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5. Himmel, Hölle, Fegefeuer

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Meine Frau führt des Öfteren recht anregende Gespräche mit mir. Sie interessiert sich sehr für meine Geschichten. Und Mephisto ist ja im Grunde auch nichts anderes.

Ihr Name lautet Fortuna. Er bedeutet „Glück“, das durch sie personifiziert wird.

Passiert in den von mir gelenkten Welten etwas Gutes oder hat sich für einen Mensch, Tier oder sonstigen Wesen eine selige Fügung ereilt, dann war dies ihre Idee, die von mir verwirklicht wird.

Nicht ich bin dabei ihr Gegenstück, sondern Miseria, meine zweite Gefährtin. Diese erhält die Tragik einer Geschichte und macht sie damit traurig, nachdenklich, erschütternd – aber genau deswegen auch interessant. Sie verkörpert das Unglück.

Vor kurzem suchte Fortuna einmal mehr das Gespräch mit mir. Und dieses lief wie folgt:

Fortuna (F) Schicksal (S)

(F) Ich grüße dich, Fatum.

(S) Ich dich auch. Welch Freude, dich wieder zu sehen. Welcher Umstand verschafft mir dieses Vergnügen?

(F) Ich möchte deine Sicht über die Welt erfahren. Ich frage mich schon lange, wie du dir das Himmelsreich vorstellst.

Denkst du dabei an lachende Menschen auf Wolken, die mit weißen Nachthemden gekleidet sind, aus deren Rückenseiten Flügelchen schlagen?

(S) Nein, natürlich nicht. Der Himmel ist ein Ort der Erlösung. Der Seele ist bewusst, dass sie einst gelebt hat. Sie weiß alles über jedes Leben, das sie einst durchwandert hat. Sie erinnert sich an die traurigen, wie auch glücklichen Ereignisse ihres Lebens und auch an ihre Vertrauten, die sie einsam auf der Erde zurückgelassen hat.

Allerdings fühlt sie keinen Kummer deswegen, da sie weiß, dass das Böse in ihr verloren hat. Niemals wieder, wird diese Seele etwas Verwerfliches tun. Niemals wieder wird sie in der Lage sein, andere Menschen und Lebewesen zu verletzen.

Und sie weiß auch, dass, wenn die Zeit gekommen ist, sie irgendwann mit ihren Liebsten erneut vereint sein wird. Und zwar für immer!

(F) Aber nun, wie sieht denn der Himmel aus, an den du denkst? Wölkchen mit singenden Engeln?

(S) Das ist eine lustige Vorstellung, aber mitnichten die meinige.

Der Himmel ist ein Ort, den sich jeder frei gestalten kann. Der oder die Erlöste kann überall hinreisen, wo es ihm oder ihr besonders gefallen hat. Selbstverständlich können gewisse störende Merkmale bereinigt werden.

(F) Was meinst du mit störenden Merkmalen?

(S) Unschöne, Stress erzeugende Makel eines sonst idyllischen Bildes. Weite sonnige Strände mit einem Meer, das am Horizont das Firmament küsst, kann von Schmutz und großen Menschenmengen gesäubert werden. Der Fantasie sind nunmehr keine Grenzen mehr gesetzt. Berge mit schimmernden, warmen Schnee bedeckt, können von dem immerwährenden Zwielicht eines Sonnenuntergangs rot gefärbt werden. Ein Wasserfall rauscht in der Nähe oder es herrscht selige Ruhe. Ganz, wie es die reine Seele wünscht.

(F) Das ist eine wunderschöne Vorstellung. Dafür liebe ich dich.

(S) Ich liebe dich auch.

(F) Und nun sag mir, wie stellst du dir die Hölle vor?

Einige Zeit überdachte ich meine Wortwahl, bevor ich ihr antwortete.

(S) Dort, in diesen schwefligen Tiefen der Finsternis, kommt die Seele, die in das Reich der Abgründe gestiegen ist.

(F) Was bedeutet das?

(S) Das heißt, dass sie sich ihre eigene Hölle eigentlich schon zu Lebzeiten selbst erbaut hat. Ein böser Mensch sündigt, weil er dies von jeder anderen Seele ebenso erwartet. Wenn er sich also das Vorrecht nicht aneignen würde, täte dies jemand anderes und würde ihn selbst unterwerfen. Das mag der Gedanke einer unreinen Seele sein.

(F) Das verstehe ich nicht, Fatum. Ich stelle mir einen ruppigen Burschen in einer Schule vor, der einen kleineren und schwächeren Schüler drangsaliert. Vielleicht einen Jemand, den sie Streber nennen. Denkt der grobe Flegel, dass sein Opfer böse ist und verprügelt ihn nur deswegen?

(S) Schon möglich – wieso nicht? Aber so pauschal kann man es nicht sagen. Ich will versuchen, es zu erklären. Der Tyrann sieht in ihm vielleicht eine intelligente Person. Schwach, aber durchaus höher an Geisteskraft als seiner selbst. Neid wäre der erste Ansatz einer Erklärung.

Und Neid ist zweifelsohne eine böse Sache.

(F) Ich denke nicht, dass man Neid als Wurzel allen Übels nehmen kann.

(S) Nein. Es wäre natürlich auch möglich, dass er selbst von größeren Instanzen, möglicherweise seinen Eltern, tyrannisiert wird.

(F) Symbolisieren dann seine Eltern die Hölle?

(S) Ich denke eher, seine Eltern wären die Teufel und das Zuhause selbst die Hölle.

Aber Moment – ich schweife ab. Ich sagte nur, dass ein böser Mensch in allem nur die Niedertracht sieht. Damit meinte ich, dass er von jedem Mensch erwartet, er würde ungefähr so reagieren, wie er selbst. Durch seine Taten und seine Verbrechen, mögen es vielleicht auch nur kleine sein, wird er sein Umfeld auf jeden Fall beeinflussen. Natürlich könnten andere seine Meinung teilen und ihn mit Vergnügen dabei unterstützen, den armen Schwächling zu drangsalieren.

(F) Wo wäre die Hölle des Schlägers?

(S) Es könnte eine Hölle sein, die er selbst nicht bemerkt. Auf jeden Fall nicht bis zu dem Zeitpunkt, da er seine Reue findet. Sie ist der größte Schmerz! Sie wird ihn mehr belasten, als es Strafen je zu tun vermöchten.

(F) Und derjenige, der keine Reue empfindet?

(S) Dieser jemand findet seinen Weg mit wahrem Recht zu den Gemäuern der Hölle.

(F) Wie sieht diese aus?

(S) Nun, der Verstorbene wird sie nie so sehen, wie die Teufel, sondern um einiges verstörender. Er begreift in ihr die schlimmsten Strafen an seiner selbst. Die Diener der Hölle bestrafen seine Untugend.

Der höchste Teufel trägt den Namen Satanum Beliar Lucifere, oder einfach Satan, von manchen Religionen auch Scheitan genannt. Unter ihm befinden sich sechs weitere Teufel. Und jeder Teufel bedeutet eine Etappe der Bestrafung.

(F) Was hat es mit diesen Etappen auf sich?

(S) Es sind die stetig Schmerzsteigerungen, die eine verunstaltete Seele auf sich nehmen muss, bis sie sich in einem neuen Leben wieder beweisen darf.

(F) Erkläre mir bitte, wie dies vonstatten gehen mag.

(S) Zuerst werden die Gefallenen zu dem niedrigsten Teufel geführt. Sein Name ist Beelzebub Asmodis. Er ist der Teufel des Schmerzes. Mit tumber Folter wird er der unsterblichen Seele Pein zufügen. So durchleben sie Qualen, die sie anderen zugefügt haben. Diese stehen für das Symbol der Gleichheit unter den Menschen.

Ihr Weg führt sie weiter zu Drigorius Legion. Er ist der Teufel des Elends und legt über den zu Bestrafenden den Mantel der Hoffnungslosigkeit und lässt ihn in bittersten Gedanken zurück in der Stadt, die ein Sinnbild für Elend darstellt – und zwar Alborqu.

Der verdammten Seele bleibt nichts als Missstimmung über all jenes, was in seinem Leben verwirkt worden ist. Dies bleibt einige gefühlte Jahre so, denn wie du weißt, dehnen die Teufel die Zeit. Schließlich wird die Seele der dritten Stufe zugeführt.

Unerwiderte Liebe. Herzenskummer. Ungestillte Lust. Gieriger Wahnsinn.

Hel Dewmor ist die einzige Frau in der Hölle im Range eines Teufels. Und ebenso ist sie eine Pythia. Für ihre Gefährten, sowie auch für die Gefangenen ist ihre Erscheinung unwiderstehlich anziehend und dadurch ungemein gefährlich. Sie heizt die Fantasie der Seelen an, nur um sie nicht zu erfüllen.

(F) Was soll daran denn quälend sein?

(S) Kannst du es dir wirklich nicht vorstellen? Kennst du die Qualen der Liebe etwas nicht? Liebeskummer ist ein bohrender, nahezu unerträglicher Schmerz! Dies glaube mir!

Die nächste Stufe heißt Folter.

(F) Folter wurde dem Verfluchten doch schon an seiner ersten Etappe angetan!

(S) Nein, nein… das war nur tumber Schmerz als Bestrafung.

Chutriel Daeva ist der Meister der Folter und der Bestrafer der Dämonen. Er taucht die Seelen unter Wasser, auf dass sie Atemnot verspüren. Da sie jedoch nicht mehr Leben, können sie nicht ersticken. So kämpfen sie Jahre um Jahre gegen den vermeintlichen Erstickungstod. Nebenbei lässt er sie auch gerne bei zerstückeln oder verbrennt ihre Augäpfel.

(F) Das ist aber wieder Beelzebubs Aufgabe.

(S) Da magst du Recht haben, Fortuna. Allerdings ist Beelzebub kein fantasiegeprägter Teufel. Sein Ideenreichtum ist eher mangelhaft. Daher hat Chutriel es sich zur Aufgabe gemacht, die Foltermethoden noch etwas zu verfeinern.

Als nächstes beschäftigt sich der Verdammte mit Sepherion Baphomet, dem Kriegsherrn und Meister der Angst. Er sieht in die Herzen seiner Opfer hinein, erkennt ihre größte Schwäche und nutzt diese aus. Menschen mit unheimlicher Angst vor engen Räumen zwängt er in eine Kammer, in der sie sich kaum bewegen können. Man hört selten etwas in seinem Bereich der Hölle, weil die Seelen beginnen, dem Wahnsinn zu verfallen. Keine Angst ist zu diffus, als dass man von ihr nicht profitieren könnte. Und im Gegensatz zu Beelzebub hat Sepherion eine Menge Einfallsreichtum.

Darüber hinaus beherrscht er natürlich auch über Strategiefähigkeiten, die er als General der Höllenarmee erlernt hat.

(F) Das alles ist sehr interessant. Nun folgt die letzte Stufe, ist es nicht so?

(S) Nicht ganz. Der Bestrafung nach zwar schon, allerdings haben die Gefangenen nachfolgend noch eine Aufgabe zu erledigen. Gleich dazu mehr.

Mephisto Dantoteles, der Teufel der Verzweiflung, hat eine fürchterliche und eindrucksvolle Gabe. Sie ist einmalig. Mit äußerster Konzentration schleicht sich sein Bewusstsein in jenes seines Gegenübers ein. Genau wie Sepherion sieht er in die Herzen der Verdammten hinein, mitunter ein Grund ihrer freundschaftlichen Bande. Aber er macht etwas anderes, als sie nur in die Angst zu drängen. Er zeigt ihnen Visionen. Er sorgt dafür, dass der Gestrafte Dinge sieht, die ihn vollends um den Verstand bringen. Unglaubliche, schreckliche Dinge, die man sich gar nicht vorzustellen vermag. Wenn man neben ihm steht, während er seine Opfer bearbeitet, bemerkt man seine innere Unruhe und wilde Entschlossenheit, die Sünden des Opfers zu rächen. Seine Augen verschwärzen sich und er bleibt reglos stehen, als wäre er selbst in einer Art Trance.

(F) Wie schrecklich! Hoffentlich sind damit die ganzen Bestrafungen endlich beendet!

(S) Ja, aber wie schon erwähnt, bleibt noch eine Aufgabe. Und diese ist wohl kaum harmloser als all die vorangegangenen Strafen. Die verunreinigte Seele muss nun bis zum letzten Äther von ihrem Schatten gesäubert werden, indem sie in tiefster Reue die Vergebung ihrer Taten bei ihren Opfern erbittet und auch erhält. Erst, wenn das Opfer, oder besser gesagt eine Erinnerung des geschädigten Menschen, die Aufrichtigkeit in der Reue der Seele sieht, wird sie ihm verzeihen. Und schließlich wird die Seele wieder gen Erde geführt, wobei vorher noch das gesamte Gedächtnis gelöscht wird, wobei hin und wieder mal ein Fehler passieren kann.

(F) Welcher Fehler?

(S) Der Fehler, dass der Mensch sich als Kind noch an sein Vorleben erinnern kann. Aber das verfliegt mit den Jahren.

(F) Die Hölle muss schrecklich sein. Wie kannst du dir so etwas nur ausdenken? Ich hasse dich dafür!

(S) Ich hasse dich doch auch.

Ein längeres Schweigen belastete den Raum daraufhin und jeder war in seinen trüben Gedanken vertieft. Bis Fortuna die Stille wieder unterbrach.

(F) Gibt es einen Unterschied zwischen Hölle und Fegefeuer?

(S) Ja, den gibt es. Die Hölle ist der Ort der Vergeltung und Wiedergutmachung. Das Fegefeuer ist nur eine Zwischenstufe, die dem Menschen auferlegt wird, der nicht sofort gen Himmel entschwinden darf, da seine Seele einer geringfügigen Reinigung bedarf. Diese wird danach nicht wieder in die Welt gelassen!

Das Fegefeuer ist eigentlich nicht mehr, als ein schwelendes Feld. Bauern der früheren Jahrhunderte „fegten“ mit Feuern ihre Äcker, mussten dabei jedoch noch in diesem Felde arbeiten und verbrannten sich dabei ihre Füße und Fußgelenke. Es ist recht schmerzhaft und nervtötend, aber noch längst keine so schlimme Strafe wie die Hölle selbst.

Wann es generell zum Einsatz kommt, liegt im Ermessen der Engel und der Teufel, die den Rundgang mit dem Tod machen. Danach darf auch diese Seele in den sprichwörtlichen Garten Eden eintreten.

(F) Dann hätte ich noch eine allerletzte Frage.

(S) Stell sie mir.

(F) Wenn es für dich Himmel, Hölle und Fegefeuer gäbe, wohin müsstest du gehen?

Von dieser Frage war ich offen überrascht. Ich hatte bereits meinen Mund zur Antwort geöffnet, kannte sie jedoch selbst nicht.

Mephisto

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