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Isar-Athen oder: Die Panathenäischen Feste von
München – Die Tage der Deutschen Kunst

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Die Zugehörigkeit der Griechen zur germanitas wird, wie wir sehen werden,199 während der Olympischen Spiele von 1936 grandios inszeniert, aber auch schon im Jahr 1933 im Zusammenhang mit den Münchner Tagen der Deutschen Kunst. Sie fanden zum ersten Mal im Oktober 1933 statt, anlässlich der Grundsteinlegung des Hauses der Deutschen Kunst, eines dorischen Tempels, der Feier des Rassengeistes gewidmet, und sie wurden im Oktober 1938 und 1939 erneut begangen.

Der bajuwarischen Metropole, die den Ehrentitel „Hauptstadt der Bewegung“ erhielt, weil sie Hitler im Jahr 1913 und dann die Anfänge der NSDAP beherbergte und weil sie Schauplatz des Putsches von 1923 war, kam in den Augen Hitlers eine besondere Bedeutung zu.200 Dort hatte er von Paul Ludwig Troost das Braune Haus, den Sitz der Bewegung, errichten lassen. Dort sollte der gleiche Architekt nach der Übernahme der Macht ein neoklassisches Architektur-Ensemble in strikt dorischem Stil erbauen, um so die Bedeutung Münchens als Kulturhauptstadt des Reichs herauszustellen. Das München Ludwigs I. von Bayern war bereits als Hymne an das deutsche Philhellenentum konzipiert worden: dort hatte der König den Königsplatz, umgeben von neoklassischen Denkmälern, errichten lassen, so wie er im Donautal in der Nähe von Regensburg die Walhalla erbaut hatte. Dieser Tempel zur Ehrung der Genies, die Deutschland hervorgebracht hatte, verstand sich als genaue Wiedergabe des Parthenons von Athen.201 Ludwig I. hat also aus München ein Isar-Athen gemacht in Entsprechung zu Berlin, das in den Zeiten von Friedrich-Wilhelm III. voll und ganz zu dem Athen des Nordens geworden war, das Voltaire bereits zur Zeit von Friedrich II. feierte. Der nationalsozialistische Klassizismus baute also in München auf einer reichhaltigen und alten philhellenischen Tradition auf. Troost ließ den Königsplatz von zwei Tempeln mit offenem Dach einrahmen und dort die Bronze-Sarkophage der Märtyrer von 1923 aufstellen. Die dorischen Säulen und der Marmor des Ehrentempels verliehen der Grabstätte der Helden des Putsches die Größe und ästhetische Zeitlosigkeit, die genau Hitlers Geschmack trafen. Das Kernstück bildete die Troost anvertraute Errichtung des Hauses der Deutschen Kunst, dessen imposanter Säulengang ihm den rasch populären Spitznamen „Athener Bahnhof“ eintrug. Die dorische Architektur verlieh dem Bauwerk den von Hitler gewünschten Charakter eines „Tempel[s] der Kunst“202.

Im Oktober 1933 wurde die Grundsteinlegung durch Adolf Hitler zum Anlass feierlicher Zeremonien. Der Reichskanzler suchte dem Beginn der Arbeiten einen hochsymbolischen Charakter zu verleihen. Der Bau des Hauses der Deutschen Kunst sollte den Beginn der Wiedergeburt einer authentisch deutschen Kunst einläuten, einer Kunst frei von semitischen Einflüssen und Interferenzen. Es ist kein Zufall, dass die Wahl hierfür auf München gefallen war. Die Stadt war vor dem Ersten Weltkrieg zum Stelldichein der künstlerischen Bohème und Avantgarde geworden, bevor Berlin diese Rolle übernahm. Hier, am Geburtsort des Blauen Reiters, sollte die „Reinigung des Tempels der Kunst“ beginnen: Künftig würde die von der entarteten Kunst befleckte – teils vernegerte, teils verjudete – deutsche Kunst Ansporn und Schutz durch den Staat erfahren.


Leo von Klenze: „Ansicht der Wallhalla mit Blick auf Donaustauf und Regensburg“ (1830)

Im Zusammenhang mit den Festveranstaltungen wurde die Antike auf die Straße getragen, in den öffentlichen Raum. Die Verbindung von Griechen- und Germanentum blieb nicht länger diskretes Gelehrtenwissen, sondern sie wurde durch die entsprechende Inszenierung dem Volk, das zum Zeugen eines neuartigen Festumzugs wurde, in konkreter und pädagogischer Weise vor Augen gestellt. In der deutschen Tradition der historischen Festzüge203 stehend, erhielt der Umzug der Deutschen Kunst204 den Titel „Das Goldene Zeitalter der deutschen Kultur“. Organisation und Motivgestaltung wurden dem Bildhauer Josef Wackerle übertragen, der ihn auf Geheiß Hitlers im Zeichen der Antike gestaltete. Auf der Umzugsstrecke von der Ludwigstraße bis zum Standort des künftigen Museums fuhren Festwagen, die in allegorischer Weise die verschiedenen Gattungen und dann die einzelnen Epochen der deutschen Kunst darstellten – allem voran aber ein von römischen Vorbildern angeregter und von Hitler selbst entworfener Adler, der Hoheitsadler der Partei, der bald auch der des Staates werden sollte, Symbol des deutschen Geistes und Ideals. Der zweite Wagen stellte in Gestalt eines ionischen Kapitäls die Architektur dar, während der dritte, in Form antiker Wandmalereien,205 nachempfunden von dem Maler und Bildhauer Richard Klein, sich als Allegorie der Malerei verstand. Ihm folgte eine Allegorie der Bildhauerei in Gestalt einer Reproduktion der Herkulesbüste aus den vatikanischen Museen.


„2000 Jahre deutsche Kultur“: Festumzug in München am Tag der Kunst am 8. Juni 1938.

Daran schlossen sich die Perioden der deutschen Kunst an. Die erste Periode, die griechische Kunst, wurde verkörpert von Pallas Athene. Diese war gleich mehrfach präsent, nicht nur in Form ihres Festwagens, sondern auch als Medaillon, das zwischen den Pfeilern am Eingang der Ludwigstraße hing.206 Das Profil einer Athene als Fackelträgerin vor einem Hintergrund von Säulen war auch das offizielle Symbol der Tage der Deutschen Kunst und sollte dann zu dem der offiziellen Zeitschrift Die Kunst im Dritten Reich werden.

Vier Jahre später fand zur Einweihung des Hauses der deutschen Kunst ein zweiter Umzug statt. Die Veranstaltung hatte imposante Ausmaße. Der Festumzug am 18. Juli 1937, gebildet von 500 Reitern, 2500 Männern und 2000 Frauen zu Fuß, war 3 Kilometer lang; alle Teilnehmer trugen historische Kostüme. Wie schon 1933 stand auch dieser Umzug im Zeichen von „2000 Jahren deutscher Kultur“207, ein Titel, der auch für die Neuauflage im Jahr 1938 verwendet wurde. In Gestalt von Athene war die griechische Kunst erneut als voll und ganz der deutschen Kunst zugerechnete Periode präsent.

Organisation und Gestaltung des Festumzugs setzten Kunst mit Altertum gleich. Die monumentale Athene-Figur, das Modell des Hauses der Deutschen Kunst im Jahr 1933, das Medaillon, der architektonische Rahmen, den die Stadt München bot, bestimmt vom Neoklassizismus Ludwigs I. und der neo-dorischen Baukunst Troosts, verliehen diesen Feiern der deutschen Kunst die gestelzt hieratische Feierlichkeit, die Hitler mit seinem kleinbürgerlichen Hang zum Edelkitsch von Haus aus mit dem Begriff Kunst verband.

Im Rahmen dieser historischen Festzüge lebte das Regime voll seine Neigung zum Antike-Kitsch aus, so wie es bei den Propaganda-Schauveranstaltungen eine Unmenge von Fahnen und römischen Adlern aufbot, um Faszination zu erzeugen und Gewalt208 sinnfällig werden zu lassen, um diese beiden mittlerweile vertrauten Kategorien zu verwenden. Dieser verlogene Kitsch wurde zum einen von Heidegger kritisiert, der jegliche inauthentische Bezugnahme auf die Antike verurteilte,209 er wurde zum anderen von Reinhold Schünzel210 in Form einer musikalischen Komödie parodiert.

Dieses Film-Musical, unseres Wissens der einzige deutsche Antike-Film aus der Zeit von 1933 bis 1945, wurde gleich bei seiner Uraufführung im Jahr 1935 als Satire auf die Großinszenierungen des Regimes verstanden, wie etwa die Tage der deutschen Kunst in München oder die Massenversammlungen in Nürnberg. Schünzel adaptierte den Kleist’schen Amphitryon von 1807, ein Thema, das auch von Plautus, Molière und Jean Giraudoux bearbeitet wurde.211 Es geht dabei um eine der zahlreichen Listen, die sich Zeus einfallen ließ, um sterbliche Frauen zu erobern und sich gefügig zu machen. Aus Liebe zu Alkmene, der Gemahlin des Königs von Theben, nimmt der Göttervater dessen Gestalt an und macht sie zur Mutter von Herkules. Die Komödien bewahren des Öfteren Alkmene vor dem Ehebruch und lassen Zeus scheitern: so auch Schünzel, der damit die Götter satirisch ihrer Herrlichkeit entkleidet, sie lächerlich macht. Der Film trägt ausgelassen-burleske Züge, er stellt Zeus als faulen Lüstling vor, der willkürlich über den Ausgang von Schlachten entscheidet und völlig unter dem Pantoffel der Hausfrau Hera steht; ihm zur Seite ein schüchterner und kränklicher Hermes. Schon der burleseke Charakter dieser Komödie, die Entthronung der Götter und ihre Ausstattung mit menschlichen, allzu mensch lichen Zügen – all das trägt bei zur Desakralisierung, zur Entweihung von Macht und Herrschaft. Allein das ist in einem totalitären System bereits beachtlich. Allerdings ist dieser Film wohl zugleich jenen leichten deutschen Komödien zuzurechnen, deren Entstehung Goebbels förderte, da sie mit ihrer billigen Witzelei und ihrer abgrundtiefen Seichtheit im Kontext der Zeit eine offenkundige eskapistische Funktion erfüllten.212 Schünzels Komödie ist gespickt mit kleinen Spitzen gegen die Machthaber des „Dritten Reichs“. Schünzel benötigte als „Halbjude“ nach den Bestimmungen der Nürnberger Gesetze eine Sondererlaubnis nach der anderen, um überhaupt drehen zu können. Diese wurden ihm aufgrund seiner Erfolge als Schauspieler213 und Regisseur erteilt, bevor er sich 1937 letztendlich doch zur Emigration nach Übersee e ntschloss.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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