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1. Literarische Quellen für die Zeit Philipps II.

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Anaximenes

Der Historiker und Rhetor Anaximenes aus Lampsakos (circa 380–320 v. Chr., FGrHist 72), angeblich auch einer der Lehrer Alexanders des Großen, verfasste neben vielen anderen Werken Philippika in mindestens acht Büchern, aus denen ein Brief Philipps in der Überlieferungsgeschichte in das Corpus Demosthenicum gelangt ist. Von Anaximenes ist ferner auch eine Alexandergeschichte bezeugt, vermutlich eher ein Enkomion (Lobschrift) als ein auf politisch-militärische Ereignisse (die praxeis Alexanders) konzentriertes Geschichtswerk. In einem Pamphlet mit dem Titel Trikaranos, das Anaximenes pikanterweise unter dem Namen seines publizistischen Rivalen Theopomp aus Chios erscheinen ließ, beschuldigte Anaximenes die drei traditionsreichen Poleis Athen, Theben und Sparta durch ihre Politik den Niedergang der griechischen Poliswelt verschuldet zu haben.

Theopomp

Theopomp aus Chios, ebenfalls ein Rhetor und Historiker, verfasste die Philippika oder Philippikai Historiai (Theopompos FGrHist 115) in 58 Büchern. Sie waren wohl das ausführlichste zeitgenössische Werk über die griechische Zeitgeschichte im Zeitalter Philipps II. Seine Tendenz ist oligarchisch-aristokratisch und stark moralisierend. Es fand sich barsche Kritik an Demagogen griechischer Poleis, aber auch am Hofleben Philipps, den Theopomp andererseits wegen seiner militärisch-politischen Leistungen als den größten König in Europa in seiner Zeit schätzte. Dies wird auch im Titel des historischen Hauptwerkes Philippika deutlich, in dem sich ein Paradigmenwechsel in der Historiographie von der Poliswelt als leitendem Handlungsträger zur Fokussierung auf die Leistungen der makedonischen Könige Philipp II. und später Alexander III. abzeichnet. Philipp ist für Theopomp die Zentralgestalt der Jahre von 362–336 v. Chr. Wichtige Exkurse betreffen aber auch das Perserreich, die Westgriechen oder Athen (zum Beispiel in den Büchern 10 und 25).

Ephoros

Wie Theopomp war auch Ephoros aus Kyme ein Schüler des athenischen Rhetoriklehrers und Publizisten Isokrates. Die universalhistorische Darstellung der Historiai des Ephoros (FGrHist 70) reichte in 30 Büchern von der Rückkehr der Herakliden bis zur Belagerung der Polis Perinth durch Philipp II. 340 v. Chr. Die Darstellung des Dritten Heiligen Krieges (356–346) nahm in den Historiai breiten Raum ein. Die Darstellung des Ephoros folgte nicht durchgehend einem annalistischen Schema (sie erzählte also die Ereignisse nicht immer streng Jahr für Jahr), sondern fasste größere thematische Blöcke zusammen, wobei sie Jahresgrenzen überschritt. Ab Buch 26 begann die Zeitgeschichte, in der Philipp II. als dominierende Gestalt hervorragte. Ephoros stellte geringe quellenkritische Ansprüche an seine Vorlagen. Er verwendete im zeitgeschichtlichen Teil seiner Universalhistorie auch soeben erst erschienene zeitgenössische Werke als Vorlagen, zum Beispiel die zehn Bücher der Hellenika oder Griechische Geschichte über die Jahre 386–356 des Kallisthenes aus Olynth oder dessen Darstellung des Dritten Heiligen Krieges (FGrHist 124). Die lehrhafte Tendenz und die geringe Komplexität und historische Urteilskraft des Ephoros behinderten den großen Erfolg des Werkes nicht. Es wurde später vor allem von Diodor und Strabon als Vorlage benutzt.

Diodor

Angesichts des fragmentarischen Überlieferungszustandes der zeitgenössischen Geschichtsschreibung sind wir für eine annähernd durchgehende Darstellung des Zeitraumes also auf sekundäre, deutlich spätere historiographische Berichte verwiesen: Die wichtigste sekundäre Darstellung liegt im Buch 16 der 40 Bücher der Historischen Bibliothek des Diodor aus dem sizilischen Agyrion vor, die circa 60–30 v. Chr. kompiliert wurde. Er bietet trotz zahlreicher chronologischer Mängel und historiographischer Schwächen die bedeutendste fortlaufende Erzählung der Ereignisse von 359–336. Diodor stützt sich in seinem Versuch einer synchronisierenden Darstellung der Geschichte der Griechen und Römer für die Regierungszeit Philipps II. als Hauptquellen auf Ephoros, Theopomp, Kallisthenes sowie auf frühhellenistische Zwischenquellen wie Diyllos, der die Jahre 357–297 behandelt hatte, und Duris, dessen Geschichtswerk von 370/369 vermutlich bis 281 v. Chr. reichte. Die kompilatorische Arbeitsweise Diodors bringt es mit sich, dass der Quellenwert seiner einzelnen Bücher erheblich schwankt und von den jeweils gewählten Hauptquellen abhängt. In Buch 16 ist jede Einzelstelle quellen- und sachkritisch zu evaluieren.

Justin

In lateinischer Sprache gibt es einen sehr knappen Abriss (Epitoma Historiarum Philippicarum) des M. Iunianus Iustinus oder Justin (3. Jahrhundert n. Chr.) aus den Büchern 7–9 der Historiae Philippicae des Pompeius Trogus, der ersten lateinischen Universalgeschichte aus augusteischer Zeit. Noch stärker als bei Diodor wird die teils teleskopartige Verkürzung der Darstellung Justins durch krasse Missverständnisse, sachliche Ungenauigkeiten, störendes rhetorisches Beiwerk und Anekdotisches belastet. Diese methodisch-historiographischen Schwächen haben aber der enormen Popularität Justins als eines Schulautors in der Spätantike und im Mittelalter nicht geschadet.

Lokalhistorien und Politien

Die Werke zahlreicher Lokalhistoriker griechischer Städte und Landschaften fanden in ihrer Zeit viele Leser und spielten bei der Ausbildung von lokalen oder regionalen Identitäten eine wichtige Rolle. Diese lokalhistorischen (horographischen) Werke sind meist nur noch mit ihren Titeln oder durch wenige Fragmente bekannt (vgl. FGrHist Teil IIIC). Zahlreiche Informationen haben wir allerdings über Athen. Denn wichtige Fragmente sind aus attischen Lokalhistorien erhalten, den Atthiden. Die Atthis des Androtion reichte nur bis circa 344/43 (FGrHist 324), die Atthis des Philochoros (FGrHist 328) behandelte auch das lykurgische Athen von 338–322 v. Chr. Der Traktat des Philosophen Aristoteles über die Geschichte und Struktur der athenischen Verfassung, die Athenaion Politeia, enthält auffälligerweise kaum Informationen über aktuelle verfassungsgeschichtliche Entwicklungen in Athen in der Ära des Eubulos und Lykurg von 355–322. Auch in den Überresten der anderen, ursprünglich 158 im Peripatos gesammelten Verfassungsordnungen der griechischen Staatenwelt, den Politien, werden aktuelle Verfassungsentwicklungen des 4. Jahrhunderts nur selten erwähnt.

Reden des 4. Jahrhunderts

Rhetorische und publizistische Texte (vor allem athenischer Autoren) gehören zu den zeitgenössischen Schlüsselquellen dieser Epoche. Ihre Gattungseigenarten erfordern aber eine besonders vorsichtige Interpretation. Ihre Vielzahl und ihr Detailreichtum haben in älteren Darstellungen der griechischen Geschichte des 4. Jahrhunderts eine übertrieben starke athenozentrische Perspektive befördert und zu einer zuweilen zu kritischen Einschätzung der Politik Philipps und Alexanders als Gegner Athens und der griechischen Freistaatenwelt beigetragen. Wichtige Reden und politische Pamphlete der attischen Redner dieser Epoche, des Demosthenes, Aischines, Isokrates, Hypereides, Lykurg und Demades, liegen vollständig oder zumindest in inhaltsreichen Fragmenten vor. Ihre Werke rücken die innerathenischen Verhältnisse, die Interessen der Polis Athen und das Verhältnis zu Makedonien unter Philipp II. und Alexander dem Großen in den Vordergrund. Von herausragender Bedeutung sind zum Beispiel die Reden 1–19 und 60 des demosthenischen Corpus und die Reden 2 und 3 des Aischines. Ausnahmsweise liegen die Reden und Gegenreden dieser beiden großen Redner aus dem „Gesandtschaftsprozess“ (343) und dem „Kranzprozess“ (330) noch vor. Zeitgenössische Reden aus anderen griechischen Poleis aus den Jahren 360–323 fehlen aufgrund der Mechanismen der antiken Kanonbildung und durch die Ungunst der Überlieferungsgeschichte leider als Korrektiv zu den attischen Rednern. Zur Quellengruppe der publizistischen Broschüren gehören auch ein Schreiben Philipps II. an Athen (Pseudo-Demosthenes Rede 12), das Sendschreiben des athenischen Platonikers Speusippos an Philipp II. von 342 v. Chr. sowie mehrere Broschüren des Isokrates. Aus ihnen erschließen sich zentrale und aktuelle Themen des damaligen politischen Diskurses in Hellas. Die Friedensrede des Isokrates (or. 8) reagiert auf die Lage Athens am Ende des Bundesgenossenkrieges 355/54. Sie plädiert für eine Abkehr von der imperialen Seereichspolitik und eine Rückkehr zu den Grundsätzen des Königsfriedens von 386. In der Denkschrift Philippos (or. 5) von 346 richtete Isokrates einen Appell an den Makedonenkönig, die durch bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen (staseis), soziale Krisen und äußere Kriege zerrissene Welt der griechischen Polisstaaten hinter sich als Hegemon zu einen und gemeinsam einen Krieg gegen das Achaimenidenreich zu führen. Der Panathenaikos (or. 12) ist die letzte öffentliche Äußerung des hochbetagten Redelehrers, Publizisten und politischen Beraters Isokrates kurz vor seinem Tod 338 gewesen. Er konnte mit diesem patriotischen Werk keinen entscheidenden Einfluss mehr ausüben.

Zeitgenössische Reden und Broschüren bleiben für Schlüsselfragen der griechischen Geschichte im Zeitalter Philipps II. und Alexanders unverzichtbare Quellen. Sieht man vom Problem ihrer Überarbeitung zwischen dem mündlichen Vortrag der Originalrede und der ‚Publikation‘ ab, werfen sie aber gattungsbedingt erhebliche Probleme in der angemessenen Interpretation auf. Als rhetorische Texte sollten sie selbstverständlich in erster Linie in einer bestimmten Redesituation konkrete politische und juristische Zwecke erfüllen. Doch wenn man die rhetorische Absicht, die zeitspezifische Topik, die stereotype Polemik gegen Gegner und andere rhetorische Kunstmittel bei der Interpretation gebührend in Rechnung stellt, bleiben Reden und Broschüren des 4. Jahrhunderts herausragende Quellen. Sie lassen mit reichen Details die damalige Lage und die führenden Personen lebendig werden.

Die Parallelbiographien Plutarchs

Wichtige Einzelinformationen, bekannte Aussprüche und Episoden erfährt man aus den allerdings erst im späten 1. und frühen 2. Jahrhundert n.Chr. niedergeschriebenen Parallelbiographien des Plutarch aus Chaironeia (je ein berühmter Grieche und ein Römer werden einander gegenübergestellt), vor allem über Demosthenes, Alexander, Phokion, Dion und Timoleon. Bei der Würdigung des Quellenwertes der Bioi Plutarchs ist der Unterschied zwischen seinen Charakter- und Lebensbildern und einer heutigen politisch-historischen Biographie immer zu bedenken. Plutarch will (siehe sein Vorwort zur Alexanderbiographie) ausdrücklich keine Geschichtswerke schreiben, sondern an signifikanten und exemplarischen Handlungen oder Aussprüchen seiner Helden nachahmenswerte oder zu vermeidende Charakterzüge aufzeigen. Andererseits konnte Plutarch bei seinen Viten noch auf wertvolle zeitgenössische Quellen über das 4. Jahrhundert v. Chr. zurückgreifen, die uns heute nicht mehr zugänglich sind. Im Einzelfall sind moderne quellenkritische Vorwürfe durchaus berechtigt. Doch ohne Plutarchs Viten wäre unsere Kenntnis von den persönlichen Eigenarten eines Demosthenes und Phokion, Philipp und Alexander und von Schlüsselszenen der Jahre von 360 bis 323 viel weniger plastisch.

Philipp II. und Alexander der Große

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