Читать книгу Am Nachmittag kommt der Führer - Holger Schaeben - Страница 22

Mittwoch, 9. März 1938

Оглавление

Zum Führer gerufen. Er ist mit Göring zusammen. Schuschnigg plant einen ganz gemeinen Bubenstreich. Will uns übertölpeln. Ein dummes und albernes Volksbegehren machen. Dazu eine gemeine Rede. Wir überlegen: einfach Wahlenthaltung oder 1000 Flugzeuge mit Flugblättern über Österreich und dann aktiv eingreifen. […] Noch bis 5 h nachts mit dem Führer allein beraten. Er glaubt, die Stunde ist gekommen. Will nur noch die Nacht darüber schlafen. Italien und England werden nichts machen. Vielleicht Frankreich, aber wahrscheinlich nicht.

Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag vom 10. März

„Schuschnigg will eine Volksabstimmung über die Selbständigkeit Österreichs oder so etwas abhalten.“ Mit diesem Satz meldet sich Peter Czernin aus Wien am Telefon. Edmund Glaise-Horstenau, der österreichische Bundesminister, fühlt sich wie vor den Kopf geschlagen, als er die Worte aus dem Munde Czernins vernimmt. „Es ist vielleicht alles doch nicht so wahr“, denkt er bei sich. Czernin ist der persönliche Referent von Glaise-Horstenau, der sich in Deutschland auf einer Vortragsreise befindet. Er ist mehr als beunruhigt. Die Angelegenheiten der Bearbeitung einer Volksabstimmung gehören in seinen Kompetenzbereich. Er ist der hierfür zuständige Minister und hätte von einem solchen Vorhaben unterrichtet sein müssen. Nach dem Telefonat mit Czernin, der möglicherweise durch eine undichte Stelle im Umfeld Schuschniggs vom Vorhaben des Bundeskanzlers erfahren hat, ruft Glaise-Horstenau sicherheitshalber den Leiter der zuständigen Sektion im Bundeskanzleramt in Wien an. Seit letztem Sonntag außer Landes, weiß Glaise-Horstenau nicht, was in den letzten Tagen in Österreich geschehen ist. Noch hofft er, dass alles ein Missverständnis ist. Im Bundeskanzleramt hat niemand Kenntnis von einer geplanten Volksabstimmung. Aber im weiteren Verlauf des Telefonats erfährt er von seinem Sektionschef, dass der Bundeskanzler am Morgen nach Innsbruck gefahren ist …

Als Schuschnigg abends am Rednerpult steht, weiß er nur wenige Vertraute in seinen Plan eingeweiht. Er spricht bereits seit zehn Minuten, mahnt nach begeisterter Begrüßung zur Einigkeit: „Und jetzt frage ich Euch und muß Euch fragen und ich muß die Österreicher fragen: Was wollt ihr nun? Arbeiten oder Politisieren? Beides zusammen wird auf die Dauer nicht gehen. Das geht für eine Übergangszeit, nun aber muß Ruhe sein und darum müssen alle, die Verantwortung um sich fühlen, die zu diesem deutschen Volk stehen, entschlossen sein, dem Volk das zu geben, was es zu Leben braucht. Denn wir wollen leben. Um diese Arbeitsparole durchführen zu können, muß ich wissen, ob das Volk von Österreich einverstanden ist mit dem Weg, den wir gehen. […] Wir wollen ein freies und deutsches Österreich. Wir wollen ein unabhängiges und soziales Österreich. Wir wollen ein christliches und einiges Österreich. Und wir haben in Konsequenz dieses Weges das Abkommen von Berchtesgaden geschlossen. […] Aber jetzt will und muß ich wissen, ob das Volk von Österreich dieses freie und deutsche und unabhängige und soziale, christliche und einige, dabei keine Parteienzerklüftung duldende Vaterland will. […] Das muß ich jetzt wissen, und darum, Landsleute und Österreicher, Männer und Frauen, rufe ich Sie in dieser Stunde auf: Am nächsten Sonntag, am 13. März des Jahres, machen wir Volksbefragungen.“

Es folgen minutenlanger, stürmischer Beifall und „Heil-Schuschnigg“-Rufe. Dann spielt eine Musikkapelle auf und intoniert das Andreas-Hofer-Lied, worauf sich die Versammelten erheben und, den Schwurfinger gereckt, mitsingen. Tosende „Heil-Schuschnigg“-Rufe und Ovationen erschallen auch auf den Plätzen und Straßen im Land. In Salzburg haben sich auf dem Dollfuß Platz Hunderte um die Lautsprecheranlage vor Makart Radio versammelt und folgen dem Spektakel, das der Kanzler in Wien entfacht. Zu Ohren gekommen sind des Kanzlers Worte auch Arthur Seyß-Inquart, denn der einige Zeit zuvor ernannte Innen- und Sicherheitsminister Österreichs unterrichtet sofort Hitler von Schuschniggs Rede und dessen Plänen. Seyß-Inquart und Minister Glaise-Horstenau erklären Bundeskanzler Schuschnigg noch in der Nacht, dass eine mögliche Abstimmung in dieser Form verfassungswidrig sei. Sie haben Schuschniggs Strategie noch nicht durchschaut. Der geht davon aus, dass er die Herren für seine Entscheidung, eine Volksbefragung durchführen zu wollen, gar nicht braucht. Denn ein „Ja“ bei einer Volksabstimmung bedeutet in seinen Augen keine Verfassungsänderung, sondern nur eine Bekräftigung der Bestehenden.

Als Reaktion auf die Ereignisse in Wien kommt es am Abend in Salzburg zu einem Umzug nationalsozialistischer Jugendlicher. Die Gruppe zieht von der Dreifaltigkeitsgasse zum Dollfuß Platz, wo sie das Horst-Wessel-Lied anstimmen. Nicht nur dadurch und durch „Sieg-Heil“- und „Heil-Hitler“-Rufe geben sie sich als Nationalsozialisten zu erkennen. Seit dem Vortag ist auch das Tragen von Hakenkreuzen allgemein gestattet. Die Polizeiorgane sind im Laufe des Tages von den vorgesetzten Stellen angewiesen worden, laut Anordnung des Bundeskanzleramtes die Träger dieses Abzeichens nicht zu behelligen. Kurz nachdem sich der Zug jugendlicher Nationalsozialisten in Bewegung gesetzt hat, organisieren sich Teilnehmer der „Vaterländischen Jugend“ ebenfalls zu einem Umzug und ziehen unter „Heil-Schuschnigg“-Rufen ebenfalls zum Dollfuß Platz. Als die beiden Gruppen aufeinandertreffen, kommt es zunächst zu Wortgefechten, dann geraten sie körperlich aneinander, wobei auch Stichwaffen benützt werden. Die Polizei kann die Versammlung nicht auflösen und setzt Gummiknüppel ein. Es kommt zu Rangeleien mit Verletzten. Ein Wachbeamter wird durch einen Steinwurf und ein Demonstrant durch eine Rasierklinge verwundet. Mehrere Personen werden polizeilich erfasst.

Am Nachmittag kommt der Führer

Подняться наверх