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Schlussbetrachtung

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Wir konnten sehen, dass die Nationalsozialisten bereits seit 1920 über einen Diskurs über den Ursprung der nordischen Rasse verfügten. In einer Grundsatzrede vom 13. August 1920 bekräftigte Hitler die nordische Herkunft jeglicher Kultur und erhob den Arier zum Feuer- und Lichtbringer, zum Träger eines Feuers und Lichts, das aus dem eisigen Norden Europas kam. Bereits in der frühesten Antike war die arische Menschheit am Werk: auf Wanderschaft, Kulturen und Staaten bildend, Gesellschaften und Kunstwerke hervorbringend, ausgehend von ihrer Heimstatt im Norden.

Der Gedanke von einer gemeinsamen Heimat aller Hochkulturen der weißen Rasse galt seit Ende des 18. Jahrhunderts als allgemein akzeptiert, desgleichen die arische bzw. indoeuropäische Hypothese. Ein deutscher Nationalismus auf der Suche nach Legitimation und Selbstvergewisserung verlegte deren Schwerpunkt von Indien nach Nordeuropa. Diese Aufnordung der indoeuropäischen Hypothese wurde von den Nationalsozialisten schlagartig zum Dogma erhoben, sahen sie doch in der orientalisierenden These von der indischen Herkunft ein Hindernis und eine Beleidigung: Sie beraubte den Norden seines hervorragenden Status als Mutterschoß und sang zu sehr das Lob eines von den Nationalsozialisten verachteten Ostens. Es war von vitaler ideologischer Bedeutung, dass das tradierte ex oriente lux durch das im Deutschland des 19. Jahrhunderts aufgekommene ex septentrione lux ersetzt wurde.

Ein solcher Diskurs hat zwei Funktionen. Er dient zunächst der Aufwertung der nationalen Identität durch den Verweis auf deren noble rassische Herkunft. Weitgehend entstanden aus der Niederlage und der Demütigung von 1918, sah sich der Nationalsozialismus unter anderem dazu berufen, das Selbstbewusstsein der Deutschen zu stärken, zumal das Selbstvertrauen durch den Zusammenbruch des Kaiserreichs, das Diktat vom 28. Juni 1919 und die politischen, gesellschaftlichen und finanziellen Wirren der ersten Jahre der Weimarer Republik erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Dieser Diskurs wurde für so wichtig erachtet, dass man für seine weite Verbreitung auf vielfältigen Kanälen sorgte. Zu ihnen zählten die Reden und Erklärungen des nationalsozialistischen Führungspersonals, allen voran Hitler und Rosenberg, die Arbeiten der Rassentheoretiker wie Günther, aber auch Kunst, Forschung und Wissenschaft sowie weltanschauliche Propagandaschriften für Polizei und Streitkräfte. Hitler erklärte den Arier in Mein Kampf zum Prometheus der Menschheit. Die nationalsozialistische Plastik übertrug mit ihrem häufigen Bezug auf das Prometheus-Motiv den Text vom Papier auf den Stein.

Somit war dieser Ursprungsdiskurs in Gestalt von Skulpturen im öffentlichen Raum präsent. Er wurde aber auch explizit unterrichtet. Die Richtlinien von 1933 zu den Geschichtslehrwerken, dann die neuen Lehrpläne von 1938 definierten ausdrücklich den Inhalt des Unterrichts in Rassengeschichte: ein regelrechtes Loblied auf den nordischen Geist. Hochschullehrern und Forschern in Universitäten und Forschungseinrichtungen bereitete es keinerlei Probleme, den Mythos vom nordischen Ursprung durch gelehrte Arbeiten zur prähistorischen Swastika und zur Elchrune in Schweden und Norditalien zu untermauern.

Die zweite Funktion dieses Ursprungsdiskurses bestand darin, einer annexionistischen und expansionistischen Vorstellungswelt Nahrung zu geben. Wenn Menschen aus dem Norden zu Schöpfern aller großen Kulturen der Geschichte werden konnten, dann war der Norden in der Tat dieser von Jordanes gefeierte Mutterschoß und die nordische Rasse ist überall bei sich zu Hause. Damit wurde eine symbolische Einverleibung der ruhmreichsten Teile des gesamten historischen Erbes ermöglicht, die vorauswies auf konkretere, auf materielle und territoriale Annexionen. Der nordische Diskurs gestattete so der arischen Rasse die Annektierung des reichen historischen und künstlerischen Erbes der Kulturen des Mittelmeerraums, die sich plötzlich in nordischen Himmelsstrichen wiederfanden.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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