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Freitag, 28. Januar 1938

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Schreckliche Judenplage in Ungarn. Noch toller in Österreich. Aber was interessiert mich das jetzt.

Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag

Im Kaufhaus Schwarz steht an diesem Morgen die Verkäuferin Anna Teinfalt am Packtisch und geht ihrer Sortierarbeit nach. Noch hat kein Kunde das Geschäft betreten. Im Parterre führen die Schwarz’ Kleiderstoffe, Waschstoffe, Seidenstoffe, Leinenstoffe; Brautausstattungen, Damen-, Herren- und Kinderwäsche; Krawatten, Socken, Strümpfe, Gürtel, Wirkwaren, Schirme, Schuhe, Lederwaren, sämtliches Schneider- und Modistenzugehör sowie Geschenk- und Souvenirartikel. Im Mezzanin des Kaufhauses findet die weibliche Kundschaft Damen-, Mädchen- und Kinderkonfektion; Blusen, Kleider, Schürzen, Damenhüte, Mädchen- und Kinderhüte, alles in reichhaltigster Auswahl vom feinsten bis zum billigen Genre. Im ersten Stock ist die Abteilung für Herren- und Knabenkonfektion; es werden zudem Hüte und Kappen angeboten, auch Wetterbekleidung ist im Programm; darüber hinaus sind hier Waren für die Verschönerung des Heims zu finden: Teppiche, Möbelstoffe, Vorhänge, Bett- und Reisedecken, Linoleum, Wachstuche, Bettzeug, Federn und Daunen, Drahteinsätze und Matratzen, Daunen- und Wolldecken in allen Größen und Preislagen. Im selben Stockwerk befindet sich auch eine Spezialabteilung mit Touristenbedarf. Für alle Bereiche wirbt man mit festen Preisen und aufmerksamster Bedienung.

Ab und zu schaut die Verkäuferin Anna Teinfalt hinaus auf den Alten Markt, wie auch jetzt, als sie einen Mann sieht, der die Hofapotheke schräg gegenüber verlässt, ein paar Schritte bis zur Mitte des Platzes geht, auf einmal stehen bleibt und kurz innehält, als habe ihn ein Gedanke gepackt, sodann wieder losgeht und geradewegs auf das Kaufhaus Schwarz zustapft. Der Mann im dunklen Anzug bewegt sich leicht gebeugt, wie jemand, der versucht, sich vor der morgendlichen Kälte zu schützen. Die linke Hand hat er in die Hosentasche gestopft, mit der rechten hält er sich die Jacke am Kragen zu. Sein Atemnebel ist auch vom Packtisch aus noch deutlich zu sehen. Der Mann ist der Verkäuferin Anna Teinfalt gut bekannt, ein kleiner Angestellter, der seit jeher zur Kundschaft zählt und unlängst auf Abzahlung einen Wintermantel gekauft hat. Weil er die letzten vier Raten nicht bezahlt hat, hat Paul Schwarz ihm den Mantel gestern wieder wegnehmen lassen. Auch das ist ihr wohl bekannt, denn gerade ist sie im Begriff, das Kleidungsstück für die Aufbewahrung in Packpapier einzuschlagen. Der Mann kommt zur Ladentür herein, geht auf sie zu und will ihr eben einen guten Morgen wünschen, da fällt ihm Paul Schwarz, der nur ein paar Schritte entfernt Ware kontrolliert, ins Wort: „Wenn Sie extra wegen dem Mantel gekommen sind, dann sag ich Ihnen gleich, der Mantel wird nicht benützt, mein Herr, der Mantel wird eingemottet. Wenn Sie Ihre Raten bezahlen, dann können Sie ihn wieder abholen!“

Dass es dem Mann peinlich ist, sieht man ihm an. Fragend blickt er zur Verkäuferin, die er namentlich ebenso gut kennt wie sie ihn. „Wann krieg ich ihn denn wieder, Herr Doktor Schwarz?“

„Wie gesagt, wenn Sie die vier Raten zahlen, dann kriegen Sie ihn wieder. Basta!“ Für Paul Schwarz ist die Angelegenheit damit erledigt. Sein Schatten verschwindet hinter irgendeiner Tür.

Nach dieser Zurechtweisung erkennt der Mann, dass der Gedanke, der ihn an diesem Wintermorgen auf dem Platz gepackt und ins Kaufhaus Schwarz gelotst hat, umsonst gedacht war. Einen kurzen Augenblick lang passiert nichts. Nur das Knistern des Packpapiers dringt wie hundertfach verstärkt in seine Ohren.

Dass Walter Schwarz ein Beobachter der Situation ist, hat derweil niemand bemerkt. „Was machen Sie denn da?“, fragt er und sieht die Verkäuferin an.

„Ja, Herr Schwarz, da sind vier Raten nicht bezahlt …“

„Das ist ein Wintermantel, nicht wahr? Können Sie den eigentlich im Juni oder im Mai noch brauchen, lieber Mann? In Salzburg?“

„Nein, Herr Schwarz, natürlich nicht. Ich bin aber arbeitslos.“

„Na, dann werd ich Ihnen was sagen: Da! Nehmen S’ den Mantel wieder mit! Schreiben Sie mir einen Brief, dass Sie sofort anfangen werden, wieder abzuzahlen, wenn Sie wieder in Arbeit sind.“

„Danke, Herr Schwarz.“

„Geben S’ ihm den Mantel! Jetzt ist Winter, was macht der Mann im Mai mit dem Wintermantel? Ist ja ein Blödsinn!“

Die Verkäuferin schaut auf den Mantel vor sich auf dem Packtisch und lächelt. Auch der Blick des Mannes hat sich aufgehellt: „Ich danke Ihnen, Herr Schwarz, ich werd’s Ihnen bestimmt bezahlen, bestimmt“, hört man ihn noch sagen und sieht, wie Walter Schwarz ihm beim Hinausgehen noch fünf Schilling in die Manteltasche steckt.

Spät am Abend beobachtet Walter Schwarz, wie am Gaisberg ein Hakenkreuzfeuer abgebrannt wird. So mancher Salzburger hält die Flammen für einen Brand des Gaisberg-Hotels. Wer wie Walter Schwarz am nächsten Morgen die Salzburger Chronik kaufen wird, kann auf der Seite 9 folgende Meldung lesen: „Nationalsozialistische Lichtreklame am Gaisberg. Gestern abends ging einiges Gerede durch die Stadt, das Gaisberg-Hotel stünde in Flammen. Der Irrtum war auf eine nationalsozialistische Lichtreklame zurückzuführen. Unsere braune Jugend […] hatte ein mächtiges Hakenkreuz angezündet, über das ein Großteil der Bevölkerung, nachdem das Gerücht über einen Brand erledigt war, gleichmütig zur Tagesordnung überging.“ Und weiter unten steht: „Die große Mehrheit interessiert sich […] lediglich für die Frage: Aus welcher Kasse und in welcher Währung wurden diese Nazi bezahlt?“

Am Nachmittag kommt der Führer

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