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6. Flüchtige Blicke

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Anne hatte das Zimmer geputzt, die Wäsche gewaschen und Staub gesaugt. Als ihre Tochter von der Schule kam, hatte sie sich noch ein wenig darüber beschwert, dass diese ihr Leben gar so auf die leichte Schulter nahm.

„Das Leben ist kein Kinderspiel!“, hatte sie gemahnt. „Wenn du in deiner späteren Laufbahn genauso bist, behältst du keinen Beruf lang, das kann ich dir sagen, Fräulein“.

Nach endlosen Entschuldigungen und Versprechen, dass dies nicht wieder vorkommen würde – seitens von Sammy – hatte die Mutter sich wieder beruhigt, rechnete jedoch fest damit, dass sich nichts ändern würde. Aber was konnte sie tun? „Sammylein“ war nun einmal schon 16 Jahre alt, dies war ein schwieriges Alter und das wusste Anne. Sie hatte nach diesem beherzten Gelöbnis nur schwach gelächelt und schließlich in ihren Teller geseufzt, der – wie sie sich dachte – ihr wohl mehr zuhören würde als ihre Tochter.

So kam sie am nächsten Morgen in das Chaoszimmer, dass ihr Töchterchen gut beherrschte, innerhalb eines Tages zu verwüsten. Sie öffnete die Tür und war verblüfft, ja geradezu entsetzt.

Das Zimmer war blitzblank und Sammy war nicht in ihrem Bett. Anne durchsuchte das Haus und rief nach ihr, aber keine Antwort.

Ja, Sammy war nicht zu Hause, sondern bereits auf dem Weg zu ihrer Schule. Da gab es jemanden, den sie unbedingt wieder treffen wollte. Sie lächelte leicht und in ihren rehbraunen Augen funkelte ein fröhliches Glitzern. Auf ihrem Weg traf sie Mindy, die nicht schlecht staunte.

„Was machst du denn so früh hier, Kleine?“

Sammy sah auf ihre Uhr und runzelte die Stirn: „Wir haben in zwanzig Minuten Unterricht. So früh bin ich gar nicht dran!“

„Na, wer dich besser kennt weiß, dass du zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn normalerweise noch an deinem Kissen kaust “, lachte sie.

„Die Kleine“ grinste nur.

„Irgendein Grund für deinen vorbildlichen Wandel?“

„Nein!“

„Ganz sicher?“

„Ja, denk schon“, antwortete sie.

Sie liefen eine Weile stumm nebeneinander und beobachteten die Straßen, die allmählich zum Leben erwachten. Es kamen ihnen tiefe Augenringe und matte Mienen entgegen, noch nicht ganz als Menschen zu erkennen. Mindy blickte seitlich zu ihrer Freundin hinüber, deren Schmunzeln mehr und mehr zum ausgelassenen Lachen wurde: „Hat das was mit unserem neuen Adonis zu tun?“

„Was meinst du?“ Sammy war überrascht und schaute wie ein Kind, dass gerade beim Kaugummiklauen ertappt worden war.

„Na, Matt Sevans, der Neue!“

„Nein“, antwortete sie und versuchte angestrengt, nicht zu erröten. Vergebens.

„Alles klar, hab` schon kapiert!“

Als sie die Schule endlich erreichten, sahen sie Mark. Er sah Sammy mit großen Augen an: „Was machst du denn schon hier?“

„Ach, halt doch die Klappe“, antwortete sie trotzig und lief an ihm vorbei.

Mark blieb völlig verdattert zurück. „Was ist denn mit der los?“, fragte er Mindy.

Sie antwortete nicht, sondern lächelte nur überlegen. Schließlich zuckte er mit den Schultern und sie beide folgten Sammy in die Schule.

„Wer fehlt heute? Ist Sammy da?“, fragte die graue Maus namens Mrs Martinez und blickte nur kurz in die Klasse, um ihr Kreuz neben dem Namen Samantha Beth zu machen. Doch als könnte sie nicht glauben, was die Augen hinter der Hornbrille ihr einen Bruchteil einer vorgespielt hatten, hob sie ihren Krausekopf und blickte Sammy verdutzt an.

„Warum bist du heute so pünktlich?“, fragte sie ganz irritiert. Die Klasse lachte.

Die Erdkundelehrerin war nicht darauf bedacht, jemanden vor der Klasse bloßzustellen. Darum bat sie mit einer piepsigen Stimme um Ruhe. „Es kann schon einmal passieren, dass ein Schüler ausnahmsweise mal pünktlich ist… äh…“, sie machte es nicht besser. Dieser Satz zog einen weiteren Lachschwall nach sich und Sammy errötete immer mehr. Sie sah hinüber zu Matt, der allerdings nicht lachte, sondern nur sehr müde wirkte. Trotzdem sah er auch heute wieder unglaublich gut aus in seinem modischen Jacket und seiner heißen Frisur. Und dieses markante Gesicht, das strahlend blaue Auge und dieser volllippige Mund machten ihn unwiderstehlich attraktiv. Er blickte kurz zu ihr hinüber und sie wandte sich rasch wieder der Tafel zu. Mindy hinter ihr kicherte und Mark neben ihr verzog sein Gesicht.

Nachdem Mrs Martinez die Schüler wieder beruhigt hatte, wendete sie sich ihrem neuen Thema zu. Es war irgendetwas Langweiliges über eine Bananenrepublik, von der noch nie jemand zuvor gehört hatte.

„Sie lernt es einfach nicht, oder?“, regte sich Sammy in der Pause auf.

„Was?“, fragte Mark verschlafen.

„Bist du irgendwie taub, oder was?“, fuhr sie ihn an. „Die Martinez stapft von einem Fettnäpfchen ins andere. Leider sind es nicht ihre Fettnäpfchen, sondern meine! >Mobbing am Arbeitsplatz und in einer Klassengesellschaft< Ich werd nicht gemobbt!“, rief sie. Alles starrte sie an.

Fettnäpfchen!

„Jetzt reg´ dich mal nicht so auf. Wenn du in Zukunft immer pünktlich bist, wird sich keiner mehr darüber lustig machen. Die Sache ist doch schnell vergessen! Außerdem sind das doch alles Loser in der Klasse, nicht wahr?“, beschwichtigte Mark sie mit leichtem sarkastischen Unterton. Sammy bemerkte es nicht.

Sie war abgelenkt. Sie hatte gerade eben wieder dieses hell-schimmernde blaue Auge bemerkt, dass in ihre Richtung sah und spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch.

„Und da ist sie schon wieder nicht mehr da“, sagte Mark laut, so dass sie es hören musste.

„Jaja, Sammylein, schon wieder am Träumen?“, fragte Mindy mit sanfter Stimme.

„Ich frag mich, wie er so ist“, überlegte Sammy.

Matt sah wieder in eine andere Richtung. Er saß alleine auf eine der Schulhofbänke und blickte starr in den Himmel hinauf. Es hatte etwas Mystisches, wie das gleißende Licht der Sonne in seinem strahlenden Auge funkelte. Er hatte ein vollkommenes Aussehen. Er bemerkte nicht einmal, dass er von so vielen Mädchen angestarrt wurde und schien nur in seinen ganz eigenen Gedanken vertieft, als wartete er auf etwas.

„Frag ihn doch einfach was“, schlug Mark vor.

Sammy schüttelte den Kopf. „Was denn!“ Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter.

„Frag ihn, warum er hierher gezogen ist“, sagte Mindy.

„Hm… heute nicht. Ich hab ja noch Zeit ihn kennen zu lernen.“

Mindy legte den Kopf schief. „Pass nur auf, dass dir keine zuvor kommt!“

„Mhm.“

Doch Sammy bemerkte, dass sie den ganzen Tag über beobachtet wurde. Dieser neue Junge starrte ihr hinterher. Sie wusste nicht, ob es sie stören sollte oder nicht. In Biologie saß er fast direkt neben ihr. Immer wieder richtete sich sein scheuer Blick auf sie und wendete sich schnell ab, sobald er bemerkte, dass sie ihn bemerkt hatte. Auch wenn der neue Schüler es hätte leugnen wollen: sein tollkühnes Manöver, ungebremst mit dem Kopf voran gegen eine offene Spindtür zu knallen war ein weiteres Indiz dafür, dass er nicht auf seinen Weg, sondern auf das Mädchen geachtet hatte. Es war irgendwie unheimlich und zugleich angenehm. Sollte sie heute noch mit ihm reden, oder nicht? Ihr Kopf gebot es ihr, ihr Herz hüpfte etwas beklemmt.

Nein, morgen war auch noch ein Tag! Aber was wäre, wenn sie morgen dasselbe dachte?

Sie beschloss, nach dem Unterricht ein Gespräch mit ihm anzufangen. Ein einfaches Hallo, was war schon dabei? Doch als die Schulklingel läutete, war Matt schon vor ihr aus der Tür gegangen und schließlich verschwunden.

Unauffindbar!

Sammy runzelte die Stirn. War er davongerannt? So schnell konnte man nicht gehen, dass man in nur wenigen Sekunden völlig außer Sichtweite der Schule war.

Sie hoffte, er würde sich nicht für das kleine Missgeschick von vorhin schämen, das viele Mitschüler zum verhaltenen Lachen angeregt hatte.

Sie musste ihm folgen!

Sie ging an einem in der Luft hängenden Vogel vorbei! Vorbei an lachende, doch erstarrte Mitschüler. Und sie suchte nach ihm.

„Sammy!“

Sie zuckte zusammen. Mindy stand hinter ihr und blickte sie empört an. Sie hob ihre zierliche Hand und die Bewegung wich in die Welt zurück.

„Spinnst du? Du sollst in der Nähe anderer nicht deine Magie benutzen!“, flüsterte sie mit gepresster Stimme und blickte sich vorsichtig um.

Sammy zuckte kurz mit dem Kopf. „Tut mir Leid! Ich hab das gar nicht bemerkt!“

Mindy lachte trocken auf und ließ sich davon nicht beeindrucken. „Das merkt man eigentlich immer, kleines Mädchen!“

Doch Sammy hörte gar nicht zu. Ihre braunen Augen suchten immer noch nach ihm, aber fanden ihn nicht und Matt war wohl auch schon zu weit weg, als dass man ihn ohne Zauberei noch hätte aufspüren können. Sie drehte sich zu Mindy um, lachte ihr kindliches Lachen und streckte ihr die Zunge raus.

„Du bist immer noch zu verspielt“, seufzte Mindy und schüttelte den Kopf. „Und du willst eine Hexe sein?“

Mephisto

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