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Fälscher und Kritiker: The Fake as More

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Vor der Beschäftigung mit einzelnen Fälschungsfällen müssen zunächst die verschiedenen Begriffe und Konzepte in den Blick genommen werden, die sich mit dem Phänomen der Fälschung verbinden. Wie wenig einfach und eindeutig dieses entgegen der landläufigen Meinung tatsächlich ist, zeigt sich an einer seiner besonderen Spielarten, dem sogenannten „Hoax“. Der aus dem Englischen stammende Begriff lässt sich am treffendsten mit „Täuschung“, „Betrug“, „Falschmeldung“ und „Schwindel“ übersetzen. Ein Hoax kann harmlos, das heißt als Scherz intendiert sein, er kann jedoch zuweilen auch ungeahnte Konsequenzen haben, insbesondere wenn er nicht als solcher erkannt wird.

Ein Paradebeispiel für einen solchen Hoax ist der 1973 erschienene Aufsatz The Fake as More (Die Fälschung als Mehr) von Cheryl Bernstein. Ihre Ausstellungsbesprechung wurde in einer Idea Art betitelten Anthologie zu amerikanischen Theorien der Konzeptkunst publiziert. Die Verfasserin von The Fake as More, die junge Kunsthistorikerin Bernstein, wird zu Beginn mit einer kurzen Biografie eingeführt. Sie erörtert in ihrem Text die Bedeutung eines Künstlers namens Hank Herron, der in einer New Yorker Galerie selbst angefertigte Kopien aller von Frank Stella zwischen 1961 und 1971 gemalten Bilder ausgestellt hatte. Stella (geb. 1936) hatte ab 1960 damit begonnen, seine Malereien auf verschieden geformten Bildträgern auszuführen und damit eine ganze Reihe von neuen Werkserien initiiert. Bernstein diskutiert insbesondere die Konsequenz des Umstands, dass Herron Stellas Gemälde einfach nur kopiert hatte, statt etwas Neues zu schaffen. Ihr zufolge hat er damit gleich in mehrfacher Hinsicht einen „Fake“, eine Fälschung, geliefert. Zum einen hat er die Werke Stellas mittels unrechtmäßiger Raubkopien vervielfältigt; zum anderen hat er gewissermaßen eine Kunstausstellung gefälscht, denn üblicherweise gibt es bei solchen Anlässen Neues zu sehen, während Herron einfach nur Bekanntes und zudem nicht einmal Originales präsentierte. Nichtdestotrotz sieht sie in Herrons Verfahren auch eine Emanzipationsbewegung gegenüber Stellas Originalen. Herron habe lediglich deren äußeres Erscheinungsbild kopiert, sie dann jedoch mit seinem Ausstellungskonzept versehen und ihnen dadurch eine neue Bedeutung gegeben. Auf diese Weise sei doch etwas Neues und damit ein „Mehr“ entstanden. Zudem habe Herron gewissermaßen die Zeit und die darin stattfindende Entwicklung des Künstlers außer Kraft gesetzt, indem er dessen Werke aus einer zehnjährigen Schaffenszeit innerhalb eines einzigen Jahres kopierte. Eine solche Überlegung spielt auch bei einigen Van-Gogh-Fälschungen eine Rolle, in die der Fälscher ungewollt Charakteristika des späteren Werkes von van Gogh einbringt, obwohl er sie für früher entstanden ausgibt. Anders als van Gogh selbst, weiß der Fälscher von dessen weiterer Entwicklung, und dieses Wissen fließt zum Teil ungewollt in seine Fälschungen ein, sodass die Fälschung zu einer Art Konzentrat des künstlerischen Stils eines Malers werden kann. Eventuell auch deshalb war Wolfgang Beltracchi in der Lage, den, wie es in der Kunstkritik zunächst hieß, „schönsten Campendonk aller Zeiten“ zu malen. Beltracchi hatte den Überblick über dessen Werk und Entwicklung und konnte all dies in einem einzigen Bild summieren und konzentrieren.

Bernstein ging es in ihrem Aufsatz darum, hinter Herrons Akt des Kopierens und des Ausstellens dieser Kopien ein „radikal neues und philosophisches Element“ freizulegen: Durch ihn habe sich der Maler nicht nur von den Originalen Stellas emanzipiert, sondern generell von den Geboten des Kunstbetriebs, die beständig neue formale und stilistische Entwicklungen vom Künstler forderten. Bei Herrons Werk sei das Aussehen der einzelnen, lediglich kopierten Bilder zweitrangig, und es gehe vielmehr um den ihnen zugrundeliegenden intellektuellen Prozess. Herron verweigere sich den herkömmlichen Erwartungen an Kunstwerke – Innovation, Individualität und Kreativität – und suche das Neue gerade im Konzeptuellen, in der Idee, auf der das Kunstwerk basiert. Insofern erkennt Bernstein der von Herron begangenen Fälschung dann auch einen Mehrwert zu: The Fake as More. Der Aufsatz erschien nicht ohne Grund in einem der Konzeptkunst gewidmeten Band.

Der Aufsatz hatte insofern große Nachwirkungen, als der Begriff des „Fake“ hier ausnahmsweise einmal vom Verdikt des Negativen befreit worden war. Die Leser des Textes von Bernstein mögen von Herrons Werk an den amerikanischen Künstler Richard Pettibone (geb. 1938) erinnert worden sein, der schon in den 1960er-Jahren damit begonnen hatte, die Werke berühmter Kollegen wie Robert Rauschenberg (1925–2008) oder Andy Warhol (1928–1987) einfach zu kopieren. Wie seiner Künstlerkollegin Elaine Sturtevant (1924–2014), die ab 1965 Werke Warhols wiederholte, ging es Pettibone bei seiner zunächst als „Appropriation-Art“, später auch als „Fake-Art“ bezeichneten Kunst darum, sich vom klassischen Originalitäts- und Innovationsbegriff der Moderne zu emanzipieren. Durch die reine Wiederholung von bereits existierenden bekannten Werken wollten sie beim Betrachter eine Reflexion über das Verhältnis von Original und Kopie und damit verbunden über die Natur von Kreativität provozieren: Ist Kreativität nur dem Maler des Originals zuzuerkennen oder kann es auch als ein kreativer Akt angesehen werden, wenn ein nachfolgender Künstler sich dazu entschließt, das Original noch einmal zu wiederholen? Es geht bei dieser Kunstströmung also keinesfalls darum, das Publikum mit einer Kopie oder Fälschung zu täuschen, sondern es wird im Gegenteil das Nachahmen, Imitieren, Kopieren eines bereits bestehenden Kunstwerks als eigenwertiger Teil einer ästhetischen Strategie offengelegt. Seine Wirkung bezieht ein solches Werk gerade aus dem Wissen des Betrachters um den Wiederholungscharakter. Ganz in diesem Sinne hatte Pettibone bereits 1968 damit begonnen, eine zwischen 1967 und 1971 realisierte Werkserie Frank Stellas in unmittelbarer zeitlicher Folge maßstabsverkleinert zu kopieren. Eventuell sollte die in dem Text geschilderte Ausstellung Herrons hierauf anspielen, denn in Bernsteins Artikel wird an keiner Stelle erklärt, wie es dem Maler gelungen sein soll, Kopien der gesamten zehnjährigen, zum Teil recht großformatigen Produktion des zudem äußerst aktiven Frank Stella in einer einzigen Galerie unterzubringen.

Und an dieser Stelle tritt die Frage nach der Abgrenzung von „Fake“ und „Hoax“ wieder in den Vordergrund. Eine derartige Ungereimtheit sollte den wachsamen Leser nämlich darauf hinweisen, dass es sich bei dem ganzen Text The Fake as More um einen Hoax beziehungsweise um eine Fälschung handelt. Tatsächlich gibt es weder den Maler Hank Herron noch die Autorin Cheryl Bernstein. Beide waren von der amerikanischen Kunsthistorikerin Carol Duncan und ihrem Mann Andrew Duncan erfunden worden; das Ganze hatten sie in Komplizenschaft mit dem Herausgeber Gregory Battcock realisiert. Die Duncans hatten eigentlich damit gerechnet, dass ihre Fälschung recht schnell enttarnt würde, denn sie hatten, über die offenen Fragen zur Realisierbarkeit von Herrons Ausstellungskonzept hinaus, einige humorvolle Anspielungen sowie entstellte Zitate von damals gerade aktuellen französischen Philosophen in den Text eingebaut. Ziel ihres Hoaxes war es, mittels der Kunstfigur Cheryl Bernstein deutliche Kritik an damals üblichen Rezensionen zu üben. Diesen warfen die Duncans vor, eine um sich selbst kreisende Kunst, welche existierende Kunst, wie im Fall Herrons oder der Appropriation Art, einfach wiederholt, nur auf Theorien zu beziehen. Stattdessen hätten die Rezensenten nach Meinung der Duncans auch den gesellschaftlichen Kontext, also das Publikum, mit in die Betrachtung einbeziehen müssen. Da jedoch niemand Anstoß an der ebenfalls um sich selbst kreisenden, gedanklich abgehobenen Rezension der vermeintlichen Cheryl Bernstein nahm, sahen sich die Duncans in ihrer Kritik bestätigt. Niemand nahm den Text als das, was er eigentlich sein sollte: ein Hoax beziehungsweise eine Parodie. Es sollte 13 Jahre dauern, bis der Kunsthistoriker Thomas Crow in seinem 1986 erschienenen Essay The Return of Hank Herron das Ganze aufdeckte – und auch dies anscheinend nur, weil Carol Duncan ihn zuvor in Bezug auf den Hoax ins Vertrauen gezogen hatte. Mit diesem nachträglichen Wissen erscheint der Titel The Fake as More geradezu programmatisch, denn er bezieht sich nun nicht mehr nur auf den fiktiven Herron, sondern auch auf den Text selbst. Dieser erzielt gerade dadurch einen Mehrwert, dass er von einer Erfindung ausgeht, und zwar nicht nur bezüglich der besprochenen Bilder und des rezensierten Malers, sondern auch bezüglich der Verfasserin der Kritik. Vielleicht verhinderte gerade das Auftreten des Begriffs „Fake“ im Titel des Textes, dass der Beitrag als Erfindung und „Fälschung“ erkannt wurde. Ähnlich wie in Edgar Allan Poes Erzählung The Purloined Letter (Der entwendete Brief, 1844), in der ein gesuchtes Schriftstück gerade dadurch raffiniert versteckt wird, dass man es offen auf dem Schreibtisch platziert, wo es niemand erwartet, mag es den Lesern von The Fake as More ergangen sein. Es wird ihnen undenkbar erschienen sein, dass ein Artikel, in dessen Titel der Begriff „Fake“ so prominent auftritt und der zudem das Phänomen der Fälschung thematisiert, selbst ein „Fake“ sein könnte.

Solche in kritischer Absicht erdachten Hoaxes wurden in der Vergangenheit immer wieder erfolgreich lanciert und machten auf Missstände wie mangelnde Aufmerksamkeit beispielsweise in Zeitschriftenredaktionen oder Verlagslektoraten aufmerksam. Dabei gehen Hoax und Fälschung eine enge Verbindung miteinander ein. Doch obwohl ein Hoax meistens mit dem Mittel der Fälschung arbeitet, ist er nicht mit ihr identisch. Während der Witz des Hoaxes gerade darin besteht, dass er irgendwann enttarnt wird, um die so Geprüften im Fall ihres Versagens wachzurütteln und sie aus ihrer Routine herauszureißen, besteht das Ziel der Fälschung meistens darin, gerade nicht aufgedeckt zu werden. Allerdings können Hoaxes, wenn sie nicht als solche erkannt werden, den Charakter von Fakes annehmen. Umgekehrt können auch Fakes die Funktion von Hoaxes bekommen, sofern sie dazu verwendet werden, Missstände in der Kunstwelt zu überprüfen und aufzudecken. Vereinzelt können Hoax und Fake sogar so miteinander verschmelzen, dass zur adäquaten Bezeichnung dieser Situation ein neuer Begriff wie der des „Foax“ verwendet werden müsste. Ein „Foax“ verbindet nicht nur „Hoax“ und „Fake“ miteinander, sondern erinnert zudem seiner Lautung und Schreibweise nach an das französische Wort für „Fälschung“ – „faux“.

Dass Fälschungen, wenn auch von den Fälschern nicht primär bezweckt, aufklärerische und den wissenschaftlichen Fortschritt befördernde Auswirkungen haben können, hat bereits der amerikanische Historiker Anthony Grafton in seinem 1990 erschienenen Buch Forgers and Critics (Fälscher und Kritiker) dargelegt. Grafton deutet dort das Verhältnis zwischen den Kritikern, also den Experten, und den Fälschern als eine Art von Wettlauf, bei dem die Kritiker den Fälschern stets mehr oder weniger dicht auf den Fersen sind. In Bezug auf die Historiker, Experten und Kritiker, die gezwungen waren und sind, Fälschungen zu entlarven und sich gegen sie zu wappnen, schreibt er in Forgers and Critics: „Alle aber entwickelten ihre interpretativen Theorien als unmittelbare Reaktion auf die Herausforderung, die er [der Fälscher] bedeutete. Und so erweist es sich, daß ein Fälscher der erste wirklich moderne Theoretiker zur kritischen Interpretation von Historikern ist – ein Paradox […].“ Auch in Bezug auf ihre jeweiligen Grenzen sieht Grafton deutliche Parallelen: „Fälschung und Kritik haben auch eine fundamentale Begrenzung gemeinsam. Der Kritiker kann seiner Zeit und seinem Ort ebenso wenig entrinnen wie der Fälscher. Der Fälscher stülpt seiner Neuerschaffung der Vergangenheit nicht nur seine persönlichen Werte, sondern auch die Meinungen und sprachlichen [in der Kunst: stilistischen] Eigenarten seiner historischen Zeit über, und darum wird sein Werk irgendwann einmal nicht mehr glaubwürdig sein.“

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