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Samstag, 12. Februar 1938

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PAPEN IN BERCHTESGADEN. Salzburg […]. Gesandter a.D. von Papen ist gestern mittags mit dem Zug aus Wien in Salzburg angekommen und wurde am Bahnhof von einem Regierungsauto […] abgeholt und unverzüglich nach Berchtesgaden gebracht.

Salzburger Chronik

Die große Standuhr, von einem schweren Bronzeadler mit Hakenkreuz in den Fängen bekrönt, zeigt eben auf 11 Uhr. Der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg ist bisher kaum zu Wort gekommen; er, der sich zu einem Treffen mit Hitler auf dem Obersalzberg bereit erklärt hat, ist von ihm erst einmal zum Zuhörer degradiert worden. Der „Führer“ und sein Staatsgast haben in bequemen roten Clubsesseln Platz genommen, vor sich, wie von einem Monumentalmaler auf die Leinwand übertragen, ein Landschaftspanorama im CinemaScopeFormat. Das riesige versenkbare Fenster in der imposanten Halle im Erdgeschoss des Berghofs misst acht Meter auf vier Meter und bietet eine freie, entgrenzte Sicht über das Berchtesgadener Land hinweg bis tief ins Salzburgische hinein. Davor hat Hitler eine Sonnenterrasse aus Naturstein anlegen lassen. Auf der gegenüberliegenden Talseite erhebt sich majestätisch der sagenumwobene Untersberg. Schuschnigg sieht nicht wirklich hinaus, aber die schiere Größe des Fensters mit der magischen Aussicht beeindruckt ihn doch. Nur, wie in Gottes Namen soll er jetzt einen Blick für Landschaft und Bergkulisse haben? Und wenn er ihn hätte, würde er darin doch nur seine Heimat Österreich sehen, und die steht gerade auf dem Spiel. Er fühlt sich gar nicht kommod. Unwohl fühlt er sich, und das nicht nur wegen der Unterredung. Wie gerne würde er sich jetzt eine Zigarette anzünden, aber der „Führer“ hat in seiner Gegenwart ein striktes Rauchverbot erteilt. Schuschnigg, nikotinabhängig, leidet wie ein Hund. Sein Gegenüber dagegen monologisiert munter weiter und schaut dabei abwechselnd nach draußen und auf ihn. Während er redet, weiß er im Vorzimmer seinen Bluthund Walter von Reichenau, General der Artillerie, und den General Sperrle, dessen brutales Bulldoggengesicht schon wortlos auf jeden Besuch Furcht einflößend wirkt. Die beiden Herren gehören genauso zu Hitlers Einschüchterungstaktik wie die große Drohkulisse, die er zur gleichen Zeit an der österreichischen Grenze aufgebaut hat, indem er dort militärische Scheinvorbereitungen durchführen lässt. Österreichs Außenstaatssekretär Guido Schmidt, der Schuschnigg auf den Obersalzberg begleitet hat, ist nicht zugegen. Wie Hitlers Reichsminister des Auswärtigen, Joachim von Ribbentrop, hält er sich in anderen Räumlichkeiten des Berghofs auf. Auch der ebenfalls angereiste Botschafter des Deutschen Reiches in Wien, Franz von Papen, ist bei der Unterredung nicht dabei. Hitler will das Vier-Augen-Gespräch. Schuschnigg sieht ihn durch seine blinkenden Brillengläser ernst, aber freundlich an. Er sucht das versöhnliche Gespräch. Aber wie soll das gehen, wenn nur einer spricht?

„Das nennen Sie eine deutsche Politik, Herr Schuschnigg? Österreich hat noch nie etwas getan, was dem Deutschen Reich genützt hat. Seine ganze Geschichte ist ein ununterbrochener Volksverrat. Das war früher nicht anders wie heute. Aber dieser geschichtliche Widersinn muss endlich sein längst fälliges Ende finden. Und das sage ich Ihnen, Herr Schuschnigg: Ich bin fest dazu entschlossen, mit dem allen ein Ende zu machen.“

„Ich kenne Ihre Auffassung über die österreichische Frage und österreichische Geschichte, Herr Reichskanzler; aber Sie werden verstehen, dass ich hier grundlegend anderer Meinung bin. Für Österreich ist die ganze eigene Geschichte ein sehr wesentliches und wertvolles Stück deutscher Geschichte gewesen, das sich aus dem gesamtdeutschen Bilde nicht wegdenken lässt. Und die österreichische nationale Leistung ist sehr beträchtlich.“

„Gleich null! Das kann ich Ihnen sagen! Von Österreich aus bekam jede nationale Regung seit je nur Prügel zwischen die Füße; das war ja auch die Haupttätigkeit der Habsburger und der katholischen Kirche.“

„Trotzdem ist manch österreichische Leistung aus dem gesamtdeutschen Kulturbild unmöglich wegzudenken.“

„Ich kann Ihnen nur nochmals sagen, dass es so nicht weitergeht. Ich habe einen geschichtlichen Auftrag, und den werde ich erfüllen, weil mich die Vorsehung dazu bestimmt hat.“

„Das glaube ich Ihnen ja gerne, Herr Reichskanzler …“

„Ich könnte mit dem gleichen und noch mit viel mehr Recht mich als Österreicher bezeichnen als Sie, Herr Schuschnigg! Versuchen Sie es doch einmal und machen Sie eine freie Volksabstimmung in Österreich, in der Sie und ich gegeneinander kandidieren; dann werden Sie sehen!“

„Ja, wenn das möglich wäre! Aber Sie wissen selbst, Herr Reichskanzler, dass es eben nicht möglich ist.“

„Das sagen Sie, Herr Schuschnigg. Ich sage Ihnen, ich werde die ganze sogenannte österreichische Frage lösen, und zwar so oder so! […] Ich brauche nur einen Befehl zu geben, und über Nacht ist der ganze lächerliche Spuk an der Grenze zerstoben.“

„Ich weiß natürlich, dass Sie in Österreich einmarschieren können; aber, Herr Reichskanzler, ob wir es wollen oder nicht – das wird ein Blutvergießen geben; wir sind nicht allein auf der Welt. Das bedeutet wahrscheinlich Krieg.“

„Glauben Sie nur nicht, dass mich irgendjemand in der Welt in meinen Entschlüssen hindern wird! Alle Welt muss wissen, dass es für eine Großmacht einfach unerträglich ist, wenn an ihren Grenzen jeder kleine Staat glaubt, sie provozieren zu können. Ich habe lange genug untätig zugesehen. Weil ich immer noch hoffte, dass die Vernunft die Oberhand bekäme. Aber das ist einfach unmöglich, dass in Österreich einer, bloß weil er ein Lied singt, das Ihnen nicht passt, oder ‚Heil Hitler‘ sagt, ins Gefängnis kommt. Die Verfolgung der Nationalsozialisten muss ein Ende haben, sonst werde ich ein Ende machen.“

„In Österreich wird niemand verfolgt, der sich nicht gegen die Gesetze vergeht.“

„Ich kenne die Lage in Österreich besser als Sie.“

„Vielleicht würden Sie an Ort und Stelle anders denken, Herr Reichskanzler, Sie kennen ja Wien.“

„Das ist sehr lange her.“

„Seither waren Herr Reichskanzler niemals in Österreich?“

„Die österreichische Regierung hat mir ja die Einreise verboten. Einmal war ich vor Jahren noch nachts in Wien. Und dann heimlich am Grabe meiner Eltern; so behandelt man mich. Ich will Ihnen jetzt noch einmal, zum letzten Mal, die Gelegenheit geben, Herr Schuschnigg. Entweder wir kommen zu einer Lösung, oder die Dinge sollen laufen; wir werden dann ja sehen, wie das werden wird. Am nächsten Sonntag trete ich vor die deutsche Nation; bei meiner Rede vor dem Reichstag muss das deutsche Volk wissen, wie es dran ist. Überlegen Sie es sich gut, Herr Schuschnigg! Wenn ich Ihnen das sage, dann tun Sie gut daran, mich wörtlich zu nehmen. Ich bluffe nicht. Ich habe noch alles erreicht, was ich wollte, und bin vielleicht dadurch zum größten Deutschen der Geschichte geworden!“

Damit scheint die Unterredung beendet, es ist kurz vor 13 Uhr, gleich wird die Standuhr den beiden Kontrahenten mit einem Schlag das Ende bestätigen.

„Ich habe mich entschlossen, einen allerletzten Versuch zu unternehmen, Herr Schuschnigg. Hier ist der Entwurf.“ Nach dem zweistündigen Gespräch ohne Zeugen hält Hitler dem österreichischen Bundeskanzler den Entwurf eines Abkommens unter die Nase. Demnach sollen den österreichischen Nationalsozialisten weitreichende politische Entfaltungsmöglichkeiten zugesichert werden. Schuschnigg ist konsterniert. Er nimmt das Blatt und liest unter anderem, dass der österreichische Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart zum Innenminister ernannt und mit absoluter Polizeigewalt ausgestattet werden muss; alle inhaftierten Nationalsozialisten freizulassen sind; die im Ständestaat wegen NS-Betätigung entlassenen Beamten und Offiziere sofort auf ihre Posten zurückkehren müssen und die österreichische Außen- und Wirtschaftspolitik jener des Deutschen Reiches anzupassen ist.

Hitler fordert ihn auf, zu unterzeichnen. Schuschnigg zögert. „Verhandelt wird nicht, ich ändere keinen Beistrich. Sie haben zu unterschreiben, oder alles andere ist zwecklos, und wir sind zu keinem Ergebnis gekommen. Ich werde dann im Laufe der Nacht meine Entschlüsse zu fassen haben.“

Schuschnigg beugt sich dem Druck, unterschreibt das „Berchtesgadener Abkommen“, bittet aber um drei Tage Bedenkzeit. Er gibt vor, er brauche diese Frist, da Ministerernennungen verfassungsrechtlich erst vom Bundespräsidenten gebilligt werden müssten. Mit Murren stimmt Hitler zu. Als Schuschnigg und seine Begleiter Schmidt und von Papen den Berghof Richtung Wien verlassen haben, wendet sich Hitler an seinen Hofstaat: „Gerne tue ich es nicht. Also gut, meine Herren – er soll die drei Tage haben.“

Auf der kurzen Fahrt zum Bahnhof zündet sich Schuschnigg erst einmal eine Zigarette an, zieht gierig den Tabakrauch ein und hört von Papen zu, der versucht, beruhigende Worte zu finden: „Ja, so kann der Führer sein, nun haben Sie es selber erlebt. Aber wenn Sie das nächste Mal kommen, werden Sie sich sehr viel leichter sprechen. Der Führer kann ausgesprochen charmant sein.“

Am Nachmittag kommt der Führer

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