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Kapitel 3 Kriminalpolizei /Jana

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»Guten Tag. Ich bin Claudia Plum, Hauptkommissarin der Aachener Kripo.« Claudia betrat forsch das Krankenzimmer und sah auf das hagere Mädchen im Bett. »Du bist Jana Winter«, stellte sie fest. Das Zimmer sah aus wie alle Krankenzimmer in einem Krankenhaus. Platz für zwei Betten, wo zurzeit nur das eine stand, und über dem Kopfende die Versorgungsleiste für Sauerstoff und die Anschlüsse für medizintechnische Geräte. Auf dem Beistellschrank mit dem ausklappbaren Tablett lagen Süßigkeiten sowie ein Notebook und ein I-Pad. An der dem Bett gegenüberliegenden Wand lief eine Kochshow im Fernseher, der, in zwei Meter Höhe, in einer Halterung hing. Ansonsten noch drei grässlich gelbe Stühle, die unbequem aussahen.

Jana nickte.

»Du kannst nicht sprechen«, fuhr Claudia vorsichtig fort. »Ich habe mit deinen Eltern gesprochen.«

Jana nickte wieder und griff zur Tafel, die auf der Konsole neben dem Bett lag.

»Hast du eine Erinnerung, wie es zu deinem Unfall kam?«, fragte Claudia und registrierte die nächste Verneinung. Sie sondierte die Lage. Das Mädchen wirkte weder krank noch verzweifelt. Jana schien keine Probleme mit dem Verlust, ihrer Sprechfähigkeit zu haben. Sie gefiel der Hauptkommissarin und war ihr sofort sympathisch. Die junge Frau, das war sie ja schließlich mit achtzehn Jahren, strahlte ungemein positive Signale aus. Doch Claudias Gefühl spürte etwas im Hintergrund der Gedanken des Mädchens, wo es sich lohnte nachzuhaken. Sie fiel mit der Tür ins Haus und sparte das Herantasten und die Floskeln aus. »Du hattest keine gravierenden körperlichen Verletzungen und dennoch lagst du ungefähr zwei Jahre im Koma. Wenn da irgendetwas war, möchte ich es wissen. Schließlich hatte es drei Tote gegeben und außer dir noch einen jungen Mann, der ins Koma fiel.« Claudia fasste sich innerlich an den Kopf. Sie fiel nicht mit der Tür ins Haus, sondern trampelte, wie ein Elefant im Porzellanladen. Ihr fehlte die Erfahrung im Umgang mit jungen Leuten. Sie revidierte ihre Gedanken: Sie hatte verlernt, mit Menschen umzugehen, die normal waren. Der Beruf forderte seinen Tribut.

Jana schrieb mit einem Stift auf die Tafel. »Die Ärzte haben mich auch schon gefragt. Ich habe keine Erinnerung an den Vorfall. Heute weiß ich, dass es eine Explosion war.«

Claudia saß mittlerweile auf dem Bettrand und las mit. »Das ist sehr schade. Drei Tote sind nicht gerade wenig. Und nicht zu vergessen, du und dieser junge Mann …«

Janas Stift flitzte wieder über die Tafel, die Stirn angestrengt gekraust. »Kennen Sie die Namen der anderen Beteiligten?«

»Du kannst Claudia zu mir sagen. Ja. Die Namen haben wir: also du, Vivian Seeger, Stefan Krüger, Lukas Leitner und Marco Ruisten.« Die Hauptkommissarin hielt den Blick auf die Tafel gerichtet. Ihrer inneren Eingebung folgend sah sie hoch und in die schreckgeweiteten Augen des Mädchens. »Was ist los? Kennst du diese Personen?«

Jana schüttelte den Kopf. Dabei stand ihr das schlechte Gewissen auf die Stirn geschrieben.

»Ich glaube dir nicht.« Claudia hakte mit ungutem Gefühl nach.

»Ich kenne sie nicht«, schrieb Jana und sah Claudia offen in die Augen. In ihrem Gesicht lag kein Falsch. Wenn da nicht das Ziehen in den Gedärmen der Kriminalistin wäre. »Kannst du mir Näheres zu den anderen sagen?« Janas Stift tanzte über die Tafel.

»Bis auf dich und den Jungen haben wir, so brutal das jetzt ist, nur Fleischreste gefunden. Dir ist äußerlich wenig geschehen. Dieser Marco hatte ein gebrochenes Bein und eine Kopfverletzung. Vom Alter her hättet ihr zusammengehören können.« Claudia beobachtete jetzt aufmerksam Janas Gesicht.

Die Genesene auf dem Bett schüttelte nachdenklich den Kopf. Ihre Gedanken schienen weit weg, als lausche sie in sich. Schließlich sah sie Claudia mit einem schmerzhaften Ausdruck an und senkte die Augen auf die Tafel.

»Können wir das Gespräch später fortsetzen? Heute nicht. Ich muss nachdenken.«

»Sofern es der Aufklärung dient … gerne.« Sie nickte und spürte das bekannte Kribbeln, wenn sie wieder in eine Katastrophe stolperte. Sie hatte weder Lust noch Zeit, einen zweiten Fall parallel zu bearbeiten. Außerdem lag die Geschichte hier zwei Jahre zurück. Staatsanwalt Dengler würde ihr den Fall so oder so aufdrücken. Hier waren die Toten … und Mordkommission war eben Mordkommission. Sie musste abwarten, was ihre Kollegen dazu sagten. Sie würden bestimmt nicht begeistert reagieren. Die Drogenopfer mussten warten oder das Team sich teilen. Und alles vor Weihnachten.

»Glaube mir bitte. Ich kannte Marco nicht. Es ist viel komplizierter. Du wirst mich für verrückt halten.« Jana wusste nicht, was sie trieb. Doch sie vertraute der Polizistin und spürte eine Seelenverwandtschaft.

»Ich respektiere deinen Wunsch.« Claudia spürte den Zwiespalt und wie sie auch selbst hineingeriet. Zu dem bekannten Ziehen im Unterbauch gesellte sich das ebenso bekannte Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Sie war wieder einmal in die Falle gegangen. Der Fall war viel komplizierter, als zurzeit alle dachten. »Du wohnst in Grotenrath. Ich auch.«

»Ich weiß«, schrieb Jana. »In der Waldstraße. Ich lebe Hinter den Höfen.«

»Zufälle gibt es«, stellte Claudia fest.

»Das ist kein Zufall.«

*

Nun saß Jana hinten im Auto und Papa fuhr nach Hause. Es gefiel ihr aus dem Fenster zu schauen und zu sehen, wie die Landschaft vorbeiflitzte. Alles sah anders aus, als in ihrer Erinnerung. Aber nein … die Veränderung lag in ihr. Am Sonntag war der erste Advent und es bestand Hoffnung auf Schnee. Das wusste sie aus den Nachrichten des Fernsehers, der in ihrem Krankenhauszimmer stand.

Sie dachte an das Gespräch mit der Polizistin. Hatte sie vielleicht etwas voreilig gehandelt? Nein. Das wollte sie sich nicht vorstellen. Irgendwann musste sie ihre Geschichte erzählen und dann würde sie für verrückt erklärt. Claudia Plum konnte die Person werden, der sie vertraute. Doch zunächst musste sie einige Dinge erledigen. So lange würde sie jedem aus dem Weg gehen, der versuchte, ihre Zeit während des Komas zu hinterfragen.

Jana konnte kaum glauben, dass sie zwei Weihnachtsfeste verpasst hatte. Aber hatte sie das? Ein Lächeln lag um ihre Lippen, als sie sich erinnerte.

*

Dem Jenseits entkommen

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