheilige Eustachius und Georg auf den Seitenflügeln nicht mehr dem zeitgenössischen Bild von Rittern entsprachen, wurden sie diesem durch zusätzliche Rüstungsteile und im Hintergrund ergänzte Pferde angepasst.

Täuschend echt!

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