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Sonne, Krug und Parthenon:
Klimatheorie versus zurückgebliebenes Germanentum

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Wie aber soll man sich unter diesen Umständen die überraschende Kluft im Entwicklungsniveau zwischen Athen und Rom einerseits und den primitiven germanischen Waldbewohnern andererseits erklären?

Hitler gab eine Antwort auf diese Frage und baute sie in mehreren Schritten aus. In Mein Kampf bestritt er zunächst noch die Tatsache, dass die Germanen völlig zurückgeblieben waren. Zwar lag ihm der Gedanke gar nicht so fern, doch konnte er das aus offensichtlichen politischen Gründen nicht so unverblümt niederschreiben, wie er es dann in seinen privaten Gesprächen äußerte. In Mein Kampf setzte er sich noch tapfer zur Wehr:

„Daher ist es auch ein unglaublicher Unfug, die Germanen der vorchristlichen Zeit als ‚kulturlos‘, als Barbaren hinzustellen. Sie sind es nie gewesen. Nur zwang sie die Herbheit ihrer nordischen Heimat unter Verhältnisse, die eine Entwicklung ihrer schöpferischen Kräfte behinderten. Wären sie, ohne irgendeine antike Welt, in die günstigeren Gefilde des Südens gekommen, und hätten sie in dem Material niederer Völker die ersten technischen Hilfsmittel erhalten, so würde die in ihnen schlummernde kulturbildende Fähigkeit genauso zur leuchtendsten Blüte erwachsen sein, wie dies zum Beispiel bei den Hellenen der Fall war.“100

Hitler sucht hier Zuflucht bei der Klimatheorie, wie sie die klassische Ethnographie von Aristoteles bis Montesquieu vertrat. Aristoteles erläuterte bereits, dass die Griechen als Bewohner einer gemäßigten Zone über ein harmonisches und ausge glichenes Naturell verfügten, das so weit von allen Extremen entfernt war wie ihr Klima. Später hat Poseidonios von Apamäa101 eine Völkertypologie nach Klimazonen aufgestellt. Beiden Autoren wie auch ihrem Leser Montesquieu zufolge bestimmen die klimatischen Bedingungen bei vergleichbaren bevölkerungsmäßigen Gegebenheiten den Stand der zivilisatorischen Entwicklung. Des Weiteren drängt die dieser Theorie zugrundeliegende botanische Metapher mit unwiderstehlicher Evidenz die Fest stellung auf: Eine Pflanze gedeiht eben besser unter der Sonne der Toscana als in den Nebeln des Nordens.

Im Jahr 1942 griff Hitler diese Idee auf und spann sie fort:

„Heute weiß man, warum unsere Vorfahren nicht nach dem Osten, sondern nach dem Süden gezogen sind: Das ganze ostelbische Gebiet war damals nicht um ein Haar anders als es heute für uns Rußland ist. Umsonst hat es die Römer nicht gegraut, über die Alpen zu steigen, und ohne Grund sind die Germanen da nicht hinunter.“102

Der Osten Europas kommt schlecht dabei weg. Er galt schon in der Antike als abweisendes Land, was erklärt, weshalb die Germanen, ganz im Gegensatz zu den Nationalsozialisten, es nicht für natürlich erachteten, ihren „Lebensraum“ dort zu erobern. Sie waren medio- und nicht orientotrop.

Des Öfteren beschrieb Hitler Deutschland so, wie er es in einem seiner Tischgespräche von Januar 1942 tat: „Unser Land war ein Sauland.“103 Laut Hitler hätte die Römer eine Expedition nach Ostpreußen so in Freude versetzt wie einen Wehrmachtssoldaten der Einsatz an der Ostfront.

„Die Versetzung nach Germanien war für den Römer etwas Ähnliches wie für uns eine Zeitlang die Versetzung nach Posen. Man stelle sich vor: ewige Regenzeiten und das ganze Gebiet in einen Morast verwandelt. […] Kalt, feucht und trübe war dieses Land.“104

Deutschland hatte in der Antike also ein Image, das dem der Mittelmeerregionen diametral entgegengesetzt war. In diesen warmen und lichtdurchfluteten Regionen konnte sich der nordische Geist so recht entfalten in Fruchtbarkeit, Macht und Anmut.

Hitler hatte die Germania des Tacitus gelesen. Er zitierte sie gelegentlich in seinen Reden und Gesprächen.105 Deren geographische und klimabezogene Vorurteile machte er sich gern zu eigen. Tacitus, der das alte Germanien nie mit eigenen Augen gesehen hatte und es nur aus den Berichten von Legionären und Händlern kannte, beschrieb diese Gegend als rau und unwirtlich, ohne Schönheit oder Annehmlichkeit für ihre Bewohner und Besucher. Als mediterraner Mensch sprach er mit Widerwillen von diesem „Germanien […] mit seinen reizlosen Landschaften, seinem rauhen Klima, ein Land, das zu bebauen und zu betrachten gleich traurig ist“106. Seine meteorologische und ästhetische Anklageschrift verschärfte er in folgender Passage:

„Dieses Land sieht zwar im einzelnen recht verschieden aus, ist jedoch im ganzen schaurig durch seine Urwälder oder häßlich durch seine Moore; es ist niederschlagsreicher gegen Gallien zu, windreicher (und daher trockener) gegen Noricium und Pannonien zu.“107

Hitler zeigte offen seine Abneigung gegenüber dem primi tiven Germanien. Das Germanien des Altertums bot in seinen Augen ein Bild der Trostlosigkeit, ähnlich dem, das in der Gegenwart ein von der sowjetischen Tyrannei entstelltes Russland den deutschen Truppen zeigte:

„Wenn die unseren sagen, der Osten sei trostlos, ja, für den alten Römer war ganz Nordeuropa schauderbar, aber Deutschland hat den Charakter des Trostlosen ganz und gar verloren! Genauso wird die Ukraine schön werden, wenn nur erst einmal wir mit der Arbeit dort begonnen haben.“108

In diese Äußerungen von Herbst 1941 und Winter 1942 sind die Berichte von der Ostfront eingegangen. In ihnen ist auch die Hoffnung auf eine am Ende erfolgreiche Kolonisierung spürbar. Für uns ist es sehr erhellend, dass in dem Augenblick, in dem die deutschen Truppen auf dem Gebiet der Sowjetunion kämpften, Hitler diesen Krieg in eins setzte mit Roms Eroberungs- und Herrschaftsstreben.

Die Ostkolonisation kann diese Landstriche verbessern, denn so sehr der Rassendeterminismus sich jeglicher Änderung widersetzt, so ist der klimatische Determinismus durchaus in Grenzen korrigierbar, sofern ein schöpferischer Wille diese Aufgabe in Angriff nimmt. Dabei ist jedoch jegliche Hilfe des Schicksals hochwillkommen, beispielsweise in Form einer Änderung der atmosphärischen Bedingungen. Deutschland konnte sich schließlich entwickeln, doziert Hitler, weil die mäßigenden südlichen Einflüsse dank der massiven Abholzungen im Mittelalter die Alpen überqueren konnten. Ohne die Sanftheit dieser frei erfundenen Wirkung des Föhns wäre Deutschland wohl das rauhe, harte und kalte Land geblieben, das den Römern so zuwider war:

„Wir leben heute davon, daß Italien keine Bäume mehr hat. Die warmen Winde des Südens kämen sonst nicht bis zu uns. Vor zweitausend Jahren war Italien aber noch bewaldet, und man kann sich vorstellen, wie ohne die Rodungen, die Dörfer, die Straßen, die Städte unser Land ausgesehen hat!“109

Nun kann man sich den kulturellen take off der Germanen besser erklären: Sie konnten ihren Rückstand auf Griechen und Römer aufholen, weil nun auch bei ihnen die wohltuenden Winde wehten und wirkten, die früher vom dichten italo-alpinen Unterholz aufgehalten wurden.

Andere Vertreter des nordischen Menschentums hatten früher solches Glück. Sie hatten die gute Idee, nach Süden zu wandern und konnten so blühende und weithin ausstrahlende Kulturen gründen. Wie eine Pflanze braucht der Indogermane viel Sonne, um seine kulturelle Photosynthese durchzuführen:

„Der Germane mußte nach einem sonnigen Klima, um seine Fähigkeiten entwickeln zu können. In Griechenland und Italien konnte sich der germanische Geist erst entfalten!“110

Ein ungünstiges Klima hat die Entwicklung des germanischen Geists im Norden beeinträchtigt:

„Im Laufe vieler Jahrhunderte ist er dann dahin gekommen, ein menschenwürdiges Dasein auch im nordischen Klima einzurichten. Das Wissen hat ihm dazu verholfen.“111

Hitlers Gedanken zum Klima hatten das Ziel, einen kulturellen Rückstand zu erklären, den die Deutschen seiner Zeit als verletzend empfanden. Andere, wie etwa Paul Schultze-Naumburg, suchten nach seriöseren Erklärungen für die kulturelle Kluft zwischen den Völkern der Antike und ihren germanischen Blutsverwandten. Für ihn als Kunsthistoriker stellte sich die Frage anders. Ihm ging es nicht darum, einen solchen kulturellen Graben zwischen rassisch verwandten Völkern zu erklären. Seine Fragestellung lautete vielmehr so: Warum besitzen wir so wenige Zeugnisse von herausragenden germanischen Kulturerzeugnissen, oder anders gesagt: Warum sind weniger germanische als griechische Kunstwerke erhalten geblieben? Seine Antwort: „Der Grund dafür ist zunächst in einer rein äußerlichen Ursache zu finden: die verschiedene Haltbarkeit des Werkstoffes, den die genannten Völker verwendeten.“112 Die Griechen arbeiteten in Marmor, die Germanen in Holz, einem verderblichen Rohstoff, oder Eisen, das vom Rost zerfressen wird.113

Der Nationalsozialismus und die Antike

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