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Überwindung der Antike-Feindschaft?
Die Einrichtung einer Abteilung für klassische
Altertumswissenschaft im Ahnenerbe der SS

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Für die Bannerträger des ewigen Germanentums hatte die klassische Antike einen problematischen Status. Ihr Ansehen drohte das germanische Altertum in den Schatten zu stellen. Obendrein ließ ihre enge Verbindung mit dem Humanismus und dem Bildungsbegriff der Aufklärung sie als ideologisch verdächtiges Erbteil erscheinen. Die Antike konnte als Matrix eines universalistischen Humanismus missverstanden werden, den die Nationalsozialisten verabscheuten.140 Rosenberg, der eher deutsch-tümelnd als antikeorientiert war, sich aber der Liebe des Führers zur Antike anpasste, wies auf diesen Sachverhalt hin. Er tat dies in einer seiner Reden, in der er die abstrakte Erziehung des 18. und 19. Jahrhunderts geißelte, die sich anmaßte, den Menschen unter Missachtung aller biologischen Determinismen zu verändern, und die zugleich die Universalität der humanitas postulierte. Diese humanistische und aufklärerische Erziehung mit ihrem Hang zur Antike gründete sich auf den vagen Traum von einem abstrakten, universalistischen Humanismus, der dem Begriff einer monogen-einheitlichen Menschheit Vorschub leistete.141

Für die Deutschtümler, die sich insbesondere in den Reihen der SS fanden, stand das griechisch-lateinische Altertum in unfairer Konkurrenz mit dem germanischen Altertum. Himmler erhob gegen die klassische Antike den Vorwurf, sie sei jahrhundertelang zum Nachteil des Erbes der alten Germanen gefördert und gepriesen worden.

Für ihn beschränkten sich in einer ersten Phase die Manifestationen der nordischen Rasse auf das Gebiet des Reichs. Er war der Hohepriester einer Mystik von Scholle und Blut, der Erde und der Toten: Germane ist, wer auf dem Boden Germaniens, das vom Blut der Ahnen befruchtet wurde, geboren wird und dort aufwächst. Germanisches Blut und nordischer Boden verbinden sich zu organischer Einheit. Himmler regte philologische Untersuchungen zur Runenschrift an und schuf ex nihilo mystische Feiern, die von germanischen Bräuchen angeregt wurden; er war es auch, der sich zu allen möglichen übersteigerten Betrachtungen zu Blut und Rasse hinreißen ließ.142

So sehr Hitlers Auffassung von der Geschichte integrativen Charakter aufwies, so sehr war die Himmlers hermetisch abgeschottet, ausschließlich auf das germanische Erbe ausgerichtet. Während Hitler die griechisch-lateinische Antike dem kulturellen und rassischen Erbe des Germanentums einverleibte, schloss sich Himmler in den engen Kreis der Erde und der Toten Germaniens ein. Als fanatischer Vorkämpfer eines ausschließlich nordischen Ariermythos redete er sich ein, dass sich die Wiege der Rasse in jenem Ultima Thule befinde, diesem untergegangenen Atlantis des Nordens143, von dem der griechische Philosoph Pytheas aus Marseille spricht144. Er wertete demzufolge alles, was aus dem Süden kommt, als rassisch unrein und verdächtig ab. Den Mittelmeerraum betrachtete Himmler als ein einziges rassisches Magma.145 Zugleich war er die Wiege dieses jüdischen Christentums, das er verabscheute. Die SS, die alles daransetzte, germanischen Kultus und eine germanische Mystik neu erstehen zu lassen, suchte dieses palästinensische und römische Christentums auszumerzen: „Was christlich ist, ist nicht germanisch; was germanisch ist, ist nicht christlich.“146 Der Schwarze Orden war aufgerufen, sich auf den Endkampf mit dem Christentum vorzubereiten, das es niederzuwerfen galt:

„Wir leben im Zeitalter der endgültigen Auseinandersetzung mit dem Christentum. Es liegt in der Sendung der SS, dem deutschen Volk im nächsten halben Jahrhundert die außerchristlichen arteigenen weltanschaulichen Grundlagen für Lebensführung und Lebensgestaltung zu geben.“147

Die SS-Wochenschrift Das Schwarze Korps enthält eine Vielzahl von Artikeln, die es unternahmen, Rom mitsamt seinen diversen historischen, imperialen, christlichen und päpstlichen Konnotationen in den Orkus der Geschichte zu stürzen.

Himmler gründete am 1. Juli 1935 das Deutsche Ahnenerbe e. V., um eben das Erbe der germanischen Rasse zu erforschen und zu fördern. Er strebte danach, historische und philologische Forschungen zum Germanentum zu fördern. So sollte Boden gutgemacht werden im Wettlauf mit den institutionalisierten Einrichtungen der Altertumswissenschaften. Das Ahnenerbe war in der Tat ursprünglich als Waffe der germanistischen Archäologen und Vorgeschichtler gegen ihre Kollegen aus Romanistik, klassischer Philologie und Altertumswissenschaften konzipiert. Gleiches galt für den Sonderstab Vor- und Frühgeschichte, der im August 1940 eingerichtet und von dem Vorgeschichtler Hans Reinerth geleitet wurde.

Es war der ausdrückliche Auftrag des Ahnenerbes, eine Wissenschaft zu begründen – die Germanenkunde –, die dem Germanentum die Patina und das Prestige eines Altertums verleihen sollten, das möglichst noch weiter in die Vergangenheit zurückreichen sollte als die Geschichte Roms. Für die SS-Gelehrten ging es darum, wissenschaftlich abzusichern, was der Reichsführer SS verkündete. Anlässlich des Julfests 1935148, also der Feier der Wintersonnwende, die von der SS mit großem Zeremoniell begangen wurde, hatte dieser behauptet: „Ewiger und älter als Rom, ewiger und älter ist Deutschland!“149

Die Projekte Himmlers stießen bei Hitler auf dessen Ironie oder sogar öffentliche Missbilligung. Der Chef der SS musste daher dem Antike-Fimmel des Reichskanzlers Zugeständnisse machen. Im Herbst 1937 stattete er Italien einen Staatsbesuch ab, in dessen Verlauf er sich aufgrund eigener Beobachtungen den Auffassungen Hitlers anschloss. Die Runeninschriften auf dem Lapis Niger des Forum Romanum fesselten ihn; er ließ Abgüsse von ihnen anfertigen und sie fotografieren. Auch das wiederholte Auftreten der Swastika als Dekor-Element römischer Mosaike erweckte sein Interesse, sodass er beschloss, Hitlers Marotten nachzugeben und eine neue Abteilung im Ahnenerbe einzurichten: Diese sollte die griechisch-lateinische Antike erforschen und sie dem historischen und identitätsmäßigen Erbe des Germanentums einverleiben.150 Der Historiker des germanischen Mythos, Klaus von See,151 hat darauf hingewiesen, wie sehr die politische und militärische Allianz Deutschlands und Italiens es erleichterte, die SS für die antike Kultur zu öffnen und so die Überwindung des althergebrachten Gegensatzes zwischen den Germanen des Arminius und den Römern des Varus zu ermöglichen. Seit der Wiederentdeckung von Tacitus im 15. Jahrhundert wurde das Bild des Germanen bzw. Deutschen durch den Gegensatz zum Römer konstituiert, ab dem 19. Jahrhundert trat die Opposition zum Semiten an dessen Stelle. Die Antithese Germane/Römer wurde durch den Gegensatz (arischer) Indogermane/Semit ersetzt.152 Dieser Paradigmenwechsel, der sich schließlich in Form der Waffenbrüderschaft zwischen Berlin und Rom konkretisierte, hat eine Reihe von offiziellen Besuchen generiert, in deren Verlauf die nationalsozialistischen Würdenträger das reiche antike Erbe Italiens entdeckten; ihm ist auch eine ganze Reihe archäologischer Aktivitäten in Italien zu verdanken.

Bislang hatte das griechisch-römische Altertum das Ahnenerbe der SS allenfalls indirekt tangiert. Der Plan zur Erschließung des germanischen Erbes153 des Instituts von Juli 1937 verlangte von den klassischen Philologen lediglich die Zusammenstellung und Kommentierung derjenigen antiken Texte, in denen von den Germanen die Rede war. Innerhalb weniger Monate erwachte nun das Interesse des Reichsführers für solche Fragen und das Ahnenerbe musste eine Fachkompetenz in Altertumswissenschaften erwerben, die diesen Namen auch verdiente, um Geist und Wirken der indogermanischen Rasse gründlicher erforschen zu können. In einem drei Seiten langen Brief an Walther Wüst berichtet Himmler von seiner Ergriffenheit beim Besuch der antiken Stätten Roms.154 Dabei spricht er deren italienischen Sachwaltern zumindest das Interesse, wenn nicht gar die Besitztitel an diesen Dingen ab:

„Die Museen in Italien enthalten eine ungezählte Anzahl von Dingen, die uns auf unserer arischen Ebene interessieren. Die Italiener selbst haben für diese Dinge kein Interesse.“155

Die Geringschätzung gegenüber Italienern wie für alles, was mit dem Mittelmeerraum zu tun hat, war eine Konstante bei Himmler. Nach dem Allianzwechsel Italiens im Juli 1943 ließ er seinem Zorn und seiner Verachtung freien Lauf. Er führte das Verhalten Italiens auf einen Mangel an Mut zurück, der letztlich einem „Blut- und Rasseproblem“ geschuldet sei. Lediglich der von der SS exfiltrierte Mussolini blieb für ihn „der einzige, der die große römische Tradition in sich trug und verkörperte“156.

Das neue wissenschaftliche und weltanschauliche Interesse am alten Rom rechtfertigte jedoch die Einrichtung einer eigenen, selbstständigen Forschungsabteilung im Rahmen des Ahnenerbes der SS:

„Ich sehe nun eine Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen. Ich erteile Ihnen den Auftrag, im Ahnenerbe eine Abteilung zu errichten, die die Aufgabe hat, Italien und Griechenland nach seinen [sic] indogermanisch-arischen Zusammenhängen zu studieren … Die Aufgabe ist eine sehr große; denn sie bedeutet die Durcharbeitung sowie dauernde Verfolgung aller vorhandenen und noch herauskommenden archäologischen Erkenntnisse.“157

Im Anschluss daran spezifizierte er die einzelnen Aufgaben der künftigen Abteilung. Er verlangte

„den ‚exakte(n) Nachweis, daß die Römer sowohl als auch (sic!) selbstverständlich die Samniten, Umbrier, Volsker, Latiner usw. und auch sicherlich ein Teil der vorrömischen Bevölkerung Etrusker, Siguler, als ein Wanderzug arisch-indogermanischer Sippen aus dem Norden, aus unseren Ostseegebieten, gekommen sind. Dies wäre ebenfalls auch für die Griechen in allen ihren Teilen nachzuweisen‘“158.

Vorgesehen war also die systematische Zusammenstellung aller Belege, die es gestatten, die griechische und römische Kultur dem Kreis der indogermanischen Rasse zuzurechnen. Es waren ad hoc archäologische und philologische Forschungen einzuleiten, die den indogermanischen Geist erhöhen und preisen sollten. Dabei ging es um das

„,Gesamtziel, dem Nachweis der arischen von der Zentrale Deutschland und dem Ostseebecken ausgehenden nordischen Menschheit in fast allen Teilen unserer Erde und dem Nachweis auch, heute wenigstens, der geistigen Weltherrschaft des arischen Germanentums näherzukommen‘“159.

Es ging also für Himmler, wie er an Wüst schrieb, darum, „Italien und Griechenland nach seinen indogermanisch-arischen Zusammenhängen zu studieren“160.

Entsprechende archäologische Forschungen des Ahnenerbes sollten am Ende der indogermanischen Kultur das materielle Erbgut garantieren, das ihr durch das eifernde Vandalentum der Christen entzogen worden war. Wenn sich in deutschen Landen kaum Zeugnisse dieser großen nordischen Kultur finden, die im Süden so viele Spuren hinterlassen hat, dann sei das dem bilderstürmerischen Fanatismus geschuldet. Man wird also dafür sorgen müssen, „‚daß an Hand der in Italien und in Griechenland gut erhaltenen, vom Christentum nicht so sehr zerstörten Dinge der Vergangenheit arischer, z.T. urältester Art, die bei uns zerstört worden sind, ergänzt und erklärt werden können‘ (sic!)“161. Das griechische und das römische Erbe seien beide gleichermaßen Ausdruck arischer Kultur. Damit die Deutschen der Gegenwart dieses Erbe mit legitimem Stolz beanspruchen könnten, müsse das Ahnenerbe die Verbindung von Germanen-, Römer- und Hellenentum in strenger Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit erforschen und als offenkundiges Faktum darstellen.

Die tatsächlich durchgeführten Arbeiten des Ahnenerbes blieben freilich hinter dem ehrgeizigen Programm Himmlers zurück und beschränkten sich auf das Gebiet der Philologie. Walther Wüst ernannte Rudolf Till zum Leiter einer Lehr- und Forschungsstätte für Klassische Philologie und Altertumskunde, einen Latinisten, dem er kurz darauf den Hellenisten Franz Dirlmeier zur Seite stellte. In Übereinstimmung mit dem Historiker Volker Losemann ist der Mangel an Mitteln festzuhalten, die dem Institut für Klassische Philologie des Ahnenerbes zur Verfügung gestellt wurden. Dessen hauptsächliche Tätigkeit beschränkte sich daher auf die kritische Ausgabe des Codex Aesinas, der ersten in der Renaissance wiederentdeckten Quelle der Germania und des Agricola von Tacitus. Diese Ausgabe blieb auch der einzige Band der Reihe „Arbeiten zur Klassischen Philologie und Altertumskunde“ des Ahnenerbes.

Die archäologischen Forschungen wurden Franz Altheim, einem korrespondierenden Mitarbeiter des Ahnenerbes, übertragen. Dessen Arbeiten entsprachen voll und ganz dem Auftrag des Reichsführers. Altheim führte von 1937 bis 1942 im Auftrag der SS und mit Zustimmung der italienischen Regierung eine Reihe von Grabungen im Val Camonica durch, einem Alpental südlich des Gardasees.162 Er fand dort zahlreiche Felsmalereien, einige davon begleitet von Runeninschriften, die er mit denen verglich, die im Bohuslän und in Östergötland in Südschweden entdeckt worden waren. Seine Forschungen und Vergleiche veröffentlichte er in zwei Werken, Vom Ursprung der Runen (1939)163 und Italien und die dorische Wanderung (1940)164. Seine Schlussfolgerungen sind wenig überraschend: Die ursprüngliche kulturbildende Bevölkerung Italiens ist aus Norddeutschland oder Südschweden eingewandert. Seine Forschungsergebnisse fasste er in einem Artikel zusammen, der 1941 in der Zeitschrift Die Antike unter dem Titel „Indogermanisches Erbe in Rom“165 erschien. Seine Argumente entstammen einer überraschenden Methodologie: Das Auftauchen einer Wandzeichnung eines mit einer Lanze bewaffneten Manns sowohl in Schweden als auch in Norditalien166 sowie die semantische Verwandtschaft des lateinischen sibi mit dem althochdeutschen selb167 sind für ihn hinreichende Beweise dafür, dass es im Camonica-Tal, also in Italien, „eine indogermanische Einwanderungswelle aus dem nördlichen Europa“168 gab. Das nordistische Postulat blieb die Achse, um die sich alle archäologische Forschung und jeglicher Ursprungsdiskurs drehte, obwohl doch Beweise dieser Art ebenso gut als Belege einer indoeuropäischen Verwandtschaftsbeziehung bei völlig anderer geographischer Herkunft gelten konnten, etwa einer Einwanderung aus Zentralasien, wie Dumézil annahm, oder aber aus der Schwarzmeer-Region, was heute unter Indogermanisten Konsens sein dürfte.

Als Stütze für die nordistische These veröffentlichte Franz Altheim in der Zeitschrift Germanien eine hochwissenschaftliche Untersuchung über die Elchrune, die man ebenso in Schweden wie in Norditalien findet. Der Autor ist überzeugt, dass „sich die südschwedischen und norditalianischen Darstellungen in einem Maß (berühren), das Zufälligkeit ausschließt. Sie haben den gleichen Weg nach Süden genommen wie die anderen Gegenstände der Felsbildkunst.“169

Diese schwerverdaulichen Texte wurden einem breiteren humanistisch gebildeten Publikum in Gestalt eines zweiteiligen Artikels in der Zeitschrift Neue Jahrbücher nahegebracht; diese widmeten der „Indogermanisierung Italiens“170 einen zweiteiligen Aufsatz, in dem die Schlussfolgerungen der frühen Arbeiten Altheims aufgenommen wurden. Daneben suchten zahlreiche Artikel der Zeitschrift Germanien, wie wir gesehen haben,171 die enge indogermanische Zusammengehörigkeit der Hochkulturen der Antike zu beweisen, insbesondere derjenigen des Orients und Asiens. Der Beitrag über „Das Löwentor von Mykenä, ein nordisches Kultsymbol“172, handelt seinerseits vom Indogermanentum der Griechen.

Die SS ließ in Olympia weitere klassisch-archäologische Grabungen durchführen, um dem Dossier Berlins beim IOK zusätzliche Substanz zu verleihen. Angesichts der Gefahr, das Komitee könne der deutschen Hauptstadt unter dem Druck der internationalen öffentlichen Meinung die Spiele wieder entziehen, hatte sich Hitler nachdrücklich dazu verpflichtet, die deutschen Grabungskampagnen an olympischer Stätte wieder aufzunehmen173.

Neben der Abteilung für Klassische Archäologie untersuchte in gleichem Geist und mit gleicher Zielsetzung eine weitere Abteilung des Ahnenerbes archäologische Fundstücke, die Lehr- und Forschungseinrichtung für indogermanisch-arische Philologie und Kulturwissenschaft. Deren bemerkenswerteste Veröffentlichung ist eine Untersuchung über die glaubensmäßigen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen italischen und germanischen Bevölkerungsgruppen. Der Historiker Werner Müller legte eine wissenschaf liche Studie über die Symbolik von Kreis und Kreuz bei beiden Völkern vor.174 Er stellte dabei die Omnipräsenz dieser Symbole fest, aus deren Vermischung sich das Hakenkreuz ergibt. Kreuz und Kreis in einem, das war nicht nur Darstellung der Weltachsen und der vier Himmelsrichtungen, sondern auch des Sonnenkreises und des universellen kosmischen Zyklus. Für Müller waren Kreis und Kreuz in Swastika-Form Ausdruck eines gegliederten Kosmos und eines Sonnenkults, also der grundlegenden Charakteristika der indogermanischen Vorstellungswelt und Zeichen einer spirituellen und rassischen Gemeinschaft, die die aus dem Norden eingewanderte italische Bevölkerung und ihre germanischen Blutsverwandten, die in ihrer nordischen Urheimat geblieben sind, miteinander verbindet.

Das Ahnenerbe war allerdings nicht die einzige SS-Organisation, die mit Arbeiten zur Antike befasst war. Himmler hatte sich so sehr von den herausragenden Rasse-Eigenschaften der Griechen überzeugen lassen, dass er seinem Hang, den anthropologischen und rassischen Zauberlehrling zu spielen, freien Lauf ließ, und als solcher im Jahr 1942 den Lebensborn e. V. beauftragte, zu experimentellen Zwecken deutsche Kinder auszusondern, die eine griechische Nase aufwiesen.175 Diese Kinder sollten in ihrer Wachstumsphase beobachtet und anschließend in einem Spezialbataillon der Waffen-SS zusammengefasst werden, „‚um dann weitere Untersuchungen hinsichtlich Leistung, Fähigkeit und Bewährung festzustellen‘“176. Gewissermaßen als zweiter Philipp oder Epaminondas wollte Himmler also eine Art makedonische Phalanx oder eine „Heilige Schar“ nach dem Vorbild von Theben wiederherstellen, um Rassenexperimente in vivo treiben zu können. Waren eine griechische Nase und ein griechischer Körper aber Garanten für herausragende physische Eigenschaften und militärische Tugenden? In solchen Fragestellungen zeigt sich eine bunte Mischung aus rassischem Philhellenismus, Okkultismus und züchtungstechnischen Bestrebungen.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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